Vonne Straße innen Wald (eBook)
288 Seiten
Riva Verlag
978-3-7453-2180-7 (ISBN)
Max Cameo, 1986 geboren, ist YouTuber, Tätowierer und Naturaktivist. Als Jugendlicher kam er auf die schiefe Bahn und verbrachte einige Jahre als Krimineller im Rotlichtmilieu. Das Thema Kriminalität griff er auf seinem bekannten YouTube-Kanal wieder auf, unter anderem durch Beiträge, in denen er soziale Brennpunkte auf der ganzen Welt bereist und dort mit Gangmitgliedern spricht. Heute engagiert sich Max Cameo vor allem im Bereich des Natur- und Waldschutzes und betreibt eine Outdoorschule, um Menschen an die Wildnis heranzuführen.
Max Cameo, 1986 geboren, ist YouTuber, Tätowierer und Naturaktivist. Als Jugendlicher kam er auf die schiefe Bahn und verbrachte einige Jahre als Krimineller im Rotlichtmilieu. Das Thema Kriminalität griff er auf seinem bekannten YouTube-Kanal wieder auf, unter anderem durch Beiträge, in denen er soziale Brennpunkte auf der ganzen Welt bereist und dort mit Gangmitgliedern spricht. Heute engagiert sich Max Cameo vor allem im Bereich des Natur- und Waldschutzes und betreibt eine Outdoorschule, um Menschen an die Wildnis heranzuführen.
Wenn deine Welt zerbricht
Herr Peters saß mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seinem Stuhl. Er hatte sich mit der falschen Siebenjährigen angelegt.
»Du kleine Mistkröte«, schrie er Toni hinterher. Aber sie hörte ihn nicht mehr. Alles war weit weg, als sie die Treppen runterrannte. Wie ein schlechter Traum, aus dem man aufwacht, aber der noch für ein paar Sekunden nach dem Aufwachen nachhallt. Doch dann ist man wieder da. In der echten Welt. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie den Stuhl mit voller Wucht gegen Peters’ Schienbein schlägt. Sehe ihr wütendes Gesicht. Aber wenn man ganz genau hinschaut, sieht man, was sich hinter der Wut verbirgt. Erleichterung! Erleichterung, sich gewehrt zu haben gegen die Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit und Autorität – sie liegen manchmal nah beieinander. Toni und ich rannten, bis wir nicht mehr konnten. Wir rannten bis zum Rande des Waldes, wo wir uns sicher fühlten. Im Wald gibt es keine Autorität. Auch keine Ungerechtigkeit. Vor der Natur sind wir alle gleich. Sie bewertet uns nicht nach Aussehen oder Reichtum. Sie bedeutet Freiheit vor den Zwängen unserer nach Wachstum ausgerichteten Gesellschaft. Aber ich sollte von vorne beginnen.
Wer verstehen will, wie ich der wurde, der ich heute bin, der muss mich zurück in meine Kindheit begleiten.
Ich wurde im Jahr 1986 geboren. Als kleiner Junge kannte ich nur zwei Farben. Das mal matschige, mal trockene Braun des Bodens und das Grün der Wälder und Wiesen. Diese Zeit hat mich geprägt. Ich war ein Kind des Waldes und ohne diese Erfahrung hätte ich es nicht mehr zurückgeschafft auf den geraden Weg. Nicht herausgeschafft aus dem Sumpf der Schattenwelt von Kriminalität und Rotlicht. Vielleicht wäre ich in Haft gekommen oder hätte anderen und mir noch mehr Leid zugefügt. Im Rückblick erscheint es mir eine Ironie des Schicksals zu sein, dass ich den Schlüssel für ein glückliches Leben schon als Kind in den Händen hielt. Aber in meiner Kindheit wurden auch die Weichen gestellt für das Leben, das mich auf die schiefe Bahn führte.
Als ich auf die Welt kam, waren meine Eltern gerade mit der Uni fertig. Die beiden hatten sich vor ihrem Studium kennengelernt und ineinander verliebt. Meine Mutter trat ihre erste Stelle als Kunstlehrerin an. Mein Vater begann seine berufliche Laufbahn zur selben Zeit beim Gesundheitsamt. Beide stammten sie aus einfachen Verhältnissen und hatten sich mit Fleiß eine bessere Zukunft als ihre Eltern aufgebaut.
