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Danke, Deutschland! (eBook)

Von unser aller Glück, hier zu sein. Ein »Kanake« erzählt
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
256 Seiten
Riva Verlag
978-3-7453-0769-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Danke, Deutschland! -  Bahman Shahozaini
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Bahman Shahozaini ist Deutscher, auch wenn sein Name und Aussehen dies nicht unbedingt nahelegen. Lange mühte er sich vergeblich, dazuzugehören: »Ich dachte und sprach Deutsch, aber das schien nicht zu reichen.« Wie es ihm schließlich gelang, erfahren wir in seinem Buch, das uns augenzwinkernd den Spiegel vorhält. Amüsante und tragische Geschichten von Gutmenschen und Rassisten, aber auch Begegnungen mit großartigen Menschen, für die Herkunft keine Rolle spielt. Sein Buch ist eine furiose Liebeserklärung an Deutschland, ebenso sarkastisch wie nachdenklich stimmend. Eine erfrischende neue Stimme in der deutschen Migrantenliteratur!

Bahman Shahozaini wurde 1982 in Teheran geboren. Nachdem er einen Teil seiner Kindheit in der Sowjetunion verbrachte, wanderten seine Eltern mit ihm nach Deutschland aus, wo Shahozaini seit über 30 Jahren lebt. Er studierte Kommunikationswissenschaften und Psychologie in Bonn. Heute lebt und arbeitet er in Köln, wo er als PR-Manager und Kommunikationstrainer Start-ups und NGOs berät.

Bahman Shahozaini wurde 1982 in Teheran geboren. Nachdem er einen Teil seiner Kindheit in der Sowjetunion verbrachte, wanderten seine Eltern mit ihm nach Deutschland aus, wo Shahozaini seit über 30 Jahren lebt. Er studierte Kommunikationswissenschaften und Psychologie in Bonn. Heute lebt und arbeitet er in Köln, wo er als PR-Manager und Kommunikationstrainer Start-ups und NGOs berät.

KAPITEL 2 EINE KINDHEIT IN DEUTSCHLAND


Meine Eltern schleppten mich sehr verunsichert zur Schule, um mich dort vorzustellen. Sie wussten nicht, was mich dort erwartete. Sie wussten auch nicht, was sie selbst erwartete. Die beiden waren aufgeregter als ich und erklärten mir immer wieder, dass ich mich benehmen müsste. Ich verstand die Anweisung nicht, tat aber so, als würde ich den Grund für ihre Strenge verstehen.

Im kleinen Büro des Direktors unterhielten sich die Erwachsenen und wie aus dem Nichts wurde ich in das Gespräch involviert. Eine anwesende Lehrkraft legte mir einen Kugelschreiber und ein Stück Papier hin: »Mal was!«

Ich erstarrte und war vollkommen überfordert, weil ich natürlich sofort fürchtete, das Falsche zu malen.

»Irgendwas! Was du möchtest!«, beteuerte die Lehrkraft.

Jetzt bekam ich erst recht Panik. Ich wusste überhaupt nicht, warum und wofür ich diese Aufgabe bewältigen sollte. Meine Mutter bemerkte meine Angst und sagte mir ruhig, dass ich einfach malen sollte.

Die Lehrkräfte und der Direktor glaubten, dass ich zögerte, weil ich ihre Anweisungen nicht verstand. »Er versteht nicht so gut«, bemerkte eine Lehrkraft.

Ich war erzürnt, weil ich sehr wohl verstand. Es war ein mieses Gefühl, nicht antworten zu können. Mein Vater forderte mich auf, endlich etwas zu malen. Meine Mutter lächelte amüsiert, weil sie wusste, dass ich alles verstand. Der Direktor, ein stämmiger Typ, der bis dahin vollkommen emotionslos gesprochen hatte, erhob seine Stimme und fordert mich ebenfalls auf, endlich etwas zu malen.

Affe sieht, Affe macht. Ich schaute mich um und entdeckte ein Bild an der Wand, auf dem drei Fische abgebildet waren. Also malte ich Fische. Ich weiß nicht mehr, ob es eine Lehrkraft oder der Direktor war, der mein Zeichnen unterbrach, aber alle brachen in schallendes Gelächter aus, als sie bemerkten, dass ich eine Kopie erstellte.

»Hm, das war wohl nicht richtig«, dachte ich mir.

Anschließend sollte ich einen Kreis, ein Viereck und ein Dreieck skizzieren. Es waren meine ersten Skizzen überhaupt, und sie überzeugten nicht ganz.

»Er muss noch viel üben«, belehrten die anwesenden Lehrkräfte meine Eltern. Meine Knie wurden weich. Diese Menschen wussten ja nicht, was sie da gerade anrichteten. Ich krakelte weiter vor mich hin und war nun beschämt, dass ich keine perfekten geometrischen Figuren zeichnen konnte. Mir war vorab klar gewesen, dass eine Bewertung stattfinden würde, aber ich hatte nicht gewusst, was genau mich erwartete. Ich wäre so gern vorbereitet gewesen.

