Bildungsideologien (eBook)
VI, 230 Seiten
VS Verlag für Sozialwissenschaften
978-3-531-91019-2 (ISBN)
Dr. Manfred Prisching ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.
Dr. Manfred Prisching ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.
Inhaltsverzeichnis 5
1 Einleitung 7
1.1 Bildungsparadigmen, Zeitdiagnostik und Ideologie 8
1.2 Die obsoleten Bildungs-Bilder 11
2 Das Lagerhausmodell 15
2.1 Die Enzyklopädie und das Wissen 18
2.2 Hirnbewirtschaftung und Neugierweckung 20
2.3 Das Repertoire der Qualifikationen 22
2.4 Von den Qualifikationen zur Bildung 29
2.5 Von der Informationssammlung zum Denkprozess 30
3 Das Datenbankmanagement-Modell 35
3.1 Die Geschichte der Übertreibungen 36
3.2 Algorithmen der Informationsbeschaffung 38
3.3 Die Welt an den Fingerspitzen 40
3.4 Unmöglichkeit des Lernens ohne Lernen 44
3.5 Bildung als Veränderung des Menschen 45
3.6 Die Fülle der Wissenskompetenzen 46
3.7 Wissensqualitäten 48
3.8 Die Industrialisierung der Bildung 51
3.9 Maschinelle Bildungsbeschleunigung 53
4 Das alltagspragmatische Modell 56
4.1 Schule als universale Sozialisationsinstanz 57
4.2 Schule als Identitätsbildungsinstanz 65
4.3 Die Vielfalt der Intelligenzen 67
4.4 Alltag, Praxis, Technik 70
4.5 Der Hang zum Therapeutischen 74
4.6 Der Kampf gegen die schulische Normalität 77
4.7 Die Praxis des Projektismus 79
5 Das Erlebnismodell 82
5.1 Individualisierungs-Übertreibungen 83
5.2 Der sensationalistische Bildungsprozess 85
5.3 Das Steigerungsspiel der Sensationen 89
5.4 Didaktik als Erlebnislehre 93
5.5 Das Aufmerksamkeitsdesaster 96
6 Das Geschwindigkeitsmodell 101
6.1 Zeitlichkeit, Zeitverlust und Zeitmanagement 103
6.2 Fraktale Zeit und Entschleunigungsideologien 107
6.3 Dromologische Theorie der Bildung 109
6.4 Turbo-Studien für den Arbeitsmarkt 113
7 Das Arbeitsmarktmodell 117
7.1 Pädagogische Ideologie der wissensbasierten Gesellschaft 118
7.2 Bildungsexpansionismus und Karriere 123
7.3 Die Identifizierung von Bildung und Nützlichkeit 125
7.4 Konformismus unter dem Etikett der Individualisierung 134
7.5 Die Rentabilität von Bildung 137
8 Das Zertifikatsmodell 140
8.1 Das Spiel um die Verschönerung der Statistik 141
8.2 Die Falle der positionellen Güter 144
8.3 Bildung als Wettbewerb der Signale 146
9 Das Managementmodell 149
9.1 Industrialisierung der Wissensproduktion 150
9.2 Neue Wissensinterpretationen 155
9.3 Der Code Geld und seine Wirkungen 159
9.4 Die Neuerung der institutionellen Arrangements 164
9.5 Das Evaluierungsspiel 170
10 Das bürgerlich-abendländische Modell 181
10.1 Zwischen Abendland-Nostalgie und Fortschritts-Enthusiasmus 182
10.2 Bildungsinstitutionen und ihre Schleusenfunktionen 184
10.3 Bildung als individualisiertes Patchwork 186
10.4 Fast food und die Veränderung des Menschen 188
10.5 Von der Toleranz zur Indifferenz 193
10.6 Die Breite der Bildung 195
10.7 Multidimensionale Bildung 199
10.8 Naturwissenschaft als Bildung 202
11 Schlussbemerkungen 208
11.1 Kurzer Rückblick auf die Bildungsideologien der letzten Jahre 209
11.2 Das Bildungssystem an der Jahrhundertwende 214
11.3 Semantische Weltgestaltung 218
11.4 Eine Synthese 220
11.5 Eine Definition 222
8 Das Zertifikatsmodell (S. 143-144)
Wie erkennt man Bildung? Gebildete Menschen verfügen über ein symbolisches Kapital, welches gewährleistet, dass jene Signale ausgesendet werden, an denen man einander erkennt. Diese Signale richten sich gegen Trivialität, Impertinenz, Kitsch, Sensation, Geschmacklosigkeit, Oberflächlichkeit, Zeitgeistigkeit. Aber das sind die subtilen Ebenen (und natürlich haben wir hier auf den traditionellen Bildungsbegriff zurückgegriffen), weniger subtil sind Zertifikate, die in der Sicht vieler als zuverlässige Indikatoren für Bildung gelten: Bildungsabschlüsse, die zu weitergehenden Bildungsgängen, zur Einreihung in feste Posten- oder Einkommenskategorien oder zur Ausübung bestimmter Berufe berechtigen. In obrigkeitlichen Gesellschaften wie in Österreich oder Deutschland stellt das traditionelle Beamtenschema auch ein Bewertungsschema bereit, welches Zertifikate mit Positionen, Titel und Karrieren koppelt. Wenn einer einen „Doktor" hat, dann weiß man, woran man ist oder glaubt es jedenfalls zu wissen.
