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Gekaufte Forschung -  Christian Kreiß

Gekaufte Forschung (eBook)

Wissenschaft im Dienst der Konzerne
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-519-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
15,49 inkl. MwSt
(CHF 15,10)
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WIE FREI IST UNSERE WISSENSCHAFT? Schockierende Realität: ein Hörsaal 'Aldi Süd', ein von Google finanziertes Institut für Internet und Gesellschaft an der Humboldt Universität Berlin, schokoladenfreundliche wissenschaftliche Untersuchungen von einem Mars-Professor für Ernährung. Die Liste von Beispielen, wie Konzerne Einfluss auf Hochschulen und Wissenschaft nehmen, wird fast täglich länger. Dient Forschung an den öffentlichen Hochschulen der Allgemeinheit oder nutzt sie zunehmend einseitigen Gewinninteressen? Der Strom von privaten Geldern in die Wissenschaft ist dramatisch angeschwollen. Doch Großkonzerne sind keine Wohltätigkeitsvereine. Sie verfolgen mit dem Einsatz von Kapital gezielte Interessen. Nicht der Nutzen für die breite Bevölkerung soll dadurch erhöht werden, sondern der Nutzen der Konzerneigentümer: die Gewinne.

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaftslehre in München. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Banker in verschiedenen Geschäftsbanken, davon sieben Jahre im Investmentbanking, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. www.menschengerechtewirtschaft.de

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962, studierte Volkswirtschaftslehre in München. Nach neun Jahren Berufstätigkeit als Banker in verschiedenen Geschäftsbanken, davon sieben Jahre im Investmentbanking, unterrichtet er seit 2002 als Professor an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik. www.menschengerechtewirtschaft.de

EINLEITUNG


Die Titelstory der Süddeutschen Zeitung vom 4. Dezember 2014 lautete: »Pfusch bei Zulassung von Medikamenten«.1 Es wurde berichtet, dass die indische GVK Biosciences, eines der größten asiatischen Forschungsinstitute, das im Auftrag Dutzender weltweit agierender Pharmaunternehmen wissenschaftliche Medikamententests durchführt, möglicherweise Tausende von Studien systematisch zugunsten der Pharmaindustrie verfälscht hat. Daraufhin wurden allein in Deutschland 80 Medikamente aus dem Verkehr gezogen.2

Bei genauerer Betrachtung besteht jedoch der Verdacht, dass es sich um alles andere als Pfusch gehandelt haben könnte. Mit dem Begriff Pfusch verbindet man zum Beispiel Schlamperei, Ungenauigkeit, menschliches Versagen und dergleichen. Dies war jedoch gar nicht das Problem. Vielmehr lässt sich vermuten, dass es sich um absichtliche, systematisch betriebene Fehldarstellungen handelte, um die Gewinne der Auftraggeber, nämlich der Pharmaunternehmen, zu erhöhen, und nicht um Pfusch.3 Es lag struktureller Missbrauch von Forschung im Dienste der Geldgeber vor. Solche gezielten Fehldarstellungen wissenschaftlicher Untersuchungen zugunsten der Pharmakonzerne sind nach Ansicht von Fachleuten in der Pharmaindustrie weltweit der Regelfall, nicht die Ausnahme (siehe Kapitel »Pharmaindustrie«, Seite 44).4

Diese und ähnliche Formen gekaufter Forschung sind Gegenstand des vorliegenden Buches. Die Pharmaindustrie ist bei Weitem kein Einzelfall, wenn auch dort der Missbrauch gekaufter Forschung besonders stark blüht. Der Strom von privaten Geldern in die Wissenschaft ist in den letzten Jahrzehnten dramatisch angeschwollen. Im Normalfall steht dabei nicht der Nutzen von Forschung für die Allgemeinheit, sprich für die Menschen, im Vordergrund, sondern der Nutzen der Geldgeber. Dies führt in starkem Ausmaß zu einer zunehmenden Irreführung durch sogenannte wissenschaftliche Ergebnisse.