Zu Hause angekommen, ging das Gepolter los: »Setz dich!«

Ich sollte sofort mit dem Zeichnen anfangen. Meine Eltern waren stinksauer und ich verstand nun, dass Kunst das Wichtigste im Leben war. Wer nicht zeichnen und malen konnte, war auf diesem Planeten verloren. Und dann geschah etwas Interessante: Meine Eltern bemühten sich, mich mit einer aufgebrachten Ernsthaftigkeit zu unterrichten. Ein neuer Wind wehte und ich hatte keine Jacke an. Dabei taten sie so, als müssten sie streng und mit viel Druck auf mich einwirken. Als würde ihr Privatunterricht sonst nichts bewirken.

Ich erhielt einen dicken Filzstift und einen gigantischen Zeitungsstapel. Mein Vater forderte mich auf Persisch auf, ganz links oben einen Kreis zu zeichnen. Ich gehorchte. »Weiter, das ist nicht gut genug. Die ganze Reihe. Immer weiter, bis das Blatt voll ist.«

Ich zeichnete die erste Reihe mit Kreisen voll.

»Fülle die Seite sauber und ordentlich, Reihe um Reihe mit Kreisen. Sie müssen rund, sauber und schön sein. Kein Gekrakel. Sonst denken die Lehrer, du wärst dumm!«

Die Handschrift ist in der persischen Kultur ein wichtiges Gut. Kalligrafie, also die Schönschrift, muss jeder können. Sie zählt zu den elementaren Tugenden, die ein Schüler beherrschen sollte.

Ich zeichnete wie ein Bekloppter, weil ich wusste, dass meine Zukunft von diesen Kreisen abhing. Was, wenn die Deutschen merkten, dass ich keine sauberen, perfekten Kreise zeichnete? Womöglich dachten sie dann tatsächlich, ich wäre dumm. Sie hatten ja schon gedacht, ich könnte kein Deutsch. Während mein Vater seine Marlboro-Zigaretten paffte und eine Kassette mit persischer Folklore hörte, malte ich weiter vor mich hin. Nach zehn Seiten sollte ich Reihe um Reihe ein Quadrat zeichnen, danach Dreiecke. Diese und andere geometrische Figuren, bis der dicke Zeitungsstapel voll war. Es war die sogenannte Annonce. Kleinanzeigen in Druckform, etwa doppelt so dick wie Die Zeit plus Werbebeilagen.

»Los, male, zeichne! Weiter! Schneller!«

Es waren viele Seiten und ich wollte geometrische Figuren perfekt zeichnen können. Wenn die Polizei uns noch einmal aufhielt, konnten die was erleben. Kreise, Quadrate und Dreiecke sollten denen um die Ohren fliegen, das würden die gar nicht glauben können. Ich verstand nicht, was der Quatsch sollte, aber ich erledigte meine Aufgabe gern. Wenn unser Leben davon abhing, dann wollte ich niemanden enttäuschen. Es machte Spaß. Fast war ich traurig, als der Stapel zu Ende war. Meine Eltern besorgten noch mehr Filzstifte, verschiedene Farben, und jetzt ging es richtig los. Blumen, Häuser, Sonne. Eine neue Welt eröffnete sich mir. Ich war sieben Jahre alt und beschloss, natürlich heimlich, Künstler zu werden.

Die Schulleitung und die Lehrer hatten entschieden, dass ich die Aufbauklasse besuchen sollte. Ausländerkinder mussten damals vor dem eigentlichen Schulbeginn vorbereitende Förderklassen besuchen, damit die sprachlichen Grundlagen für den Schulbesuch sicher angelegt waren. Ein Crashkurs für Farben und Formen, Zahlen und Buchstaben. Junge Lehrkräfte, vermutlich angehende Lehrer, übten mit uns spielerisch die Grundlagen der Sprache ein. Es war ermüdend, ich beantwortete sich ständig wiederholende Fragen, die mich irgendwann langweilten. Meine Laune wurde nur durch eine hübsche Brünette mit einem freundlichen, schmalen Gesicht aufrechterhalten, die eine viel zu große Brille trug. Sie hatte eine zarte, helle, dünne Haut, eine volle Oberlippe mit einer knuffigen Nase sowie nussbraune Augen, die noch dunkler waren als meine. Ihr Haar trug sie offen. Ich mochte sie. Sie fragte mich die Farben ab und ich beschloss, sie ein wenig zu fordern und bewegte meine Lippen lediglich pantomimisch.

»Wie heißt das?«, insistierte sie freundlich und unbeirrt. »Blau!«, wiederholte ich, ohne zu sprechen.

Sie lächelte. »Du musst es aussprechen!«

»Blau, blau, blau! Warum? Ich weiß das doch.«

Sie lächelte amüsiert, drehte sich zur Seite und bereitete die nächste Aufgabe vor.

