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Einstein, Freud und Sgt. Pepper (eBook)

Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
380 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74064-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Einstein, Freud und Sgt. Pepper -  John Higgs
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Alles hat sich geändert, als der Zeiger des Weltalters von 19 auf 20 sprang. Auf fast allen Gebieten wurden im 20. Jahrhundert Entdeckungen gemacht oder Ideen entwickelt, die unser Bild vom Universum und von uns selbst auf den Kopf gestellt haben. Alles schien neu, nichts unmöglich: Maschinen, die denken, Hunde im Weltall und Menschen auf dem Mond. Alte Gewissheiten büßten ihre Geltung ein, hergebrachte Autoritäten verloren ihre Macht. Die Welt wollte kein Zentrum mehr kennen.
Auf ganz eigene Weise führt John Higgs durch dieses Jahrhundert der Genies und Gurus. Er erläutert die Relativitätstheorie anhand eines fallenden Würstchens, erzählt von Satanisten im Raumfahrtprogramm der Amerikaner und geht der Frage nach, ob ein Schmetterling in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann. Das ist alles unglaublich seltsam und ziemlich wahnsinnig. Ein Buch wie ein Trip.



<p>John Higgs, geboren 1971, ist Journalist und Autor. Er veröffentlichte bisher unter anderem eine Biographie über den LSD-Guru Timothy Leary (<em>I Have America Surrounded</em>) und eine Geschichte der britischen Band The KLF. Außerdem produzierte er Computerspiele und arbeitete für die BBC.</p>

John Higgs, geboren 1971, ist Journalist und Autor. Er veröffentlichte bisher unter anderem eine Biographie über den LSD-Guru Timothy Leary (I Have America Surrounded) und eine Geschichte der britischen Band The KLF. Außerdem produzierte er Computerspiele und arbeitete für die BBC.

Im Jahr 2010 zeigte die Londoner Tate Modern Gallery in einer Retrospektive das Werk des spätimpressionistischen Malers Paul Gauguin. Wer diese Ausstellung besuchte, konnte sich stundenlang in Gauguins romantisierender Vision der Südseeinsel Tahiti während des 19. Jahrhunderts ergehen. Es war eine Welt voll lebhafter Farben und einer von jeglicher Schuld freien Sexualität. Gauguin sah in seinen Bildern keinen Unterschied zwischen Mensch, Gott und Natur, und wenn man am Ende des Ausstellungsparcours angelangt war, hatte man das Gefühl, den Garten Eden verstanden zu haben.

Wer aus der Ausstellung kam, landete am Eingang der Abteilung für das 20. Jahrhundert. Es hätte keinen brutaleren Übergang geben können. Dort fanden sich die Werke von Picasso, Dalí, Ernst und vielen anderen. Man fragte sich ganz unwillkürlich, ob hier eine andere Beleuchtung herrschte, aber es war die Kunst, die den Raum kälter wirken ließ. Die Farbpalette bestand hauptsächlich aus Braun-, Grau-, Blau- und Schwarztönen. An manchen Stellen erschienen auch grellrote Flecken, doch die vermochten kaum aufzumuntern. Abgesehen von einem späten Picasso-Porträt waren Grün- und Gelbtöne nirgendwo zu sehen.

Diese Gemälde waren Bilder fremdartiger Landschaften, unverständlicher Strukturen und beunruhigender Träume. Die wenigen menschlichen Gestalten waren abstrakt, formal und ohne jede Berührung mit der natürlichen Welt. Die Skulpturen wirkten ähnlich antagonistisch. Zum Beispiel Man Rays Cadeau, ein Plätteisen, dessen mit Reißnägeln besetzte Fläche jeden Stoff, den man damit bügeln wollte, zerreißen müsste. Diesen Werken in einer von Gauguins Bildern geprägten Stimmung zu begegnen war nicht empfehlenswert. In diesem Raum gab es keinerlei Mitgefühl. Dort betrat man das abstrakte Reich der Theorie und der Begriffe. Nach den Werken, die das Herz ansprachen, war der unvermittelte Wechsel zu Arbeiten, die allein den Verstand ansprachen, eine traumatische Erfahrung.

