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Ich war keine Heldin -  Antonia Bruha,  Sonja Spreng,  Billie Rehwald

Ich war keine Heldin (eBook)

Mit einem Vorwort von Dr. Brigitte Bailer
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
184 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-469-9 (ISBN)
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Antonia Bruha gilt bis heute als eine stille Nationalheldin Österreichs. Als Sozialdemokratin und ab Ende der Dreißigerjahre im österreichischen Widerstand aktiv, wurde sie 1941 von der Gestapo verhaftet, von ihrer kleinen Tochter getrennt und später ins KZ Ravensbrück gebracht. Als sie, nach Kriegsende wieder in Wien, krank, elend und schlaflos ihre Erinnerungen niederschrieb, war dies ein Versuch, die Gedanken an das Erlebte, an Todesangst, Grauen und Verzweiflung loszuwerden. An eine Veröffentlichung dachte sie damals nicht. Erst vierzig Jahre später erschien ihr erschütternder Bericht vom Überleben in den Gefängnissen und Konzentrationslagern der nationalsozialistischen Diktatur. Ein Beitrag zur Geschichte unseres Jahrhunderts aus ganz persönlicher Sicht: Erinnerungen einer Wienerin, die sich 1938 dem Widerstand gegen den Nationalismus anschloss und dann vier Jahre, von 1941 bis 1945, in verschiedenen Wiener Gefängnissen und im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert war.

Antonia Bruha, 1915-2006, schrieb bereits als junges Mädchen für die Tschechische Arbeiterzeitung in Wien und für den Jungarbeiter in Prag. 1941, kurz nach der Geburt ihrer Tochter, wurde sie denunziert und verhaftet und in das KZ Ravensbrück gebracht. Erst nach der Befreiung 1945 konnte sie wieder zu ihrer Familie zurückkehren. Seit den 1960ern trat Antonia Bruha auch als Zeitzeugin in Schulen auf und wurde wegen ihrer Tätigkeit im Widerstand mit etlichen in- und ausländischen Ehrungen ausgezeichnet. Unter anderem erhielt sie 2001 das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien. Sonja Spreng, geb. 1941, ist die Tochter von Antonia Bruha. Einige Wochen nach ihrer Geburt wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter verhaftet, von dieser getrennt und ins Gestapoheim gebracht. Einigen mutigen Frauen aus dem Umfeld der Bruhas gelang es, sie unter Vorlage eines Ariernachweises von einer Nachbarin (Maria Neichl, 1889-1978, die damit ihre eigene Verhaftung riskierte) adoptieren zu lassen, bei der Sonja bis zur Rückkehr ihrer Mutter lebte. Billie Rehwald, geb. 1989, ist die Urenkelin von Antonia Bruha. Gemeinsam mit ihrer Großmutter Sonja Spreng ist es ihr ein Anliegen, die Erinnerung an das mutige lebenslange Engagement Antonia Bruhas gegen den Nationalsozialismus - gerade in Zeiten des Wiedererstarkens faschistischer Tendenzen - lebendig zu halten.

Antonia Bruha, 1915–2006, schrieb bereits als junges Mädchen für die Tschechische Arbeiterzeitung in Wien und für den Jungarbeiter in Prag. 1941, kurz nach der Geburt ihrer Tochter, wurde sie denunziert und verhaftet und in das KZ Ravensbrück gebracht. Erst nach der Befreiung 1945 konnte sie wieder zu ihrer Familie zurückkehren. Seit den 1960ern trat Antonia Bruha auch als Zeitzeugin in Schulen auf und wurde wegen ihrer Tätigkeit im Widerstand mit etlichen in- und ausländischen Ehrungen ausgezeichnet. Unter anderem erhielt sie 2001 das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien. Sonja Spreng, geb. 1941, ist die Tochter von Antonia Bruha. Einige Wochen nach ihrer Geburt wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter verhaftet, von dieser getrennt und ins Gestapoheim gebracht. Einigen mutigen Frauen aus dem Umfeld der Bruhas gelang es, sie unter Vorlage eines Ariernachweises von einer Nachbarin (Maria Neichl, 1889–1978, die damit ihre eigene Verhaftung riskierte) adoptieren zu lassen, bei der Sonja bis zur Rückkehr ihrer Mutter lebte. Billie Rehwald, geb. 1989, ist die Urenkelin von Antonia Bruha. Gemeinsam mit ihrer Großmutter Sonja Spreng ist es ihr ein Anliegen, die Erinnerung an das mutige lebenslange Engagement Antonia Bruhas gegen den Nationalsozialismus – gerade in Zeiten des Wiedererstarkens faschistischer Tendenzen – lebendig zu halten.

