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Lehrer über dem Limit -  Ingrid Freimuth

Lehrer über dem Limit (eBook)

Warum die Integration scheitert
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
240 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
9783958902169 (ISBN)
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'Integration kann nicht gelingen, solange von Staat und Pädagogik die in unterschiedlichen Kulturen verschieden ausgeprägten Rangordnungsstrukturen negiert werden, die sich besonders auf schulisches Lernen negativ auswirken - von der Weigerung, im Unterricht mitzuarbeiten, bis hin zu völlig inakzeptabel aggressivem Verhalten', sagt Ingrid Freimuth. Nach über 40 Jahren pädagogischer Tätigkeit kommt sie zu dem Schluss, dass rangordnungsorientierte Schülerinnen und Schüler nur dann Lernbereitschaft und positives Sozialverhalten entwickeln können, wenn ihnen verbindliche Regeln vorgegeben werden und wenn den Pädagogen wirksame Sanktionen zur Verfügung stehen, um diese auch durchzusetzen. Ihr Vorwurf: 'Durch schulische und sozialstaatliche Förderung verschuldet Vater Staat bei vielen Schülern aller Altersstufen ein Abdriften in Passivität und Versorgungserwartung.' Ingrid Freimuth schildert Begebenheiten aus ihrem schulischen, außerschulischen und förderpädagogischen Alltag, auch in der Erwachsenenbildung (Deutsch als Zweitsprache). Die pädagogische Zielsetzung, neben der Vermittlung von Unterrichtsinhalten auch Hilfestellung zu positiver Persönlichkeitsentwicklung der ihnen anvertrauten Menschen zu leisten, können Unterrichtende ihrer Ansicht nach nur dann erreichen, wenn die Politik die durch die zahlreichen Migranten veränderten Verhältnisse anerkennt und entsprechend handelt - statt 'Unterrichtende mit der Lösung von Problemen zu beauftragen, die erst durch politische Entscheidungen oder auch Entscheidungsvermeidungen entstehen konnten'.

Ingrid Freimuth, geb. 1946 in Melsungen, Diplom-Pädagogin, studierte Lehramt für Sekundarstufe I, arbeitete anschließend als Lehrerin an einer Integrierten Gesamtschule und war gleichzeitig als Ausbilderin in der Lehrerausbildung am Studienseminar Groß- Gerau tätig. Sie unterrichtete an Haupt- und Realschulen in Frankfurt/Main und arbeitete ab 1989 zusätzlich als Kommunikationstrainerin in der hessischen Lehrerfortbildung, wo sie u.a. mit Lehrerkollegien aller Schularten pädagogische Tage plante und durchführte. Zuletzt gab sie Einzelunterricht für Schülerinnen in der sozialpädagogischen Lernhilfe und hielt Kurse an der Volkshochschule im Bereich 'Deutsch als Zweitsprache'.

Ingrid Freimuth, geb. 1946 in Melsungen, Diplom-Pädagogin, studierte Lehramt für Sekundarstufe I, arbeitete anschließend als Lehrerin an einer Integrierten Gesamtschule und war gleichzeitig als Ausbilderin in der Lehrerausbildung am Studienseminar Groß- Gerau tätig. Sie unterrichtete an Haupt- und Realschulen in Frankfurt/Main und arbeitete ab 1989 zusätzlich als Kommunikationstrainerin in der hessischen Lehrerfortbildung, wo sie u.a. mit Lehrerkollegien aller Schularten pädagogische Tage plante und durchführte. Zuletzt gab sie Einzelunterricht für Schülerinnen in der sozialpädagogischen Lernhilfe und hielt Kurse an der Volkshochschule im Bereich "Deutsch als Zweitsprache".

TOD EINES LEHRERS


Im September 1999 starb mein Kollege Klaus Dieter einfach so, als er gerade mal 47 Jahre alt war. Er kam nachmittags aus der Schule nach Hause, setzte sich aufs Sofa und sank tot zur Seite.

Der Rettungswagen, den seine Frau gerufen hatte, stand noch vor dem Haus, als ich dazukam. Auch ein Polizeiwagen. Blaulichter durchblitzten die Dunkelheit des frühen Abends. Im Flur der Wohnung zwei uniformierte Polizisten, später noch zwei Kripobeamte in Zivil, taktvoll, freundlich. In Deutschland wird beim plötzlichen Tod eines jüngeren Menschen automatisch die Polizei eingeschaltet. Sie muss untersuchen, ob es sich um Mord oder natürliches Ableben handelt. Auch muss der Tote obduziert werden.

Klaus Dieters gemütliche Wohnung ein Tatort? Eher doch: Tatort schulische Arbeitsbedingungen. Aber die kommen bislang nicht zur Anklage.

