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Der Wert der Geschichte (eBook)

Zehn Lektionen für die Gegenwart
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
304 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-25430-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Wert der Geschichte -  Magnus Brechtken
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Aus der Geschichte lernen: Was sie uns für unsere Zukunft lehrt!
Einer der führenden deutschen Historiker öffnet uns die Augen: In seiner fulminanten Tour durch die Geschichte zeigt Bestsellerautor Magnus Brechtken an vielen Beispielen, wie Freiheit und Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Teilhabe erkämpft wurden - und warum diese Errungenschaften, die wir oft allzu selbstverständlich nehmen, heute auf dem Spiel stehen, durch Verschwörungstheorien, Nationalisten und Populisten von rechts wie links. Dabei zeigt sich, dass wir die Zukunft nur gestalten können, wenn wir die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen.

Magnus Brechtken, geboren 1964, wurde an der Universität Bonn im Fach Geschichte promoviert und lehrte an den Universitäten Bayreuth, München und Nottingham. Seit 2012 ist er stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und Professor an der Universität München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen der Nationalsozialismus, die Geschichte der internationalen Beziehungen und die historische Wirkung politischer Memoiren. 2017 erschien sein Buch »Albert Speer. Eine deutsche Karriere«, das mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis ausgezeichnet und zum Bestseller wurde.

Mut zur Geschichte!

Wer im Jahr 2020 mit entzündetem Blinddarm zum Arzt geht, darf erwarten, dass dieser sein neuestes, in Jahren erprobtes Wissen anwendet, die korrekte Diagnose stellt und einen Termin in der Chirurgie arrangiert. Dort wird die diensthabende Chirurgin den Befund prüfen und höchstwahrscheinlich den Eingriff vornehmen. Der Patient wird mit getesteten Medikamenten versorgt und kann nach einigen Tagen das Krankenhaus verlassen. Wenn er sich dort per Smartphone ein Taxi ruft, erwartet er ohne Zögern, dass dessen Bremsen funktionieren und andere Autofahrer sich an die Verkehrsregeln halten.

Er geht davon aus, dass er beim Passieren der Stadtteilgrenzen keinen Zoll entrichten muss und die Brücke, die er überquert, von Ingenieuren so berechnet ist, dass sie beim Befahren nicht einstürzt. Zu Hause angekommen, wird er annehmen, dass seine über Tage ungenutzte Wohnung noch immer ihm gehört und nicht von anderen Menschen bevölkert ist. Er mag sich dann im Kühlschrank mit Lebensmitteln bedienen, die noch immer bedenkenlos essbar sind und sich in ein frisch bezogenes, sauberes Bett legen, das – frei von Krabbeltieren – ihm allein zur Ruhe dient.

All dies ist heute so selbstverständlich, dass wir über die zugrundeliegenden Prinzipien kaum nachdenken: etwa, dass der Arzt eine Diagnose stellt, die auf wissenschaftlichen Analysen und jahrzehntelanger Erfahrung gründet. Wie würde unser Patient reagieren, wenn der Mediziner stattdessen ein Huhn schlachten und in dessen Eingeweiden nach der Erklärung für die Bauchschmerzen fahnden würde? In der Chirurgie eingetroffen, wäre der Patient wohl irritiert, wenn die diensthabende Ärztin, statt in keimfreier Umgebung sorgfältig präparierte Instrumente zu führen, im Jogginganzug ein Küchenmesser aus der Schublade zöge. In Lebensgefahr könnte unser Patient vielleicht noch mit letzter Kraft darüber staunen, dass sich die Pflegekräfte zum Gebet versammeln, statt ihm Antibiotika zu verabreichen.

Uns erscheint diese Szenerie grotesk, weil unsere Erwartungen auf der Erfahrung von rationalen Fakten gründen. Wir können erwarten, dass den Verhaltensweisen erprobte Erkenntnisse und Überlegungen zugrunde liegen, die von allen Beteiligten dem Prinzip nach geteilt werden. Wir können darauf vertrauen, dass all diese Handlungen auf Wissen beruhen, das sich über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte angesammelt hat.