Als mir eines Morgens die Essschale hereingereicht wird, erkenne ich das Gesicht der Aufseherin, die damals bei mir im vierten Stock war. Ich sehe sie an und weiß auf einmal, woher ich sie kenne. Ich weiß jetzt auch ihren Namen.5 Sie wohnt nicht weit von uns. Ehe ich etwas sagen kann, flüstert sie: »Ich war jetzt auf Urlaub und bin sehr froh, dass Sie bei uns sind. Ich bin überrascht, wir dachten, ihr kommt nicht mehr herunter. Aber jetzt wird alles besser werden, nur Mut!« Und sie geht wieder.

Ich weiß, dass diese Frau politisch immer unsere Richtung hatte, dass sie ihr Möglichstes tun wird, um uns allen die Haft zu erleichtern. Aber was sie dann wirklich tut, ist so großartig, wie ich es niemals zu hoffen gewagt hätte. Bei ihrem folgenden Dienst bringt sie, zusammengerollt in ihrer Hand, drei Briefe: von meinem Mann, von meiner Mutter und von meinem Vater. Sie bittet mich, sie rasch zu lesen und sofort zu vernichten. Ich bin mir der Gefahr bewusst, die sie auf sich nimmt: Wenn man die Briefe bei mir findet, kostet es sie sicher das Leben. Deswegen lese ich sie rasch und werfe sie gleich in die Klosettmuschel.

Trotz der Schnelligkeit, mit der all das vor sich gehen muss, kann ich die Briefe sofort auswendig, so teuer sind sie mir. Die Handschrift meiner Mutter ist zittrig geworden, die Buchstaben sind steil und unregelmäßig, wie die eines Kindes. Sie schreibt:

Mein liebes Kind! Du weißt nicht, was Du mir angetan hast. Wie konntest Du Dich in solche Sachen einlassen jetzt, wo Du ein Kind hast, für das Du als Mutter leben müsstest. Ich habe bis vorige Woche nichts von Dir gewusst und dachte, Du seist tot. Meine Verzweiflung war so groß, dass das Herz nicht mittun wollte, und nun muss ich schon fast fünf Monate das Bett hüten. Aber kränk Dich nicht, seitdem ich weiß, dass Du lebst, geht es mir besser. Ich bete zu Gott und warte auf ein Wiedersehen mit Dir. Es ist schwer für mich! Ich habe mein ganzes Leben nicht so viel geweint wie jetzt, nicht einmal als Vater an der Front war. Ich habe Dich wirklich nicht großgezogen, damit Du in einem Kerker darben und sterben sollst. Bitte, komme doch zurück zu uns! Deine Mutter.

Die letzten Zeilen sind ganz von Tränen verwischt.

Dann halte ich den Brief meines Mannes in Händen:

Liebstes! Ich fühle mich dem Leben zurückgegeben, seit ich weiß, dass Du lebst. Es ist acht Tage her. Immer wieder bin ich zur Gestapo gelaufen, habe gefragt und gebeten, aber sie gaben mir keine Auskunft. Nur Wäsche durfte ich abliefern, bekam aber nie eine schmutzige zurück. Deswegen dachte ich, Du seist nicht mehr. Ich selbst war ganz kurz von der Gestapo verhaftet, dann ließ man mich mangels Beweisen frei. Ich danke es Dir! Das Kind aber wollte man mir nicht geben, es war in einem Heim untergebracht, und als ich endlich durch viele Anstrengungen unser Kind erhielt, war es so heruntergekommen, dass wir an seinem Aufkommen zweifelten. Es fanden sich gute Leute, Verwandte durften es nicht sein, die das Kind zu sich nahmen. Es geht ihm gut. Die Menschen, die es aufziehen, lieben es über alles. Am Abend hole ich es immer zu mir. Glaube mir, seitdem etwas Lebendiges in meiner Wohnung atmet, ist alles leichter. Ich bleibe jetzt stark, bitte, bleibe es auch Du, denn ich und das Kind warten auf Dich! Es küsst Dich Dein Mann.

