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Shape (eBook)

Die verborgene Geometrie von Biologie, Strategie, Demokratie und eigentlich absolut allem
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
544 Seiten
FinanzBuch Verlag
978-3-98609-058-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Shape -  Jordan Ellenberg
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Die meisten Menschen erinnern sich an Geometrie als sterile Übungen im Staub der neunten Klasse. Eine obskure Reihe an seltsamen Schritten zu noch unverständlicheren Beweisführungen, nur um eine Tatsache über Dreiecke zu zeigen, Ihnen von vornherein klar war. Und doch ist das nur ein winziger Teil der eigentlichen Geometrie. Jordan Ellenberg - einer der führenden Mathematiker unserer Zeit - offenbart in Shape, dass es die Geometrie ist, die hinter einigen der wichtigsten wissenschaftlichen, politischen und philosophischen Probleme steckt, denen wir gegenüberstehen: Wie sollte eine Demokratie ihre Vertreter wählen? Wie kann man verhindern, dass eine Pandemie die Welt überschwemmt? Wie lernen Computer? Können antike griechische Proportionen den Aktienmarkt vorhersagen? Was sollten Kinder in der Schule lernen, wenn sie wirklich denken lernen wollen? Alles Fragen zur Geometrie. Denn schon das Wort »Geometrie« kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Vermessung der Welt«. Und selbst das ist eine Untertreibung: Denn die Geometrie misst die Welt nicht nur, sie erklärt sie auch. Jordan Ellenbergs Blickwinkel auf die Welt bietet eine radikal andere Perspektive auf die verborgene Geometrie hinter Biologie, Strategie, Information, Demokratie und eigentlich - absolut allem.

Jordan Ellenberg promovierte an der Harvard University und ist John D. MacArthur Professor für Mathematik an der University of Wisconsin-Madison und Guggenheim-Stipendiat. Er hat auf der ganzen Welt Vorträge über seine Forschung in der Zahlentheorie gehalten und war Redner bei den Joint Mathematics Meetings 2015, der größten Mathematikkonferenz der Welt. Seine Artikel sind in der New York Times, der Washington Post, dem Wall Street Journal und dem Boston Globe erschienen.

Jordan Ellenberg promovierte an der Harvard University und ist John D. MacArthur Professor für Mathematik an der University of Wisconsin-Madison und Guggenheim-Stipendiat. Er hat auf der ganzen Welt Vorträge über seine Forschung in der Zahlentheorie gehalten und war Redner bei den Joint Mathematics Meetings 2015, der größten Mathematikkonferenz der Welt. Seine Artikel sind in der New York Times, der Washington Post, dem Wall Street Journal und dem Boston Globe erschienen.

Einleitung


Wo die Dinge sind und wie sie aussehen


Ich bin Mathematiker, und zwar einer, der in der Öffentlichkeit über Mathematik spricht, und das scheint bei den Menschen etwas auszulösen. Sie erzählen mir alles Mögliche. Sie erzählen mir Geschichten, von denen ich das Gefühl habe, dass sie sie lange nicht mehr erzählt haben, vielleicht sogar noch nie. Geschichten über Mathematik. Manchmal sind es traurige Geschichten: von einem Mathelehrer, der das Selbstvertrauen eines Kindes mit Füßen tritt, aus reiner Boshaftigkeit. Manches ist aber auch erfreulicher: eine plötzliche Erleuchtung, die man als Kind hatte und von der man geistig wachgerüttelt wurde – eine so außergewöhnliche Erfahrung, dass man als Erwachsener immerzu versuchte, dieses Gefühl noch einmal zu erleben, was aber nie ganz gelang. (Und was so gesehen auch irgendwie traurig ist.)

Oft geht es in diesen Geschichten um Geometrie. Sie scheint die Erinnerungen an die Schulzeit so überdeutlich laut zu beherrschen wie ein schiefer Ton in einem Refrain. Manche Menschen hassen Geometrie und erzählen mir, dass sie von dem Moment an, als Geometrie zum Thema wurde, im Mathematikunterricht nichts mehr verstanden haben. Andere wiederum sagen, Geometrie sei der einzige Aspekt der Mathematik gewesen, den sie überhaupt nachvollziehen konnten. Geometrie ist quasi der Koriander der Mathematik: Nur wenige Menschen haben keine Meinung dazu.

