Lebensmittellügen (eBook)
240 Seiten
Piper Verlag
9783492600217 (ISBN)
Christoph Wiedmer, Jahrgang 1992, studierte Lebensmittelchemie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, promovierte am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in München-Freising und absolvierte danach eine Ausbildung zum staatlichen geprüften Lebensmittelchemiker. Mittlerweile ist er als lebensmittelchemischer Sachverständiger in der Nähe von München tätig. In seiner Freizeit nimmt er regelmäßig an Science Slams teil, zahlreiche davon hat er gewonnen. 2016 wurde er bei den süddeutschen Meisterschaften Dritter.
Christoph Wiedmer, Jahrgang 1992, studierte Lebensmittelchemie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 2019 promovierte am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in München-Freising und absolvierte danach eine Ausbildung zum staatlichen geprüften Lebensmittelchemiker. Mittlerweile ist er als lebensmittelchemischer Sachverständiger in der Nähe von München tätig. In seiner Freizeit nimmt er regelmäßig an Science Slams teil, zahlreiche davon hat er gewonnen. 2016 wurde er bei den süddeutschen Meisterschaften Dritter.
Zusatzstoffe und Aromen: Was machen die eigentlich?
Anhand welcher Kriterien entscheiden Sie eigentlich, welche Lebensmittel Sie kaufen? Natürlich sollen sie gut schmecken, klar. Aber sie sollen auch möglichst lange haltbar sein. Sie wollen schließlich nicht jeden Tag einkaufen gehen müssen oder massenweise Essen wegschmeißen. Vielleicht gehören Sie sogar zu jenen Leuten, die am liebsten die Packung aus den hinteren Reihen im Regal nehmen, weil sie sich noch ein paar Tage länger hält als die Packungen weiter vorne? Außerdem soll das Essen möglichst gut aussehen. Stellen Sie sich vor, Ihr Erdbeerjoghurt wäre nur leicht rosa und hätte nicht seine schöne hellrote Farbe oder alle Gummibärchen wären so farblos wie die mit Ananas-Geschmack. Pfui!
Da Lebensmittelhersteller nur das verkaufen und nur mit dem Geld verdienen können, was von Ihnen nachgefragt wird, orientieren sie sich bei der Produktentwicklung natürlich an den Kundenwünschen. Aber wie genau können Hersteller solche Wünsche umsetzen? Eine Möglichkeit dafür sind lebensmitteltechnologische Verfahren, also quasi alles, was die Physik zu bieten hat. Konkret kann die Haltbarkeit von Lebensmitteln beispielsweise durch Kühlen und Erhitzen verlängert werden, wie wir es von Tiefkühlpizzen und Dosentomaten kennen. Lebensmittel einfrieren oder einkochen, um sie länger haltbar zu machen, hat schließlich auch Oma schon gekonnt. Aber selbst Oma hat sich nicht nur auf technologische Verfahren verlassen, sondern zusätzlich noch das eine oder andere chemische Helferlein eingesetzt. In den Kuchen kam zum Beispiel Rumaroma, Backpulver (bestehend aus Backtriebmitteln wie Dinatriumdiphosphat (E 450i) und Natriumhydrogencarbonat (E 500ii)) und Sahnesteif (modifizierte Stärke). Und selbst zum Einmachen von Obst und Gemüse gibt es chemische Einmachhilfen, hinter denen sich nichts anderes als ein Konservierungsstoff verbirgt (Sorbinsäure, E 200). Kein Wunder also, dass auch die Lebensmittelindustrie gerne auf Zusatzstoffe zurückgreift.
Aber was sind diese Zusatzstoffe eigentlich genau? Rechtlich sind »Lebensmittelzusatzstoffe« als Stoffe definiert, die in der Regel nicht selbst als Lebensmittel verzehrt werden, sondern einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung zugesetzt werden. Zusatzstoffe werden also einzig und allein deshalb eingesetzt, um damit einen bestimmten Zweck zu erreichen, wie beispielsweise Farbstoffe, die für nichts anderes eingesetzt werden als dazu, die Farbe eines Lebensmittels zu ändern.
Während wir im Supermarkt nur eine Handvoll Zusatzstoffe für den Hausgebrauch kaufen können, wie Backpulver (Backtriebmittel), Citronensäure (Säuerungsmittel) oder Lebensmittelfarben (Farbstoffe), steht der Lebensmittelindustrie eine deutlich breitere Palette von über dreihundert Substanzen mit unterschiedlichsten Wirkungen zur Verfügung. Damit man trotz der riesigen Zahl an Zusatzstoffen leichter erkennen kann, was der jeweilige Stoff im Produkt genau macht, müssen sie im Zutatenverzeichnis nicht nur mit ihrem Namen oder ihrer E-Nummer, sondern auch immer zusammen mit ihrer Funktionsklasse angegeben werden.
Aktuell gibt es 27 dieser Funktionsklassen. Einige der Klassen sind durch ihren Namen praktisch selbsterklärend: »Süßungsmittel« ist zum Beispiel der Sammelbegriff für Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe, also für Stoffe, die Lebensmittel süß machen. Farbstoffe machen Lebensmittel logischerweise bunt, und Konservierungsstoffe verlängern ihre Haltbarkeit. Bei anderen Begriffen ist für die Herleitung der Funktionsweise ein bisschen chemisches Fachwissen erforderlich: Antioxidationsmittel verlängern nämlich ebenfalls die Haltbarkeit, weil sie chemische Verderbsprozesse verhindern, wie das Ranzigwerden von Fetten oder die Bräunung von Apfel- oder Kartoffelmassen. Und Emulgatoren sorgen beispielsweise in Salatsoßen, Nuss-Nugat-Creme oder Schokolade dafür, dass sich zwei Phasen mischen, wie Öl und Wasser, die das ohne den Zusatzstoff nicht tun würden.