In einer zur Zweckorientiertheit zurechtgestutzten Bildung ist der Erwerb von „Zertifikaten" essentiell, und es gibt tatsächlich eine entsprechende Korrelation. Auf diese Welt von zertifikatsvermittelten Optionen zielt auch die Bildungsnachfrage jener, die, ungebildet, wie sie sind, mit einem „Berechtigungsschein" alles erlangt zu haben glauben, worum es im Bildungsgeschehen geht. Ein „Schein" muss her: etwa ein Abitur- oder Maturazeugnis irgendeiner Art. Tatsächlich werden diese Abschlüsse in den empirischen Untersuchungen als Indikatoren verwendet, und die Daten belegen, dass man sich mit höheren Abschlüssen allemal besser stellt.
Das haben die Eltern begriffen: Was die hoffnungsvolle Nachkommenschaft tatsächlich kann, ist weitgehend irrelevant, der „Schein" verleiht die wesentlichen Berechtigungen. Deshalb intervenieren sie, um die Schwelle von der Grundschule zum Gymnasium zu überschreiten, sie üben Druck aus, um die Barrieren der einzelnen Schulklassen zu überwinden, sie zahlen Nachhilfestunden, um die Unfähigkeit von LehrerInnen oder den Widerwillen der Kinder zu kompensieren, und sie tun alles, um das Abitur oder die Matura zu bewältigen. Aber der „Schein" ist oft nur Schein. Einzelne Hürden mögen überwunden werden, das Scheitern kommt hinterdrein. Zertifikate mögen in einer gewissen losen Korrelation zum Bildungsniveau stehen, sehr viel mehr ist es nicht. Somit gehört zur Durchsetzung der Zertifikatsberechtigung für alle auch ein gehöriges Repertoire an Heuchelei.
8.1 Das Spiel um die Verschönerung der Statistik
In einer Gesellschaft, die nur auf Quantitäten und Steigerungen orientiert ist, sind äußere Indikatoren wie jene von den Bildungsabschlüssen angeblich Indiz für das Gelingen einer „Wissensgesellschaft". Je mehr Abschlüsse, desto mehr Wissen. Je mehr Wissen, desto besser für das Sozialprodukt. In der Wissensgesellschaft ist Zertifikatslosigkeit eine Anomalie. Anomalien können nicht geduldet werden. Fortgeschrittene Länder wie Deutschland und Österreich sind Anomalien, denn sie produzieren eine qualifizierte Arbeitskraft zu schnell, ohne quasi-akademischen Abschluss. Die Arbeitskräfte dürften nicht so gut sein, wie sie sind: gelingender Output mit zu wenig Input. Die Kritik der OECD richtet sich auf den Mangel an Input. Um bildungspolitisches Lob einzuheimsen, gilt es deshalb, fürderhin denselben beruflichen Output mit wesentlich steigendem akademischen Input zu erzielen. „Bologna" heißt deshalb auch: konsequente Akademisierung in allen Lebensbereichen, auch in Nischen wie etwa den mit einem Bachelor-Abschluss ausgestatteten „Outdoor-Trainer und –Manager".
| Erscheint lt. Verlag | 28.8.2008 |
|---|---|
| Zusatzinfo | VI, 230 S. |
| Verlagsort | Wiesbaden |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Bildungstheorie |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Sozialwissenschaften ► Soziologie | |
| Schlagworte | Ausbildung • Bildung • Gesamtschule • Gesellschaft • Ideologie • Media research • Pisa • Qualifikation • Schule • Ungleichheit • Wissensgesellschaft |
| ISBN-10 | 3-531-91019-1 / 3531910191 |
| ISBN-13 | 978-3-531-91019-2 / 9783531910192 |
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