Klaus Dieter lag rücklings mit nacktem Oberkörper auf dem Wohnzimmerteppich, einige Hemdknöpfchen um sich verteilt, die wohl bei dem vergeblichen Versuch, ihn zu reanimieren, abgerissen waren. Klaus Dieter sah sehr blass aus, ernst und konzentriert, als dächte er mit geschlossenen Augen nach, wie er es auch im Leben manchmal getan hatte. Bis dahin hatte ich ihn nur als Aufrechten wahrgenommen. Nicht nur äußerlich, sondern auch in seiner Gesinnung.

Er hatte im Lehrerzimmer immer am gleichen Platz gesessen, absichtlich in größter Entfernung von der Gruppierung der pädagogischen Betonköpfe, die zwar formaljuristisch überwiegend korrekt ihre Arbeit taten, die sich aber erkennbar keine Gedanken darüber machen wollten, wie Schule zu einem allen Schülern förderlichen, lebendigen Ort werden könnte. Solchen Kollegen begegnete ich während meiner Tätigkeit in der Lehrerfortbildung an vielen Schulen, einzeln oder in Gruppen. Ihr enger Blick aufs Leben blendet alles aus, was ihnen nicht ins Schema passt, und sie verschanzen sich hinter dem Begriff »Sachzwang«, um kreatives, eigenverantwortliches Handeln zu meiden. Zu liebevollem Mitfühlen sind sie nicht begabt und unterkühlen dadurch ihre Umgebung.

Sie reden meistens zu laut und sind unangenehm distanzlos: Ihre Nasenspitze beinahe an deine Nasenspitze gedrückt, schreien sie auf dich ein. Wenn es dir gelingt, den Nasenabstand zu vergrößern, stechen sie gestikulierend mit ihren Zeigefingern Löcher in deine Aura und versuchen weiterhin, dich durch Lautstärke zu lähmen. Vielleicht ist ihre Einstellung die richtige, denn sie sterben selten an Herzinfarkt.

Klaus Dieter gehörte zu den Leisen, Nachdenklichen, Gutmeinenden. Wir konnten zusammen lachen, aber im Lauf der Zeit war er immer sarkastischer geworden. Wir glaubten anfangs beide an die unbedingte Gültigkeit reformpädagogischer Grundsätze: Gruppentische statt Frontalunterricht, Schülerselbstständigkeit statt lehrerzentrierte Unterweisung, Schüler motivieren statt manipulieren, freiheitliche Gleichberechtigung statt autoritärer Zwang.

Nur einmal im Pausenhof sah ich ihn, den Aufrechten, kurz in der Horizontalen. Er hatte mit mir neben der Bepflanzung am Rand des Schulhofs gestanden, ins Gespräch vertieft, als mit grellem Gekreisch einige südländische Mädchen auf uns zurannten. Sie liefen nebeneinander in einer lockeren Reihe und verfolgten eine Mitschülerin. Diese Mädchen aus dem 9. Schuljahr schlugen genauso rücksichtslos und brutal drauf wie die gleichaltrigen Jungen, und sie waren gewiss nicht der Anlass zu Veranstaltungsreihen der Lehrerfortbildung im Bereich: »Benachteiligung von Mädchen in koedukativen Lerngruppen«. Sie sahen uns durchaus da stehen, waren aber zu respektlos (und einige vermutlich auch zu dick), um abzustoppen, und rannten Klaus Dieter einfach um. Er fiel vornüber ins Gebüsch, rappelte sich mit meiner Unterstützung wieder in die Aufrechte, klopfte sich welke Blätter und Erde vom Anorak, während ich mich über diese unverschämten Mädchen ereiferte.

Damals bereits ziemlich am Ende meiner Nervenkraft, wollte ich meinen gedemütigten Kollegen gerächt sehen, wollte die Gewalttäterinnen erst bestraft und dann noch gut erzogen wissen. Das war ja wohl das Letzte, dass sie einen Lehrer einfach umrannten, während sie ihm und mir dabei in die Augen sahen. Selbstverständlich hätten sie noch Gelegenheit zum Ausweichen gehabt. Aber zum Körpereinsatz rangordnungsorientierter Menschen gehört eben auch dies: keinen Millimeter der eigenen Richtung ändern – stattdessen andere zum Ausweichen nötigen. (Erst kurz zuvor hatte mich ein mir auf dem Bürgersteig in bodenlangem Hemd entgegenkommender alter Araber mit herrischen Gesten zur Seite scheuchen wollen, in der Bedeutung: Geh mir aus dem Weg, du niederes Wesen, dieser Bürgersteig ist der alleinige Platz für mich und meine Wichtigkeit. Allerdings reagierte er positiv, als ich ihm mit geschwenktem Zeigefinger »Nein« bedeutete und unbeirrt auf ihn zuging. Er lachte irgendwie anerkennend, als er ein wenig zur Seite wich, sodass wir problemlos aneinander vorbeikamen. Wir lächelten uns an, als wir unsere entgegengesetzten Wege fortsetzten.)1

