Das Land der weißen Männer (eBook)
384 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
9783455011272 (ISBN)
Ijeoma Oluo lebt in Seattle, Washington, und ist Autorin des New York Times-Bestsellers Schwarz sein in einer rassistischen Welt (Unrast, 2019). Ihre Artikel über Race, Klasse und Intersektionalistät erscheinen unter anderem in der New York Times und der Washington Post. 2018 erhielt sie den Feminist Humanist Award der American Humanist Association. Sie gilt als eine der einflussreichsten Afroamerikaner*innen unserer Zeit.
Ijeoma Oluo lebt in Seattle, Washington, und ist Autorin des New York Times-Bestsellers Schwarz sein in einer rassistischen Welt (Unrast, 2019). Ihre Artikel über Race, Klasse und Intersektionalistät erscheinen unter anderem in der New York Times und der Washington Post. 2018 erhielt sie den Feminist Humanist Award der American Humanist Association. Sie gilt als eine der einflussreichsten Afroamerikaner*innen unserer Zeit.
Cover
Titelseite
Widmung
Einleitung
Kapitel 1 Cowboys und Patrioten
Kapitel 2 Zu eurem Wohl – als unser Ebenbild
Kapitel 3 Elitehochschulen und Steuerverschwender
Kapitel 4 Wir haben bei weitem zu viele Neger
Kapitel 5 Feuert die Frauen
Kapitel 6 Sozialistinnen und Quoten-Queens
Kapitel 7 Geht verdammt noch mal spielen
Fazit
Dank
Sachregister
Anmerkungen
Über Ijeoma Oluo
Impressum
Einleitung
Ganz wie beabsichtigt
Ich war für eine Weile an einen idyllischen Rückzugsort für Schriftstellerinnen gefahren. Die Tage verbrachte ich in einer bezaubernden, von Bäumen umgebenen Hütte, die mit einem kleinen Holzofen geheizt wurde. Als ich aus dem Fenster auf die riesigen Nadelbäume schaute, die um meine Hütte herum standen, hätte eigentlich der Funken der Inspiration zu mir überspringen sollen. Aber ich fühlte noch keine Inspiration. Diese Umgebung war für jemanden wie mich ziemlich ungewöhnlich: Als alleinerziehende Mutter zweier Jungen kannte ich nichts anderes, als bei dem Hintergrundlärm aus Krachen und Knallen und Schreien und ungeachtet meiner eigenen Aufmerksamkeitsschwäche zu schreiben. Ich war es gewohnt, auch kreativ zu sein, wenn ich regelmäßig von einem Teenager unterbrochen wurde, der mir sagt, dass er mehr Snacks will – und der sie immer noch nicht alleine finden kann.
Aber dieser Rückzugsort war dazu da, schreibende Frauen von den Rufen nach »Mom!« oder »Schatz?« zu befreien, die so oft um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Hier sollten wir unsere Kreativität würdigen, indem wir ihr die Zeit und den Raum gaben, die sie verdiente. Keine Kinder, keine Männer, kein Internet, kein Fernsehen.
Und so arbeiteten wir jeden Tag, jede für sich, und jeden Abend gegen sechs verließen wir fünf Schriftstellerinnen unsere jeweiligen Hütten und kamen zum gemeinsamen Essen im großen Haupthaus der Farm zusammen. Bei einem liebevoll zubereiteten Abendessen mit frisch aus dem hauseigenen Garten geernteten Gemüse sprachen wir über unsere Schreibprojekte, stellten uns gegenseitig Fragen und gaben uns Unterstützung und Zuspruch. Wir redeten über die Arbeit, an der wir gerade saßen: die Bücher, die wir schrieben, die Stücke, die wir schreiben wollten. Wir tauschten Ideen aus, fragten nach Ratschlägen zu Agenturen und Verlagen. Wir lachten und tranken Wein.
