Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Mauern (eBook)

Die neue Abschottung und der Niedergang der Souveränität

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
250 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75726-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mauern - Wendy Brown
Systemvoraussetzungen
23,99 inkl. MwSt
(CHF 23,40)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Warum bauen immer mehr Staaten eine Mauer, wo doch zugleich im Zeichen von Globalisierung und digitaler Vernetzung seit Jahren eine Welt ohne Grenzen beschworen wird? Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown geht in ihrem preisgekrönten Buch dieser paradoxen Entwicklung auf den Grund.

Ein US-Präsident, der verspricht, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen; rechtspopulistische Parteien, die die »Festung Europa« gegen Flüchtlinge absichern wollen; gewaltige Mauerbauprojekte zwischen Israel und Palästina, Südafrika und Zimbabwe, Indien und Pakistan oder Irak und Saudi-Arabien: Eine neue Abschottung hat weltweit Konjunktur, obwohl das Ausmaß globaler Vernetzung es illusorisch erscheinen lässt, durch den simplen Bau einer Mauer die Probleme der Gegenwart lösen zu können. Diese neuen Mauern gleichen für Brown daher eher theatralischen Inszenierungen und sind Ausdruck eines Bedürfnisses nach Übersichtlichkeit und einfachen Lösungen in einer immer komplexer werdenden Welt. Sie markieren einen schmerzhaften Niedergang nationaler Souveränität.



<p>Wendy Brown, geboren 1955, ist Professor of Political Science an der University of California in Berkeley und eine der streitbarsten öffentlichen Intellektuellen der USA. Ihre Werke sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt.</p>

Wendy Brown, geboren 1955, ist Professor of Political Science an der University of California in Berkeley und eine der streitbarsten öffentlichen Intellektuellen der USA. Ihre Werke sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

7Vorwort zur Neuauflage


Vote Leave! Take Control.

– Motto der Brexit-Kampagne, 2016

Make America Great Again! Build a Wall!

– Motto der Trump-Wahlkampagne, 2016

Mut zu Deutschland.

– Motto der Alternative für Deutschland, 2015-2016

Als ich die Arbeit an Mauern. Die neue Abschottung und der Niedergang der Souveränität im Herbst 2009 abgeschlossen hatte, war die im Nachgang des Kalten Kriegs einsetzende Einmauerung von Nationalstaaten noch eine nur schwach ausgeprägte und in gewisser Weise einfach lästige Eigenheit der globalen Landschaft, die den überall stattfindenden Investitionen in die Vernetzung und Verbindung der Welt entgegenstand. Die Europäer feierten den zwanzigsten Jahrestag des Falls der Berliner Mauer und standen den offenen Binnengrenzen in Europa im Allgemeinen wohlwollend gegenüber. Die »Festung Europa« war im Wesentlichen eine linke abschätzige Bezeichnung für eine restriktive EU-Einwanderungspolitik gegenüber Nichteuropäern. Die Vereinigten Staaten rechneten mit dem Scheitern der kostspieligen Befestigung ihrer Südgrenze und bewegten sich auch sonst in Richtung einer parteiübergreifenden Unterstützung des Vorschlags, Millionen undokumentierten Einwohnern einen legalen Aufenthalts8status zu gewähren.1 Natürlich rangen Nationen überall auf der Welt mit ihrer Einwanderungspolitik, und in der euroatlantischen Welt tobten scharfe innenpolitische Debatten über Multikulturalismus, Assimilation und besonders über den Ort für religiöse Muslime im Westen. Die massenhafte Migration mittelamerikanischer Jugendlicher nach Nordamerika und syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge nach Europa waren aber immer noch weit entfernt und virulenter rassistischer, fremdenfeindlicher und nationalistischer Hass zum allergrößten Teil noch an die Ränder der politischen Diskussion und Propaganda verbannt, obwohl sie der Politik der Nationalstaaten durchaus ihren Stempel aufgedrückt hatten.