Zur Einschulung drei Monate später erhielt ich eine Schultüte. Es interessierte mich kaum, was dieser Quatsch mit den Süßigkeiten sollte. Ich wunderte mich, warum nicht sofort der richtige Unterricht begann. Schließlich war ich diesmal vorbereitet. Ich konnte jetzt Kreise zeichnen. Wir versammelten uns in der Schulklasse, wurden begrüßt, es gab eine Einführungsansprache – und dann sollten wir wieder heim? Das konnte nicht richtig sein. Ich beschloss, meine Klassenlehrerin darauf anzusprechen. »Wann lernen wir schreiben und lesen?«

Sie schaute überrascht auf und musterte mich einen Augenblick, dann sagte sie: »Morgen fangen wir an.«

Sie lächelte. Ich mochte sie sofort.

Die Schule war nett, aber es ging nur langsam voran. Im Unterricht driftete ich ständig ab und bekam manche Sachen nicht mit. Vorzugsweise die Hausaufgaben. Ich mochte in den Pausen mit niemandem spielen und saß lieber mit meinem Pausenbrot auf der Bank und sah mir alles an. Das Geschrei hatte eine krasse Frequenz, die sich in meinen Ohren komisch anfühlte. Der Lärm war ohrenbetäubend und bemerkenswert zugleich. Alle Kinder hier waren laut und benahmen sich wie verrückt. Sie zerrten einander, schlugen sich, schrien wie am Spieß, liefen wild herum, bespuckten und schubsten sich. Ausländer und Deutsche waren nicht auseinanderzuhalten. Ich war schockiert, aber auch fasziniert. Bald hörte ich nur noch ein Surren, während ich auf meinem Pausenbrot kaute.

Manchmal blieb ich noch etwas länger sitzen, obwohl der Gong schon längst geläutet hatte. Ich genoss den kurzen Moment der Stille und verließ dann als Letzter den Schulhof. Die Lehrerin ermahnte mich. Aber ich tat es trotzdem wieder.

Eines Morgens war meine Mutter aufgebracht und forderte meinen Vater auf, sich endlich anzuziehen und mich zur Schule zu bringen. »Die Lehrerin hat etwas zu klären!«

Mein Vater steuerte auf die dreißig zu, trug nur ein ärmelloses Unterhemd und eine sehr kurze, sportliche Nylonhose und Adiletten. Er weigerte sich missmutig, die Garderobe zu wechseln, bevor wir losfuhren. Meine Lehrerin belehrte ihn sehr aufgebracht, dass meine Hausaufgaben nicht ordnungsgemäß gemacht wurden und ich die falschen Hefte benutzte. Manchmal hatte ich sie auch gar nicht dabei und sie wollte wissen, warum meine Eltern ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkamen. Sie bereute diese Belehrung später bitter, als sie erfuhr, dass die Sorgfaltspflicht bei uns zu Hause klassisch mit der flachen Hand umgesetzt wurde. Aber es funktionierte. Ich vergaß nie wieder die Hausaufgaben.

Torschusspanik – gescheiterte Integration durch Fußball


Irgendwann wurde es meiner Lehrerin zu viel. Immer saß ich nur stoisch auf der Bank und beobachtete meine Mitschüler, anstatt bei dem Gemetzel auf dem Pausenhof mitzumischen. Sie fragte mich, ob ich mit den anderen Kindern spielen wolle. Ich lehnte freundlich lächelnd und dankend ab. Sie schaute mich dermaßen irritiert an, dass mir das Lächeln für einen Moment verging, und ich begriff, dass es sich wohl nicht ziemte, auf der Bank zu sitzen. Ich befürchtete, schon wieder etwas Falsches getan zu...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte Alice Hasters • Alltagsrassismus • Alltagsrassismus in Deutschland • Angela Merkel • Antirassismus • Araberclans • Ausländer • Ausländergewalt • Ausländerkriminalität • Aus Liebe zu Deutschland: Ein Warnruf • auswanderung deutschland • Autobiografie • Bahman Shahozaini • Danke Deutschland • Deutschland • Deutschlandliebe • Deutschsein • Diskriminierung • Ein Kanake erzählt • Einwanderung • Einwanderung Deutschland • Erfolgsratgeber • exit racism • Exit RACISM buch • Flucht • Flüchtlinge • flüchtlinge in deutschland • Flüchtlingskind • Flüchtlingskinder • Flüchtlingskrise • Fremdenfeindlichkeit • Glücksratgeber • Hamed Abdel-Samad • Heimat • Heimatliebe • Identität • Identitätspolitik • Integration • Iraner • kanacke • kanake • Köln • Kölnberg • Migranten • Migration • Migrationshintergrund • migrationskrise • Mindset • Multikultur • Nationalismus • Othering • People of Color • Perser • Persönlichkeitsentwicklung • politik themen • Politik und Zeitgeschehen • Politische Bildung • Polizeigewalt • Polizeiliche Kriminalstatistik • Rassismus • Rassismus Buch • rassismus deutschland • Rassismus in Deutschland • Sachbücher 2021 • Sachbücher/Politik • Spiritualität • struktureller Rassismus • Tupoka Ogette • Türken • Umvolkung • Vorurteile • Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen • wir schaffen das
ISBN-10 3-7453-0769-0 / 3745307690
ISBN-13 978-3-7453-0769-6 / 9783745307696
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