Aber vor allem redeten wir über Männer. Nicht unsere Partner oder Freunde oder Brüder – wir redeten über die Scheißtypen. Und obwohl wir im Hinblick auf race, »Ethnizität«1 und sozioökonomischen Status verschiedene Hintergründe hatten, kannten wir alle eine Menge Typen, über die wir reden konnten. Wir redeten über die weißen2 Männer in den Verlagen, die immerfort unsere Arbeit schlechtmachen. Wir redeten über die Schriftsteller, die dir auf Buchmessen an den Hintern grabschen oder dir Feedback zu deiner Arbeit geben wollen und dann versuchen, dich ins Bett zu kriegen. Wir redeten darüber, wie viel Zeit wir schon damit verbracht hatten, über weiße Scheißtypen zu schreiben. Denn wenn wir nicht gerade über den Präsidenten schrieben, dann schrieben wir darüber, dass Männer ohne Gebärmütter nicht über unsere Familienplanung entscheiden sollten, oder dass Vergewaltiger für ihre Vergewaltigungen tatsächlich ins Gefängnis gehen sollten – selbst wenn sie talentierte Sportler waren.
Jeden Abend trafen wir uns und redeten darüber, wie wir in einer Welt zu schreiben und zu leben versuchten, die von Männern bestimmt war; von Männern, die ziemlich entschlossen schienen, uns unsere Stimme zu verwehren, unseren Erfolg – unsere Chancen auf ein freies und unabhängiges Leben. Und ich weiß, dass das kein Problem ist, das sich nur auf den Literaturbetrieb beschränkt. Ich habe schon ähnliche Gespräche geführt, als ich noch in der Werbung und in der Technologiebranche gearbeitet habe. Ich bin sicher, dass Frauen solche Gespräche in so ziemlich allen Arbeitsbereichen führen, in jeder Schule, die sie besuchen, in jeder Gemeinschaft, in der sie leben. Überall findet man Scheißtypen im Überfluss, und es scheint, als könnten wir nicht aufhören, über sie zu reden.
»Ganz wie beabsichtigt.«
Dieser Satz wurde von mir und vielen anderen, die über den Kampf gegen Rassismus schreiben, schon oft benutzt, wenn wirklich schreckliche Dinge genauso passieren, als wären sie vorherbestimmt gewesen. Ein Polizist erschießt einen unbewaffneten Schwarzen3 Mann, und eine Jury entscheidet, dass der Polizist nicht mal vor Gericht muss? Ganz wie beabsichtigt. Ein Junge of Color, der Gras verkauft, muss für Jahre ins Gefängnis, während ein wohlhabender weißer Mann, der zum zweiten Mal betrunken Auto gefahren ist, wird unter Hausarrest gestellt wird? Ganz wie beabsichtigt.
Diese Redewendung mag bestürzend kaltherzig klingen, aber sie ist unsere Art, uns selbst daran zu erinnern, dass das größte Übel, dem wir uns ausgesetzt sehen, nicht ungebildete Individuen sind, sondern unser unterdrückerisches System. Sie erinnert uns daran, dass die Tode von Trayvon Martin und Sandra Bland keine Einzelfälle sind. Dass wir nicht zulassen dürfen, dass uns unsere Erschütterung und unsere Wut ablenken und uns glauben lassen, diese Vorfälle würden nicht alle aus derselben Wurzel stammen, die man zerschlagen muss. Diese Wurzel ist die weiße männliche Vorherrschaft.
Weiße Männer führen unsere ineffektive Regierung, mit geradezu garantierter Wiederwahl. Sie führen unsere korrupte und gewalttätige Strafjustiz, der sie höchstwahrscheinlich selbst nie ausgesetzt sein werden. Sie kontrollieren unsere zunehmend polarisierten und falsch informierenden Medien und heimsen Auszeichnungen ein für die Aufrechterhaltung der Vorstellung, dass die Dinge am besten laufen, solange weiße Männer das Sagen haben. Das ist keine Glückssträhne für weiße Männer; so funktionierten unsere Systeme weißer männlicher Vorherrschaft schon immer.
Und wenn ich von weißer Vorherrschaft spreche, dann meine ich damit nicht nur die klassische »White Supremacy«, also zum Beispiel den Ku-Klux-Klan und die Neonazis. Offen rassistischer Terrorismus – wenn auch tödlich und entsetzlich – hat nie die größte Bedrohung für Menschen of Color in den USA dargestellt. Die Sache ist heimtückischer. Ich meine mit weißer Vorherrschaft die Art und Weise, wie unsere Klassenzimmer, die Politik, die Populärkultur, die Vorstandsetagen und viele andere allesamt die weiße race gegenüber jeder anderen bevorzugen. In unserer Gesellschaft ist weiße Kultur die Norm, das Allgegenwärtige, während Kulturen of Color dämonisiert, exotifiziert oder ausgelöscht werden.
