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Soziale Arbeit und Gerechtigkeit -

Soziale Arbeit und Gerechtigkeit (eBook)

Professionstheoretische Perspektiven für Studium, Lehre und Praxis
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
253 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8061-2 (ISBN)
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Soziale Arbeit ist untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit verbunden. Gerechtigkeitstheoretische Fragen, die sich rund um die Umsetzung der Menschenrechte drehen, sind für die Qualifizierung und Professionalisierung von besonderer Bedeutung. Hier tauchen im Hinblick auf den damit verknüpften Gerechtigkeitsdiskurs in Studium, Lehre und Praxis Sozialer Arbeit Herausforderungen auf, die im vorliegenden Sammelband ausgehend vom Motto »Stärken bündeln für soziale Gerechtigkeit« des Bundeskongresses für Soziale Arbeit 2021 diskutiert werden. Ziel ist es, die damit verknüpften Fragen und entwickelten Zukunftsperspektiven einer gemeinsamen gerechtigkeitstheoretischen Positionierung Sozialer Arbeit zuzuführen.

Ulrike Zöller, Professorin für Theorie, Methodik und Empirie der Soziale Arbeit an der Fakultät für Sozialwissenschaften der htw saar. Diplom Pädagogin und Diplom Sozialpädagogin (FH), Dr. phil., Arbeitsschwerpunkte: Migrationspädagogik, Soziale Arbeit an den Übergängen Schule und Beruf, transnationaler Kinderschutz und Ethik der Sozialen Arbeit. Manuel Freis, Dipl. Päd., wissenschaftlicher Mitarbeiter und Praxisreferent an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Arbeitsschwerpunkte: ethnographischer und rekonstruktiver Organisationsforschung, lernortübergreifender Hochschuldidaktik, systemischer Organisationsentwicklung und epistemologischer Grundlagen professionellen Handelns.

Soziale Arbeit und Gerechtigkeit – Professionstheoretische Perspektiven für Studium, Lehre und Praxis


Ulrike Zöller/Manuel Freis/Lea Alt

Aktuell haben gerechtigkeitstheoretische Auseinandersetzungen einen großen Stellenwert in der Profession und Disziplin Soziale Arbeit (Hosemann et al. 2003; Schrödter 2007; Röh 2013; Czollek et al. 2019; Ife et al. 2022). Ein Grund liegt sicher darin, dass im Rahmen gesellschaftlicher Krisenphänomene, im Kontext von Klimawandel und Krieg und im Hinblick auf das Fortschreiten gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozesse Fragen nach sozialer Gerechtigkeit vermehrt auf den Plan gerufen werden. Die liberale Demokratie steht angesichts dieser globalen Herausforderungen auf dem Prüfstand (vgl. Mounk 2018), denn die Gefahr ist groß, dass die gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich daran entzünden, populistische Ideen erstarken lassen und die Rechtsstaatlichkeit bedrohen (vgl. ebd.). Studien, die die Korrelation von sozialer Gerechtigkeit und Demokratie in verschiedenen Ländern untersucht haben (z. B. Merkel/Krück 2003; Bohmann/Liebig 2022), können zeigen, dass beide Phänomene eng miteinander verknüpft sind. Beispielsweise herrscht in Ländern, in denen aus Sicht der Bevölkerung weitgehend Chancengerechtigkeit besteht, ein höheres Vertrauen in die Demokratie vor (vgl. Bohmann/Liebig 2022). Stefan Liebig (2022) betont in einem Interview zu seiner zusammen mit Sandra Bohmann durchgeführten Studie, dass soziale Gerechtigkeit die Voraussetzung dafür sei, dass Personen Vertrauen in die Demokratie haben und sich entsprechend politisch beteiligen würden. Soziale Gerechtigkeit sei die Voraussetzung für Vertrauen in die Demokratie. Wolfgang Merkel und Mirko Krück (2003) zeigen anhand einer auf 124 Länder bezogenen Korrelationsanalyse, dass mit dem Demokratisierungsgrad auch der Grad der sozialen Gerechtigkeit steigt: „Je demokratischer, desto sozial gerechter, und je gerechter, desto demokratischer“ (ebd., o. S.). Mit dieser Feststellung wird auch plausibel, dass sich Gerechtigkeitstheorien der Gegenwart (spätestens seit John Rawls) auf konstitutionelle Demokratien bzw. auf den demokratischen Verfassungsstaat beziehen (vgl. Höffe 2021).

