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Oma, ich fahr schon mal den Rollstuhl vor! (eBook)

Spiegel-Bestseller
Als ich vom Enkel zum Pfleger wurde

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01574-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Oma, ich fahr schon mal den Rollstuhl vor! -  Martin Frank
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«Die Oma hat a Schlagerl ghobt!» Der Kabarettist Martin Frank ist auf einem niederbayrischen Bauernhof aufgewachsen, und seine Großmutter ist seine wichtigste Bezugsperson. Als er gerade 19 ist, erleidet sie einen Schlaganfall und ist von heute auf morgen auf Pflege angewiesen - und Martin beschließt: Er wird sich um seine Oma kümmern. Fünf Jahre pflegt er sie, bis zu ihrem Tod, und berichtet nun über diese Zeit, die nicht nur traurig, sondern skurril-komisch, liebevoll und wichtig für ihn war. Ein tragikomisches Buch über Familie, Zusammenhalt und den Umgang mit dem Tod - erzählt mit bayrischem Charme, Warmherzigkeit und viel Zuversicht.

Martin Frank wurde 1992 in Hutthurm nahe Passau geboren. Er wuchs auf dem elterlichen Bauernhof auf und absolvierte eine Ausbildung zum Standesbeamten. Mit 21 kündigte er, sprach an der Schauspielschule Zerboni in München vor und wurde zur dreijährigen Schauspielausbildung zugelassen. 2015 erschien sein erstes Kabarettsoloprogramm. 2018 folgte neben dem zweiten Soloprogramm der Bayerische Kabarettpreis, der Prix Pantheon sowie der Jury- und Publikumspreis beim Großen Kleinkunstfestival der Berliner Wühlmäuse.     

Martin Frank wurde 1992 in Hutthurm nahe Passau geboren. Er wuchs auf dem elterlichen Bauernhof auf und absolvierte eine Ausbildung zum Standesbeamten. Mit 21 kündigte er, sprach an der Schauspielschule Zerboni in München vor und wurde zur dreijährigen Schauspielausbildung zugelassen. 2015 erschien sein erstes Kabarettsoloprogramm. 2018 folgte neben dem zweiten Soloprogramm der Bayerische Kabarettpreis, der Prix Pantheon sowie der Jury- und Publikumspreis beim Großen Kleinkunstfestival der Berliner Wühlmäuse.     

Donnerstag, 16. April, 07.00 Uhr Sterbebegleiter aus heiterem Himmel


Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, jemanden beim Sterben zu begleiten? Nicht? So geht es mir auch. Schon gleich gar nicht in meinem Alter und auf nüchternen Magen. Ich bin vor Kurzem erst 24 geworden, und nichts liegt mir ferner, als über den Tod nachzudenken. Weder über den eigenen noch über den von anderen. Wenn, dann mache ich das vielleicht so ab 80, nachdem ich sämtliche Länder der Welt bereist, den Dachboden entrümpelt und mir meinen Kindheitstraum einer eigenen Eisdiele erfüllt habe. Und dann auch nur vielleicht.

Lange Zeit war mir auch gar nicht klar, dass es Menschen gibt, die sich bewusst dafür entscheiden, anderen beim Sterben beizustehen. Aber jetzt, da ich es weiß, würde ich mir wünschen, jeder hätte das Grundrecht auf eine Sterbebegleitung. Wie oft hört man in den Nachrichten, dass ältere Menschen erst Wochen nach ihrem Tod leblos in ihrer Wohnung gefunden werden. In unserer Tageszeitung las ich vor einiger Zeit von einer älteren Dame, deren Ableben drei Wochen lang niemandem aufgefallen war, weil ein Nachbar ihr täglich geliefertes «Essen auf Rädern» einfach geklaut und selbst gegessen hatte.

Dabei gäbe es doch Möglichkeiten, einen solch einsamen und unwürdigen Tod zu vermeiden. Wir leben schließlich im Land der Bürokratie und der Statistiken. In Deutschland liegt die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen bei 83,6 Jahren und die für Männer bei 78,9 Jahren. Wäre es nicht sinnvoll, jeder würde ab seinem 75. Geburtstag regelmäßig Post von seinem staatlich zugewiesenen Sterbebegleiter bekommen? Ähnlich wie beim Ablauf des Personalausweises. Nur statt «Denken Sie an die Verlängerung Ihres Personalausweises!» wird man mit den Worten «Denken Sie daran, mich rechtzeitig vor Ihrem Ableben zu kontaktieren!» an dessen Service erinnert. Ob ich dieses Angebot dann wirklich in Anspruch nehme, bleibt mir überlassen.