Den letzten Brief schrieb mein Vater:

Mädel! Du weißt, ich habe es nicht leicht mit der Mutter, aber man muss durchhalten. Wenn man A sagt, muss man auch B sagen. Ich bin gesund, und es wird schon alles gehen. Ich muss nicht viele Worte machen, wir haben uns immer gut verstanden, und ich weiß, Du machst mir keine Schande, bist ja meine Tochter! Es küsst Dich Vater.

Ich wollte ihm doch diese Schande machen, ich wollte die Pritsche … Jetzt will ich wieder leben, und wenn es hier noch Jahre dauert. Man kann mich töten, aber selbst tue ich es nicht. Ein Selbstmörder hat keinen Mut und ist auch kein Held, der Selbstmord ist eine Feigheit. Nur Feiglinge wollen den Kampf nicht aufnehmen, ich will kein Feigling sein.

Wenn man A sagt, muss man auch B sagen. Ich habe den Kampf mit dem Faschismus aufgenommen und werde ihn auch jetzt, selbst in dieser Zelle oder anderswo, weiterführen. Jetzt umso mehr, da ich die Methoden der Nazis politischen Widersachern gegenüber kenne.

Als die Frau wieder an meiner Zelle erscheint, bitte ich sie, einen Brief von mir mitzunehmen. Sie ist bereit, ausnahmsweise. Dann borgt sie mir einen Bleistift und gibt mir Papier. Über die Bank gebeugt, schreibe ich nach so langer Zeit meine ersten Zeilen nach Hause:

Meine Lieben! Ich bin froh über Euer Lebenszeichen, ich bin glücklich, dass Ihr alle lebt. Es geht mir gut, Ihr müsst Euch keine Sorgen um mich machen. Es bestand wohl eine Zeit lang Gefahr für mich, aber das ist jetzt vorbei. Ich weiß, dass ich nach einer nicht zu langen Zeit wieder nach Hause komme. Deswegen, liebe Mutter, werde gesund und froh, denn wenn ich komme, wäre ich sehr traurig, Dich krank zu finden. Bitte, sei mir nicht böse, dass ich Dir wehgetan habe, aber schau, Tausende von Müttern verlieren ihre Kinder auf den Schlachtfeldern, und Hunderte von Müttern haben ihre Kinder in den Gefängnissen. Wenn ich ein Bub geworden wäre, müsste ich jetzt für eine mir fremde Idee, für ein Regime der Bestialität mein Leben auf dem Schlachtfeld lassen. Wäre das nicht viel ärger als diese Trennung? Deswegen sei tapfer, liebes Mütterlein, so wie es Vater ist. Vater, zwischen uns beiden bedarf es nicht vieler Worte, ich bin und bleibe Deine Tochter. Du, Liebster, sei so tapfer, wie ich es bin. Wir gingen unseren Weg immer geradeaus, Du und ich, er soll auch jetzt gerade bleiben. Du hast das Kostbarste in den Händen, was wir besitzen, es ist unser Kind. Du hast die Verantwortung für alles übernommen, da Du frei bist und ich hier gefangen bin. Deswegen musst Du es fest in den Armen halten, damit ich Euch beide wieder so finde, wie ich Euch verlassen habe. Dich stark und gerade, dem treu geblieben, wofür ich leide.