Gauguins Werk reichte bis zu dessen Tod 1903, so dass man eigentlich einen glatteren Übergang in die Abteilung für das frühe 20. Jahrhundert erwartet hätte. Allerdings war Gauguins Werk kaum typisch für seine Zeit und fand erst nach seinem Tod weithin Anerkennung, aber der schrille Übergang sorgt dafür, dass wir immer noch nach der Antwort auf eine sehr grundlegende Frage suchen: Was zum Teufel geschah zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der menschlichen Psyche? Die Tate Modern ist ein guter Ort, um diese Frage zu beantworten, kann sie doch als ein Tempel des 20. Jahrhunderts gelten. Aufgrund der Bedeutung, die das Wort »modern« in der Welt der Kunst besitzt, wird es für immer mit dieser Zeit verbunden bleiben. So gesehen verdeutlicht die Beliebtheit dieses Museums zugleich die Faszination, die diese Jahre bei uns auslösen, wie auch unseren Wunsch, sie zu verstehen.

Es gab einen Übergangsraum, der die beiden Ausstellungen voneinander trennte. Er wurde beherrscht von den Umrissen einer Industriestadt des 19. Jahrhunderts, die der italienisch-griechische Künstler Jannis Kounellis mit Kohle direkt auf die Wand gezeichnet hatte. Eine sparsame Skizze ohne jede menschlichen Figuren. Darüber hingen die ausgestopften Bälge einer Dohle und einer Nebelkrähe, die mit Pfeilen an die Wand gespießt worden waren. Ich bin mir nicht sicher, was der Künstler damit sagen wollte, doch für mich diente der Raum als Warnung vor dem Saal, den ich gleich betreten sollte. Es wäre möglicherweise netter gewesen, wenn die Tate diesen Raum als eine Art Dekompressionskammer benutzt hätte, als etwas, das die Entsprechung der Taucherkrankheit in der bildenden Kunst verhindern könnte.

Manche sähen in den toten Vögeln, so hieß es im Begleittext, »ein Symbol für den Todeskampf der Freiheit der Fantasie«. Im Kontext Gauguins und des 20. Jahrhunderts scheint mir allerdings eine andere Interpretation angemessener zu sein. Was immer dort über der Industriestadt des 19. Jahrhunderts gestorben sein mochte, die Freiheit der Fantasie war es nicht. Im Gegenteil, dieses Ungeheuer stieg gerade erst aus der Tiefe hervor.

Als ich kürzlich meine Weihnachtseinkäufe erledigte, ging ich in eine Buchhandlung, um dort ein Buch von Lucy Worsley zu kaufen, der Lieblingshistorikerin meiner im Teenager-Alter befindlichen Tochter. Falls Sie das Glück haben sollten, eine Tochter im Teenager-Alter zu haben, die einen Lieblingshistoriker besitzt, brauchen Sie nicht viel Überredungskunst, um dieses Interesse zu fördern.

Die Abteilung für Geschichte befand sich in einer Ecke des dritten Stocks ganz oben im Gebäude, als handelte Geschichte von verrückten Vorfahren, die man besser auf dem Speicher versteckt wie Figuren aus Jane Eyre. Das Buch, das ich suchte, war nicht vorrätig, weshalb ich es per Smartphone online bestellte. Ich wollte eine noch offene Zeitungsapp schließen, drückte dabei auf ein falsches Icon und startete ungewollt das Video einer Rede, die Präsident Obama wenige Stunden zuvor gehalten hatte. Das war im Dezember 2014, und er sprach über die Frage, ob der Hackerangriff auf Sony Pictures Entertainment – vermutlich orchestriert vom nordkoreanischen Regime, um Vergeltung zu üben für die als Beleidigung des Diktators Kim Jong-un verstandene Filmkomödie The Interview – als kriegerischer Akt zu werten sei.

Von Zeit zu Zeit gibt es Augenblicke, da wird deutlich, wie sonderbar das Leben im 21. Jahrhundert sein kann. Da befand ich mich also in Brighton, hielt ein dünnes Stück Metall und Glas in der Hand, das in Südkorea produziert worden war, mit amerikanischer Software betrieben wurde und mir den amerikanischen Präsidenten zeigte, der dem obersten Führer Nordkoreas drohte. Da wurde mir plötzlich bewusst, wie sehr sich doch das frühe 21. Jahrhundert von allen vorangegangenen Zeiten unterschied. Was an diesem Geschehen wäre wohl Ende des letzten Jahrhunderts unglaublicher erschienen? Dass es solch ein Gerät gab, mit dem ich den amerikanischen Präsidenten während meiner Weihnachtseinkäufe sehen konnte? Dass die Definition von Krieg sich in einer Weise verändert hatte, die nun auch Unannehmlichkeiten für das Sony-Management darunter fallen ließ? Oder dass die übrigen Käufer in diesem Laden mir gar keine Beachtung schenkten, während ich auf wundersame Weise diese zufällige Sendung verfolgte?

