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Die Mutter der Erfindung (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie in einer Welt für Männer gute Ideen ignoriert werden | Nominiert für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2022
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01228-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Mutter der Erfindung -  Katrine Kielos-Marçal
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Warum kam man erst im späten 20. Jahrhundert auf die Idee, Räder unter Reisekoffer zu montieren - obwohl es das Rad schon seit fünftausend Jahren gibt? Wären wir womöglich nie auf den Mond gelangt ohne das Wissen amerikanischer Näherinnen? Und wie sähe eigentlich eine Welt aus, in der Frauen genauso viel Gehör finden wie Männer? Die schwedische Bestsellerautorin Katrine Marçal zeigt mit viel Verve, was die Menschheit über die Jahrhunderte verloren (oder erst viel später erfunden) hat, weil eine Hälfte von ihr - die Frauen - nicht mitreden, mitbestimmen, miterfinden durfte. Und sie dreht die Perspektive um: Was wäre denn, wenn wir einmal nicht von der frühgeschichtlichen «Bronzezeit» sprächen, sondern von der «Keramikzeit»? Würde sich unsere Sicht auf alles Nachfolgende ändern - und vielleicht auch etwas daran, dass heute nur drei Prozent des globa- len Wagniskapitals weiblichen Gründerinnen anvertraut werden? Würden wir am Ende gar Lösungen finden, um der planetaren Zerstörung, die die Menschheit in Gang gesetzt hat, etwas entgegenzusetzen? Viel zu lange haben wir die negativen Folgen der fixen Ideen von Männlichkeit und Weiblichkeit unterschätzt. Ein starkes Manifest - und ein erfrischend neuer Blick auf die Geschichte der Innovationen.

Katrine Marçal, geboren 1983 in Schweden, ist Journalistin und Bestsellerautorin. Ihr Buch «Who Cooked Adam Smith's Dinner?» (2012) wurde in zwanzig Sprachen u?bersetzt, stand auf der Shortlist fu?r den August-Preis und wurde mit dem Lagercrantzen-Preis ausgezeichnet. 2015 wurde Marçal von der BBC in die Liste der «100 Women» aufgenommen. Katrine Marçal lebt in der Nähe von London.

Katrine Marçal, geboren 1983 in Schweden, ist Journalistin und Bestsellerautorin. Ihr Buch «Who Cooked Adam Smith's Dinner?» (2012) wurde in zwanzig Sprachen übersetzt, stand auf der Shortlist für den August-Preis und wurde mit dem Lagercrantzen-Preis ausgezeichnet. 2015 wurde Marçal von der BBC in die Liste der «100 Women» aufgenommen. Katrine Marçal lebt in der Nähe von London.

Teil I Erfindungen


1. Kapitel


… in dem wir das Rad erfinden und fünftausend Jahre brauchen, bis wir auf die Idee kommen, es an einen Koffer zu montieren

Bernard Sadow, Familienvater aus Massachusetts, war in der Gepäckbranche tätig – als Vizegeschäftsführer von US Luggage bestand sein Job darin, tagaus und tagein an seinem Schreibtisch zu sitzen und über Reisekoffer nachzudenken.

Man schrieb das Jahr 1970, und Bernard Sadow hatte einen erholsamen Urlaub mit Frau und Kindern auf Aruba verbracht, einer bei amerikanischen Touristen als Winterquartier beliebten Karibikinsel. Am Flughafen angekommen, lud er das Reisegepäck aus dem Wagen. Ein siebzig Zentimeter breiter Koffer fasste rund zweihundert Liter und wog um die fünfundzwanzig Kilo, also konnte man mit einem davon in jeder Hand gerade eben zum Check-in wanken.

Damals war es in den USA noch problemlos möglich, zwanzig Minuten vor Abflug am Schalter zu erscheinen. Bei rund dreißig Flugzeugentführungen pro Jahr hatte noch niemand daran gedacht, Metalldetektoren zu installieren oder eigens Personal anzustellen, das einen etwa daran gehindert hätte, mit einer Schusswaffe in der Hosentasche an Bord zu gehen.

Was zur Zeit von Bernard Sadows Rückreise in größeren Flughäfen für Kopfzerbrechen sorgte, war ein ganz anderes Problem: schwitzende, unzufriedene Passagiere, die ihr Gepäck eigenhändig durch immer ausgedehntere Terminals schleppen mussten. Dabei gab es durchaus Abhilfe: Gegen eine Gebühr schulterten Gepäckträger die Koffer, und ein ausgetüfteltes Rückholsystem für Gepäckwagen stand ebenfalls bereit. Allerdings musste man sowohl Träger als auch Gepäckwagen erst einmal finden. Also tat Sadow, was zu der Zeit die meisten Passagiere taten: Er griff sich die Koffer seiner Familie und trug sie selbst.