Der durchschnittliche Schwarze Haushalt in den USA besitzt nur ein Dreizehntel des Vermögens über das ein durchschnittlicher weißer Haushalt verfügt; beim durchschnittlichen hispanoamerikanischen Haushalt ist es ein Elftel. Jeder dritte Schwarze Mann in den USA wird im Laufe seines Lebens mindestens einmal ins Gefängnis kommen. So krass diese Zahlen auch scheinbar sind, wir Menschen of Color – und speziell wir Frauen – müssen mit diesen Gegebenheiten tagtäglich leben. Unsere gesamte Gesellschaft ist darauf ausgerichtet sicherzustellen, dass weiße Männer immer mehr Macht anhäufen. Und es muss daran erinnert werden, dass die von diesen Systemen am Schlimmsten verletzten Frauen und Menschen of Color diejenigen sind, die darüber hinaus queer, Transmenschen oder Menschen mit Behinderung sind.
Die »männliche Vorherrschaft« in weißer männlicher Vorherrschaft ist schon ein Bestandteil weißer Kultur gewesen, bevor weiße Menschen sich selbst als weiß wahrgenommen haben. Jahrhundertelang durften Frauen nicht über Besitz verfügen, durften nicht studieren, nicht wählen. Das Maß an Freiheit, das Frauen und Mädchen in ihrem öffentlichen und privaten Leben besaßen, wurde von Männern bestimmt.
Frauen verbringen immer noch einen Großteil ihres Lebens damit, sich von Männern ihr grundlegendes Recht auf Würde und Sicherheit zu erkämpfen. Sie sehen sich dem andauernden geschlechterspezifischen Lohngefälle ausgesetzt, der Tatsache, dass eine von fünf Frauen in ihrem Leben Opfer eines sexuellen Übergriffes wird, und der anhaltenden Debatte darüber, ob männliche Missbrauchstäter ihren Arbeitsplatz und sogar ihren Status behalten sollten oder nicht.
Diese Ungerechtigkeiten sind nicht gottgegeben. Diese unterdrückerischen Systeme sind menschengemacht – mit unseren Wählerstimmen, unserem Geld, unseren Personalentscheidungen – und sie können auch von Menschen wieder rückgängig gemacht werden.
Als wir also an diesem wunderschönen Esstisch in einem Farmhaus im Wald saßen und immer weiter über diese weißen Männer und ihre ungebremste Wut, Angst und Verantwortungslosigkeit sprachen, kam mir diese Redewendung immer wieder in den Sinn: Ganz wie beabsichtigt.
Ich dachte über die weißen Männer nach, die mich in Meetings unterbrochen hatten. Ich dachte über einen Film nach, in dem der weiße Hauptdarsteller in seiner Box in einem Großraumbüro sitzt, sein Schicksal beweint und darüber klagt, dass er so viel mehr aus sich hätte machen sollen. Ich dachte über die weißen Männer mit den Hakenkreuzen in Charlottesville nach, die aus Wut über das eigene Versagen die Menschen anschrien, die sie dafür verantwortlich machten.
Ich dachte über all die Zeitungskommentare nach, die seit der Wahl 2016 versuchten, den neuen wütenden weißen Mann zu erklären. Er war desillusioniert, er hatte Angst. Er war unzufrieden mit seinem Job und seinen gewählten Volksvertreter*innen. Er fühlte sich vergessen und zurückgelassen. Unsere moderne, pluralistische Welt mit ihrem Fokus auf...
| Erscheint lt. Verlag | 2.2.2021 |
|---|---|
| Übersetzer | Benjamin Mildner |
| Verlagsort | Hamburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Afroamerikaner • Alte weiße Männer • amerikanische • Amerikanische Geschichte • Diskriminierung • Donald Trump • Feminismus • Gesellschaft • Ijeoma Oluo • Macht • politisch • Polizeigewalt • Präsidentschaftskandidat • Rassismus • Regierung • Suprematismus • USA |
| ISBN-13 | 9783455011272 / 9783455011272 |
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