Ich stand zu diesem Zeitpunkt gerade bei den Regalen mit Büchern über die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Auf diesen Regalen befanden sich einige wunderbare Bücher, dicke und ausführliche Darstellungen jenes Jahrhunderts, über das wir am meisten wissen. Diese Bücher dienen als Straßenkarte für den Weg, auf dem wir die Welt erreicht haben, in der wir heute leben. Sie erzählen sehr präzise Geschichten über große Veränderung in der geopolitischen Machtverteilung: über den Ersten Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise, den Zweiten Weltkrieg, das amerikanische Jahrhundert und den Fall der Berliner Mauer. Aber irgendwie führt uns diese Geschichte gar nicht wirklich in die Welt, in der wir heute leben, verstrickt in ein Netzwerk ständiger Überwachung, unerträglichen Wettbewerbs, eines Tsunamis aus Trivialitäten und außergewöhnlichen Möglichkeiten.

Stellen Sie sich das 20. Jahrhundert als eine vor ihren Augen ausgebreitete Landschaft vor. Stellen Sie sich vor, die Ereignisse der zugehörigen Geschichte wären Berge, Flüsse, Wälder und Täler. Unser Problem liegt nicht darin, dass diese Zeit uns verborgen wäre, sondern dass wir zu viel über sie wissen. Wir alle wissen, dass diese Landschaft die Gebirge Pearl Harbors, der Titanic und der südafrikanischen Apartheid enthält. Wir wissen, dass sich in ihrem Zentrum die Verwüstungen des Faschismus und die Ungewissheit des Kalten Kriegs befinden. Wir wissen, dass die Menschen dieses Landes grausam, verzweifelt oder verängstigt sein konnten, und wir wissen auch warum. Das Gelände ist genauestens kartiert, katalogisiert und aufgezeichnet worden. Das kann überwältigend wirken.

Jedes der Geschichtswerke über das 20. Jahrhundert zeichnet einen anderen Weg durch dieses Gelände, aber diese Wege sind nicht so unterschiedlich, wie Sie vielleicht glauben. Viele stammen von Politikern oder politischen Journalisten oder besitzen eine starke politische Tendenz. Sie vertreten die Auffassung, Politiker hätten diese beschwerlichen Jahre geprägt, und folgen deshalb einem Weg, der diese Geschichte erzählt. Andere Bücher stecken Wege ab, die durch die Kunst oder die Technik der Zeit führen. Die sind möglicherweise nützlicher, können aber auch abstrakt und fern vom Leben der Menschen erscheinen. Und obwohl sich diese Wege voneinander unterscheiden, führen sie letztlich doch alle auf breite, ausgetretene Pfade.

Einen anderen Weg durch dieses Gelände zu finden ist ein einschüchterndes Unterfangen. Eine Reise durch das 20. Jahrhundert kann wie eine epische Suche anmuten. Die furchtlosen Abenteurer, die sich auf diese Reise begeben, kämpfen zuerst mit drei Riesen namens Einstein, Freud und Joyce. Sie müssen durch den Wald der quantenmechanischen Unbestimmtheit und die Burg der Konzeptkunst hindurch. Sie gehen den Drachen Jean-Paul Sartre und Ayn Rand aus dem Weg, deren Anblick sie, wenn nicht physisch, so doch emotional in Stein verwandeln könnte, und sie haben die Rätsel der Sphinxe Carl Gustav Jung und Timothy Leary zu lösen. Dann wird es schwierig. Die letzte Aufgabe besteht darin, irgendwie durch den Sumpf der Postmoderne hindurchzukommen. Es ist, wenn wir ehrlich sind, keine verlockende Reise.

Nur wenige Abenteurer, die sich an das 20. Jahrhundert heranwagen, schaffen es bis zur Postmoderne und...

Erscheint lt. Verlag 15.1.2018
Übersetzer Michael Bischoff
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 20. Jahrhundert • Alles ist relativ und anything goes • Beatles • Bill Bryson • Eine kurze Geschichte von fast allem • Eine Reise durch das unglaublich seltsame und ziemlich wahnsinnige 20. Jahrhundert • Einstein • Geschichte • Keith Richards • Mondlandung • Rolling Stones • Selfie • ST 4839 • ST4839 • suhrkamp taschenbuch 4839
ISBN-10 3-518-74064-4 / 3518740644
ISBN-13 978-3-518-74064-4 / 9783518740644
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