Zu Beginn ihres Berufslebens war das Geld knapp und wir lebten die ersten sechs Jahre meines Lebens zusammen mit den Eltern meiner Mutter und meinem Onkel in einem großen Forsthaus, das wir gemietet hatten. Ein Anwesen wie aus einem Kinderbuch von Astrid Lindgren. Mein eigenes kleines Bullerbü. Das alte Gutshaus lag eingebettet in ein Waldstück an einem Hang, auf dem eine Streuobstwiese lag. Wir hatten einen großen Hof mit einer Scheune und einem Silo. Meine Großeltern züchteten Kaninchen und auf der Wiese weideten Schafe. Jeden Frühling blühten die Obstbäume auf unserer Wiese und schenkten uns im Sommer und Herbst ihre Früchte. Ich kann mich bis heute noch an den saftigen und sauren Geschmack der alten Apfelsorten erinnern, die es in keinem Supermarkt zu kaufen gibt.
Im Winter tobte ich durch den Schnee oder fuhr den ganzen Tag mit meinem Schlitten den Abhang hinab. Alle Kinder aus der Straße kamen vorbei, um bei uns zu rodeln.
Im Frühling streifte ich mit meinen Freunden durch den Wald und sog die frische Luft der Berge und Bäume tief in meine kleinen Lungen.
Im Sommer rannten wir über die Wiesen, bis wir Seitenstechen bekamen. Aber wir kannten keine Schmerzen. Jeder Brennnesselstich und jede verdreckte Schramme gerieten bei dem Spaß, den wir hatten, in Vergessenheit.
Und wenn ich abends nach einem langen Tag als Entdecker und Forscher auf den Hof zurückkehrte, saß mein Großvater oft mit seinen Freunden draußen. Die alten Herren unterhielten sich, rauchten und tranken Selbstgebrannten. Wir grillten auch oft zusammen und der ganze Hof roch nach Holzkohle. Und manchmal, wenn ich morgens am Silo vorbeilief, lag dort ein Kumpel meines Großvaters, um seinen Rausch auszuschlafen. Es war ein einfaches Leben, aber ich konnte mir als kleiner Junge kein schöneres erträumen.
Wer die Mentalität meiner Großeltern begreifen will, muss die Region verstehen, in der ich aufgewachsen bin. Ein Landstrich im Westen Deutschlands, in dem vielen Menschen ein einfaches Leben vorbestimmt war und auch heute noch ist. Das Sauerland rund um die Stadt Altena ist neben dem Wald vor allem von einer Sache geprägt: der Drahtindustrie. Wer durch die engen Talstraßen dieser Ortschaften fährt, begegnet ständig ihrer industriellen Vergangenheit und Gegenwart.
Fernab der Metropolregionen wurde hier schon um das Jahr 1600 Stahldraht gezogen. Und auch heute noch gibt es jahrhundertealte Betriebe, die das Material für den Weltmarkt produzieren. Der Draht aus dem Sauerland steht für allerbeste Qualität. Doch viele der Familienunternehmen mussten im Zuge der Globalisierung dichtmachen. Seit den Sechzigerjahren haben viele Menschen die Region verlassen. Doch der Betrieb, in dem mein Großvater malochte, hielt dem Preiskampf stand. Er war Arbeiter in einem Walzwerk für Drähte und kannte nur Arbeit und die Natur. Mehr schien er in seinem Leben nicht zu brauchen: eine Tätigkeit, die der Familie Brot auf den Tisch brachte, und eine Umwelt, mit der er in Einklang lebte. Ich konnte als Kind nicht verstehen, wie mein Großvater jeden Morgen um 7 Uhr, nachdem er die Tiere gefüttert und seine speckige Ledertasche mit dem von Großmutter zubereiteten Butterbrot gegriffen hatte, gut gelaunt in die Fabrik gehen konnte und erst zum Abendbrot mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause kam. Ich hatte erlebt, wie hart er jeden Tag arbeiten musste, als ich ihn einmal im Walzwerk besuchte. Stundenlanges Stehen, immer wieder dieselben Handgriffe. Früher kam es zudem vor, dass sich Arbeiter in den großen Walzen ihre Finger zerquetschten.
