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Henry Kissinger (eBook)

Wächter des Imperiums

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
480 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75567-5 (ISBN)
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Henry Kissinger, ein Scheinriese, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Auf diesen Nenner lässt sich sein politisches Denken und Handeln bringen. Zugleich verstand er es, sich zur Marke in Übergröße zu machen, egal, ob als Sicherheitsberater zweier amerikanischer Präsidenten, als Außenminister, Elder Statesman, Bestsellerautor, Politikberater oder Orakel. Sich immer im Gespräch zu halten, war und ist Kissingers größter Erfolg. Gestützt auf eine Vielzahl unbekannter Quellen, rekonstruiert Bernd Greiner das Leben eines Mannes, der für die Macht lebte und in die Geschichte eingehen wollte - mit allen Mitteln und um fast jeden Preis.

Der Riese taumelte. Amerika führte einen Krieg, der nicht zu gewinnen war, seine Wirtschaft lebte auf Pump, mächtige Konkurrenten machten seinen Führungsanspruch streitig, die politische Elite war zerstritten wie selten zuvor. Ratlosigkeit und Zeitdiagnose im Panikmodus, wohin man auch blickte. Was macht eine Weltmacht, wenn ihr die Macht entgleitet? Wo war Amerikas Platz in einer multipolaren Welt? Welche Rolle sollten Militär und Diplomatie künftig spielen? War es ratsam, sich dem Wandel entgegenzustellen, ihn gar auf halten zu wollen? Oder musste von Grund auf neu über Ordnung und Sicherheit nachgedacht werden? Als diese Fragen Ende der 1960er Jahre auf die Tagesordnung drängten, betrat Henry Kissinger die große Bühne. In jungen Jahren vor den Nazis geflohen, schrieb er in der neuen Heimat eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Für die einen ist er unwiderstehlich, für andere unausstehlich und für alle unvermeidlich. Noch heute ist Kissinger aktuell - auf verstörende Weise und in jedem Fall anders, als er es selbst gerne hätte. Denn er wollte Grenzen verschieben, die nicht mehr zu verschieben waren. Im Grunde spiegelt seine Karriere ein Dauerproblem amerikanischer Außenpolitik und die Antiquiertheit ihrer bevorzugten Leitideen: Vorherrschaft, Wille zur Gewalt, Mehrung eigener Macht durch die Angst der anderen.

Bernd Greiner ist Gründungsdirektor und Mitarbeiter des «Berliner Kollegs Kalter Krieg». Er lehrte Außereuropäische Geschichte an der Universität Hamburg und leitete bis 2014 den Arbeitsbereich «Geschichte und Theorie der Gewalt» am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Diener aller Herren


Nelson Rockefeller liebäugelte erneut mit einer Kandidatur für das Amt des Präsidenten, Henry Kissinger wurde wie gehabt in sein Beraterteam berufen. Von einem «business as usual» konnte 1968 freilich keine Rede sein, denn in allen Lagern wurden die Karten neu gemischt. Nachdem Lyndon B. Johnson Ende März auf eine weitere Amtszeit verzichtet hatte, warfen notgedrungen andere Kandidaten ihren Hut in den Ring. Bei den Demokraten forderte der erklärte Kriegsgegner Eugene McCarthy die Granden der Partei heraus – zwar ohne Aussicht auf das Weiße Haus, aber immerhin mit beachtlichem Nachhall. Vizepräsident Hubert Humphrey setzte auf sein Renommee als Reformer und das Versprechen, für frischen Wind in der Innenpolitik zu sorgen. Nachdem freilich Robert Kennedy in das Rennen eingestiegen war, schienen Humphreys Meriten vor der Zeit verwelkt. Wenn es einen Hoffnungsträger in der Demokratischen Partei gab, dann den jüngeren Bruder von JFK: jung, charismatisch, überstrahlt vom Kennedy-Mythos und unbelastet vom Desaster in Vietnam. «Seine Füße können wir nicht über den Feuern der Vergangenheit grillen», meinte Richard Nixon mit einem untrüglichen Gespür für Stimmungen.[183] 1960 hauchdünn geschlagen, wollte es Nixon noch einmal wissen. Vom republikanischen Mitbewerber Charles Percy, dem Senator aus Illinois, hatte er ebenso wenig zu befürchten wie vom Gouverneur von Kalifornien, Ronald Reagan. Percy blieb gewohnt blass, Reagan war auf nationaler Bühne noch nicht trittsicher. Dass bei den Republikanern Nelson Rockefeller als ernstzunehmender Konkurrent Nixons gehandelt wurde, hing auch mit der Bewerbung des «Unabhängigen» George Wallace aus Alabama zusammen. Ihm traute man zu, weite Teile der Rechten für sich und auf Kosten Nixons mobilisieren zu können. In einem Satz: Die Konstellation war verwirrend, der Wahlausgang offen.