Natürlich wissen wir in der Regel nicht, wann wir das Zeitliche segnen, aber ab einem bestimmten Alter kann man ungefähr sagen: «Okay, ich plane jetzt mal keinen größeren Kredit mehr ein!» Meine Mama hat sich erst neulich ein Auto gekauft und meinte dann zu mir: «Also, das ist jetzt das letzte!» Die gefühlte Endzeitstimmung in diesem Satz hat mich doch etwas schockiert, und ich sagte nur empört: «Mama! Du bist 64! An so was will ich noch gar nicht denken!»

Aber wahrscheinlich hat sie mit ihrer Einstellung recht. Uns allen würde ein etwas entspannteres Verhältnis zum Tod nicht schaden. Meine Schwester lebte zum Beispiel viele Jahre in Mexiko, und ich habe sie dort oft besucht. Sie wohnte jenseits der Touristenhochburgen, und das ermöglichte es mir, tief in das authentische Mexiko einzutauchen. Einmal habe ich dort durch Zufall ein mexikanisches Totenfest erlebt. Den «Día de los Muertos», was übersetzt «Tag der Toten» bedeutet. Es ist das Pendant zu unserem Allerheiligenfest. Während jedoch bei uns in Bayern ab 2 Uhr früh sogar ein Tanzverbot gilt und wir dunkel gekleidet, still und andächtig an den Gräbern stehen, wird in Mexiko mit Musik, Tanz und Unmengen an Speis und Trank ausgelassen gefeiert.

Mexikanische Friedhöfe sind zum Totenfest auch ganz anders geschmückt, als man das bei uns kennt. Meine Familie beauftragt zu Allerheiligen jedes Jahr die örtliche Gärtnerei mit einem exorbitant teuren Gesteck. Dieser Blumenschmuck besteht dann meistens aus irgendwelchen kunstvoll drapierten Gräsern, getrockneten Tannenzweigen, weißen Rosen und vertrockneten Kiefernzapfen. Die wichtigste Vorgabe an die Floristin unseres Vertrauens lautet jedoch stets: gedeckte Farben. Was natürlich in erster Linie geschmackliche Gründe hat. Außerdem, glaube ich, spiegelt so ein Grabgesteck doch einiges an Charakter wider. Und wir sind eine stinknormale Familie, die alles andere als auffallen will. Und schon gleich gar nicht an Allerheiligen mit einem exzentrischen Grabgesteck.

Schon Tage zuvor ist mein Onkel damit beschäftigt, das Grab fein säuberlich von allen herabgefallenen Herbstblättern zu befreien, die teure tiefschwarze Graberde aufzutragen und die Grabränder akkurat mit einer breiten Holzlatte zu formen. Nur für diesen einen Tag und nur für diese paar Minuten, die wir am Grab verbringen, bis der Herr Pfarrer mit seiner Gefolgschaft auf einer Weihrauchwolke vorbeischwebt und unsere Anwesenheit mit einem Spritzer Weihwasser quittiert. Und natürlich auch, um nicht in Gedanken von den Grabnachbarn abgewatscht zu werden: «Ja, was is denn des für ein greisliges Gesteck?! Des schaut ja aus wie ein toter Fuchs!»

In Mexiko ist Allerheiligen das komplette Gegenteil. Bei allem Respekt, aber ich habe in meinem Leben noch keinen kitschigeren Friedhof gesehen als dort. Zum Día de los Muertos werden die Gräber mit allerhand Heiligenfiguren geschmückt, mit buntem Lametta, Plastikblumen und allem, was der Dachboden sonst noch so hergibt. Für das konservative niederbayerische Auge sieht das aus wie die Überreste einer ausgearteten Frauenbund-Faschingsparty.

 

Ich selbst habe zwar kein verklemmtes Verhältnis zum Tod, bin mir aber trotzdem nicht sicher, ob ich beim Sterben begleitet werden möchte. Gut, wenn ich wüsste, dass ich schön sterbe, dann vielleicht. Aber am Ende sterbe ich total unappetitlich, kann meine Körperflüssigkeiten nicht mehr kontrollieren und rede so wirres Zeug, dass es mir später im Jenseits noch peinlich ist. Dann doch lieber allein, dann kann ich wenigstens hinübergehen, wie ich will.

