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In Erdogans Visier (eBook)

Warum er die Deutschtürken radikalisieren will und was das für uns bedeutet
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44496-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In Erdogans Visier -  Hülya Özkan
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Spätestens seit dem gescheiterten Militärputsch vergeht kaum ein Tag ohne besorgniserregende Meldungen aus Ankara. Unverhohlen baut der türkische Präsident Erdogan seine Machtstellung immer weiter aus. Die Instrumentalisierung des Islam, Massenverhaftungen oder Eingriffe in die Pressefreiheit - ihm scheinen alle Mittel recht zu sein. Während die Kritik aus Berlin und Brüssel an Erdogans Politik immer lauter wird, lässt dieser nichts unversucht, seine Macht auch über die türkischen Staatsgrenzen hinaus zu auszudehnen. So versuchte er, im Satirestreit um das Böhmermann-Gedicht Einfluss auf die deutsche Pressefreiheit zu nehmen. Der vom türkischen Staat gelenkte Moscheeverband Ditib bespitzelt hierzulande potentielle Anhänger des Predigers Gülen. Und bei Großkundgebungen der AKP in deutschen Städten kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Erdogan-Treuen und Kurden. Besonders alarmierend: Unter den rund drei Millionen in Deutschland lebenden Türken genießt Erdogan größere Zustimmung als in der Türkei selbst. Vielen, die sich hierzulande abgehängt fühlen, gibt der starke Mann aus Ankara ein neues Selbstbewusstsein. Und verstärkt so immer mehr die Kluft zwischen Deutschen und Deutschtürken, die Frustration über die gescheiterte Integration auf der einen und die Angst vor Islamismus auf der anderen Seite. Die türkischstämmige Journalistin Hülya Özkan zeigt auf, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte - und welch verheerende Wirkung sie für den inneren Frieden in unserem Land haben kann.

Hülya Özkan kam Mitte der sechziger Jahre als Kind türkischer Gastarbeiter nach Deutschland. Während ihre Eltern später wieder in die Türkei zurückkehrten, entschied sie sich zu bleiben. Sie studierte Politische Wissenschaften, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und ging zum Fernsehen. Im ZDF moderierte sie zuletzt die Sendung 'heute in Europa'. Zurzeit arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin. Hülya Özkan lebt mit ihrer Familie in Mainz. '

Hülya Özkan kam Mitte der sechziger Jahre als Kind türkischer Gastarbeiter nach Deutschland. Während ihre Eltern später wieder in die Türkei zurückkehrten, entschied sie sich zu bleiben. Sie studierte Politische Wissenschaften, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und ging zum Fernsehen. Im ZDF moderierte sie zuletzt die Sendung "heute in Europa". Zurzeit arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin. Hülya Özkan lebt mit ihrer Familie in Mainz. "

Vorwort


Es ist eine einfache Formel: Wer für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist, der sollte am besten Deutschland verlassen. In regelmäßigen Abständen wird dies von Politikern der bürgerlichen Mitte, eben nicht nur von den Rechten, gefordert, die mit Ressentiments gegen »Türken« – immerhin ein Teil der deutschen Gesellschaft – Punkte für ihre Parteien und ihre eigene Karriere machen wollen. Man muss kein Erdoğan-Anhänger sein, um dies verstörend zu finden.

Zuletzt sorgte das türkische Verfassungsreferendum am 16. April für großen Wirbel. 63 Prozent der wahlberechtigten Deutschtürken stimmten mit einem »Ja« für Erdoğans Präsidialsystem. Für viele Deutsche war das unbegreiflich. Warum nur unterstützten diese Menschen, die hierzulande Demokratie und Rechtsstaatlichkeit genießen, einen Autokraten, der in seiner Heimat dabei ist, genau diese Werte abzuschaffen? Die Motivation der Erdoğan-Anhänger wird dieses Buch erklären, aber gewiss nicht rechtfertigen. Rein rational sind die Gründe für ihr Verhalten nicht zu beantworten, aber Politik richtet sich selten ausschließlich an Verstand und Vernunft aus.

Für jene, die in der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit Argwohn auf die Anhänger des türkischen Präsidenten blicken, ist das Abstimmungsergebnis ein eindeutiger Beleg für die gescheiterte Integration der Deutschtürken. Dabei sprachen sich bei einer Wahlbeteiligung von 660000 Menschen nur gut 420000, also nur rund 14 Prozent von knapp 3 Millionen Deutschtürken, für das von Erdoğan favorisierte Präsidialsystem aus. Die Ablehnung gegenüber diesen »undankbaren« Türken ist so groß, dass eine differenzierte Beurteilung der Lage schwierig erscheint.