Zu Recht gilt 1968 als «annus horribilis» der jüngsten amerikanischen Geschichte. Seit den so genannten «Rassenkrawallen» in Newark, Minneapolis, Detroit und Milwaukee, die im Jahr zuvor das Land erschüttert hatten, kam es immer wieder zu Gewaltausbrüchen. Wortführer der «Black Power»-Bewegung predigten Militanz als legitimes und allein zielführendes Mittel gegen die zählebige Entrechtung der Schwarzen, selbst Martin Luther King schien den Kampf gegen die Radikalen zu verlieren. Wie der schwarze Protest sich artikulierte, war vielen Weißen – nicht allein in den Südstaaten – ohnehin egal. Sie erklärten die gesamte Bürgerrechtsbewegung zum Feind, seit King das Bündnis mit politisierten Gewerkschaften suchte und gegen den Krieg in Vietnam Front machte. Wieso sollten schwarze GIs in Südostasien für Freiheiten kämpfen, die man ihnen im eigenen Land beharrlich verweigerte? Der zum Islam konvertierte Champion aller Boxklassen, Muhammad Ali, hatte bereits Ende April 1967 vor einem Einberufungsausschuss die passende Antwort gegeben: «Keep asking me, no matter how long – on the war in Vietnam, I sing this song – I ain’t got no quarrel with the Viet Cong.» Dass obendrein Tausende weißer Studenten mit Vietcong-Fahnen durch die Straßen zogen und den amerikanischen Traum in einer fusseligen «Counter Culture» wiederbeleben wollten, schien nur konsequent.

Und H. Rap Brown, Vorsitzender des «Student Nonviolent Coordinating Committee», durfte sich bestätigt fühlen: Gewalt ist so amerikanisch wie Kirschkuchen. In den späten 1960er Jahren wurde eine mit Blut getränkte Geschichte um ein weiteres Kapitel ergänzt. Als am Abend des 8. Februar 1968.200 Studenten auf dem Campus der South Carolina State University in Orangeburg gegen Rassentrennung demonstrierten, griff die Autobahnpolizei zu ihren Waffen. Drei schwarze Studenten starben im Gewehrfeuer, 27 wurden verletzt. Wie durch ein Wunder blieb Monate später beim Parteitag der Demokraten in Chicago eine derartige Eskalation aus. Aber die Straßenschlachten, die sich Kriegsgegner und Hippies tagelang mit der Polizei lieferten, hatten allemal das Zeug dazu. Zu dieser Zeit waren Martin Luther King und Robert Kennedy bereits begraben, im April und Juni 1968 niedergestreckt von Attentätern, deren vermeintliche Alleinverantwortung sich nie schlüssig beweisen ließ. Die Rede von einem Land im Ausnahmezustand war keine Übertreibung sensationsgieriger Medien. Zahlreiche Zeitgenossen empfanden es tatsächlich so.

Der seit dem Zweiten Weltkrieg gehegte Konsens der Eliten hielt dem Druck ebenfalls nicht stand. Ausgerechnet vietnamesische Guerillas führten am 31. Januar 1968 den entscheidenden Stoß, als sie während des buddhistischen Neujahrsfests 36 von 44 Provinzhauptstädten, 64 lokale Verwaltungszentren und die Hauptstadt Saigon angriffen sowie das Gelände der amerikanischen Botschaft stürmten. Als der legendäre «Anchorman» von «CBS», Walter Cronkite, an diesem Abend die Nachrichten moderierte, bezichtigte er das Weiße Haus de facto der Lüge. «Was um alles in der Welt geht dort vor? Ich dachte, wir wären dabei, diesen Krieg zu gewinnen!»[184] Seine Worte machten alsbald als populäres Bonmot die Runde: Was ist das Licht am Ende des Tunnels in Vietnam? Die Grubenlampe der Vietcong! Lyndon B. Johnson hatte verstanden: «Wenn ich Walter verliere, habe ich alles verloren.»[185] Unter diesen Bedingungen war an eine nochmalige Truppenverstärkung, wie der Oberkommandierende William Westmoreland sie gefordert hatte, nicht zu denken. Selbst der langjährige Außenminister Dean Acheson, bekannt für seine Neigung zu eskalationsträchtigen Ratschlägen, stellte sich quer. Und mit ihm verwarfen weitere prominente Präsidentenberater im März 1968 die Strategie des Weißen Hauses. Aber eine überzeugende Alternative konnten die so genannten «wise men» nicht präsentieren. Mehr noch: Die gesamte politische Klasse war mit dem in Vietnam vergifteten Erbe ihrer Nachkriegspolitik heillos überfordert.

