Harro Harring - Rebell der Freiheit (eBook)
448 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-175-9 (ISBN)
Prolog:
Harro Harring – Wer?
Wenn Sie den Namen Harro Harring noch nie gehört haben, geht es Ihnen nicht anders als den allermeisten Germanisten oder Historikern. Selbst Heinrich-Heine-Ludwig-Börne-Vormärz-Spezialisten ist der Name meist nicht geläufig. Er ist der »Dichter Unbekannt« des 19. Jahrhunderts. Und einer der maßgeblichen Rebellen des Vormärz und Kämpfer für ein Europa ohne Grenzen. Seine Abenteuer, Werke, Taten, Erfolge und Niederlagen ergeben in der Summe eine Art »Meistererzählung« der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848.
In den Aufzählungen der 1848er-Revolutionäre sucht man ihn heute allerdings oft vergebens, denn er wurde verfolgt, verfemt und dann vergessen. Zu seiner Zeit – vor allem in der Zeit vor 1848 – war Harro Harring berühmt, berüchtigt und wurde viel gelesen. Seine »Memoiren über Polen« wurden in wenigen Wochen zum Bestseller, bis sie von der preußischen Zensur verboten wurden. Sein Steckbrief lag an allen Grenzstationen des Deutschen Bundes aus. Allein die Ankündigung, Harro Harring würde erscheinen, löste in manchen Zeiten bei den Liberalen freudige Unruhe und den Behörden diplomatische Hektik und Truppenbewegungen aus. Als bayrische Soldaten ihn im Mai 1832 nach dem Hambacher Fest verhaften wollten, floh er nach Bergzabern und in die Stadt Weißenburg im Elsass. In Bergzabern stellten sich die Bürger dem Militär in den Weg und verhalfen ihm so zur Flucht. In Weißenburg ermöglichten sie seinen Verbleib in Frankreich. Und 1849 ging der junge Henrik Ibsen in Christiania, dem heutigen Oslo, mit tausend anderen auf die Straße, als man Harring wegen eines Theaterstücks bei Nacht und Nebel außer Landes schaffen wollte. Der »Fall Harring« beschäftigte danach die skandinavische Politik über Jahre.
Wer war dieser Harro Harring?
»In London ist meine Qual eingetroffen, jener skandinavische Dichter, der der beste Mann auf der Welt ist und der quälendste Dummkopf dieser Zeit«, schrieb 1842 der nach England geflüchtete Revolutionär und spätere Nationalheld Italiens Giuseppe Mazzini an seine Mutter.
Karl Marx überzog ihn 1852 in seinem »Die großen Männer des Exils«1 seitenlang mit Hohn und Spott und endete mit dem vernichtenden Urteil über »die Abenteuer unsres demagogischen Hidalgo aus der soderjylländischen Mancha. In Griechenland wie in Brasilien, an der Weichsel wie am La Plata, in Schleswig-Holstein wie in New York, in London wie in der Schweiz: Vertreter bald des Jungen Europa, bald der südamerikanischen Humanidad, (…) verkannt, verlassen, ignoriert, überall aber irrender Ritter der Freiheit, (…) wird aller Welt zum Trotz von sich sagen, schreiben und drucken, dass er seit 1831 das Haupttriebrad der Weltgeschichte war.« Wer sich wie Harring über die »communistischen Spekulationen« von Marx erregte, konnte keine Gnade erwarten. Marx gab im Londoner Exil den scharfen Ton vor, den noch hundert Jahre später alle »Abweichler« von der kommunistischen Parteilinie zu erwarten hatten.
Noch 1854 verschickten die Hamburger Polizeibehörden über den so Beschimpften einen Steckbrief an die Grenzbehörden der deutschen Bundesstaaten: »Alter 56; Statur: mittel; Aussehen: etwas kränklich; Haar: schwarz; Bart: schwarz, über das ganze Gesicht gewachsen; Augen dunkel. Hat eine Narbe nach einer Stich- oder Schusswunde. Sprache: deutsch, dänisch mit etwas deutschem Akzent, englisch, spanisch, russisch. Alles sehr fließend.«
Selbst die Beschreibung der Polizei zeichnete den Rebellen als verwegene Figur. Er musste unheimlich wirken. Harro hatte keine dunklen, sondern graue Augen, von der Farbe des Watts, und keine schwarzen Haare, sondern welche, die mit dem trockenen Gras der Marsch gefärbt zu sein schienen. Er war nicht besonders groß, eher schmal. Aber er trug gern einen Dolch bei sich. Und gelegentlich eine Pistole. Aber am meisten fürchteten sich die Jäger vor seinen Hunden.
Harro Harring.
Geboren am 28. August 1798 auf dem Ibenshof in Wobbenbüll bei Husum in Nordfriesland, erstochen am 15. Mai 1870 in St. Helier auf der Insel Jersey von eigener Hand.
Ein Weltbürger, der, in Nordfriesland aufgewachsen, 50 Jahre lang wie ein »Odysseus der Freiheit« durch die Welt zog. Ein Dichter von Hunderten Gedichten und Liedern, vielen Romanen, Essays, die kaum erschienen, bald verboten waren und heute komplett vergessen sind. Ein Rebell, der sich mal Hamlet, mal Kasimirowicz, mal Steward nannte, 22 Mal im Gefängnis oder der Abschiebehaft landete, der überall schrieb, Manuskripte und Koffer zurückließ und nur eins fürchtete: die Furie Suicidia.
Er schrieb romantisch, pathetisch, zärtlich und brutal, am Puls seiner Zeit. Der bayrische König applaudierte ihm. Ein Dichter als Rebell, der die Welt, aber nicht sich selbst liebte. Ein liebenswerter Kerl und penetranter Besserwisser in einer Person, einsam wie eine Möwe am Himmel. Widersprüchlich, aufbrausend und tief traurig, wie das von Niederlagen und Aufbruch geprägte 19. Jahrhundert in Person.