Aber warum tragen?

Diese Frage stellte sich der Mittvierziger auf besagter Heimreise zum ersten Mal, und sie sollte die Gepäckbranche für immer verändern.

In der Warteschlange vor der Zollabfertigung blickte Sadow einem Flughafenmitarbeiter nach, der ein schweres Gerät vor sich herschob. Als der Mann es leichtfüßig zwischen den Wartenden hindurchmanövrierte, fiel Sadows Blick auf das vierrädrige Rollbrett unter der Maschine. Er schaute auf seine eigenen, vom Koffertragen weißen Knöchel und sagte plötzlich zu seiner Frau: «Ich weiß, was Koffer brauchen: Räder!»

In Massachusetts angekommen, schraubte er vier Möbelrollen von einem Schrank ab und befestigte sie an einem Koffer. Dann ergänzte er das Gebilde um eine Schlaufe und marschierte damit hochzufrieden kreuz und quer durchs Haus. Das war die Zukunft. Und er hatte sie erfunden.

Das alles ereignete sich, knapp ein Jahr nachdem die NASA mit der größten je gebauten Rakete drei Astronauten in den Weltraum befördert hatte. Von Millionen Litern Kerosin, flüssigem Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff befeuert, hatte sich Apollo 11 der Erdanziehungskraft entwunden. Nach einer Reise durchs All mit zwanzigtausend Meilen pro Stunde hatten die Männer die Umlaufbahn des Mondes erreicht, waren als erste Vertreter der Menschheit in die windstille Dunkelheit vorgedrungen und hatten Spuren im Mondstaub hinterlassen, der nach abgebrannten Feuerwerkskörpern roch.

Als Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins dann zur Erde zurückgekehrt waren, trugen sie ihre Gepäckstücke am Griff von Bord, nicht anders, als man es seit der Einführung moderner Reisekoffer Mitte des 19. Jahrhunderts tat. Die Frage ist also nicht, warum Bernard Sadow auf die Idee kam, dass Koffer Rollen haben könnten. Die Frage ist vielmehr: Warum war nicht schon viel früher jemand auf diese Idee gekommen?

 

Das Rad zählt zu den wichtigsten Erfindungen der Menschheit. Ohne das Rad gäbe es keine Karren, Autos oder Züge, keine Wassermühlen, mit denen sich die Wasserkraft nutzen lässt, und keine Töpferscheiben, um darauf für ebendasselbe Wasser Krüge herzustellen. Ohne Rad keine Zahnräder, keine Düsentriebwerke oder Zentrifugen, keine Rollstühle, Fahrräder oder Förderbänder. Aber vor dem Rad gab es erst einmal den Kreis.

Der erste Kreis der Welt wurde vermutlich mit einem Stock in den Sand gezeichnet. Vielleicht hatte jemand den Mond oder die Sonne betrachtet und beschlossen, ihre Form nachzuahmen. Wer eine Blüte vom Stängel schneidet, sieht einen Kreis. Wer einen Baum fällt, entdeckt im Holz Jahresringe. Wer einen Stein ins Wasser wirft, erzeugt kreisförmige Wellen. In der Natur begegnen wir dem Kreis wieder und wieder – in Zellen und Bakterien, von der Pupille bis hin zu fernen Planeten. Und um jeden Kreis kann man einen größeren ziehen. Das ist das große Mysterium des unendlichen Raums.

Dem menschlichen Körper dagegen sind Kreise fremd. Zahnärzte raten uns, die Zähne in kreisförmigen Bewegungen zu putzen, aber wir tun es nicht, sondern schrubben hin und her. Der menschliche Arm neigt eher zu geraden Bewegungen. Das liegt an der Anatomie unserer Muskeln und dem System aus Sehnen und Bändern, die sie mit den Knochen verbinden. Keines unserer Gelenke kann um dreihundertsechzig Grad rotieren: weder die Handgelenke noch das Fußgelenk oder die Schulter. Das Rad haben wir erfunden, um etwas zu erreichen, was unser Körper nicht leistet.

Die Geschichtsschreibung war sich lange einig, dass das Rad in Mesopotamien erfunden wurde. Es diente dort als Töpferscheibe, wurde also nicht für den Transport verwendet. Inzwischen glauben manche Historiker, dass Bergleute in den Karpaten schon mit Karren Kupfererz aus ihren Minen rollten, lange bevor sich in Mesopotamien die Töpferscheiben drehten. Das älteste noch erhaltene Rad ist fünftausend Jahre alt. Es wurde in Slowenien, rund zwanzig Kilometer südlich von Ljubljana, gefunden. Mit anderen Worten: Die Technologie, die Bernard Sadow schließlich nutzte, um sein Kofferproblem zu lösen, existiert seit mindestens fünf Jahrtausenden.

