Lebenslänglich - Biografie eines Mörders (eBook)
Kadera-Verlag
978-3-948218-21-8 (ISBN)
Mittendrin
Wider Erwarten und entgegen aller Befürchtungen, verliefen die ersten Begegnungen mit den Sportlern spannungsfrei. Zudem wurde nicht mit humorvollen Kommentaren gespart. Das kam mir entgegen.
Die mit Stacheldraht gekrönten Mauern bildeten eine gewöhnungsbedürftige Kulisse. Meine Sicherheit sollte durch die Anwesenheit der Aufsichtsbeamten gewährleistet sein. Die Trainingseinheiten konnte ich ungestört durchführen. Entgegen meiner Befürchtung, die Teilnehmer der Freizeitgruppe könnten Probleme bereiten, glänzten sie durch Ehrgeiz, Motivation und Disziplin. Trotzdem blieb ich misstrauisch und rechnete mit Abweichungen! Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung ging nicht alles glatt.
Während der Trainingsstunde stand der abgegrenzte Fußballplatz auf dem Gefängnishof zur Verfügung. Zur gleichen Zeit konnten die Gefangenen nach Feierabend auf dem übrigen Teil des Hofgeländes den Tag ausklingen lassen. Dabei liefen oder trotteten einige quer durch das Spielfeld und störten so die Aktivitäten der Sportler. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Harmonie und friedliches Miteinander waren vorbei – schlagartig (im wahrsten Sinne des Wortes!). Ich erhielt einen Vorgeschmack, wie schnell das Aggressionspotential hinter den Gittern der JVA zu entfachen ist. Die verbalen Attacken und ausgestoßenen Drohungen waren kaum zu überbieten. Jeder kennt jeden, vielleicht sogar die Biografie bis ins Detail. Die Enge des gesamten Quartiers bietet kaum Ausweichmöglichkeiten. Das resolute Eingreifen der heraneilenden Beamten stellte zwar die ursprüngliche Ordnung wieder her, aber später im Gebäude oder im Betrieb wurde auf eine günstige Gelegenheit gelauert, um die aufgestauten Aggressionen in Form einer schändlichen Neigung zu entladen.
Dieser Vorfall machte deutlich, dass Streitigkeiten mit und ohne Ankündigung auch in meiner Nähe aus dem Nichts heraus möglich waren. Hatte ich also ähnliche Ereignisse in meiner Gruppe zu befürchten? Für mich kaum vorstellbar, ich war eher von der friedvollen Atmosphäre beim Training angetan.
Dazu sagte ein Bekannter: »Warte ab. Du arbeitest nicht in einem Mädchenpensionat!«
Er sollte recht behalten!
Die Garantie meiner Sicherheit war dadurch gegeben, dass ich mich möglichst in der Nähe eines Vollzugsbeamten aufhalten musste. Das wiederum schränkte den persönlichen Zugang zu den Gefangenen ein. Zum Konzept gehörte nicht nur der sportliche Teil. Um mit den Gefangenen, die wegen Mord, Raub, Betrug, Erpressung usw. einsitzen mussten, ein Team entstehen zu lassen, war eine Art der Kommunikation notwendig, die sich von der üblichen des Gefängnisalltages eindeutig abheben musste. Den Akteuren abzuverlangen, während der Trainingsstunden zumindest gedanklich vom Knast-Alltag Abstand zu nehmen, um sich kreativ zu engagieren, grenzte bei einigen zunächst an Überforderung. Meine Aufforderung, Ideen einzubringen sowie sachliche und konstruktive Kritik zu üben, war in der Kennenlernphase ein »Schuss in den Ofen«.
Eine intensive Beschäftigung mit dem Gefängnissystem und Wissen über Maßnahmen bei renitentem bzw. abweichendem Verhalten wurde notwendig. Ich wollte es schaffen, die Teilnehmer davon zu überzeugen, dass abweichende Meinungen oder Kritik über den Vollzug von mir weder weitergeleitet noch in falsche Ohren gelangen würden. Der Aufmüpfigkeit gegenüber dem Gefängnispersonal folgten regelhaft disziplinarische Folgen, von Fernsehverbot bis Einzelhaft. Ob im Haus stets mit angemessenen Maßnahmen reagiert wurde, vermochte ich nicht zu beurteilen, wenn jedoch ein Häftling meines Teams für sportliche Aktivitäten in der Freizeitgruppe gesperrt wurde, obwohl das Verhalten im Team nicht zu beanstanden war, fehlte mir dafür das Verständnis.
Eine Intervention konnte ich mir ersparen. Die Wertschätzung des Projektes war in der Anstalt zwar hoch, aber mein Status dagegen schwach.
*
Mit zunehmender Zeit und Erfahrung lernte ich zu differenzieren. Nicht alle aggressiven Typen sind Schläger, manche sind nur introvertierte soziale Außenseiter, die überreagieren, wenn sie geneckt werden oder wenn sie etwas als Kränkung oder Ungerechtigkeit empfinden. Menschen dieser Sorte sind hier in großer Zahl anzutreffen. Sie sehen Kränkungen, wo sie nicht beabsichtigt waren, und in ihrer Einbildung sind andere ihnen gegenüber feindseliger, als es wirklich der Fall ist. Das hat oft zur Folge, dass sie neutrale Handlungen als bedrohlich wahrnehmen. Ein harmloses Anrempeln wird als gezielter Racheakt verstanden und macht sie angriffslustig. Daraufhin werden sie natürlich von anderen gemieden, was sie noch mehr isoliert. Solche gereizten, isolierten Häftlinge sind überaus empfindlich für kleinste Ungerechtigkeiten und unfaire Behandlungen; sie sehen sich selbst gewöhnlich als Opfer und können eine ganze Reihe von Beispielen nennen, in denen jemand sie für etwas getadelt hat, was sie gar nicht gemacht haben. Steigern sie sich erst in den Zorn hinein, dann eskaliert die Situation und ihnen fällt bloß eines ein: wütend um sich zu schlagen. Diese einseitige Wahrnehmung wird darin deutlich, dass derjenige, der losgeschlagen hat, sich im Recht glaubt. Dieses vorschnelle Urteil zeugt von einer starken Verzerrung der Wahrnehmung bei Gefangenen, die ungewöhnlich aggressiv sind; sie handeln aufgrund einer vermeintlichen Feindseligkeit oder Bedrohung und beachten nicht genügend, was wirklich geschehen ist. Sobald sie sich bedroht glauben, handeln sie ohne weitere Überlegung.