Meine Lieben! Wenn ich auch jetzt nicht mehr nach Hause schreiben kann, in Gedanken bin ich immer bei Euch. Unter dem Weihnachtsbaum treffen wir uns sicher wieder. Es grüßt Euch vielmals Eure Toni. Küsst für mich mein goldiges Sonnenkind. Ich sehne mich so nach ihm!

Dann gebe ich diesen Brief der netten Aufseherin. Ich weiß, er ist in guten Händen, er kommt nach Hause. Alles ist für mich leichter geworden. Ich werde euch kein Schande machen, ich halte mich tapfer und harre aus.

Trotz dieses Vorsatzes wird mir alles eines Tages wieder sehr schwer. Als ich endlich die Möglichkeit habe, frage ich die bekannte Aufseherin: »Was geschah mit der Frau, die vor mir in dieser Zelle war?«

Sie ist ahnungslos, sie weiß nicht, dass ich diese Frau gekannt habe, und sagt mit leichtem Achselzucken: »Sie war ein hysterisches Ding, ich glaube, sie war auch nicht ganz gesund, und eines Nachts, in einem unbewachten Augenblick, hat sie sich mit ihrem Hemd an dem Fensterhaken erhängt.«

Sie hat sich erhängt! Hier an diesem Haken baumelte ihr lebloser Körper, ehe man ihn gefunden und abgeschnitten hat. Sie war hysterisch, heißt es jetzt, und niemand ahnt, was dahintergestanden ist. Was wir auch alle leiden, Marianne, wie viel schwerer mussten deine Selbstvorwürfe sein! Wie verzweifelt musstest du sein, als du endlich allem ein Ende setztest!

Es ist so schrecklich, dass man trotz dieser scheinbaren Ruhe zwischen den vier Wänden in einem ewigen Auf und Ab lebt, das einen verrückt machen kann. Einmal ist man voller Hoffnung und Glauben und am nächsten Tag voller Verzweiflung und Trübsinn. Einmal sieht man nur die Lebenden und geht mit ihnen Hand in Hand dem Leben entgegen, am nächsten Tag zerren einen die Toten in die Gruft. Die Toten strecken die Arme aus und rufen: »Komm, du gehörst zu uns! Auch wir wollten nicht sterben, aber eine Idee lebt nur, solange Menschen bereit sind, für sie zu sterben. Wir waren bereit und sind gestorben. Du gehörst zu uns.« Die Lebenden aber sagen, man solle zwar für eine Idee sterben können, aber man muss für sie auch zu leben verstehen, unter allen Bedingungen. – Mein starker Lebenswille rettet mich: Ich liebe das Leben und die Menschen, und mein Platz ist an der Seite der Lebenden.

Zu den Lebenden gehört auch Irma. Es müsste möglich sein, zu ihr Kontakt zu bekommen. Jetzt erst ist mir klar geworden, dass sie das, was ich in mir langsam entwickelte, diesen ungeheuren Lebenswillen und Lebensmut, einfach besitzt und nie verloren hat.

Als ich erfahren habe, in welcher Zelle sich Irma befindet, bitte ich die Aufseherinnen, die zu mir freundlich sind und die mir jetzt anstelle der Gestapo die Zeitung bringen, sie möchten doch die Zeitung auch in jene Zelle tragen. Es ist zwar streng verboten, denn Irma darf keine Zeitung lesen, aber ab und zu findet sich doch eine Aufseherin, die ihr die Zeitung gibt. Als ich erreicht habe, dass man mir das Blatt auch zurückbringt, entsteht ein kleiner »Postverkehr«: Mithilfe eines Spans, den ich von der Bank gelöst habe, steche ich kleine Löcher...

Erscheint lt. Verlag 14.4.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anschluss Österreichs • Drittes Reich • KZ Ravensbrück • KZ-Überlebende • leben im nationalsozialismus • Nazideutschland • NS-Widerstand • Politischer Häftling • Politischer Widerstand • Solidarität während des Nationalsozialismus • Sozialdemokratie • Wien • Zeitzeugin NS-Diktatur
ISBN-10 3-95890-469-6 / 3958904696
ISBN-13 978-3-95890-469-9 / 9783958904699
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