Nur sehr selten geht es dabei um Lüge oder Betrug. In den allermeisten Fällen handelt es sich um eine Einseitigkeit der Darstellung, um Viertel-, Halb- oder Dreiviertelwahrheiten, die ja ebenfalls Wahrheiten sind. Daher sind diese Wahrheiten auch nicht oder nur schwer widerlegbar. So gibt es beispielsweise bei vielen politisch umstrittenen Fragen zahlreiche gute Argumente, Zahlen, Daten und Fakten dafür und dagegen. Beleuchtet man in wissenschaftlichen Untersuchungen nun einseitig die Zahlen, Daten und Fakten, die für eine bestimmte Sache sprechen, und vernachlässigt man die Zahlen, Daten und Fakten, die gegen sie sprechen, so werden politische oder gesellschaftliche Prozesse in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt. Schließlich beanspruchen ja all die Zahlen, Daten und Fakten für sich, wahr und wissenschaftlich belegbar zu sein.

Diese Methode, Forschung einseitig in eine gewünschte Richtung zu lenken, hat gravierende langfristige Folgen. Denn worüber geforscht wird und – vielleicht noch wichtiger – worüber nicht geforscht wird, beeinflusst maßgeblich langfristige gesellschaftliche Weichenstellungen, legt fest, in welche Richtung eine Gesellschaft sich bewegt beziehungsweise nicht bewegt. Unsere Gedanken von heute sind häufig die Wirklichkeit von morgen!

Man kann die Methode, Forschung einseitig in eine gewünschte Richtung zu lenken, gezielt nutzen, um bestimmte Interessen im gesellschaftlichen Konsensfindungsprozess zu bevorzugen oder durchzusetzen. Und genau dies geschieht in großem Umfang. Wissenschaft gerät in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer stärker unter den Einfluss von Geld- und Machtinteressen. In früheren Zeiten stand die Wissenschaft stark unter kirchlicher Einflussnahme, dann war sie dem Druck von Fürsten und Landesherren und später von staatlichen Interessen ausgesetzt. Jetzt wird die staatliche Einflussnahme zunehmend abgelöst durch ökonomische Steuerungsimpulse, durch Geldmacht.5 Wollen wir das wirklich?

Dieses Buch beginnt mit der Frage: Was ist eigentlich schlecht an industrienaher Forschung?6 Anhand mehrerer detaillierter Beispiele skrupellosen Missbrauchs von Wissenschaft durch verschiedene Unternehmen werden die nachteiligen Folgen solcher Forschung aufgezeigt. Hat man sich einmal das Grundprinzip klargemacht, kann man es problemlos auf subtilere Formen einseitiger Einflussnahme übertragen, insbesondere in Form von Drittmitteln für Hochschulen – beispielsweise Stiftungsprofessuren oder Industriesponsoring. Im Vordergrund steht dabei durchweg der Einfluss von Industriegeldern auf die Forschung. Am Rande wird auch auf staatliche Drittmittel eingegangen. Hier steht die Frage im Vordergrund, ob beziehungsweise inwieweit Industrievertreter ihre einseitigen Interessen in den Entscheidungsgremien herbeiführen. Anders ausgedrückt: Wie groß ist der Einfluss von Geldinteressen auf öffentlich finanzierte Forschungsprojekte? Wie wir sehen werden, ist er erheblich. Am Ende werden wir uns Vorschläge für mögliche Maßnahmen gegen den weitverbreiteten Missbrauch von Forschung durch Industriegelder ansehen.

Im Kern geht es in diesem Buch um die Frage: Wie frei sind unsere Forschung und Wissenschaft heute? So frei, wie es im Grundgesetz verankert ist?7 Dient unsere Forschung an den öffentlichen Hochschulen dem öffentlichen beziehungsweise dem Allgemeininteresse, also möglichst allen Menschen, oder dient sie zunehmend Partikularinteressen, Einzel- oder Gruppeninteressen, insbesondere einseitigen Gewinninteressen? Oder ganz direkt gefragt: In welchem Umfang wird unsere Wissenschaft an den Hochschulen von der Wirtschaft gekauft?