Karl Marx hasste Harring und dessen Freund Mazzini als Konkurrenten. Er meinte, Harrings lächerliche Schriften hatten »am 4. November 1831 das unverhoffte Glück, vom Bundestag verboten zu werden. Das allein hatte dem braven Streiter noch gefehlt, jetzt erst erhielt er die verdiente Bedeutung und zugleich die Märtyrerweihe.« Der Kommunist freute sich als mitfühlender Zeitgenosse über die reaktionären Aktionen des Absolutismus, weil sie einen Gegner trafen.
Marx verspottete »Die Großen Männer des Exils« im Sommer 1852. Er übergab den Text im Juli an den Ungarn J. Bangya, der ihm versprach, das Werk in Berlin zu veröffentlichen, und dem Autor ein stattliches Honorar zahlte. Ungewöhnlich für einen Boten, der das Manuskript denn auch in Berlin nicht an einen Buchhändler, sondern an die preußische Polizei auslieferte. Den Buchhändler, der es angeblich bestellt hatte, gab es nicht.
Zufällig – oder doch nicht? – stand der empfangenden Polizeibehörde Ferdinand von Westphalen vor. Der war preußischer Innenminister und Halbbruder von Jenny von Westphalen, der Frau von Karl Marx. Familienbande waren in den Jahren der deutschen Reaktion nichts Ungewöhnliches, und dass revolutionär Gesinnte gegen Geld als informelle Mitarbeiter der monarchischen Geheimdienste arbeiteten, auch nicht. Man nannte diese informellen Mitarbeiter Konfidenten, Vertraute. Der Deutsche Bund unterhielt mit Russland und Österreich in dem Mainzer Informationsbüro schon seit den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts einen international arbeitenden politischen Geheimdienst. Das war neben der mangelnden Einigkeit der Demokraten der entscheidende Grund, warum sich die Opposition in Deutschland nie richtig organisieren konnte und ins Exil getrieben wurde. Die Folge bestand unter anderem darin, dass sich der Gesinnungsterror eines Robespierre in deutschen Landen umkehrte. Er entwickelte sich in den Händen der Herrschenden zu einer perfekten Überwachungsbürokratie, deren Effektivität bis ins 20. Jahrhundert Maßstäbe setzte. Die zarten Pflanzen der demokratischen Bewegung des Vormärz wurden unter Spitzelberichten begraben.
Bereits 1831, vier Jahre vor dem Verbot der Schriften von Heinrich Heine, wurden Harrings Schriften und alle seine zukünftigen Arbeiten per Beschluss des Obersten Organs des Deutschen Bundes, des Bundestages, verboten. Der Besitz von Flugschriften mit Liedern des Autors stand unter Strafe. Selbst Heine vermied es, in den von ihm redigierten »Annalen« bei einem von Harring verfassten Bericht über Griechenland den Namen des Autors zu nennen, und andere trauten sich nicht, seine Bücher zu verlegen.
Nach seiner Flucht 1830 aus Polen wurde Harring nicht nur vom russischen Geheimdienst, sondern auch von österreichischen, preußischen, badischen Agenten und später dem Mainzer Informationsbüro beobachtet, verfolgt und überall, wo er in deutschen Landen auftauchte, verhaftet, eingesperrt und ausgewiesen. Man hielt ihn für einen gefährlichen Demagogen, heute würde man sagen: »Gefährder«, weil er mit dem Warschauer Aufstand und der »heiligen Schar« der Exil-Polen, dem Frankfurter Wachensturm, dem Hambacher Fest, dem Aufstand in Savoyen in Verbindung gebracht wurde. Und tatsächlich war er überall dabei, aber seine Waffe waren die Worte. Aus dem romantischen Dichter, der voller Pathos Rosen und Möwen besang und vor allem der weiblichen Leserschaft gefallen wollte, wurde der politische Agitator, der sich Freiheit und Fürstentod auf die Fahnen schrieb.
Harrings aktive Zeit als Dichter, Maler und Rebell ist auch politisch eine Epoche. Es ist die Zeit des Deutschen Bundes, wenige Jahre nach dem Wiener Kongress von 1815 bis zur Proklamation des Deutschen Reiches und Harrings Tod im Jahr 1870.
Er war Augen- und Tatzeuge der metternichschen Herrschaft im Deutschen Bund, war am griechischen Freiheitskampf gegen die Osmanen beteiligt, war Chronist des Warschauer Aufstands gegen das russische Zarenreich, auf dem Hambacher Fest, Teil des »Jungen Europa«, kämpfte für Frauenrechte, trat gegen die Sklaverei in Südamerika ein und wollte Freiheit für sein Friesland. Ein Ahasver der Revolution, der dem Jahrhundert dabei zusah, wie es sich verwandelte, und der nach Kräften daran mitwirkte.
Aber wie und warum wird einer, der Künstler werden will, Rebell oder Märtyrer? Harro war früh vaterlos geworden. Ein Junge mit großer Sehnsucht nach dem Wahren, Schönen, Guten. Er lernte Malen, zog dann aber nach Griechenland und mit einer Freischar in den Krieg gegen die Osmanen – mit dem Schlachtruf »Freiheit oder Tod« auf den Lippen. Was trieb ihn nach Hellas? Identitätssuche,...
| Erscheint lt. Verlag | 1.8.2017 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Biografie • Europa • Harro Harring • Revolultion • Vormärz |
| ISBN-10 | 3-95890-175-1 / 3958901751 |
| ISBN-13 | 978-3-95890-175-9 / 9783958901759 |
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