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Chic (eBook)

50 modische Legenden & wie man sie trägt
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
320 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9321-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Chic -  Katharina Blansjaar
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Wer in Kleiderfragen zwischen modisch und modern unterscheiden können will, muss wissen, wo alles beginnt. Die ersten Parkas stanken nach Fischöl, das kleine Schwarze glich eher einem bodenlangen Sack als einem Kleid mit Klasse, und Ballerinas hätten sich ohne Audrey Hepburn niemals durchgesetzt: 50 textile Entstehungsgeschichten, garniert mit Tipps, wie man heute in den großen Klassikern am schönsten daherkommt. Ein überraschendes, anregendes und stilvoll illustriertes Handbuch.

Katharina Blansjaar, geboren 1977 in Deventer (NL), lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Zürich. Sie ist Verfasserin eines Stilratgebers für Frauen und leitete während mehrerer Jahre das Ressort »Stil« der »NZZ am Sonntag«. Dort schrieb sie unter anderem die Kolumne »Strassentauglich«, in der sie nach den Geschichten hinter den Dingen, die wir tragen, suchte. Dieses Buch entstand, weil es immer noch eine Geschichte hinter der Geschichte gibt. www.rinneke.ch Daniel Müller, geboren 1964 in Baden, studierte an der Kunstgewerbeschule Luzern und an der Schule für Gestaltung Zürich. Seit 1993 lebt und arbeitet er als freier Illustrator in Zürich. Seine Arbeiten sind in diversen Zeitschriften und Büchern zu finden. Bei Kein & Aber sind von ihm bereits »Stil zeigen« und »Leichter reisen« mit Texten von Philipp Tingler, »Wie Bismarck auf den Hering« kam mit Texten von Petra Foede und »Homestories« mit Texten von Elke Heidenreich erschienen. www.illumueller.ch

I


Chr-jiiii

Eigentlich heiße ich gar nicht Isidoro Pfiffikus.

Also, das war nicht immer mein Name, ich hatte noch ein paar andere: Ganz am Anfang hieß ich Isidoro Raggiola, als Sohn von Quirino Raggiola und Stella Dimare. Ich weiß, der Name meiner Mutter – Seestern – klingt lustig. Ihre verschrobenen Eltern hatten sich einen Spaß daraus gemacht, einen Vornamen zu wählen, der zum Nachnamen passt wie ein T-Shirt zur Hose. Es gab im Dorf noch mehr solche Fälle, anscheinend war es damals üblich, den Vornamen auf den Nachnamen abzustimmen. Zwei besonders seltsame Beispiele sind der Maurer Aniello Santaniello – Lamm Lammfromm – und Isola Dellamorte – Insel des Todes –, die Tochter von Dr. Dellamorte – dem Arzt des Todes. Der Pfarrer setzte Himmel und Hölle in Bewegung, als sich diese Mode im Dorf breitmachte, und irgendwann platzte ihm der Kragen:

»Auf welchen Namen soll ich das Mädchen taufen? Santa? Wie war noch mal der Nachname?«

»Madonna. Ich bin Tonino Madonna, der Vater.«

»Santa Madonna? Heilige Madonna! Das kann doch nicht euer Ernst sein! Was habt ihr denn gegen Giuseppina, Concetta oder Anna? So ein Quatsch! Letzte Woche musste ich ein Kind auf den Namen Giardino taufen! Garten! Den Sohn von Peppe Fiorito! Jetzt heißt er Blühender Garten! Es reicht!«

»Aber wir sind fromm, wir wollen das Kind der Muttergottes anvertrauen.«

Es war ein Bauerndorf in den Bergen.

Im Dorf gab es einen einzigen Arzt, der zugleich die Apotheke betrieb, der Vater von Isola. Lieber Himmel, was für ein Nachname bei dem Beruf! Er war zum Glück nett, und irgendwann dachte man sich nichts mehr dabei, wenn man zum Todesarzt ging, als würde man Gebäck der Firma Giftmischer, Rettungsringe der Marke Endebös oder Medizin von Wirklos kaufen.

Meine Mutter ist noch mal glimpflich davongekommen mit Seestern, auch wenn das Meer ungefähr hundert Kilometer entfernt war und die Straße sich auf dem Weg dorthin hügelauf und hügelab durch unzählige kleine Dörfer schlängelte. Mamas Name war das Meerigste, was es in der ganzen Gegend gab. Ich zum Beispiel war schon fast zehn, als ich zum ersten Mal am Meer war, und ob Mama überhaupt jemals dort gewesen ist, weiß ich nicht. Natürlich haben die Leute, die da waren, etwas erzählt, von Baden und Sand und all so was. Aber vielleicht sollte man einem Menschen erst am Ende, wenn er stirbt, einen Namen geben, dann hieße Mama Teigstern, und das würde richtig gut passen.