Zwei Jahre darauf, 1972, ließ er seine Erfindung patentieren. Im dazugehörigen Antrag schrieb er: «Das Gepäck gleitet förmlich (…). Jede Person kann den Koffer ohne Mühe und Anstrengung einfach ziehen, unabhängig von Körpergröße, Kraft oder Alter.»

Es gab sogar schon ähnliche Patente für Koffer auf Rollen, wovon Bernard Sadow allerdings nichts wusste, als ihm die Idee kam. Er war der Erste, der aus der Erfindung ein kommerziell erfolgreiches Produkt machte, und so gilt er heute als der Vater des Rollkoffers. Warum aber erst fünftausend Jahre vergehen mussten, bis es dazu kam, ist eine Frage, zu der wir ein wenig ausholen müssen.

 

Der Rollkoffer ist ein beliebtes Beispiel dafür, wie schleppend Innovationsprozesse verlaufen können. Das Offensichtliche kann einem erstaunlich lange direkt vor der Nase liegen, bis man auf die Idee kommt, es zu nutzen.

Robert Shiller, Träger des Wirtschaftsnobelpreises, vertritt die These, dass viele Erfindungen deshalb nur so langsam Fuß fassen, weil es eben mehr als nur eine gute Idee braucht. Die Gesellschaft als Ganze muss von ihrem Nutzen überzeugt sein. Die Zielgruppe weiß manchmal selbst nicht, was gut für sie ist, und in unserem Fall sahen die Leute nicht ein, wozu Rollen an Koffern gut sein sollten. Sadow präsentierte sein Produkt den Einkäufern von fast allen großen amerikanischen Warenhausketten und stieß nirgends auf Interesse.

Es lag nicht daran, dass seine Idee nicht gut gewesen wäre. Die Händler glaubten nur nicht, dass jemand einen Rollkoffer würde kaufen wollen. Ein Koffer war zum Tragen da und nicht dazu, ihn in der Gegend herumzurollen.

«Ich wurde überall abgewiesen», erinnerte sich Sadow später. «Man hielt mich für verrückt.»

Schließlich wurde Jerry Levy, Vizegeschäftsführer der Macy’s-Warenhäuser, auf das neue Produkt aufmerksam. Nachdem er es in seinem Büro ausprobiert hatte, ließ er den Einkäufer kommen, der es abgelehnt hatte, und wies ihn an, es ins Sortiment aufzunehmen. Wie sich zeigen sollte, war das eine kluge Entscheidung. Bald bewarb Macy’s die neuartigen Koffer mit den Worten aus Sadows Patentantrag als «das Gepäck, das gleitet». Und heute kann man sich eine Welt ohne Rollkoffer kaum noch vorstellen.

Robert Shiller weist darauf hin, dass all das nur im Nachhinein so folgerichtig erscheint. Der Erfinder John Allan May hatte bereits vier Jahrzehnte vor Sadow versucht, einen Koffer auf Rädern zu vermarkten. May war aufgefallen, dass im Lauf der Menschheitsgeschichte die verschiedensten Dinge mit Rädern und Rollen ausgestattet worden waren. Kanonen, Wagen, Schubkarren – praktisch alles, was man als schwer bezeichnen würde. Einen Koffer mit Rollen auszustatten war dieser Logik folgend nur naheliegend. Sollte man nicht «das volle Potenzial des Rades nutzen»? So formulierte er es, als er seine Erfindung über hundert verschiedenen Personengruppen vorstellte. Doch er wurde nicht ernst genommen. Im Gegenteil, man lachte ihm ins Gesicht. Das volle Potenzial nutzen? Da könnte man ja genauso gut Menschen mit Rädern versehen! Dann könnten sie selbst umherrollen, wäre das nicht praktisch?

Es gelang John Allan May nie, seine Koffer zu verkaufen.

Wirtschaftswissenschaftler setzen zumeist voraus, dass sich Menschen rational verhalten. In Wahrheit neigen wir dazu, uns zu überschätzen, indem wir glauben, alle wichtigen Innovationen seien bereits erfunden. Folglich lehnen wir...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2022
Übersetzer Gesine Schröder
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Emanzipation • Erfindungen • Feminismus • Frauenrechte • Gender • Geschlechtergerechtigkeit • Geschlechterverhältnisse • Gründerinnen • Ideen • Innovationen • Kreativität • Kulturgeschichte • Manifest • Männlichkeit • Ökonomie • Politik • schöpfungskraft • Technik • Technologie • Unternehmerinnen • Weiblich • Weiblichkeit • Wirtschaft
ISBN-10 3-644-01228-8 / 3644012288
ISBN-13 978-3-644-01228-8 / 9783644012288
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