Was macht Geometrie so besonders? Irgendwie hat sie etwas Ursprüngliches, sie ist in unseren Körper integriert. Von der Sekunde an, in der wir schreiend aus dem Mutterleib kommen, schätzen wir ab, wo die Dinge sind und wie sie aussehen. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die behaupten, dass sich alles, was für unser Seelenleben wichtig ist, auf die Bedürfnisse einer zotteligen Gruppe Neandertaler aus Jägern und Sammlern zurückführen lässt, aber man kann kaum bezweifeln, dass diese Völker ein Wissen über Formen, Entfernungen und Örtlichkeiten entwickeln mussten, wahrscheinlich noch bevor sie die Worte hatten, um darüber zu sprechen. Wenn südamerikanische Mystiker (und ihre nicht-südamerikanischen Nachahmer) Ayahuasca, den heiligen halluzinogenen Tee, trinken, ist das Erste, was passiert – nun ja, das Erste, was nach dem unkontrollierbaren Erbrechen geschieht –, die Wahrnehmung reiner geometrischer Formen: sich wiederholende zweidimensionale Muster wie das Gitterwerk in einer klassischen Moschee oder vollkommen dreidimensionale Visionen hexaedrischer Zellen, die sich zu pulsierenden Wabenmustern zusammenfügen. Die Geometrie ist auch dann noch präsent, wenn der Rest unseres Verstandes ausgeschaltet ist.

Liebe Leserinnen und Leser, ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein: Anfangs hat mich Geometrie auch nicht interessiert. Was eigentlich komisch ist, denn inzwischen bin ich Mathematiker. Geometrie ist also mein Job!

Als ich als Kind in der Mathe-AG war, sah das noch ganz anders aus. Ja, es gab tatsächlich eine Mathematik-AG. Das Team meiner Highschool hieß Hell’s Angles, und wir kamen zu jedem Treffen in passenden schwarzen T-Shirts und mit einem Ghettoblaster, der Hip to Be Square von Huey Lewis and the News spielte. Und in dieser AG war ich unter meinen Mitschülern dafür bekannt, dass ich mich sträubte, wenn mir eine Aufgabe gestellt wurde wie: »Zeige, dass der Winkel APQ mit dem Winkel CDF kongruent ist.« Was nicht heißt, dass ich solche Aufgaben nicht gelöst hätte! Aber ich habe sie mit total umständlichen Rechenwegen gelöst, das bedeutet ich habe jedem der vielen Punkte im Diagramm numerische Koordinaten zugewiesen und dann seitenweise Algebra und numerische Berechnungen durchgeführt, um die Flächen von Dreiecken und die Längen von Geraden zu bestimmen. Alles, nur bloß nicht die üblichen Herangehensweisen an die Geometrie. Manchmal habe ich eine Aufgabe richtig gelöst, manchmal lag ich völlig daneben. Aber es war jedes Mal eine Tortur.

Wenn es so etwas wie eine natürliche Veranlagung zur Geometrie gibt, dann kann ich nichts dergleichen vorweisen. Im Gegenteil. Man kann mit einem Baby einen Geometrietest machen. Man zeigt ihm eine Reihe von Bildpaaren; meistens haben beide Bilder die gleiche Form, aber etwa jedes dritte Mal ist die Form auf der rechten Seite spiegelverkehrt. Die Babys sehen sich die spiegelverkehrten Formen länger an. Sie wissen, dass etwas anders ist als vorher, und ihr neugieriger Verstand interessiert sich dafür. Die Babys, die länger auf die gespiegelten Formen starren, schneiden in der Regel im Vorschulalter bei Tests zum mathematischen und räumlichen Denken besser ab. Sie sind schneller und genauer in der Lage, sich Formen vorzustellen und zu erkennen, wie sie aussehen, wenn man sie dreht oder zusammenfügt. Und ich? Mir geht diese Fähigkeit fast völlig ab. Kennen Sie das kleine Bild auf dem Kreditkartenautomaten an der Tankstelle, das Ihnen zeigt, wie Sie die Karte halten müssen, wenn Sie sie durchziehen? Dieses Bild ist für mich nutzlos. Es übersteigt meine geistigen Fähigkeiten, die flache Zeichnung in eine dreidimensionale Handlung zu übertragen. Jedes Mal muss ich alle vier Möglichkeiten durchspielen – Magnetstreifen nach oben und nach rechts, Magnetstreifen nach oben und nach links, Magnetstreifen nach unten und nach rechts, Magnetstreifen nach unten und nach links – bis der Automat bereit ist, meine Karte zu lesen und mir Benzin zu verkaufen.

