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Das Lemming-Prinzip (eBook)

Wie unser Hang zu Konformität Extremismus fördert, kritisches Denken unterdrückt und unsere Freiheit bedroht
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
200 Seiten
FinanzBuch Verlag
9783960926405 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Lemming-Prinzip -  Cass R. Sunstein
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Wir leben in Zeiten der Polarisierung und sozialen Spaltung. Menschen nach Religion, Ethnie und Geschlecht zu trennen scheint wieder legitim. Wie ist das geschehen? Cass R. Sunstein sieht die Erklärung im Phänomen der Konformität - doch wieso laufen wir oft wie Lemminge unseren Mitmenschen hinterher? Sunstein zeigt, welchen Schaden eine Gesellschaft nimmt, wenn der Einzelne seinen moralischen Instinkt unterdrückt. Nur wenn wir Andersdenkende und individuelle Stimmen akzeptieren, statt sie als egoistische Individualisten zu sehen, können wir uns langfristig auf Demokratie und Freiheit verlassen und uns vor Extremismus schützen.

Cass R. Sunstein ist Professor in Harvard sowie Gründer und Direktor des Programms für Verhaltensökonomie und öffentliche Politik an der Harvard Law School. 2018 erhielt er von der norwegischen Regierung den Holberg-Preis.Sunstein war im Weißen Haus und dem Pentagon tätig und hat unter anderem UN-Beamte, Mitglieder der Europäischen Kommission und der Weltbank beraten.

Cass R. Sunstein ist Professor in Harvard sowie Gründer und Direktor des Programms für Verhaltensökonomie und öffentliche Politik an der Harvard Law School. 2018 erhielt er von der norwegischen Regierung den Holberg-Preis.Sunstein war im Weißen Haus und dem Pentagon tätig und hat unter anderem UN-Beamte, Mitglieder der Europäischen Kommission und der Weltbank beraten.

Einleitung:
DIE MACHT SOZIALER EINFLÜSSE


Wie beeinflussen sich Menschen gegenseitig? Welche gesellschaftliche Funktion erfüllen Andersdenkende, Querulanten, Sonderlinge und Skeptiker? Welche Auswirkungen haben die Antworten auf diese Fragen auf die gesellschaftliche Stabilität, auf die Entstehung von Bewegungen in der Gesellschaft, auf Recht und Politik und auf die Gestaltung privatwirtschaftlicher und öffentlicher Institutionen? Hier drei Anhaltspunkte zur Orientierung.

1. Vor ein paar Jahren wurde eine Reihe von Bürgern aus zwei verschiedenen Städten in kleine Gruppen zusammengefasst, die in der Regel aus sechs Personen bestanden.1 Die Gruppen sollten sich mit drei der umstrittensten Fragen ihrer Zeit auseinandersetzen: Klimawandel, positive Diskriminierung und gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Bei den beiden Städten handelte es sich um Boulder – bekannt für seine überwiegend linkslastigen Wähler – und Colorado Springs, wo nachweislich mehrheitlich konservativ gewählt wird. Die teilnehmenden Bürger wurden zunächst aufgefordert, ihre Ansichten jeder für sich anonym aufzuzeichnen und dann gemeinsam zu beratschlagen, um in der Gruppe zu einer Entscheidung zu finden. Im Anschluss sollten die einzelnen Teilnehmer wieder jeder für sich anonym festhalten, wie er nach der Beratung über diese Fragen dachte. Was, meinen Sie, ist wohl passiert?

Infolge des Gruppengesprächs haben sich die Menschen aus Boulder in allen drei Fragen nach links bewegt. Die Leute aus Colorado Springs dagegen äußerten sich nach der Beratung deutlich konservativer. Die Diskussion in der Gruppe hatte den Effekt, dass sich die Meinungen der Einzelnen tendenziell extremisierten. »Gruppenurteile« zum Klimawandel, zur positiven Diskriminierung und zu gleichgeschlechtlichen Verbindungen fielen extremer aus als die durchschnittlichen Ansichten der einzelnen Gruppenmitglieder vor der Diskussion. Auch die anonymen Stellungnahmen der einzelnen Mitglieder waren nach der Besprechung extremer als zuvor.