Klaus Dieter winkte nur resigniert ab. »Du hast ja recht«, sagte er mit müder Stimme, »aber ich kann mich heute gar nicht aufregen. Ich nehme seit einiger Zeit Betablocker gegen hohen Blutdruck. Deren wunderbar beruhigende Wirkung will ich jetzt nicht durch Aktionen abschwächen, bei denen am Ende doch nichts herauskommt.«

Tage vor der Beerdigung zeigte mir sein Sohn den Grabplatz auf dem alten Friedhof im Ortsteil Fechenheim, den die trauernde Familie für Klaus Dieter ausgesucht hatte. Ein ruhiges, geschütztes Plätzchen war das, hell und erholsam, wie er es im Leben nicht hatte finden können. Wir saßen auf einer Friedhofsbank. Lichtflecken der Septembersonne huschten aus der Baumkrone über uns. Christian, Student für das Lehramt, dachte über seine eigene Zukunft nach.

»Ich studiere trotzdem zu Ende«, sagte er traurig, »obwohl ich glaube, dass der Beruf meinen Vater umgebracht hat. Ich werde von Anfang an darauf achten, mir meine Kräfte gesünder einzuteilen. Das Schlimme ist ja, dass wir in der Ausbildung nichts lernen, was uns auf die realen Schwierigkeiten des Berufs vorbereitet. Mein Vater hat doch immer alles aufgehoben. Als ich mit dem Lehrerstudium in Frankfurt anfing, konnte ich mir fast nahtlos alle Bücher von ihm ausleihen. Meine Professoren benutzen heute dieselbe Literatur, die mein Vater vor dreißig Jahren im Studium brauchte. Wahrscheinlich gibt es keine neueren Ansätze als die aus den Siebzigerjahren, nach der Studentenbewegung.«

Ich weinte leise. Klaus Dieter fehlte mir. »Es ist noch schlimmer«, schluchzte ich, »hinzu kommt, dass unsere Ausbildung vom politisch korrekten Wolkenkuckucksheim geprägt ist, in dem man davon ausgeht, dass aus jedem Schüler ein guter Schüler werden kann, wenn er nur von außen genug gefördert wird. Aber die Schüler sind doch keine Goldminen, deren Schätze allein durch äußere Einflüsse gehoben werden können; man muss doch auch ihre unterschiedlichen Kapazitäten sehen. Und ihren individuellen Willen, überhaupt etwas zu leisten! Es ist unerträglich, dass anscheinend niemand wissen will, was wir Lehrer jeden Tag in der Schule erleben. Wir haben mit Schülern zu tun, die wie wilde Wölfe um Rangordnungsplätze kämpfen; wir kriegen immer mehr ausländische Schüler in die Klassen, die total aggressiv die mittelalterlichen Wertvorstellungen ihrer Herkunftskulturen vertreten. Allein das ist nicht zu bewältigen, aber wir müssen nach außen so tun, als hätten wir alles im Griff.«

»Genau«, sagte Klaus Dieters Sohn, »Wolfsrudel ist ein guter Vergleich. Mein Vater hat diese Verlogenheit nicht ausgehalten, dass er nirgendwo sagen durfte, was wirklich los ist. Dass er hilflos mit dem Rücken zur Wand vor Schülern steht, die ihn nur dann respektieren, wenn er den Alphawolf gibt. Die es einen Scheiß interessiert, irgendwas zu lernen, deren Gehirne auch irgendwie anders funktionieren als die von den Schülern, die wir bisher kannten. Auf die man Druck ausüben muss, der in unserem System nicht ausgeübt werden darf. Und den mein Vater auch nicht ausüben wollte. Und dann die Kollegen, die so tun, als kämen sie zurecht, die es für eine Niederlage halten, wenn sie Schwierigkeiten zugeben. Und erst recht der unfähige Schulleiter! Meine Mutter hat in der Schule schon klargemacht, dass der sich von der Beerdigung fernhalten soll.«

Ein kleiner Sonnenfleck zitterte auf seinem blassen Gesicht und ließ die Tränenspur auf seiner Wange glitzern. In der Grabreihe vor uns wischte eine alte Frau liebevoll mit einem Papiertuch an einem marmornen Grabstein, der aus einem schmalen, efeubewachsenen Rechteck ragte.

»Ich habe so oft mit ihm darüber geredet, wie unerträglich es ist, dass wir aufpassen müssen, wem wir von unseren Erlebnissen in der Schule erzählen«, sagte ich und wunderte mich, wie zittrig meine Stimme klang. »Im Grunde kann man nur mit denen reden, die persönlichen Kontakt zu unserer Klientel haben, meistens...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bildungssystem • Deutschland • Insiderbericht • Integration • Pisa • Politik • Schule
ISBN-13 9783958902169 / 9783958902169
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