Der Gerechtigkeitsbegriff wird aus einer sozialphilosophischen Perspektive kontrovers diskutiert. Insbesondere seit John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit (1971) wird die Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit auch in der deutschsprachigen Sozialen Arbeit vermehrt diskutiert. Von Relevanz sind dabei der der Theorie von Rawls nachfolgende Capability Approach von Amartya Sen (2020a [1999], 2020b [2009]) und Martha C. Nussbaum (2020 [1993]) sowie die Theorie der Social Justice von Iris Marion Young (2013). Allerdings muss an dieser Stelle in Erinnerung gerufen werden, dass seit der Industrialisierung und dem Aufkommen der Sozialen Frage im 19. Jahrhundert die Auseinandersetzung mit sozialer Gerechtigkeit konstitutiv für die Soziale Arbeit ist. Soziale Arbeit ist eng verflochten mit Fragen nach (Un-)Gerechtigkeit und Benachteiligung (vgl. Hosemann et al. 2003). Gerechtigkeitstheoretische Perspektiven spielen dabei eine maßgebliche Rolle. So stellt Röh (2013) den Aspekt der Befähigungsgerechtigkeit unter Darstellung und Kontextualisierung des Capability Approachs in der Sozialen Arbeit dar und sieht die Funktion Sozialer Arbeit vor diesem Hintergrund in der Stärkung „subjektiver Handlungsfähigkeit“ sowie der „Bildung befähigender Strukturen“ (ebd., S. 261). Ungerechtigkeit im Sinne einer ungleichen Verteilung von Ressourcen und Gütern und vor allem die Betrachtung der stark divergierenden Möglichkeiten der Menschen, diese effektiv zu nutzen, bilden in der alltäglichen Praxis der Sozialen Arbeit einen zentralen Fokus (vgl. Ziegler et al. 2011). So konstatiert Christian Hiebaum (2012) aus der Perspektive der Politik, dass sich nur wenige so gut mit Krisen auskennen würden wie Sozialarbeiter:innen, da die Rolle der Sozialen Arbeit als „Gerechtigkeitsarbeit“ (ebd., S. 1) die Bearbeitung von Krisen gleich auf mehreren Ebenen und in mehreren Dimensionen einschließe (vgl. ebd.). Er unterscheidet dabei sozial, psychisch und körperlich bedingte Krisen von institutionellen und persönlichen Krisen (vgl. ebd.). Dreh- und Angelpunkt für Soziale Arbeit ist dabei stets der Blick auf soziale Gerechtigkeit. Die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit sowie die Befähigung von Menschen, insbesondere von vulnerablen, machtlosen und mit wenigen bis keinen Privilegien ausgestatteten Menschen, waren und sind zentrale Anliegen und Legitimationsfolie (vgl. u. a. Thiersch 2003; Röh 2013; Düker/Schrödter 2018). Sozialarbeiter:innen sehen sich in ihrer täglichen Praxis vor die Herausforderung gestellt, erstens die Perspektive derer einzunehmen, die von gesellschaftlicher Ungleichheit betroffen sind (vgl. Otto/Schrödter 2009), zweitens durch Versuche des Empowerments Adressat:innen in die Lage zu versetzen, in ihrer jeweiligen Lebenswirklichkeit soziale Gerechtigkeit eigenständig bzw. gegebenenfalls mit Unterstützung der Sozialen Arbeit herbeizuführen, und drittens Ungleichheiten sichtbar zu machen, indem sie als Sprachrohr im politischen Diskurs fungieren (vgl. Staub-Bernasconi 2003). Gemäß der Definition der International Federation of Social Workers (IFSW 2014) bilden in diesem Sinne die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt die Grundlagen