Das Gruppengespräch ließ die Differenzen zwischen den Bürgern von Boulder und den Einwohnern von Colorado Springs also deutlich stärker zutage treten. Davor gab es bei Einzelnen aus beiden Städten noch erhebliche Überschneidungen, danach waren diese sichtlich geringer. Die Kluft zwischen Liberalen und Konservativen war größer geworden. Sie bewegten sich allmählich in vollkommen eigenen politischen Welten.

2. Ganz normale Bürger wurden gebeten, sich einzeln dazu zu äußern, wie streng ein Delinquent für ein bestimmtes Fehlverhalten bestraft werden sollte.2 Ihre Antworten sollten auf einer Skala von 0 bis 8 eingeordnet werden, wobei 0 für Straflosigkeit stand und 8 für eine »extrem schwere« Strafe. Nachdem alle Befragten ihr persönliches Urteil abgegeben hatten, wurden sie in sechsköpfige Jurys eingeteilt, die sich beraten und dann ein einstimmiges Urteil fällen sollten. Traten die einzelnen Jurymitglieder für eine milde Bestrafung ein, neigten die Jurys zu mehr Nachsicht. Das hieß, ihre Einstufung fiel systematisch niedriger aus als der Median der einzelnen Mitglieder, bevor sie miteinander gesprochen hatten. Anders formuliert: Die Jurys urteilten nachsichtiger als der Median ihrer Mitglieder vor der Beratung.

Befürworteten die einzelnen Jurymitglieder dagegen eine schwere Strafe, urteilte die Gruppe insgesamt härter. Das hieß, die Einstufung fiel systematisch höher aus als das Median-Rating der einzelnen Mitglieder vor der Beratung. Jurys urteilen nach der Beratung also tendenziell strenger als ihr eigener Median. In welche Richtung und wie sehr sich das Urteil veränderte, richtete sich nach dem Median-Rating der Einzeljuroren. Hatten diese eingangs nachsichtig geurteilt, wurden sie als Gruppe noch nachsichtiger. War das Urteil der einzelnen Jurymitglieder bereits harsch ausgefallen, verstärkte sich diese Tendenz in der Gruppe noch. Dabei ist vor allem die folgende Feststellung interessant: Sind einzelne Mitglieder einer Gruppe empört, ist die ganze Gruppe am Ende noch empörter.

3. In den Vereinigten Staaten wurde eine große Zahl von Gerichtsurteilen und -entscheidungen daraufhin untersucht, ob sich Richter an US-Appellationsgerichten in einem dreiköpfigen Senat von ihren Kollegen beeinflussen lassen.3 Nun möchte man meinen, dass Richter nach ihrer juristischen Einschätzung entscheiden und sich nicht von Konformitätsdruck leiten lassen – doch weit gefehlt.

Ein von einer republikanischen Regierung ernannter Richter, der mit zwei von republikanischen Präsidenten berufenen Kollegen tagt, urteilt mit höherer Wahrscheinlichkeit stereotyp konservativ in Fällen, die Bürgerrechte, sexuelle Belästigung, Umweltschutz und viele andere Aspekte berühren. Noch erstaunlicher ist womöglich, dass ein von den Demokraten berufener Richter mit zwei republikanischen Kollegen ebenfalls mit höherer Wahrscheinlichkeit stereotyp konservativer entscheidet. Und wenn drei von republikanischer Seite berufene Richter gemeinsam tagen, passiert etwas Bedeutungsvolles: Die Wahrscheinlichkeit eines stereotyp konservativen Urteils steigt sprunghaft. Bei von demokratischen Präsidenten ernannten Richtern zeigt sich ein ähnliches Muster. Ein Senat aus drei solchen Richtern urteilt höchstwahrscheinlich stereotyp liberaler.

Kurz, wie von Demokraten beziehungsweise von Republikanern ernannte Richter urteilen, hängt stark davon ab, ob einer oder beide Senatskollegen von Präsidenten berufen wurden, die ebenfalls der jeweiligen Partei angehören. Es zeigt sich ganz klar ein Konformitätsmuster: Demokratische Richter mit republikanischen Senatskollegen urteilen oft wie republikanische Richter und republikanische Richter mit demokratischen Senatskollegen wie demokratische Richter.

