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Es darf nichts verloren gehen

Zeitzeugen berichten
Buch | Softcover
108 Seiten
2022
Fabuloso (Verlag)
978-3-949150-20-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Es darf nichts verloren gehen
CHF 13,85 inkl. MwSt
„Es darf nichts verloren gehen!“, ist ein Projekt des Sozialverbandes Ortsverband Gleichen. Das Wissen, was wir heute nicht aufschreiben, ist morgen schon unwiederbringlich verloren. Angeregt durch die Erlebnisse der letzten Jahre mit Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten in unserer Gemeinde wurden wir von mehreren zum Teil schon hochbetagten Mitmenschen angesprochen, dass sie gerne ihre Erinnerungen an die eigenen Erlebnisse in der Kriegs- und Nachkriegszeit sowie Flucht gerne an die Generationen der Kinder und Enkelkinder weitergeben möchten. Gerne haben wir das Thema aufgegriffen und Zeitzeugen aufgerufen, uns zu berichten. Aus den Ortschaften der Gemeinde Gleichen und der näheren Umgebung sind Geschichten, Erlebnisse aus vergangener Zeit, die berühren und zum Nachdenken auffordern, in diesem Buch zusammengefasst. Erlebtes wird aufgearbeitet durch das Erzählen darüber. Es ist die Angst und die Not der Menschen zu spüren bei deren Schilderung über Vertreibung und Flucht. Auch erfahren wir Erlebtes aus einer vergangenen Zeit mit vielen Entbehrungen, das diese Menschen ein Leben lang geprägt hat.
Unser Dank geht an diejenigen, die uns vertraut haben und uns ihre Erlebnisse erzählt oder aufgeschrieben haben, die wir in diesem Buch veröffentlichen dürfen.

Lasst uns hinschauen – und nicht wegschauen.