Und dennoch gilt Geometrie im Allgemeinen als das Herzstück dessen, was man braucht, um in der Welt wirklich etwas zu erreichen. Katherine Johnson, die NASA-Mathematikerin, die als Heldin des Buches und des gleichnamigen Films Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen bekannt wurde, beschrieb ihren frühen Erfolg in der Flugforschungsabteilung so: »Die Männer hatten alle einen Hochschulabschluss in Mathematik; sie hatten alles vergessen, was sie jemals über Geometrie wussten … Ich konnte mich noch an alles erinnern.«

Mächtig ist der Zauber

William Wordsworth erzählt in seinem langen, größtenteils autobiografischen Gedicht »The Prelude« eine etwas unglaubwürdige Geschichte über einen Schiffbrüchigen, der auf einer unbewohnten Insel an Land gespült wird und nichts weiter besitzt als ein Exemplar von Euklids Elementen, dem Buch über geometrische Axiome und Sätze, das vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden die Geometrie als offizielles Fach begründete. Der Schiffbrüchige hat Glück: Er ist zwar niedergeschlagen und hungrig, aber er kann sich ablenken, indem er sich durch Euklids Beweisführungen arbeitet, eine nach der anderen, und die Diagramme mit einem Stock in den Sand nachzeichnet. So war es eben als der junge, sensible, poetische Wordsworth, schreibt der ältere Wordsworth! Oder, um den Dichter selbst sprechen zu lassen:

Mächtig ist der Zauber dieser Abstraktionen

für einen von Bildern überwältigten

und von sich selbst heimgesuchten Geist.

(Ayahuasca-Konsumenten verspüren einen ähnlichen Effekt – die Droge startet das Gehirn neu und erhebt den Geist aus dem gequälten Labyrinth, in dem er zu stecken glaubt.) Das Merkwürdigste an Wordsworths Geschichte über Geometrie und Schiffbruch ist, dass sie im Grunde genommen wahr ist. Wordsworth entlehnte sie, wobei er einige Sätze unverändert übernahm, aus den Memoiren von John Newton, einem jungen Sklavenhändlerlehrling, der 1745 nicht etwa Schiffbruch erlitt, sondern von seinem Chef auf Plantain Island vor Sierra Leone zurückgelassen wurde, mit wenig zu tun und noch weniger zu essen. Die Insel war nicht unbewohnt; die versklavten Afrikaner lebten dort mit ihm zusammen, und seine Hauptpeinigerin war eine Afrikanerin, die die Lebensmittelversorgung kontrollierte: »Eine Person von einiger Bedeutung in ihrem eigenen Land«, beschreibt Newton sie und beklagt sich dann mit wirklich erstaunlichem Unvermögen, die Situation zu erfassen: »Diese Frau war (ich weiß nicht aus welchem Grund) von Anfang an seltsam voreingenommen gegen mich.«

Ein paar Jahre später kommt Newton auf See fast ums Leben, findet zum Glauben, wird anglikanischer Priester, schreibt »Amazing Grace« (das eine ganz andere Buchempfehlung dafür bereithält, wenn man deprimiert ist) und schwört schließlich dem Sklavenhandel ab. Er wird sogar zu einem wichtigen Akteur in der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei im britischen Empire. Aber zurück nach Plantain Island: Ja, er hatte ein Buch dabei, Isaac Barrows Ausgabe von Euklid, und in seinen düsteren Momenten vergrub er sich in dessen abstraktem Trost. »So lenkte ich oft von meinen Sorgen ab«, schreibt er, »und vergaß fast meinen Jammer.«

Wordsworths Verwendung von Newtons Geometrie-im-Sand-Geschichte war nicht sein einziger Flirt mit diesem Thema. Thomas De Quincey, ein Zeitgenosse von Wordsworth, schrieb in seinen Literarischen Erinnerungen: »Wordsworth war ein tiefer Bewunderer der höheren Mathematik, vor allem der höheren Geometrie. Das Geheimnis dieser Bewunderung für die Geometrie lag in der...

Erscheint lt. Verlag 14.8.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Mathematik / Informatik Mathematik
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alltagsfragen • Dinge erklärt • Geometrie • How Not to Be Wrong • Mathe Alltag • Mathe einfach erklärt • Mathematik • Naturwissenschaft • Pop-Science • Populärwissenschaftlich • welt erklärt
ISBN-10 3-98609-058-4 / 3986090584
ISBN-13 978-3-98609-058-6 / 9783986090586
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