Eines Abends, als er nach Hause kam, fragte ich ihn, warum er immer so gut gelaunt sei, obwohl er jeden Tag zur Arbeit müsse. »Max«, antwortete er, »wenn das Leben dir harte Arbeit gibt, dann beschwer dich nicht, sondern lache! Und je beschissener alles ist, umso mehr musst du lachen.«
Das war die Einstellung meines Großvaters. Ich habe diesen Satz bis heute nicht vergessen, obwohl mir erst später klar wurde, was er meinte. Heute denke ich demütig an dieses Gespräch zurück. Wir gingen oft miteinander spazieren und er brachte mir viel über den Wald bei. Ich lernte, die Gesänge der Vögel zu erkennen oder wie man die Spuren eines Dachses von denen eines Fuchses unterscheidet. Und Pilzesammeln! Mein Großvater lehrte mich viel über die verschiedenen Sorten. Als kleiner Junge konnte ich so bereits einen Honigpilz von einem Stockschwämmchen unterscheiden. Und wenn wir abends nach einem langen Spaziergang nach Hause kamen, saß die ganze Familie bereits um den Tisch versammelt und meine Großmutter tischte so auf, dass alle mehr als satt wurden.
Zur Erntezeit lud mein Großvater die Familien der türkischen Gastarbeiter aus seiner Firma ein, reichlich Obst zu pflücken. Es war ein buntes Treiben, das dann auf unserer Wiese stattfand und meine Großeltern erfreuten sich an den vielen Kindern, die zwischen den Bäumen herumtobten. »Wir können das ganze Obst sowieso nicht alleine essen«, sagte mein Großvater immer.
Mir fällt kaum ein Tag in den ersten sechs Jahren meines Lebens ein, an dem ich nicht glücklich war, an dem ich nicht zwischen den Bäumen und Sträuchern herumstreifte. Ich war eins mit der Natur und kannte keinen anderen Zustand. Doch der Anfang des Endes meiner idyllischen Kindheit begann an einem Tag, der für jedes Kind etwas ganz Besonderes ist.
***
Ich hatte mich eigentlich immer auf meine Einschulung gefreut. Zwar mochte ich den Kindergarten ganz gerne, aber auf die Schulzeit war ich richtig heiß. Meine Mutter war ja Lehrerin und ich liebte meine Mutter. Warum sollte die Schule also kein großartiger Ort sein, wenn dort jemand wie sie arbeitete? Ich sollte es bald besser wissen.
Es waren die ersten Tage nach meiner Einschulung. Herr Peters, mein Klassenlehrer, hatte uns eine Fleißaufgabe gegeben. Wir sollten alle zehnmal alle Zahlen bis 10 aufschreiben, während er an seinem Pult saß und schmatzend eine Salzstange nach der anderen in seinen Mund schob. Er war süchtig nach dem Zeug. Ich starrte auf mein Heft, um ihm nicht in die Augen zu schauen. Ich merkte, wie er uns beobachtete. Plötzlich hörte ich seine Stimme.
»Viktoria und Daniel. Seid ihr beide schon fertig?«, fragte er in einem ernsten Ton. Die beiden nickten und schauten ihn erwartungsvoll an. Doch statt eines wirklichen Lobes, sagte Peters zu den beiden:
»Weil ihr so schnell wart, habe ich eine besondere Belohnung für euch.«
Er machte ein Handzeichen, mit denen er die beiden zu sich rief. Verunsichert standen die Kinder auf und gingen nach vorne.
»Legt mal eure Hand auf meinen...
| Erscheint lt. Verlag | 22.10.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Abenteuer • Bushcraft • cameosbotschaft • Hood • Kiez • Krimineller • Naturschutz • Outdoor • realtalk • Rocker Gang • Survival • Survival Buch • survival outdoor • tattoo artist • True Crime • True Crime Story • Umweltschutz • Verbrecher • Waldschutz • Wildnis |
| ISBN-10 | 3-7453-2180-4 / 3745321804 |
| ISBN-13 | 978-3-7453-2180-7 / 9783745321807 |
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