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Die "Jugo-Schweiz" (eBook)

Klischees, Provokationen, Visionen
eBook Download: PDF
2008 | 1. Auflage
110 Seiten
Verlag Rüegger
9783725308927 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die "Jugo-Schweiz" -  Philipp Kämpf
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Viele Schweizer suchen ihre Identität, indem sie sich vom Fremden abgrenzen: «Ich weiss zwar nicht, was ein Schweizer ist, aber ich weiss, dass ich kein ‹Jugo› sein will.» Des Schweizers Lieblings-Sündenbock hat einen Namen auf «-vic´». Das Buch über die «Jugo-Schweiz» geht den entsprechenden Klischees kritisch auf den Grund. Im Alltag recherchierte Begebenheiten, ungewohnte Eindrücke und Fakten, Bedenkliches, teils auch Humoristisches ergibt ein facettenreiches Bild, um in eine positive Vision des Miteinander zu münden. Fazit: Der «Jugo» existiert vor allem in Schweizer Köpfen. Probleme aus der südosteuropäischen Einwanderung sind meist eingebildet oder von Politikern in Kampagnen-Zeiten herbeigeredet.



Vielleicht ist es gerade die kulturelle Nähe zwischen Zagreb und Zürich, die gewisse Schweizer irritiert. Dies zeigen auch die Interviews mit erfolgreichen Einwanderern wie Ex-Mister-Schweiz Robert Ismajlovic, Schriftstellerin Dragica Rajcic oder Fussballer Sreto Ristic. Statistisches zur ex-jugoslawischen Bevölkerung, zu Sprachen und Religionen, aber auch zu den Herkunftsstaaten von Slowenen, Kroaten, Bosniern, Serben, Montenegrinern, Kosovaren und Mazedoniern runden das Buch ab – wohltuende Fakten im medial überhitzten Thema «Balkan».

Inhaltsverzeichnis 6
Editorial 10
Die doppelte Metzgerei 12
Zwischenbemerkung 13
Eurovision: eine europäische Vision 15
Was sind schon 2000 Kilometer? 17
Emmen bleibt Emmen 18
Die katholischen Muslime von Rheineck 20
Ferien, in denen Sie alles vergessen 24
Wenn «vino» nicht gleich «vino» ist 27
Ex-Jugoslawien: bald wieder vereint? 28
Typisch schweizerisch! Ja, aber wer? 30
Heimatliche Gefühle am Kiosk? 31
Schulerfolg, Zufall – und sich selbst erfüllende Prophezeiungen 34
Der Lac Léman: schon fast ein Meer? 36
Wahltag ist Zahltag 38
Wenn Politiker die Nächstenliebe entdecken 39
Die Schweiz dank Jugos zum Zentrum Europas – eine Vision? 42
Die Chinesen kommen! 45
Einsteigen, aussteigen 47
Wer balkanisiert hier eigentlich wen? 48
Schlussbemerkungen 51
TEIL II – Interviews 54
Im Gespräch mit Dragica Rajc ic´: «Statt über Integration zu reden, würde man besser mit den Migranten sprechen» 54
Im Gespräch mit Dragan Ljubisavljevic´: «Serbien-Schweiz: eine ideale Symbiose» 64
Nachbemerkung 72
Im Gespräch mit Sreto Risti´c: «Der Wechsel von Zagreb nach Deutschland hat den Ausschlag für den Fussball gegeben» 73
Robert Ismajlovic´ am Wendepunkt: Vom sportbegeisterten Jungen aus Zadar – zum Secondo-Mister-Schweiz – zum Unternehmer mit neuen Plänen 78
Disziplin und Schicksal 79
Der junge Basketballer in Zadar 80
Vom Bombenhagel in die Schweiz 80
Sprache, Sport und Schule 81
Von den Zweifel Chips zum Mister 82
Vom Ernährungsshop zum Lernen der Bühnensprache 84
Die Frauen in Roberts Leben 85
Die Sonne Dalmatiens bleibt im Herzen 86
Portrait aus dem Umfeld der Université Populaire Albanaise Azem Hyseni: Schwerarbeiter, Unternehmer, Kosovoalbaner 88
Firmeninhaber mit eigener Immobilie 89
«Man muss auf die Leute zugehen» 90
Im Kosovo als Ausländer betrachtet 91
Die albanischen Pizzaiolos 91
Der Fall Monthey 93
Die UPA 94
TEIL IV – Fakten, Fakten, Fakten! 96
Fakten, Fakten, Fakten! 96
Überblick nach Herkunftsstaaten 96
Die Fakten zu den Sprachen 97
Die Fakten zu den Religionen 99
Ein Blick nach Zürich 100
Ein Blick nach Südost 102
Einschätzungen des slowenischen Botschafters Branko Zupanc: 106
Einschätzungen des kroatischen Botschafters Mladen Andrli´c: 108
Einschätzungen der bosnisch-herzegowinischen BotschafterinJasmina Pa.salic’: 109