Besonders interessant sind außerdem Geliermittel und Verdickungsmittel. Dabei handelt es sich um Stoffe mit einem hohen Wasserbindungsvermögen; sie können also viel Wasser aufnehmen und ergeben dann, je nach Stoff und Dosierung, eine zähflüssige oder schnittfeste Masse. Dadurch kann die Industrie das Fließverhalten von Produkten einstellen und so zum Beispiel bei fettreduzierten Lebensmitteln die verloren gegangene Cremigkeit simulieren. Verdickungsmittel werden aber auch bei »normalen« Lebensmitteln gerne genutzt, weil sie eine Möglichkeit eröffnen, die Produkte mit ordentlich Wasser zu strecken. Weil das Wasser anschließend mit Verdickungsmitteln gebunden wird, fällt dem Verbraucher der Wasserzusatz nämlich kaum auf, sodass die Industrie ein tolles Werkzeug hat, um viel Geld zu sparen: Warum beispielsweise einen Fleischsalat nur mit teurer Mayonnaise herstellen, wenn man einen Teil davon auch durch Wasser ersetzen kann? Genauso kann man eine Sauce Hollandaise, die traditionell eigentlich nur aus den teuren Zutaten Butter und Eigelb besteht, mit Wasser und Verdickungsmitteln deutlich billiger produzieren. In einigen dieser Fertigsoßen ist Wasser sogar der Hauptbestandteil! Das waren natürlich nur zwei Beispiele von vielen. Wenn man danach sucht, findet man die Kombination »Wasser plus Verdickungsmittel« im Supermarkt aber in etlichen Produkten wieder – vom fertigen Milchreis bis zum Speiseeis; die Einsatzmöglichkeiten sind praktisch unbegrenzt. Mit anderen Worten: Jesus hat mal aus Wasser Wein gemacht. Heute macht die Lebensmittelindustrie aus Wasser und Verdickungsmitteln alle möglichen Produkte und verkauft sie uns anschließend für viel Geld.
Das Zutatenverzeichnis kritisch zu lesen kann sich also lohnen. Aber selbst mit den Funktionsklassen im Zutatenverzeichnis wird es für Sie ohne ein halbes Lebensmittelchemiestudium kaum möglich sein, die Rezepturen Ihrer Lebensmittel wirklich bis ins Detail zu verstehen. Warum, lässt sich am besten anhand der Säuerungsmittel und Säureregulatoren erklären. Dabei handelt es sich (wenig überraschend) um Säuren und Laugen, die dazu eingesetzt werden, um den pH-Wert eines Lebensmittels passend einzustellen. Das kann ganz verschiedene Gründe haben, denn der Säuregrad hat die unterschiedlichsten Auswirkungen auf die Produkteigenschaften, angefangen beim Geschmack von Limonaden oder sauren Drops bis hin zur Bräunung von Laugengebäck.
Säuerungsmittel und Säureregulatoren haben aber noch einen sehr interessanten Zusatznutzen, denn der pH-Wert wirkt sich auch auf die Haltbarkeit von Lebensmitteln aus, wie Sie es sicher von sauren Gurken kennen. Die Industrie nutzt diesen Effekt allerdings auch bei anderen Lebensmitteln aus, indem sie beispielsweise Toastbrot für die Haltbarkeit den Säureregulator Natriumacetat (E 262) zusetzt und dann groß – und völlig legal – »ohne Konservierungsstoffe« auf die Packung schreibt.
Brauchen wir Zusatzstoffe wirklich?
»Aber muss diese ganze Chemie im Essen denn unbedingt sein? Kann man Lebensmittel nicht auch einfach ohne Zusatzstoffe herstellen?«, höre ich Sie jetzt fragen. Die Antwort ist ein klares Jein. Denn bei einigen Lebensmitteln, und damit meine ich nicht nur die, die wir aus dem Supermarkt kennen, ist die Verwendung von Zusatzstoffen während der Herstellung einfach unumgänglich. Das fängt schon damit an, dass viele Teige für Kuchen, Plätzchen und Gebäck nur durch den Zusatz von Backtriebmitteln so luftig werden. Und auch Rohwürste, wie Salami oder Teewurst, werden durch Nitritpökelsalz deutlich sicherer, weil das Nitrit zusammen mit den zugesetzten Bakterienkulturen und dem Salz dafür sorgt, dass sich eventuell in der Wurst vorhandene Krankheitserreger nicht vermehren können.[2] Wenn wir grundsätzlich auf Zusatzstoffe verzichten wollten, müssten wir uns also gleichzeitig auch von diesen Lebensmitteln verabschieden.
Allerdings werden etliche Zusatzstoffe von der Industrie nur dazu benutzt, um teure Rohstoffe einzusparen und so noch günstiger produzieren zu können. Dazu gehören beispielsweise Geschmacksverstärker, durch die man den teuren Fleischanteil senken kann, ohne dass das Produkt danach weniger fleischig-würzig schmeckt. Wieder andere Zusatzstoffe sollen nur sicherstellen, dass man die Lebensmittel besser maschinell verarbeiten kann, weil beispielsweise ein behandelter Teig dadurch weniger an der Maschine festklebt. Solche ...
| Erscheint lt. Verlag | 3.1.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
| Naturwissenschaften ► Chemie ► Allgemeines / Lexika | |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Aromen • Biolebensmittel • Chemie im Essen • Gesunde Ernährung • Gesund leben • Gute Ernährung • Gütesiegel • Lebensmittelchemie • Lebensmittelindustrie • Richtige Ernährung • Schlankmacher • Superfood • Zusatzstoffe |
| ISBN-13 | 9783492600217 / 9783492600217 |
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