Ein Kühlschrank, ein Operationssaal, ein Smartphone als Produkte des Erfahrungswissens in Physik, Chemie, Elektronik und Informatik – dies können wir im Alltag verstehen. Wir sehen und erleben wie selbstverständlich deren Nutzen und Wirkung. Nennen wir diesen Bereich der Einfachheit halber die harte Welt.

Merkwürdig ist, dass das Lernen aus der Vergangenheit in der harten Welt der Medizin oder des Ingenieurswesens für uns ganz selbstverständlich und alltäglich ist, während wir in der weichen Welt des menschlichen Zusammenlebens – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – immer wieder feststellen, dass Menschen in Haltungen und Handlungsweisen zurückfallen, die einer Blinddarmoperation mit dem Küchenmesser gleichen.

Dabei gibt es wie beim Smartphone in der harten Welt auch in der weichen Welt einen Fortschritt unseres Wissens und Produkte langer Erfahrung – den Rechtsstaat, die repräsentative Demokratie oder die offene, solidarische Gesellschaft, um nur drei zu nennen. Sie sind nicht so leicht mit den Händen zu greifen. Aber auch sie können wir erkennen und verstehen.

Wenn wir die Geschichte betrachten, steht uns ein riesiger Fundus an Erfahrung und Wissen zur Verfügung. Das gilt zum Beispiel für das Bild vom Menschen, der sich über viele tausend Jahre entwickelt hat. Oder für die Formen seines Zusammenlebens in Familie und Gesellschaft.

Wir können wissen, wie unsere Vorfahren gelebt haben, kennen ihre Essgewohnheiten und ihre Kleidung, ihren Lebensalltag und ihre Weltsicht. Auch für unser Handeln in Politik und Wirtschaft, das Verhältnis der Geschlechter und unsere Erkenntnisse in der Philosophie, unser Verständnis für Literatur, Musik oder die bildenden Künste steht uns das Wissen aus Jahrtausenden zur Verfügung.

Wir können heute wissen, welche Konsequenzen sich aus ideologischen Konstruktionen für das menschliche Zusammenleben ergeben und welche Folgen für unseren Alltag und für die Gesellschaft bestimmte politische oder ökonomische Regeln und Entscheidungen mit sich bringen. Denn wir haben im Rückblick über die Jahrhunderte nahezu alle Varianten menschlichen Handelns vor Augen.

Dabei sind die Entwicklungsstufen in der Geschichte nicht ganz so offensichtlich wie der technische Fortschritt beim Griff zum Smartphone, der Fahrt mit dem Auto oder dem Flug in den Urlaub. Das ist wenig überraschend. Um im Bild zu bleiben: Wer sein Smartphone benutzt, muss nicht alle wissenschaftlichen Formeln der harten Welt kennen, nach denen es funktioniert. Ihm genügt die praktische Anwendung.

In der großen weichen Welt von Politik und Gesellschaft ist die Sache komplizierter. Denn durch unser Handeln verändern wir Menschen diese Welt permanent, ob wir wollen oder nicht. Wir können uns rational verhalten. Doch drängen unsere irrationalen Leidenschaften und Gefühle immer wieder in unser Handeln hinein. Sie zu kontrollieren ist für uns eine ständige Herausforderung. Aber wir können mit ihr umgehen, wenn wir es wollen. Und wir können aus der Geschichte lernen, wie dies möglich ist. Das gilt für jeden Einzelnen. Aber erst recht gilt es für die Gemeinschaft.

Wenn wir die Geschichte betrachten, können wir verstehen, wie sich Rationalität, Aufklärung und Vernunft als Prinzipien des Fortschritts erwiesen haben. Demokratie, Rechtsstaat und Parlamentarismus, Gleichberechtigung der Geschlechter und politische Teilhabe aller Menschen – sie alle sind das Äquivalent technischer Errungenschaften der harten Welt. Die Fortschritte der weichen Welt haben vielen Menschen überhaupt erst ermöglicht, sich als freie Wesen zu erkennen und selbstbestimmt zu handeln. Und nicht zuletzt schaffen sie die Voraussetzung für die Freiheit, die wir heute genießen dürfen.