Die «schweigende Mehrheit» der Konservativen schien sich ihrer Sache hingegen sicher. Nach wie vor davon überzeugt, dass in Vietnam ein Vorposten der freien Welt verteidigt wurde, richtete sich ihre Kritik nicht gegen die Ziele des Krieges, sondern gegen das angebliche Versagen der Regierung Johnson. Um enttäuschte Erwartungen und falsche Versprechen ging es, nicht zuletzt auch um den Eindruck, dass die eigenen Opfer umsonst erbracht worden waren. Bei Meinungsumfragen im Frühjahr 1968 befürworteten knapp drei Viertel der Befragten eine militärische Siegstrategie in Vietnam, gut die Hälfte plädierte für eine Eskalation, um den Krieg möglichst schnell zu beenden. Von den Wählern der Demokratischen Partei votierten 49 Prozent in diesem Sinne, aus der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen sogar 59 Prozent.[186] Wer nicht nur im Äußeren, so die innenpolitische Variante dieser Haltung, sondern auch an der Heimatfront die Zügel schleifen lässt, muss sich über brennende Ghettos, durchgedrehte Hippies und aufgelöste Ordnung nicht wundern. Diesbezügliche Umfragen ergaben, dass 90 Prozent eine Erweiterung der Bürgerrechtsgesetze ablehnten und fast ebenso viele die staatlichen Sozialhilfeprogramme einfrieren wollten. «Wir kämpften einen Krieg gegen die Armut», ätzte Ronald Reagan gegen Johnsons Sozialpolitik, «und die Armut hat gewonnen.»[187]

Unter diesen Bedingungen waren Richard Nixon wieder einmal alle Mittel recht. «Geht in den Wahlkampf, als wäre es ein wahrhaftiger Krieg», wies er seine Mitarbeiter an.[188] Lange Zeit schien es, als könnte er mit der Behauptung, einen ausgearbeiteten Plan für einen «ehrenvollen Frieden» in Vietnam in der Tasche zu haben, bei den Wählern ankommen. Trotz dieses Täuschungsmanövers – ein derartiger Plan existierte noch nicht einmal in Nixons Phantasie – machte sein Gegenkandidat Hubert Humphrey Boden gut. Und Nixon argwöhnte, dass Lyndon B. Johnson seinem Vizepräsidenten mit einer Mobilisierung der liberalen Wählerschaft unter die Arme greifen könnte. Nämlich mit dem Versprechen, die Bombardierung Nordvietnams einzustellen und damit Friedensverhandlungen auf den Weg zu bringen. Deshalb nahm Nixon Mitte Juli 1968 über Vermittler – Bui Diem, südvietnamesischer Botschafter in den USA, Anna Chennault, politische Lobbyistin, und andere – Kontakt zum südvietnamesischen Präsidenten Thieu auf. Sein Angebot: Wenn Saigon bis November alle Initiativen aus Washington ins Leere laufen lässt und kein Interesse an Friedensgesprächen zeigt, wird Richard Nixon im Falle seiner Wahl die Verbündeten in Saigon für ihre Standhaftigkeit belohnen. Wie, ließ er offen. Hauptsache, der ohnehin starrköpfige Thieu fühlte sich ermutigt und streute Sand ins Getriebe. Tatsächlich erklärte der südvietnamesische Machthaber am 2. November sein Desinteresse an Verhandlungen. Präsident...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2020
Zusatzinfo mit 30 Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 20. Jahrhundert • Amerika • Außenminister • Bestsellerautor • Biografie • Biographie • Diplomatie • Elder Statesman • Geopolitik • Geschichte • Helmut Schmidt • Henry Kissinger • Kalter Krieg • Krieg • Militär • Orakel • Politik • Politikberater • Politiker • Präsidenten • Selbstinszenierung • Sicherheitberater • USA • Vereinigte Staaten • Vietnam • Willy Brandt
ISBN-10 3-406-75567-4 / 3406755674
ISBN-13 978-3-406-75567-5 / 9783406755675
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