Leseprobe Geschichte von Gisela Dorenwendt Meine Schwiegermutter Gisela wurde im September 1933 als 4. von insgesamt 8 Kindern geboren. Zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern wuchs sie in Friemar in Thüringen auf. Es waren schwierige und unsichere Zeiten, in die Gisela hineingeboren wurde. Als Gisela 6 Jahre alt war begann der 2. Weltkrieg und es folgten Jahre voller Entbehrungen. In diesen schweren Zeiten sorgte Vater Hugo gut für seine Familie und auch Mutter Anna bereitete ihren Kindern ein liebevolles Elternhaus. So erlebte Gisela trotz der „schlechten Zeiten“ eine schöne Kindheit. Nach dem Krieg wurde Deutschland geteilt. Somit gehörte Thüringen zur Ostzone. Gisela wuchs heran und bald wollte sie ins Arbeitsleben starten, um eigenes Geld zu verdienen. Doch was tun? Sie begann eine Ausbildung – damals noch „Lehre“ genannt als Schweißerin in der Waggonfabrik in Gotha. So stand Gisela schon in jungen Jahren „ihre Frau“ in einem Männerberuf. Doch das Leben in dem zweigeteilten Deutschland war nicht einfach. Vielleicht hat Gisela damals schon geahnt, was einmal auf die Menschen in der sogenannten „Ostzone“ zukommen würde. Sie und ihre Freundinnen wollten frei sein und selbstbestimmt ihr Leben leben. 1953, mit gerade mal 20 Jahren, hat sie daher, gemeinsam mit einer Freundin beschlossen, in den Westen zu gehen. Ohne sich von den Eltern zu verabschieden, ist sie mit ihrer Freundin in den Bus Richtung Duderstadt gestiegen. Mit welchen Gedanken und welchen Gefühlen mögen sie gereist sein? Sie haben ihre Heimat Thüringen verlassen, ohne zu wissen, ob oder wann sie ihre Familien wiedersehen würden. Gisela und ihre Freundin waren wirklich mutige jungen Frauen in dieser besonderen Zeit. Sie wussten nicht, was sie erwartet. Kommen sie heil im Westen an? Können sie überhaupt dortbleiben? Würden sie Arbeit finden? Doch Gisela dachte sich: „Wer als Schweißerin gearbeitet hat, der findet überall Arbeit“! So kam es dann auch. Gisela und ihre Freundin Margot landeten in Rittmarshausen, wo beide tatsächlich gleich, wie so viele, auf dem Gut in der Landwirtschaft Arbeit fanden. Sie war fremd – aber Gisela hat nie „gefremdelt“. Die aufgeschlossene und fleißige junge Thüringerin fand schnell Anschluss in Rittmarshausen. Trotz harter und schwerer Arbeit tagsüber auf dem Feld, hatten sie auch viel Spaß. So kam es dann, dass auch einige junge Männer, ein Auge auf die hübschen jungen Frauen aus Thüringen geworfen hatten. Ein junger Mann namens Alfred hatte es Gisela besonders angetan. Schon bald ging man miteinander aus, es wurde getanzt und bald waren sie ein Paar. Einige Jahre später läuteten dann die Hochzeitsglocken. Bald gründeten Gisela und ihr Alfred eine eigene Familie. 1960 erblickte dann der erste Sohn und Stammhalter Heiner das Licht der Welt und 1963 der zweite Sohn Gerd. Gemeinsam haben Gisela und Alfred ihren Söhnen eine glückliche Kindheit beschert. Dann kam der Tag, an dem Gisela wegen starker Schmerzen einen Arzt aufsuchen musste. Leider wurde bei ihr eine bedrohliche Krankheit diagnostiziert. Es erfolgte eine schwere Operation. Zur großen Freude ihrer Lieben hat Gisela diese schlimme Krankheit besiegt und überwunden. Erst viele Jahre später als Erwachsene konnten ihre Söhne nachvollziehen, was sie damals durchlitten hatte. Als Gisela gerade wieder genesen war, traf die Familie der nächste Schicksalsschlag. Ihr geliebter Alfred ist plötzlich und unerwartet nach schwerer Krankheit viel zu früh verstorben. Da war Gisela plötzlich mit ihren zwei Söhnen im Alter von 13 und 17 Jahren ganz allein. Das war Mitte der 1970 er Jahre nicht einfach, als Frau ganz allein auf sich gestellt zwei Jugendliche zu erziehen. Dennoch hat es Gisela geschafft und die kleine Familie hat immer fest zusammengehalten. Zum Glück haben sich die dunklen Wolken des Lebens verzogen und aus beiden Söhnen wurden gestandene erwachsene Männer. Endlich, im November 1989 wurde die innerdeutsche Grenze geöffnet. Das bedeutete für Gisela und ihre Familie, dass man sich wieder zu jeder Zeit sehen und besuchen konnte. Gleich am ersten Wochenende nach der Grenzöffnung bekam Gisela Besuch von einigen Nichten und Neffen. Auch ein damals etwa 9jähriger Großneffe war dabei. Es war sein erster Besuch im Westen. Beim abendlichen Spaziergang bei Vollmond mit Gisela durchs Dorf fragte er: „Tante Gisela, sag mal, scheint bei euch hier im Westen der gleiche Mond wie bei uns im Osten“? Noch jahrelang wurde über diese niedliche kindliche Frage geschmunzelt… Etwa zur gleichen Zeit hat Heiner mit Simone seine „Frau fürs Leben“ gefunden. Die Hochzeit im Jahr 1991 war die erste große Familienfeier nach der deutschen Wiedervereinigung, wo die gesamte Familie aus Ost und West fröhlich zusammen feiern konnte. Zwei Jahre später wurde dann Fabian geboren und machte Gisela zur stolzen Oma. Dabei hatte sie einige Jahre zuvor nicht damit gerechnet, jemals Oma zu werden. Auch Gerd hatte zwischenzeitlich seine „Frau fürs Leben gefunden“ – Anke. Wieder wurde eine große Hochzeit gefeiert. Ganz in Giselas Sinne, denn sie liebte Familienfeiern. Auch Gerd gründete mit seiner Frau Anke eine Familie. Bald wurden Lara und ein paar Jahre später auch Jana geboren. Gisela war nun stolze „Dreifach-Oma“. Sie war immer für Ihre Enkel da und für jeden Spaß zu haben. Auch ihren Schwiegertöchtern stand sie immer gern mit Rat und Tat zur Seite. Im Kreise ihrer Lieben fühlte sich Gisela am wohlsten. Ganz besonders genossen hat sie so manche schöne Feier auch und gerade in Thüringen. Da war alles wieder wie früher. Doch auch mit ihren vielen Freundinnen aus dem Dorf, verbrachte sie gern manche Stunde in fröhlicher Runde. Bis ins hohe Alter war Gisela auf sämtlichen Dorfaktivitäten zu sehen. Durch ihre stets offene, humorvolle, hilfsbereite und optimistische Art hatte sie sich im Laufe der vielen Jahren, die sie in Rittmarshausen gelebt hat, zu einer allseits beliebten und geachteten Frau entwickelt. Noch heute erinnern sich viele immer wieder gern an unsere Gisela. Sie war eine Familienmanagerin, die alles zusammenhielt als Mutter, Schwiegermutter, Oma und beste Freundin. Aufgeschrieben aus Erinnerungen und Gesprächen sowie nach Abstimmung mit der Familie von Simone Dorenwendt. Sie ist die Schwiegertochter von Gisela Dorenwendt und wohnt in Rittmarshausen.

Erscheinungsdatum
Zusatzinfo 17 Schwarz weiß Fotos, 1 Zeichnung
Verlagsort Bilshausen
Sprache deutsch
Maße 130 x 190 mm
Themenwelt Literatur Anthologien
Sozialwissenschaften
Schlagworte 20. Jahrhundert • autentisch • Erinnerungen • Göttingen und Umgebeng • Zeitzeugenberichte
ISBN-10 3-949150-20-X / 394915020X
ISBN-13 978-3-949150-20-3 / 9783949150203
Zustand Neuware
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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