Man könnte es auch von der anderen Seite formulieren: Sind die akademischen Kernprinzipien und die öffentliche Mission der Hochschulen noch gewährleistet? Sind akademische Freiheit, institutionelle Autonomie und Forschungsintegrität auch heute noch gewährleistet?8

Da es in diesem Buch um Drittmittel geht, möchte ich darauf hinweisen, dass auch für dieses Buch Drittmittel in Höhe von 20 000 Euro eingeworben wurden. Mit dem Geld konnte eine Stelle für den jungen Politologen Felix Möller finanziert werden, der vorzügliche Recherchearbeit leistete und geistreiche Ideen für Schaubilder hatte. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Und natürlich gilt mein besonderer Dank auch der Stiftung, die diese Mittel zur Verfügung gestellt hat und die nicht namentlich genannt werden möchte.

Das Buch entstand im Wesentlichen 2014 bis April 2015 und dokumentiert bis zum Redaktionsschluss den Stand der Debatte der hier angeführten Beispiele.

Entwicklungen der letzten Jahrzehnte


In den OECD-Ländern sank von 1981 bis 2003 der Anteil der selbst finanzierten Forschung an den Universitäten durchschnittlich um 10 Prozentpunkte. Der Anteil der gewerblich finanzierten akademischen Forschung verdoppelte sich im selben Zeitraum. Auch wenn industriefinanzierte Forschung derzeit mit einem Anteil von 6 Prozent der gesamten Finanzierung vergleichsweise gering ausfällt, zeigt ihr auffallendes Wachstum in den letzten Jahrzehnten jedoch die stark zunehmende Bedeutung von Industriegeldern.9

Zahlreiche Publikationen im deutschsprachigen Raum greifen diesen Trend stark wachsender Drittmittel in jüngerer Zeit auf und erörtern mögliche Auswirkungen auf Hochschulen, Forscher und die Allgemeinheit. Sätze wie »Wer heutzutage in der Wissenschaft erfolgreich sein will, ist auf Drittmittel angewiesen«10 sind beinahe so häufig wie die Abhandlungen zum Thema selbst. Die Höhe eingeworbener Drittmittel wird dabei in der jüngeren Zeit immer häufiger als Erfolgsindikator angesehen.11 Sie haben daher unter anderem starken Einfluss auf die Forschungsausrichtung vieler Hochschulen und vieler Forscher, was auch politisch so gewollt ist.12

Was sind eigentlich Drittmittel? Laut Paragraf 25 Absatz 1 Hochschulrahmengesetz (HRG) sind Drittmittel solche Gelder, »die nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln, sondern aus Mitteln Dritter finanziert werden«. Im Folgenden soll diese Umschreibung beibehalten werden. Unter Drittmitteln werden demnach alle Geldmittel verstanden, die von Dritten kommen und nicht aus Haushaltsmitteln der Hochschule stammen. Im HRG heißt es in Paragraf 25 Absatz 4 ausdrücklich: »Die Mittel sind für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften.«13 Dadurch wird eine Einflussnahme seitens privater Geldgeber gesetzlich nicht nur erlaubt, sondern geradezu vorgeschrieben.

Die deutsche Forschungslandschaft


Im Jahr 2011 beliefen sich die gesamten Forschungsausgaben in Deutschland auf rund 75,6 Milliarden Euro, davon entfielen 51,1 Milliarden Euro oder 67,7 Prozent auf Forschungsausgaben im Unternehmensbereich, 13,5 Milliarden Euro oder 17,8 Prozent auf die deutschen Hochschulen und rund elf Milliarden Euro oder 14,5 Prozent auf den öffentlichen Bereich und private Institutionen ohne...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Chemieindustrie • Drittmittel • Förderprogramm • Forschung • Gentechnik • Industrie • Industriegelder • Pharmaindustrie • Subventionen • Tabakindustrie
ISBN-10 3-95890-519-6 / 3958905196
ISBN-13 978-3-95890-519-1 / 9783958905191
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