Die katholischen Muslime von Rheineck (S. 19)
So wie es verschiedene Verständnisse der Schweiz und damit mehrere «Schweizen» gibt, so ist auch das geografische Verständnis unseres Landes im Kopf jeder Person ganz unterschiedlich: Spasseshalber sagt manch ein Berner: Die Schweiz hört hinter Zürich auf – worauf ein Ostschweizer launig erwidern könnte: Ja genau, dort hört sie für mich auch auf. Fühle ich mich im Tessin wohl, weil ich beim Bezahlen mit der Postcard vom Lesegerät auf Deutsch (zwar Hochdeutsch) begrüsst werde? Oder definiere ich meine Wohlfühlheimat negativ? Kann ich mich im Tessin über die zuvielen Deutschen ebenso wohlig aufregen wie es gewisse Zürcher in ihrer Stadt tun? – Ein etwas gar kleiner gemeinsamer Nenner für ein patriotisches Glücksgefühl, doch dem einen oder anderen mag es genügen. Diese banalen Beispiele zeigen: Schweizer sein, sich heimisch fühlen ist mit vielen Unschärfen verbunden. Und das ist gut so.

Damit sind wir bei der Einbürgerungsfrage. In Zeiten, wo sogar jemand mit deutschen Vorfahren wie Christoph Blocher Bundesrat werden kann, haben es sich gleich mehrere Parteien auf ihre Fahnen bzw. die damit geschmückten Inserate geschrieben, die Papierschweizer-Diskussion zu fördern. «Wäre ja gelacht, dass jeder, der ein rotes Büchlein nachgeworfen bekommt, sich auch Schweizer nennen darf», denkt manch ein rechtschaffener oder zumindest rechtsdenkende Politiker ... Gerade in der Ostschweiz – spasseshalber manchmal als Balkan der Schweiz bezeichnet – nimmt man es mit der Einbürgerungsfrage sehr ernst. Doch allzu viel Ernst kippt bekanntlich gern ins Groteske.

Wir befinden uns in der evangelischen Kirche von Rheineck – an der östlichen Schweizer Grenze. Im März 2007 hat hier die Bürgerversammlung die Einbürgerung von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien grundsätzlich abgelehnt. Muslime wurden als unerwünscht bezeichnet. «Ich will die Leute nicht, weil sie Muslime sind», so ein Votum aus den heiligen Hallen. Das Fazit: Ein – wohl katholischer – Italiener wurde eingebürgert, 25 Personen wurden von der Versammlung abgelehnt, und zwar aus Serbien, Bosnien und dem EU-Staat Slowenien («Wo cheibs liegt das schon wieder auf der Landkarte?»). Individuelle Begründungen, die auf die einzelnen Personen eingegangen wären, wurden nur in ganz wenigen Fällen genannt. So bei einem Serben: Er behandle seine Frau nicht gleichberechtigt. Interessant, dies aus einer Ecke der Schweiz zu hören, unweit der sich die Männer jahrelang gegen die Ausweitung der demokratischen Rechte auf die Frau gewehrt hatten.

Das beste Ergebnis unter den Abgelehnten erzielte – ja, es ist fast so spannend wie im Sport – ein Serbe, der seit 23 Jahren in der Schweiz lebt. Mit 98:113 hat er es dann doch nicht ganz geschafft. Fast scheint es, als wolle sich Rheineck an der Ostgrenze der Schweiz als eine Art Bastion gegen die neuen «Türkenstürme» hervortun. Mit etwas Abstand betrachtet schütteln viele Schweizer den Kopf, lösen sich doch die nicht eingebürgerten Personen nicht einfach in Luft auf, sondern bleiben so oder so hier. Wer ein minimes Einfühlungsvermögen hat, kann sich aber gut vorstellen, was im Kopf einer so getroffenen rechtschaffenen Person vorgeht. Und wer sich am Anblick der Jugos stört, den stören sie wohl auch ohne Schweizer Pass ... So könnte man die Papierschweizer-Diskussion doch zugunsten einer liberalen Einbürgerung umdrehen: Wenn die Staatsbürgerschaft so wenig wert ist, wie in der Politpropaganda behauptet wird, dann gebt sie doch den Leuten!

Erscheint lt. Verlag 22.1.2008
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie
ISBN-13 9783725308927 / 9783725308927
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