Wie anders erscheint die Landschaft doch jetzt, sieben Jahre später. Ein US-Präsident ist gerade dadurch an die Macht gekommen, dass er versprach, »eine Mauer zu bauen« und diejenigen ohne Papiere abzuschieben … ungeachtet der unvorstellbaren Kosten und der Ineffizienz des Vorhabens, entlang der fast zweitausend Meilen langen Grenze zu Mexiko eine Mauer zu ziehen, und trotz der Abhängigkeit der amerikanischen Wirtschaft von den Millionen illegal im Land lebenden billigen Arbeitskräften. Die Formel von der »Festung Europa« ist zum Schlachtruf einer erstarkenden europäischen Rechten geworden, und Mauern und Zäune sind aus dem Boden geschossen, um Flüchtlinge, die vor Krieg und Konflikten im Nahen Osten und Nordafrika fliehen, umzuleiten. Europa selbst zerfällt zusehends in ummauerte Nationalstaaten, da die Brexit-Wähler die schmale Zugbrücke hochgekurbelt haben, die Großbritannien mit dem Kontinent verband; weitere nationale Absagen an die immer brüchigere Union sind in naher Zukunft zu erwarten und vom Schengener Abkommen von 1985, das dazu geführt hat, dass sechsundzwanzig europäische Nationen ihre Grenzen zu den ande9ren Mitgliedsstaaten beseitigt haben, sind nur noch Fetzen übrig. Wir scheinen eine Epoche verstärkter nationalistischer Wiedereingrenzungen betreten zu haben, die von sich faktisch und bildlich einmauernden Nationalstaaten flankiert wird.2

Die diesem Buch ursprünglich zugrundeliegende Ausgangsfrage besteht allerdings nach wie vor: Warum physische Mauern im einundzwanzigsten Jahrhundert? Solche Bauwerke vermögen es kaum jemals, ihrer Abriegelungsfunktion zu genügen, und sie sind auch keine wirtschaftlich vernünftige und technisch effektive Antwort auf die schlimmsten Gefahren, die gegenwärtig über die Grenzen hinwegfließen oder politische Gemeinschaften bedrohen. Ob es um die Verhinderung von Terrorismus und Kriminalität oder die Durchsetzung einer rassifizierten Biopolitik geht: Andere Polizierungs-, Überwachungs- und Governancemaßnahmen sind billiger und effektiver. Sowohl Einzelpersonen als auch kleine Gruppen können unterwegs mit Überwachungstechnik und Patrouillen besser aufgespürt und umgeleitet werden als mit Mauern. Und große Wellen migrierender Menschen werden, ebenso wie alle anderen Flutwellen auch, Mauern und Dämme letztlich unweigerlich durchbrechen oder sie umfließen.3 Dazu kommt noch, dass die heutigen Mauern die kriminellen Schmuggler- und Schlepperindustrien, die Bandenherrschaft über Grenzgebiete und grenznah gelegene Ortschaften sowie Konflikte und Spannungen zwischen benachbarten Ländern oft dramatisch anheizen, wodurch sich neue Gefährdungen für die Souveränität der Nationalstaaten ergeben, die dadurch noch weiter ausgehöhlt wird. Trotzdem wird nach Mauern verlangt und trotzdem werden sie gebaut. Warum?

Machiavelli erinnert uns daran, dass Politik, auch und gerade die Realpolitik, immer sehr theatralisch ist, ein Schau10spiel von Gefahr und Erlösung, Macht und Möglichkeit, zu dem absichtliche Manipulationen von Raum und Zeit, Ursache und Wirkung gehören. Dieses Theater ist verschleiernd, ja, aber eben auch schöpferisch — das politische Theater ist nie bloßes Theater und auch nicht einfach nur Betrug. Vielmehr bildet die Theatralität den Rahmen für das politische Handeln und seine Interpretation, ebenso wie für politische Affekte, Zugehörigkeit und Identität. Theatralität ist daher eine intrinsische und keine extrinsische Eigenschaft der Politik, die folglich unmöglich eliminiert oder gar beim Versuch, die Wahrheit oder das Wesen einer politischen Entwicklung oder Handlung aufzuspüren, theoretisch herausgerechnet werden könnte. Die Mauern zu verstehen, die Nationalstaaten heute umgeben, setzt eine umfassende Anerkennung dieses charakteristischen Merkmals des politischen Lebens voraus.

