An den Ufern der Oder (eBook)
368 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-6387-9 (ISBN)
Bernd Bölscher, Jahrgang 1947. Nach dem Abitur zunächst Bundeswehr, Offiziersausbildung und fünf Jahre Truppendienst, gefolgt von einem naturwissenschaftlichen Studium, danach Promotion, Forschungs- und Lehrtätigkeit an zwei Universitäten. Später dann Wechsel in den Schuldienst und Lehrtätigkeit an einer Gesamtschule. Ab 2013 im Ruhestand. Seit vielen Jahren an Militär- und Marinegeschichte interessiert. Vor etwa 20 Jahren Beginn der systematischen Erforschung der Thematik des vorliegenden Buches.
Prolog
In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs wurden Zehntausende deutscher Marinesoldaten ohne Erdkampfausbildung in einen Landeinsatz geschickt. Sinnlose Verluste an jungen Menschenleben waren die Folge. Wie konnte es dazu kommen?
Nachdem im deutschen Kaiserreich eine eigenständige Marineinfanterie in verschiedenen Kolonialkriegen und auf Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs eine dem damaligen Verständnis entsprechende militärische Tradition entwickelt hatte, waren in der Weimarer Republik und nachfolgend im Dritten Reich die Aufgaben der Marine auf den Seekrieg beschränkt geblieben. Als Landtruppe gab es lediglich die Marineartillerie, die im Ernstfall mit ihren Küstenbatterien gegnerische Kriegsschiffe bekämpfen und mit einer marineeigenen Luftabwehr die Häfen gegen Fliegerangriffe schützen sollte. Erst spät, und zwar zeitgleich mit dem Beginn von Hitlers Politik gewaltsamer territorialer Revisionen im Frühjahr 1938 begann die deutsche Kriegsmarine, eine kleine Truppe mit infanteristischem Aufgabenschwerpunkt aufzustellen, deren Zweck es war, das Heer an einer Seefront zu unterstützen. Diese Marine-Stoßtrupp-Kompanie bestand aus gut ausgebildeten Erdkampfspezialisten. Von dort war es jedoch noch ein langer Weg bis zu den Marineregimentern und -divisionen des Jahres 1945. Die Marineführung unter den Großadmiralen Raeder und Dönitz war auf den Seekrieg als ihre ureigene Aufgabe fixiert und wurde letztendlich erst durch Hitler und seine Paladine im OKW zu einem Paradigmenwechsel genötigt. Eine entscheidende Zäsur sollte das Frühjahr des vierten Kriegsjahrs bringen, - eine Zeit also, als sich die Achsenmächte noch als die kommenden Sieger wähnten.
Großadmiral Erich Raeder war für den Abend des 13.April 1942 in das Führerhauptquartier befohlen worden. Hitler hatte der Kriegsmarine Versagen vorgeworfen, - Versagen bei der Abwehr eines britischen Kommandounternehmens gegen den deutschen Unterseeboots-Stützpunkt St. Nazaire. Der Oberbefehlshaber der Marine sollte dazu Rede und Antwort stehen.
Zwei Wochen vorher hatte die Royal Navy die Verwundbarkeit der Küstenverteidigung an der französischen Atlantikküste aufgezeigt. Fehlendes Gefahrenbewusstsein in einigen Marinestäben im Verbund mit einem Mangel an Kräften zur Aufklärung und frühzeitigen Bekämpfung gegnerischer Landungsversuche hatten es dahin kommen lassen, dass britische Kommandotruppen bei St.Nazaire an Land gesetzt und in das Hafengebiet eingedrungen waren. In erbitterten Kämpfen konnten sie durch Truppenteile der Marine und des Heeres schließlich aufgerieben und ihre Reste gefangen genommen werden.
Obwohl der Angriff somit letztendlich ohne Schaden für die Seekriegsführung abgewiesen worden war, hatte Hitler die Kriegsmarine mit dem Vorwurf der Nachlässigkeit und mangelnden Verteidigungsbereitschaft konfrontiert und noch am gleichen Tag die Schaffung einer Marinelandtruppe angeordnet. Der Wehrmachtführungsstab hatte dem OKM den Befehl erteilt, mit sofortiger Wirkung eine Marine-Festungsbrigade zur Sicherung der Bretagneküste aufzustellen. Das Oberkommando der 7.Armee war angewiesen worden, schleunigst zu melden, wo erste Teile dieser Marinebrigade eingesetzt werden sollten. Die Seekriegsleitung ließ konkrete Vorschläge für die Bereitstellung des erforderlichen Personals ausarbeiten. Zu diesem Zweck sollten die Marinedienststellen in Frankreich entbehrliche Offiziere und Mannschaften abgeben.1
Einige Tage später hatte die Seekriegsleitung bereits konkrete Eckdaten für die Aufstellung der Marinelandtruppe festgelegt. Mit einer Gesamtstärke von mehr als sechstausend Mann sollten aufgestellt werden ein Brigadestab, zwei Regimentsstäbe, fünf Infanteriebataillone, fünf Batterien leichte Artillerie, zwei Pak-Kompanien, eine Pionierkompanie und eine Sanitäts-Einheit.2 Zu der Besprechung im Führerhauptquartier nahm Raeder den Vizeadmiral Theodor Krancke mit, der als Chef des Quartiermeisteramts der Seekriegsleitung sein Fachmann für Organisationsfragen war. Nachdem dieser die Überlegungen der Marine über die Aufstellung von Marinebrigaden nüchtern und sachkundig vorgetragen hatte, gab sich Hitler konziliant. In der anschließenden Aussprache forderte er, dass die wichtigsten Marinestützpunkte in Frankreich so stark zu sichern seien, dass gegnerische Kommandounternehmen scheitern müssten. Sache der Marine wäre vor allem der Schutz der Inseln vor der Küste. Neben Verteidigungskräften müsse auch eine bewegliche Kampfgruppe vorhanden sein, die gelandete Fallschirmjäger und ähnliches angriffsweise 'erledigen könne'. Vordringlich hätten die Marinelandtruppenteile jegliches Festsetzen des Gegners auf den Inseln zu verhindern; sie wären aber auch als vorgeschobene Sicherungen in die Küstenverteidigung einzugliedern. Anders gesagt, sollte diese Truppe über die taktischen Fähigkeiten für die Gefechtsaufgaben Sicherung, Verteidigung und örtlicher Gegenangriff verfügen.