Vorhersehbar im deutschen Vorwahlkampf 2017 war auch die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie behindere, so die allgemeine Auffassung, die Integration derjenigen, die sich von Erdoğans autoritärer Politik angezogen fühlten. Doch es gibt keine konkreten Hinweise dafür, dass Erdoğan-Anhänger mehrheitlich die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft besitzen.

Die Erfolge der AfD haben die Agenda der etablierten Parteien verändert, die Haltung gegenüber Migranten mit islamischem Hintergrund verhärtet. Schon die Pro-Erdoğan-Demonstration nach dem Putschversuch im vergangenen Jahr hatte die Frage nach der Loyalität zu Deutschland aufgeworfen. Die Türken sollten sich entscheiden zwischen neuer und alter Heimat. Man könne nicht »Diener zweier Herren« sein – so die banale Argumentation. Es ist jedoch ein Armutszeugnis, die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft als einzig wichtiges Integrationskonzept in den Mittelpunkt hitziger Diskussionen zu stellen. So wird man jedenfalls keine Lösungen finden, um Menschen mit offensichtlich anderem Demokratieverständnis für sich zu gewinnen. Doch die parteipolitische Profilierung hat schon einmal funktioniert: Im Jahr 1999 hatten Unterschriften gegen die von Rot-Grün geplante doppelte Staatsbürgerschaft den flauen Wahlkampf in Hessen angeheizt und den Wahlsieg für den CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch gebracht.

Das deutsch-türkische Verhältnis ähnelt immer mehr einer verschmähten Liebesbeziehung: Türken lieben und schätzen Deutschland als das Land, in dem sie aufgewachsen und die meisten auch geboren sind, fühlen sich aber nicht zurückgeliebt – so das Fazit aus vielen Befragungen unter Türken. Unter den Angehörigen der zweiten und dritten Generation ist das Gefühl verbreitet, ausgegrenzt zu werden und nicht in ihrer Doppelidentität als Deutscher und Türke akzeptiert zu sein, was zu Trotz und Abwehrverhalten führt.

Das bedeutet ein permanentes Zerwürfnis mit ihrer neuen Heimat, das Erdoğan für seinen Machterhalt nutzen kann. Er ist der »Vater«, der seine »Kinder« beschützt. Seine Anhänger in Deutschland, oft aus den ländlichen Gebieten der Türkei stammend, genauso islamisch-konservativ wie er, klammern sich an die alte Heimat und werden durch ein perfekt funktionierendes AKP-Netzwerk, etwa durch Lobbyorganisationen und Moscheegemeinden, sorgsam betreut.

Noch vor einigen Jahren war türkische Innenpolitik für sie kein Thema. Nun, angestachelt durch Erdoğan, geben sie die Parteipropaganda AKP-getreu wieder, sprechen von »äußeren Feinden«, von nationaler Stärke, der »Arroganz des Westens« und beklagen das »Türkei-Bashing« der deutschen Medien. Seine Strategie schadet aber am Ende seinen Unterstützern hierzulande, weil er ihre religiösen Gefühle, aber auch ihren Nationalismus anheizt und sie dazu antreibt, sich von der deutschen Gesellschaft zu separieren.

Die Deutschtürken als Mobilisierungsmasse – ein relativ neues Phänomen also, das verstärkt ab 2014 zutage trat, dem Jahr, als die Deutschtürken erstmals auch in Deutschland an die Wahlurnen durften, um sich an türkischen Wahlen zu beteiligen. Zu einer Zeit, als Erdoğans Allmacht nach den Gezi-Protesten und dem Aufbegehren des ehemaligen Gefährten, des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen, gefährdet schien. Nun spiegelt sich die Polarisierung der türkischen Gesellschaft, die Erdoğan selbst vorangetrieben hat, auch unter den Türkischstämmigen in Deutschland wider. Seine Anhänger vergöttern ihn, seine Gegner fürchten seine Alleinherrschaft. Hass ist ausgebrochen in der türkischen Community, der Nachbarn, Arbeitskollegen, Freundeskreise, ja sogar Familien entzweit. Offen über ihre politische Meinung zu sprechen, wagen in den mehrheitlich von Türken bewohnten Stadtteilen nur noch die wenigsten. Einige haben Angst vor Repressalien bei einem Besuch in der Türkei.

Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die deutsch-türkischen Beziehungen, die inzwischen an einem Tiefpunkt angelangt sind. Es fing mit der Böhmermann-Affäre an, zog sich wie ein roter Faden über die Armenienresolution bis hin zu den Querelen nach dem Putschversuch. Als die Parole ausgerufen wurde, dass Fethullah Gülen und seine Anhänger dafür verantwortlich seien, gab es bereits wenige Stunden später erste Übergriffe auf Gülen-Einrichtungen in Deutschland, veröffentlichten AKP-Anhänger Listen im Netz mit Boykottaufrufen, islamische Geistliche bespitzelten auf Anweisung aus Ankara politische Gegner und Anhänger und Unterstützer Erdoğans gerieten aneinander.

Seitdem ist auch eine immer stärkere Einmischung des türkischen Präsidenten in die inneren Angelegenheiten Deutschlands zu beobachten. So übergab der türkische Geheimdienst MIT dem Bundesnachrichtendienst BND eine komplette Liste mit den Namen von ausgespähten vermeintlichen Gülen-Anhängern. MIT ging davon aus, dass deutsche Verfassungsschutzbehörden »Amtshilfe« leisten würden. Bislang ist allerdings die Regierung in Ankara den Beweis schuldig geblieben, dass Gülen tatsächlich hinter dem gescheiterten Putsch vom vergangenen Jahr steckt.

Schon seit Längerem steigt die Zahl der Asylanträge von Türken – von über 4600 im Jahr 2015 auf 5742 im Jahr 2016, so das Bundesinnenministerium. Schutz vor politischer Verfolgung in Deutschland suchen neben kurdischstämmigen Türken jetzt auch türkische Diplomaten, Nato-Soldaten, Richter, Staatsanwälte und Journalisten. Ankara bedrängt die Bundesregierung, alle Asylanträge abzulehnen und die türkischen Staatsbürger auszuliefern. Den inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel nutzte Erdoğan als Faustpfand im Wahlkampf, vorverurteilte ihn als »Terroristen« und »ausländischen Spion«.

Kompliziert ist die Türkei-Debatte ohnehin: Islam und Islamismus, die unstrittig schwierige Frage der Integration und die Entfremdung in den Beziehungen zur Europäischen Union. All das verdichtet sich zu einer aggressiv geführten Diskussion, immer wieder angefacht von dem mehr und mehr autoritär regierenden Machthaber in Ankara. Es ist diese selbstherrliche Art Erdoğans, wie zuletzt seine verbalen Angriffe an die Adresse der Europäer. »Ey, Merkel, ey Rutte – ihr seid Nazis, ihr seid Faschisten«, beschimpfte er die deutsche Kanzlerin und den niederländischen Ministerpräsidenten, nachdem seinen Ministern untersagt worden war, in Deutschland und den Niederlanden Wahlkampf für das umstrittene Verfassungsreferendum zu machen. Das sind rüde Töne aus dem Munde eines Staatspräsidenten, der einen EU-Partner und NATO-Verbündeten repräsentiert. Der »faschistische Westen« drangsaliere Muslime, bald gebe es in ganz Europa Religionskriege. Man unterstütze kurdische Terroristen und die Gülen-Anhänger und wolle eine starke Türkei verhindern. Jeden Tag und immer wieder wurde dieses Narrativ über die Fernsehsender, über die Zeitungen im Land verbreitet. Über die sozialen Medien erreichten diese Botschaften in Sekundenschnelle die türkische Diaspora in Europa. Mit seiner Unbeherrschtheit schaffte es Erdoğan, ganz Europa gegen sich aufzubringen. »Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können«, tönte er – eine unfassbare klare Drohung.

Die Abweisung der Türkei durch die Europäische Union nagt noch immer am Ego des »Sultans«. Er kennt kaum noch Hemmungen gegenüber seinen europäischen Partnern. Deutschland und den Niederlanden unterstellte er, man plane wieder »Gaskammern und Konzentrationslager«. Getrieben vom Kalkül der Macht, aber auch gekränkt in seinem Stolz, betrieb er eine derart absurde Vergeltungsstrategie, dass selbst einige seiner Anhänger peinlich berührt waren.

Dass die Lage nicht weiter eskalierte, ist auch der Not der Europäer zu verdanken, die auf das Wohlwollen der Türkei in der Flüchtlingskrise angewiesen sind. Die Kanzlerin, gefangen durch den...

Erscheint lt. Verlag 28.6.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Angst vor Terroranschlägen • Außenpolitik • Demokratie • deutsche Einwanderungspolitik • deutsche Integrationspolitik • Deutschland • Deutschtürken • Deutsch-Türken • deutsch-türkische Beziehung • Erdogan • EU-Beitritt • Integration • Islam • Klartext • Politik • Populismus • Türkei
ISBN-10 3-426-44496-8 / 3426444968
ISBN-13 978-3-426-44496-2 / 9783426444962
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