Mauern. Die neue Abschottung und der Niedergang der Souveränität betrachtet den gegenwärtigen Bau von Mauern als dramatische Inszenierungen für die Bevölkerungen von Nationalstaaten, die von den globalen, Souveränität und Identität sowohl auf staatlicher als auch auf individueller Ebene bedrohenden Kräften besonders beunruhigt sind. Während Mauern rund um Nationalstaaten also historisch gesehen keineswegs neue Phänomene sind, besitzen sie in der Gegenwart doch eine einzigartige Funktion und Bedeutung, indem sie eine politische Souveränität inszenieren, die den staatlichen Institutionen von der Globalisierung entzogen wird und die eine sichtbare Demonstration jener Macht und jenes Schutzes darstellt, die die Staaten zunehmend weniger bereitstellen können. Diese Inszenierung schafft somit das Imaginarium einer stabilen und homogenen (und manchmal mit einem weißen Suprematismus gesäumten) nationalen Einheit, die durch den globalen Fluss von Kapital, Menschen, Finanzen, Ideen, 11Kulturen, Religionen, Gütern und Terrorismus ganz real zerfressen wird. Als politische Reaktionen auf das, was in einer globalisierten Welt psychologisch, wirtschaftlich und politisch nicht zu bewältigen ist, stellen Mauern eine spektakuläre Projektionsfläche für Phantasien von einer wiederhergestellten souveränen Macht und von nationaler Reinheit dar. Als Symbole einer solchen (Schutz-)Macht funktionieren sie bestens, selbst dann, wenn sie real versagen. Und selbst wenn sie Konflikte verschärfen und Probleme vergrößern, die vom organisierten Verbrechen über gesprengte Staatshaushalte bis hin zur Belastung von Ökosystemen reichen, führt dies nicht zu einem Verlust ihrer politischen Wirksamkeit.

Die Flut der nationalstaatlichen Mauerbauten nach dem Ende des Kalten Kriegs (als dieses Buch seine Erstauflage erlebte, waren es etwas über dreißig Mauern, die nach 1989 gebaut worden sind; mittlerweile ist ihre Zahl auf über fünfzig angestiegen) ist mithin ein entscheidender Faktor sowohl bei der Konstruktion als auch in der Reflexion unserer Gegenwart. Sind Mauern ihrer Funktion und Wirkung nach eher theatralischer denn mechanischer Art, dann wird das Theater relevant in einer Zeit, in der die Staaten überdauern, obgleich ihre souveräne Macht schwindet, und sich im Nachgang der Souveränität machtvolle neue Nationalismen und reaktionäre bürgerliche Subjektivitäten konstituieren.

Die These dieses Buches geht noch einen Schritt weiter und besagt, dass Mauern schwindende Souveränität nicht nur anzeigen, sondern den Prozess ihres Schwindens beschleunigen; sie verschleiern die polizierenden und militärischen...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2018
Übersetzer Frank Lachmann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Walled States, Waning Sovereignty
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • David Easton Award der American Political Science Association 2012 • Flüchtlinge • Immigration • Nordamerika (USA und Kanada) • Politikwissenschaft • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • Vereinigte Staaten von Amerika USA • Walled States Waning Sovereignty deutsch
ISBN-10 3-518-75726-1 / 3518757261
ISBN-13 978-3-518-75726-0 / 9783518757260
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Von Platon bis zur Postmoderne

von Christian Schwaabe

eBook Download (2025)
UTB GmbH (Verlag)
CHF 27,35
Martin Heidegger und das zukünftige Denken

von Sun Zhouxing

eBook Download (2025)
Springer Fachmedien Wiesbaden (Verlag)
CHF 53,70
Der Leviathan im Zeichen der Krise

von Rüdiger Voigt

eBook Download (2025)
Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
CHF 77,15