Zum Glück hatten meine Eltern mit diesen Namenspielchen nichts am Hut. In unserem Dialekt bedeutet Raggiola – mein Familienname – Fliese, und ich mag mir gar nicht ausmalen, was dabei hätte rauskommen können. Womöglich hätten sie mich mit Vornamen Küche oder Klo genannt.

Dafür verpassten mir die Kinder in der Grundschule sofort einen neuen Nachnamen. Ich pfiff damals schon, wenn auch noch mit Stimmtechnik, ich war bekannt wie ein bunter Hund und trug alle möglichen Namen, Pfeife oder Vögelchen, weil ich dem Franzosen noch nicht begegnet war. Aber in der Schule hieß ich Isidoro Dünnbauch, weil Bauchhaut und Wirbelsäule bei mir so nah beieinanderlagen, dass kaum Platz war für meine kleine geballte Faust von Magen. Dabei aß ich, es war unmöglich, zu Hause nicht zu essen, aber ich rannte und rannte, immerzu rannte ich, und sogar beim Rennen pfiff ich, wie die Schwalben, die im Flug schreien, ausgelassen vor Freude. In dem Alter pfiff und zwitscherte ich wie eine Amsel. Habt ihr im Ohr, wie eine Amsel zwitschert?

Als ich geboren wurde, hatte ich, die kleinen Fäuste blau vor Anstrengung, die Augen zusammengekniffen und den Mund aufgerissen und war rot angelaufen, wie alle Neugeborenen. Aber ich weinte nicht. Ich habe gebrüllt, aber nicht geweint. Die Luft drang mit Macht und ungefragt in meine untrainierte Lunge ein, und ich stieß sie mit aller Kraft zurück, aber ich weinte nicht, ich machte nicht »mwäääh«. Ich machte »chrrriii«. Ich pfiff. Danach war ich ein paar Stunden still. Ich beobachtete einfach nur, was um mich herum geschah, und das war Folgendes: Zuerst schob mir die Krankenschwester einen Schlauch in die Nase, »um meine Atemwege freizukriegen«, wie sie, soviel ich weiß, sagte, und dabei stieß ich den zweiten Pfiff aus, bei dem sie noch mehr erschrak als beim ersten; sie holte sogar rasch eine Taschenlampe, um mir mit einem spargeldicken Lichtstrahl in den Rachen zu leuchten und herauszufinden, was ich in dem ganzen ekligen Schleim Merkwürdiges hatte. Anschließend wusch und säuberte mich die Schwester gründlich, dabei zog sie allerdings an mir herum und drehte und wendete mich wie ein Zicklein. Papa saß bei Mama und hörte nicht auf, sie zu streicheln, beide sahen zufrieden aus, und die Hände meiner Mutter waren wie immer voller verkrusteter Mehlpampe. Dann wurde ich in die Wiege gelegt. Das heißt, eine richtige Wiege hatten wir nicht, aber der Nachbar eines Bekannten eines Freundes hatte in Deutschland einen Verwandten, und der besaß eine nagelneue Wiege, die er uns schenkte und im Sommer extra bringen wollte. Aber ich war zu früh auf die Welt gekommen, und die Wiege stand noch in Deutschland, wo sie, ehrlich gesagt, auch geblieben ist.

Als Mama die ersten Wehen spürte, ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen, obwohl es ihre erste und übrigens einzige Geburt war. Bis es richtig losging, knetete sie noch ein paar Kilo schön weichen Teig und formte ihn auf dem dicken runden Backbrett, das uns auch als Esstisch diente. Während sie den Teig knetete, mit ihren schönen, kräftigen, weißen Armen, die selbst aussahen wie aus Teig gemacht, hielt sie immer wieder inne und stöhnte: »Oh heilige Maria!«

Papa fragte: »Was ist los, Stella?«

»Nichts«, antwortete sie und knetete weiter. Es folgten ein »Oh Jesus!«, ein »Oh heiliger Antonius!«, ein »Oh heiliger Sankt Blasius!«, bis schließlich, in einem nicht zu bremsenden Crescendo von Heiligen, zwangsläufig der große Meister dran war und sie bei der stärksten Kontraktion »Oh Gott!« schrie. Der runde Brotlaib war fertig und eingemehlt. Sie bat Papa, ihn abzudecken, denn sie hatte etwas Hefe dazugegeben, damit er besonders weich würde. Zusammen mit der kleinen bunten Wolldecke war das mein wunderschönes erstes Bett, ein Bett aus Hefeteig. Da lag ich also im Weichen, den ganzen Abend und die ganze Nacht mit offenen Augen, ganz nah bei meinem Vater. Ich sah ihn an, und er sah mich an. Zum Glück lebte die Krankenschwester im Dorf, denn bei einer vorzeitigen Geburt kann man keine sechzig Kilometer ins nächste Krankenhaus fahren, also kümmerte sie sich um alles.