der Sozialen Arbeit. Mit diesen normativen Anforderungen, die das Fundament professionellen Handelns darstellen, geht auch ein direkter Auftrag an Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit einher, Perspektiven und (präventive) Maßnahmen zu entwickeln, die sozialer Ungleichheit entgegenwirken. Dabei ist hinzuzufügen, dass normative Anforderungen an professionelles Handeln zweifellos „mit dem strikt unerfüllbar anmutenden Anspruch zu tun [haben], den die […] Profession an sich selbst stellt. Soziale Arbeit soll die Transformation einer sozial gerechteren Welt befördern und sich zugleich mit den Problemen konkreter emanzipationsbedürftiger Individuen befassen.“ (Hiebaum 2012, S. 2) Mit Blick auf eine Gesellschaft, die sich gleichsam im Modus der Dauerkrise befindet, erscheint dieser Anspruch bizarr und kaum einlösbar, da die Umsetzung sozialer Gerechtigkeit auf stabile Demokratien angewiesen ist, die aber angesichts der weltumspannenden Herausforderungen fragiler werden oder gar zu zerfallen drohen (vgl. Mounk 2018). Nicht zufällig entwickelt Eric Mührel (2019) ausgehend von den Menschenrechten, der Gerechtigkeitsperspektive und der Idee der Nachhaltigkeit eine „transgenerative Ethik“ (ebd., S. 45) für die Soziale Arbeit. Diese schließt an die UN-Resolution Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Vereinte Nationen 2015) an und hebt die Ziele „Sicherung sozialer Teilhabe aller Menschen und gesellschaftlichen Gruppen“ und „Erziehung und Bildung besonders der jungen Generationen zur Reflexion der Transformationsprozesse und ihrer innovativen Mitgestaltung“ (Mührel 2019, S. 45) hervor. Mührel arbeitet heraus, dass mit Blick auf die favorisierten Ziele die Würde gegenwärtiger und zukünftiger Menschen als normativ relevanter Faktor in die Maximen eigenen Handelns miteingeschlossen werden müsste (vgl. ebd.). Damit begründet sich eine Ethik, die Transgenerativität als „Bewusstsein in zwei zeitliche Richtungen“ (ebd.) konzipiert und gutes und richtiges Handeln als Ermöglichung von Transformationsprozessen begreift. Dabei sind die Anforderungen an soziale Gerechtigkeit sicherlich auf verschiedenen Ebenen zu reflektieren. Peter Koller (2001) etwa unterscheidet im Abstrakten folgende Ebenen: (1) rechtliche Gleichheit, (2) bürgerliche Freiheit, (3) demokratische Beteiligung, (4) soziale Chancengleichheit und (5) wirtschaftliche Gerechtigkeit (vgl. ebd., S. 42 ff.). Soziale Arbeit als Profession und als Disziplin kann sicherlich nicht für alle diese Ebenen als zuständig erachtet werden. Trotz alledem ist sie in ihren Handlungs- und Arbeitsfeldern sowie den dort sich ereignenden Krisensituationen mit allen Ebenen sozialer Gerechtigkeit konfrontiert.

Relevant erscheint aus dieser Perspektive ebenso die organisationale Verfasstheit professioneller Interaktionen von Sozialarbeiter:innen. So resümiert Christian Hiebaum (2012, S. 11), dass „die von den hehrsten Motiven der Solidarität getragene Praxis der individuellen Unterstützung sozial Schwacher und Benachteiligter […] institutionelle Rahmenbedingungen als...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8061-4 / 3779980614
ISBN-13 978-3-7799-8061-2 / 9783779980612
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