Für die Kriegsmarine bedeutete dies, dass sie keineswegs einen geschlossenen Großverband für einen Kampfeinsatz auf dem Festland aufstellen musste. Um in diesem Punkt sicher zu gehen, ließ Raeder sich diese seine Sichtweise vom OKW fernschriftlich bestätigen. Damit war der starre Befehl zur Aufstellung einer Marine-Festungsbrigade hinfällig. Im übrigen unterwarf sich die Marine bei der Ausbildung von Einheiten für Landkriegsaufgaben dem Primat des Heeres, bat aber um die Bereitstellung der dafür erforderlichen Waffen und Geräte sowie Ausbildungshilfe durch die Armee.3
Schon in der zweiten Aprilhälfte wurden auf fünf strategisch wichtigen Inseln vor der Bretagneküste sieben leichte Marine-Artillerie-Abteilungen (M.A.A.) neu aufgestellt. Jede Abteilung bestand aus mehreren Batterien, von denen eine oder zwei als leichte Schützenkompanien ausgerüstet waren. Die Mehrzahl der Einheiten war mit Geschützen leichten Kalibers bewaffnet.4
Mit den Offizieren und Unteroffizieren, die jetzt aus Artillerie-, Flak-, Ersatz- und Schiffsstamm-Abteilungen für die Aufstellung dieser Verbände abgezogen und mit Hilfe des Heeres für begrenzte Landkriegsaufgaben ausgebildet wurden, zog sich die Marine einen Personalkader heran, auf den sie zweieinhalb Jahre später zurückgreifen konnte, als die Frage des Schutzes der Küsten im Bereich der Deutschen Bucht akut wurde. Wie sich am Beispiel der M.A.A. 684 auf der Insel Noirmoutier vor der Loiremündung zeigen lässt, kamen die Batterie- und Kompaniechefs nicht nur von Marinebasen in Westfrankreich, sondern auch aus Garnisonen im Deutschen Reich: Oberleutnant (MA) Hermann Cramm erhielt im April seine Kommandierung von der Marine-Flak-Abteilung 807 in Lorient zu der neu aufzustellenden Abteilung. Kapitänleutnant Bruno von Schmidt wurde von der 10.Schiffsstamm-Abteilung (10.S.St.A.) in Wesermünde, wo er als Kompanieoffizier tätig gewesen war, an die Loiremündung in Marsch gesetzt. Oberleutnant (MA) Werner Grässle kam Ende April gleichfalls als Kompaniechef nach Noirmoutier.5
Zuvor hatten seit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion bereits einige hundert Marinesoldaten an der Ostfront im Erdkampfeinsatz gestanden. Zunächst waren der Heeresgruppe Nord zwei Marine-Stoßtrupp-Abteilungen für die Verwendung in der Landfront an der Ostseeküste unterstellt worden. Später kamen weitere bataillonsstarke Verbände der Marineartillerie dazu. Die Marine-Stoßtrupp-Abteilung 'von Diest' war bald umbenannt worden in Marine-Artillerie-Abteilung 531 (M.A.A. 531). Ihre Offiziere und Unteroffiziere hatten eine gründliche Ausbildung für den Infanteriekampf durchgemacht, und sie waren in ihrer Kampfkraft den Infanterieverbänden des Heeres annähernd gleichwertig. Bei der blutigen Eroberung von Libau Ende Juni 1941 hatten diese Einheiten schwere Verluste erlitten. Beide Kommandeure waren gefallen.6
Vom Herbst 1942 an wurden in die Landfront in Russland jedoch mehr und mehr auch Wach- und Hafenkompanien eingegliedert, die lediglich über notdürftige Fähigkeiten für den Infanteriekampf verfügten. Zahlreiche Gefallene waren der Preis. Diese aus der Not geborene Maßnahme wurde durch die sowjetische Gegenoffensive im Südabschnitt der Ostfront ausgelöst und stellte auf Seiten der deutschen Marine eine Wende zu Behelfslösungen dar. Nicht nur an der Küste von Schwarzem Meer und Asowschem Meer, sondern auch im küstennahen Binnenland zwischen Don und Dnjepr wurden von nun an Soldaten der Kriegsmarine für Erdkampfaufgaben geopfert. Bei Maikop am Schwarzen Meer kamen drei Hafenkompanien zum Infanterieeinsatz, wurden schwer angeschlagen und im Januar/Februar 1943 aufgelöst. Weitere Hafenkompanien wurden bei der Abwehr russischer Seelandungen zeitweise in die Landfront des Heeres eingefügt und erlitten schwerste Verluste.
Als die Rote Armee im Spätsommer 1943 am Südflügel der Heeresgruppe Süd zur Gegenoffensive überging, wurden bald auch Marineeinheiten in die Kämpfe verwickelt. Nachdem Anfang September 1943 bei Jalta auf der Krim ein Landungsversuch schwacher sowjetischer Kräfte unter Einsatz der...
Erscheint lt. Verlag | 13.5.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
ISBN-10 | 3-7519-6387-1 / 3751963871 |
ISBN-13 | 978-3-7519-6387-9 / 9783751963879 |
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