Nach ein paar Tagen hatten sich meine Eltern an meine seltsame Art zu weinen gewöhnt, an diese schrill gepfiffenen aufsteigenden Schreie, »chr-jiiii, chr-jiii«, von denen Mama stolz behauptete, sie auf Anhieb zu verstehen.

»Chr-ji!«

»Er hat Aa gemacht.«

»Chr-jiii!«

»Er will trinken.«

»Chr-jiiiii!«

»Nimm ihn auf den Arm, Quirino!«

Ich war noch kein Jahr alt, da sprach ich schon ein paar Wörter, und das Pfeifen wurde deutlich weniger; außerdem kapierte ich allmählich ein bisschen besser, wie meine Kehle und mein Mund funktionierten, mein »Stimmapparat«, wie man mir erklärte. Wenn ich weinen wollte, dann weinte ich wie andere Kinder auch, und alle vergaßen das Pfeifen, einschließlich ich selbst. Bis Alì kam, ein wunderschöner Beo.

Streng genommen kann man nicht sagen, dass er selber ins Dorf kam, denn er wurde gebracht. Mattinella – mein Dorf – liegt nämlich nicht auf der Reiseroute von Beos, es liegt vielleicht auf der Reiseroute anderer Vögel, meiner Meinung nach aber nicht auf der von Beos. Alì war von Alfredo Zonzo gekauft worden, dem Inhaber der Zoohandlung A ZONZO, was so viel wie »bummeln« heißt. Seine Eltern hatten ihn auf einen ganz normalen Namen getauft, Alfredo, aber er hatte den Anfangsbuchstaben einfach so, ohne Punkt, auf das Schild geschrieben, und damit war alles hinüber. Als Tüpfelchen auf dem i war seine Tochter mit ihrem Mann Antonio Piazza in die Wohnung unter ihm gezogen, und im Erdgeschoss wohnte eine Witwe namens Dante. An der Sprechanlage las man also von oben nach unten:

Bummeln

Auf der Piazza

Dante

Unser Klingelschild war aber auch hübsch: Raggiola-Dimare. Meerfliese.

Ich habe oft darüber nachgedacht. Könnt ihr euch vorstellen, eine Fliese aus Meer zu haben? Zwanzig auf zwanzig Zentimeter Meer bei euch zu Hause, mit einem Fisch, der ab und zu reinschwimmt und wieder verschwindet? Und ihr stellt euch die Fliese auf den Nachttisch und schaut sie am Morgen zehn Minuten lang an, bevor ihr zur Arbeit geht? Wenn man eine Meerfliese haben kann, dann kann man auch einen ganzen Meerboden haben, dreißig Quadratmeter blaues Wasser, ein Esszimmer mit Tisch und Sofa und Wasser unter den Füßen, und im Sommer kommt einer vorbeigeschwommen! Guten Tag! Hallo, mein Freund! Oder gleich ein ganzes Haus aus Meerfliesen, stellt euch das mal vor!

Signor Zonzo betrieb in einer Gasse hinter der Piazza eine Art Laden, in dem man auch Landmaschinen, Heuballen, Mähdrescher, Öl und all so was kaufen konnte. Im Laden war nichts. Durch das hochgezogene Rollgitter betrat man einen leeren Raum, nur in der Mitte standen ein Schreibtisch mit grüner Resopalplatte und zwei Stühle, einer davor und einer dahinter. Hinter dem Tisch saß Signor Zonzo, davor der Bauer, der etwas kaufen wollte.

Zonzo, der Geschäftsmann, fing immer mit der gleichen Aufforderung an:

»Was ist.«

Er sagte es freundlich, er wollte den anderen...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2015
Illustrationen Daniel Müller
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Sonstiges Geschenkbücher
Schlagworte animal • Anziehsachen • Ballerinas • Blansjaar • Caprihose • Design • Etuikleid • Geschenkbuch • Geschichte • Hose • Humor • Jacke • Keilabsatz • Keilabsatz, Stil • Klassiker • Kleider • Kombinationen • Legenden • Minirock • Mode • Modeklassiker • Müller • Norwegerpulli • Panamahut • Parka • Ratgeber • Schwarze • Stil • Stoff • Tipps • Trenchcoat
ISBN-10 3-0369-9321-5 / 3036993215
ISBN-13 978-3-0369-9321-8 / 9783036993218
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