Wir leben in beiden Welten und müssen uns um beide kümmern. In der harten Welt erscheint uns das selbstverständlich: Die Forschung in Medizin oder Physik schreitet täglich voran. In der weichen Welt dagegen müssen wir feststellen, dass nicht wenige Prinzipien des Fortschritts, die das Fundament unser freiheitlichen Ordnung bilden, immer wieder in Frage gestellt werden.

Das Aufkommen des Populismus, die Wiedergeburt des Nationalismus, der Einfluss des Religiösen auf die Politik und ein offenbar wachsendes Bedürfnis nach autoritärer politischer Führung, sie alle fordern Prinzipien unser freiheitlichen Ordnung massiv heraus – die repräsentative parlamentarische Demokratie, die Freiheitsrechte des Einzelnen, das Prinzip der Gewaltenteilung, die Verständigung auf den rational begründeten Diskurs, die Akzeptanz ethischer Standards im Umgang miteinander und den Respekt gegenüber anderen Menschen, um nur einige zu nennen.

Im weltweiten Vergleich leben die meisten Europäer seit vielen Jahrzehnten auf einer Insel der Freiheit und des materiellen Wohlstands, die historisch beispiellos ist. Wer im Jahr 2020 lebt, kann auf ein Dreivierteljahrhundert ohne Krieg und gewaltsame Konfrontation zwischen Völkern und Staaten zurückblicken. Keiner unserer Vorfahren war jemals in dieser glücklichen Lage. Es gibt historische Gründe, warum das so ist. Und es gibt historische Erkenntnisse, warum diese Errungenschaften bedroht sind.

Derzeit scheint es, als sei das Bewusstsein für die historischen Erfolge von Demokratie und Parlamentarismus, Marktwirtschaft und Sozialstaat, für die offene Gesellschaft oder das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bei vielen Bürgern verblasst. Deshalb sollten bestimmte Werte, Errungenschaften, Begriffe und Regeln immer wieder in Erinnerung gerufen werden, die uns möglicherweise allzu selbstverständlich erscheinen. Und bei vielen Menschen wächst das Gefühl, dass diese Errungenschaften aktiv verteidigt werden müssen.

Dies ist der besondere Wert der Geschichte: dass wir erkennen können, welche Entwicklung der Mensch als selbstständiges Wesen und die Menschheit als Ganzes in den vergangenen 250 Jahren und vor allem in den vergangenen 70 Jahren vollzogen hat – auch als Folge der Aufklärung und des Lerneffekts aus historischer Erfahrung.

Dieser Lerneffekt betrifft alle Lebensbereiche: politisch durch fortschreitende Demokratisierung und Parlamentarisierung; gesellschaftlich durch die Partizipation immer größerer Bevölkerungsgruppen und die Entwicklung des modernen Sozialstaats; wirtschaftlich mit der fortschreitenden Durchsetzung der Marktwirtschaft als Prosperitätsmotor; international mit der Bildung multilateraler Institutionen und dem Rückgang kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen jenen Staaten, die durch Demokratisierung, Parlamentsherrschaft und Rechtsstaatlichkeit geprägt sind; schließlich wissenschaftlich und technisch in nahezu allen Bereichen des Lebens.

An vielen Beispielen werde ich in diesem Buch zeigen, wie sich bestimmte Errungenschaften, Regeln und Werte im Verlauf der Geschichte entwickelt haben, die heute die Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung bilden. Es geht um zentrale Bereiche der weichen Welt: die Frage nach dem Menschenbild, das unseren Vorstellungen zugrunde liegt; den Einfluss von Religionen; die Bedeutung der Geschlechterverhältnisse; den Wert politischer Partizipation; die historische Wirkung von Nationalismus und die Lehren, die wir daraus ziehen können, die wiederum eng verbunden sind mit der Geschichte von Krieg und Frieden und den Grundlagen...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Autonomie • eBooks • Fake News • Freiheit • Geschichtsvergessenheit • Hans Rosling • liberale Werte • Nationalismus • Populismus • Rechtspopulismus • Selbstbestimmung • Steven Pinker • Yuval Noah Harari
ISBN-10 3-641-25430-2 / 3641254302
ISBN-13 978-3-641-25430-8 / 9783641254308
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