Mir war bewusst, dass ich mit meinen Anordnungen nicht auf das Verständnis aller Beteiligten vertrauen konnte. In einem Fall fiel ein Häftling wegen permanenter Unbeherrschtheit während der Übungen auf. Ich spürte, dass die übrigen Teilnehmer eine Entscheidung von mir erwarteten. Und sie folgte zwangsläufig, um die Freude der anderen am Spiel nicht zu gefährden. Der renitente Häftling widersetzte sich jedoch lautstark meiner Anordnung, den Platz zu verlassen. Erst mit Unterstützung mehrerer Sportler gelang es, den um sich schlagenden Mann an einen Aufsichtsbeamten zu übergeben.
Später sah ich ihn beim Hofgang wieder. Es war ein gutes Gefühl, zu wissen, dass die Vernunft auch in einem Hochsicherheitsgefängnis die Oberhand behalten kann und man sich in der Umgebung nicht fürchten muss.
Aggressive Auseinandersetzungen zwischen den Sportlern ließen sich nicht immer vermeiden. Adäquate Konfliktlösungsstrategien und die Unterstützung der »vernünftigen« Gefangenen halfen dabei, stets wieder Ruhe einkehren zu lassen. Obwohl die Anstaltsführung wünschte, über jeden Vorfall eine Meldung zu erhalten, hielt sich jeder an meine interne Regelung. Der wichtige Nebeneffekt: das Vertrauen zwischen mir und den »Schützlingen« verstärkte sich zusehends. Die ursprünglichen Bedenken zum Beginn der Tätigkeit lösten sich in Luft auf.
Überraschend war, dass nicht der anwesende Vollzugsbeamte meine Sicherheit garantierte, sondern die Teilnehmer selbst für meinen persönlichen Schutz vor körperlichen Übergriffen oder verbalen Entgleisungen sorgten. Akribisch achtete der Stamm darauf, dass meine Entscheidungen akzeptiert wurden, obwohl ich nie behauptete, in jedem Fall den »Königsweg« zu kennen. Dafür forderte ich sie auf, kritische Anmerkungen zu äußern, ohne beleidigend zu werden. Jedes neue Mitglied wurde von den Mithäftlingen mit den internen Regeln konfrontiert.
Dass in der Strafanstalt eine Freizeitabteilung existiert, in der es »zivil« zugeht, ohne Nachteile befürchten zu müssen, war für den Großteil der Gefangenen gewöhnungsbedürftig. Schließlich galt in der Anstalt das Prinzip, Anweisungen widerspruchslos hinzunehmen. Die von mir erwünschte Meinungsfreiheit bildete die Basis für eine nicht selbstverständliche, vertrauensvolle Kommunikation und förderte die stabile Teambildung. Die permanente Erinnerung, Fair Play zu beachten, erhöhte die soziale Kompetenz. Wer trotzdem unzufrieden war, konnte ohne eine Begründung fernbleiben.
Vor meinem Erscheinen wurde während der Freizeit im Gefängnis auch Fußball gespielt, da konnte im Nu eine Gewaltspirale entstehen, zum Beispiel im Kampf um den Ball. Die häufigen gewalttätigen Auseinandersetzungen mussten durch energisches Eingreifen der Vollzugsbeamten beendet werden. Grundsätzlich ist es im Gefängnismilieu so, dass die Kommunikation zwischen den Gefangenen von Misstrauen begleitet wird. Oft reicht als Auslöser eine gefühlte Ungerechtigkeit oder unfaire Behandlung.
Sie erkennen nicht, was wirklich los ist und handeln ohne weitere Überlegung. Aufgrund der gegebenen Machtverhältnisse zogen sie meistens den Kürzeren, was wiederum die Wut, Aggression und Ohnmacht verstärkten. Die zu erwartenden disziplinarischen Maßnahmen verdarben daher oft die Freude auf die bevorstehende Freizeitbeschäftigung.
Pädophile, Sexualstraftäter und Verräter stehen in der Gesellschaftshierarchie ganz unten und werden offen abgelehnt. Diffamierungen und Abgrenzung machen auch in der Freizeitgruppe nicht halt.
Ein Torhüter wurde in meinem Beisein als »Kinderficker« beschimpft. Zwar konnte ich für eine kurzzeitige Beruhigung sorgen, aber nur in der Situation. Erst als sich einige Gefangene ohne erkennbaren Grund von meiner Trainingsgruppe entfernten, hakte ich nach. Sie verlangten, dass ich den Mann bedingungslos entferne. Unvermutet war ich in einen schwelenden Konflikt zwischen den Gefangenen geraten. Mir wurden ...
| Erscheint lt. Verlag | 15.10.2020 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
| ISBN-10 | 3-948218-21-8 / 3948218218 |
| ISBN-13 | 978-3-948218-21-8 / 9783948218218 |
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