Dein Körper glaubt dir alles (eBook)
208 Seiten
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
978-3-96859-579-5 (ISBN)
Wie unsere Erwartungen die Gesundheit und Genesung beeinflussen
„Das Leben ist weitgehend eine Frage der Erwartung.“
Homer
Das Knie ist mit sterilen Tüchern abgedeckt. Das OP-Team steht für den Eingriff bereit, das Endoskop und weitere Instrumente für die Arthroskopie warten auf den Einsatz. Das Gelenk soll mit Kochsalzlösung gespült, kleine frei herumschwimmende Knorpelstückchen entfernt, der Knorpel vielleicht etwas geglättet und somit die Entzündung beruhigt werden. Der Patient liegt auf dem OP-Tisch und hofft, dass die Schmerzen im Knie nach dem Eingriff bald der Vergangenheit angehören. Damit der behandelnde Arzt die kleine Kamera ins Gelenkinnere einführen kann, setzt er zu Beginn einen Hautschnitt mit dem Skalpell. Die gesamte Prozedur dauert nur rund eine halbe Stunde. Modernste Medizin auf Top-Niveau.
Nur: Der Chirurg Bruce Moseley aus Houston/Texas hatte das schmerzende Knie gar nicht operiert. Die Instrumente waren nie ins Innere des Knies gelangt, Moseley ritzte lediglich die Haut ein wenig an, sodass etwas Blut zu sehen war, die Spülgeräusche von der Kochsalzlösung im Knie kamen vom Tonband, das Video vom Gelenkspalt und den Menisken von einem anderen Patienten.
Moseley wollte 2002 bei 180 Patienten mit Kniebeschwerden herausfinden, welchen Erfolg eine Arthroskopie für den Patienten bringen kann. Revolutionär an seiner Studie war, dass er diesen Eingriff erstmals im Vergleich zu einer Schein-Arthroskopie durchführte. Er unterteilte drei Gruppen: Die einen bekamen eine Spülung des Gelenks, bei den anderen wurde gespült und gleichzeitig der Knorpel geglättet, die dritte Gruppe erhielt lediglich den kleinen Hautschnitt. Die Patienten waren zuvor darüber informiert worden, dass sie per Los in eine der drei Gruppen eingeteilt werden, aber nicht, in welche. Aufgrund des professionellen Rahmens waren alle überzeugt, dass bei ihnen der Eingriff durchgeführt wurde – auch diejenigen mit der Schein-Operation.
Moseley erfragte später bei allen Patienten die Schmerzintensität und Funktionsfähigkeit des Knies. Außerdem testete er die Laufaktivität und das Treppensteigen bei den Studienteilnehmern.
Das Ergebnis verblüfft: Den Behandelten – unabhängig davon, ob eine Spülung oder eine Spülung mit Knorpelglättung vorgenommen wurde – ging es nicht besser als den Schein-Operierten, nicht nach einem und nicht nach zwei Jahren. Es gab schlicht keinen Unterschied. Wie ist das möglich? Genau dies wollen wir hier erklären. Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden erfahren, dass dieses Phänomen bei jeder Behandlung auftreten kann.
Glauben, hoffen und erwarten
Sie werden staunen und sich wundern: Viele Informationen in diesem Buch dürften überraschend für Sie sein, ja manches kaum zu glauben. Wahrscheinlich haben Sie eine bestimmte Vorstellung, wenn Sie das Wort „Placebo“ hören. „Da bekommt man eine Zuckerpille, gar kein Medikament“, „… da wird man irgendwie getäuscht, kriegt keine echte Medizin, keine echte OP …“, sind sicher bei vielen von Ihnen erste Assoziationen. Damit wollen wir gleich mal aufräumen.
Placebos selbst enthalten zwar keinen Wirkstoff, ebenso wenig wie die Schein-Operation im Kniegelenk von Dr. Moseley eine Wirkung im eigentlichen Sinne haben kann. Aber was stattdessen wirkt, ist unsere eigene Erwartungshaltung, also die Erwartung und Hoffnung, dass die Behandlung hilft und die Beschwerden danach gelindert sind. Ebenso lösen Lernerfahrungen Erwartungs-Effekte aus: Wenn uns die Erfahrung gelehrt hat, dass eine weiße runde Tablette unsere Kopfschmerzen lindert, wird das unter bestimmten Bedingungen auch eine weiße Zuckertablette tun.
Was wir als Placebo-Effekt und Nocebo-Effekt bezeichnen, geschieht in uns. Sie selbst als Patientinnen und Patienten stoßen diese Effekte an.
Definition: Placebo und Nocebo
Placebo- und Nocebo-Effekte treten aber nicht nur im Rahmen von Placebo- und Scheinbehandlungen auf. Erwartungen modulieren die Wirksamkeit jeglicher Therapie: Also jedes Mal, wenn Sie wegen ihrer Beschwerden zum Arzt gehen, eine physiotherapeutische Praxis wegen der Rückenschmerzen betreten, ihnen die Pflegekraft im Krankenhaus ein Medikament reicht, ihnen der Anästhesist vor der Operation den Ablauf der Narkose und Schmerztherapie erklärt, wirken auch Erwartungseffekte.