Ich war auch immer der Meinung, ich könnte niemanden beim Sterben begleiten. Ich bin ja viel zu emotional, und was man während des Sterbeprozesses am wenigsten gebrauchen kann, ist ein wie ein Schlosshund weinender Teenager. Das Problem ist aber, ich bin einfach schon immer viel zu nah am Wasser gebaut. Wenn ich mich an meine Zeit als Ministrant zurückerinnere, so haben mich Beerdigungen damals regelrecht zerlegt. Wenn unser Telefon klingelte und auf dem Display die Nummer unserer Mesnerin erschien, wurde mir schon ganz schlecht: «Ja, da is d’Müller Marianne, mia brauchadn an Martin für a Leich!» Für den Fall, dass Sie des Bairischen nicht mächtig sind, möchte ich den Satz kurz erklären. «[…] mia brauchadn an Martin für a Leich!» bedeutet nicht, dass die Müller Marianne angerufen hat und einen 12-Jährigen darum bittet, aus jemandem eine Leiche zu machen, oder etwa, wie eine Urlauberin mal glaubte, eine Leiche zu obduzieren. Gott bewahre! Obwohl ich auf dem Gebiet der Obduktion zugegebenermaßen nicht ganz unerfahren war. Im zarten Alter von sechs Jahren habe ich bereits sämtliche toten Hühner auf unserem Hof persönlich seziert und anschließend meiner Oma den Befund «Tod durch Marderbiss» mitgeteilt. Aber die Anatomie des Huhnes unterscheidet sich dann doch sehr von der des Menschen. Und soweit ich weiß, stirbt man als Mensch an einem Marderbiss nur in Einzelfällen. Sie ahnen es schon, «a Leich» ist bei uns im Bayerischen Wald das Synonym für eine Beerdigung. Es gibt auch «a scheene Leich», das sind dann Beerdigungen, die besonders emotional und anrührend sind.

Bei uns in der Pfarrei konnte der Beerdigungschor – der meistens aus fünf heiseren Rentnerinnen bestand – noch so schief singen und unser Organist noch so falsche Töne der Orgel entlocken, für mich war jede Beerdigung emotional und anrührend. Denn obwohl ich die meisten Leute, die da in die Grube gelassen wurden, gar nicht kannte, musste ich immer weinen. Bei der Bestattung unserer ehemaligen Bistumsblattausträgerin – der Huber Maria, die im zarten Alter von 95 Jahren friedlich eingeschlafen war – hatte ich so viele Tränen in den Augen, dass ich aus Versehen mein Weihrauchfass gegen ihren teuren Eichensarg schlug. Gott sei Dank spielten in dem Moment die Blechbläser so laut «Näher, mein Gott, zu dir», dass es außer meinen Mitministranten und dem Herrn Pfarrer niemand mitbekam. Und als würde das nicht schon reichen, flog bei dem Aufprall auch noch ein Stück glühende Kohle mitsamt einem Dutzend kleiner bunter Weihrauchkügelchen aus dem Fass mitten in das Blumengebinde, das umgehend anfing zu rauchen. Um einen möglichen Flächenbrand zu verhindern, schickte der Pfarrer geistesgegenwärtig eine Überdosis Weihwasser hinterher.

Wäre die Frau Huber zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht richtig tot gewesen, sondern hätte nur tief und fest geschlafen, hätte ich sie durch meinen Weihrauchunfall mit Sicherheit wieder ins Leben katapultiert. Von da an war ich – zumindest bei Beerdigungen – vom Weihrauchdienst freigestellt.

Bei einer anderen Beerdigung hatte ich Kreuzträgerdienst. Man geht in diesem Fall als Ministrant dem Trauerzug voran und ist dafür verantwortlich, dass die Trauergemeinde zur Beisetzung dann auch am richtigen Grab steht. Es war eine wahnsinnig emotionale Beerdigung. Ein Junge, der gerade einmal zwei Jahre älter war als ich, verstarb völlig unerwartet mit 14 Jahren an einem unerkannten Herzfehler. Obwohl ich mit ihm persönlich nichts zu tun hatte und ihn auch nur vom Sehen kannte, ging mir das Ganze ziemlich nah. Als Schlusslied klang aus einem kleinen CD-Player «Dieser Weg wird kein leichter sein» von Xavier Naidoo. Dass dieses Lied auch für mich gleich Wahrheit werden sollte, ahnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Nach dem Requiem versuchte einer der Sargträger mir den Weg zu erklären, ich war aber von der ganzen Situation so dermaßen aufgelöst, dass sich die Phrasen aus seinem Mund für mich wie Mandarin anhörten. Mehr...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abschied • Abschied nehmen • Altenpflege • Altenpflege Bücher • Altenpflege heute • Altenpflegehilfe • Altern • Bauernhof • Bayern • Demenz • Dialekt • Enkel • Erfahrungsbericht • Familie • Großmutter • Häusliche Pflege • Kabarett • Niederbayern • Pflege • Pflege Bücher • Pflegende Angehörige • Pflegenotstand • Sterbebegleitung • Sterben • Tod
ISBN-10 3-644-01574-0 / 3644015740
ISBN-13 978-3-644-01574-6 / 9783644015746
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