Konformität ist für uns alle oft ein durchaus vernünftiges Vorgehen, doch wenn wir uns ausnahmslos (oder zumindest mehrheitlich) konform verhalten, kann es passieren, dass die Gesellschaft am Ende schlimme Fehler begeht. Ein Grund für Konformität ist, dass uns oft eigene Informationen fehlen – über Gesundheit, Investments, Recht und Politik – und die Entscheidungen anderer die besten verfügbaren Informationen darüber darstellen, was zu tun ist. Das Kernproblem: Verbreitete Konformität beraubt die Öffentlichkeit notwendiger Informationen. Konformisten gelten häufig als Wahrer gesellschaftlicher Interessen, die der Gruppe zuliebe ihren Mund halten, während Andersdenkende in aller Regel als egoistische Individualisten wahrgenommen werden, die eigene Absichten verfolgen. Dabei trifft in ganz wesentlicher Hinsicht das Gegenteil viel eher zu. In vielen Situationen profitieren die anderen von den Abweichlern, während die Konformisten nur sich selbst nützen.

In einer funktionierenden Demokratie verringern Institutionen die mit Konformität einhergehenden Gefahren – unter anderem, weil sie dafür sorgen, dass Konformisten von Andersdenken erfahren und lernen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Informationen eruiert werden, was allen Beteiligten zugutekommt. Ein hochrangiger Amtsträger im Zweiten Weltkrieg schrieb die Erfolge der Alliierten und die Niederlage Hitlers und der übrigen Achsenmächte dem Umstand zu, dass Bürger von Demokratien besser kritisch bewerten und widersprechen und dadurch bisherige und geplante Vorgehensweisen optimieren können – auch im Zusammenhang mit Militäreinsätzen.4 Kritische Prüfung und Widerspruch wurden möglich, weil Skeptiker nicht strafrechtlich verfolgt wurden und die informelle Strafe in Form des gesellschaftlichen Drucks vergleichsweise gering war.

Im Zusammenhang mit dieser These behaupte ich, dass tieferer Einblick in Gruppeneinflüsse und ihre potenziell schädlichen Effekte ein neues Licht auf viele verschiedene Themen wirft, zum Beispiel: die Beschaffenheit gut funktionierender konstitutioneller Strukturen, Extremismus, die Popularität des Autoritarismus, die Bedeutung der Gewaltenteilung, das »Echokammer«-Problem, die Grundvoraussetzungen für ein System der Meinungsfreiheit, die prägenden Merkmale liberaler politischer Ordnungen, die Laster und Tugenden der modernen sozialen Medien, die Funktionen des Zweikammersystems, die einschränkenden Effekte gesellschaftlicher Normen, die Ursachen von interethnischen Anfeindungen und politischem Radikalismus, die Bedeutung von Bürgerrechten in Kriegszeiten und Zeiten der gesellschaftlichen Ängste und Hexenjagden, die Leistung der Gerichte, die Auswirkungen von Diversität auf die US-amerikanischen Bundesgerichte, positive Diskriminierung in der Hochschulbildung sowie die potenziell enormen Konsequenzen von Gesetzen, selbst wenn diese nie vollstreckt werden.

Ich fokussiere dabei durchgehend zwei Einflüsse auf die Überzeugungen und das Verhalten Einzelner: Der erste hängt mit den Informationen zusammen, die durch die Handlungen und Äußerungen anderer übermittelt werden. Hält eine Reihe von Menschen eine bestimmte Behauptung für wahr, besteht Grund zu der Annahme, dass sie auch wirklich wahr ist. Was wir über Fakten,...

Erscheint lt. Verlag 8.11.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aus der Reihe tanzen • Bestseller • Cass R. Sunstein • Cass Sunstein • conformity • Das Lemming-Prinzip • Einzelgänger • Gesellschaft • Gesellschaftspsychologie • Gleichförmigkeit • Gruppendynamik • Gruppenzwang • Herdentrieb • Inividualität • Konformität • Lemming • Lemminge • Lemmings • Nudge • Psychologie • Schafe • Schafherde • Soziale Spaltung • Soziologie • Sunstein
ISBN-13 9783960926405 / 9783960926405
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