Erwartungen sind ein wichtiger Faktor, der eben auch „echte“ Therapien beeinflusst – und damit unsere Gesundheit und Genesung. Zum Guten, aber auch zum Schlechten. Das ist in Studien vielfach belegt.
Das Gute ist: Sie können selbst dazu beitragen, Placebo-Effekte zu stärken und Nocebo-Effekte zu mindern oder zu vermeiden und zu verstehen, wie Sie und Ihre Behandler diese Kraft der Erwartung aktivieren können.
Hierzu möchten wir Sie ermutigen, ebenso wie wir Ärzte und alle, die im therapeutischen Bereich tätig sind, zur Berücksichtigung und Nutzung von Erwartungseffekten in ihrer Arbeit mit Patienten raten.
Therapeuten wie Patienten sollten Erwartungseffekte nutzen, um medizinische Behandlungen wirksamer und verträglicher zu machen. Aber ebenso wichtig ist es, negative Erwartungen zu vermeiden, um unerwünschte Nocebo-Effekte zu verhindern. Denn negative Erwartungen vermögen den Behandlungserfolg zu beeinträchtigen und können zum Auftreten von unerwünschten Wirkungen – zum Beispiel Nebenwirkungen – führen. In der medizinischen Praxis ist der Nocebo-Effekt vermutlich noch bedeutsamer als der Placebo-Effekt.
Was Heiler und Ärzte schon immer wussten
Bereits seit der Antike besteht das Bewusstsein, dass die Wirkung von Arzneien und Therapien durch weitere Faktoren, aber vor allem durch Kommunikation unterstützt wird: Neben den In-formationen, die ein Arzt oder eine Therapeutin im Gespräch mit einem Patienten vermittelt, ist auch die nonverbale Kommu-nikation von Bedeutung, also die Frage, wie die Gesprächssituation gestaltet wird und in welchem Ambiente ein Gespräch stattfindet.
Die sogenannten Kontextfaktoren prägen die Erwartungen von Patienten und Patientinnen und unterstützen so die Wirkung von Therapien – oder reduzieren sie.
Die größten Erwartungseffekte sind auf subjektive Symptome wie Schmerzen, Stimmung, schlechter Schlaf, Ängstlichkeit und Müdigkeit belegt.
Viele unter Ihnen haben sicher in der ein oder anderen Situation bereits Erwartungseffekte erlebt.
Anekdoten über Erwartungen
Wann Erwartungen wirken …
Einen Trümmerbruch des Unterschenkels kann kein Placebo der Welt heilen, auch die größte Erwartung wird die gesplitterten Knochen nicht wie von Zauberhand zusammenflicken. Das muss ein Chirurg erledigen.
Eine Krebserkrankung benötigt eine komplexe Therapie, je nach Erkrankung mit einer Operation, Chemotherapie, Bestrahlung und ganz neuen modernen Ansätzen, zum Beispiel einer Immuntherapie. Dazu gehört idealerweise auch die Begleitung eines Psychoonkologen.
Was das alles mit Placebo-Effekten zu tun hat? Wenig. Zumindest nicht im ersten Schritt. Aber wie schnell die Heilung nach der Operation voranschreitet, wie effektiv eine Therapie anschlägt, wie heftig Nebenwirkungen zu spüren sind, wie schnell – auch psychisch – ein Patient wieder gestärkt ist, das alles kann durch die Erwartungen an die Therapie beeinflusst werden.
Nicht nur die Behandlung, sondern auch der Patient ist ein Faktor bei der Genesung. Dies ist natürlich ein idealtypisches Schema. Es soll nur zeigen, dass die Erwartung des Patienten den Genesungsprozess beeinflussen kann. Wie komplex dieser Einfluss ist und wie Sie ihn selbst auch steuern können, lesen Sie in den folgenden Kapiteln.
Und noch viele Faktoren mehr greifen hier. Das werden Sie im Einzelnen noch in diesem Buch erfahren. Es ist wichtig, zu verstehen, dass die eigene Erwartung bei jeder Behandlung mitwirken kann, im besten Falle positiv, aber leider häufig auch negativ. Bei einigen Erkrankungen ist dies deutlicher, beim gebrochenen Fuß geringer. Immer dann, wenn das persönliche Empfinden im Vordergrund steht – dies zeigen viele Forschungen –, wirken Erwartungseffekte besonders stark.
Das bedeutet: Sie als Patient mit Ihren Erwartungen und Einstellungen sind neben der Behandlung ein wichtiger Faktor.
Sie selbst beeinflussen mit, ob eine Behandlung erfolgreich oder vielleicht auch weniger erfolgreich verläuft! Dies bedeutet natürlich nicht, dass Sie Schuld haben, wenn Sie Nebenwirkungen spüren, nachdem Sie ein Medikament eingenommen haben oder wenn die Behandlung nicht wie erhofft anschlägt. Aber ihre Einstellungen und Erwartungen sind eben auch ein Faktor. Daher ist eine zentrale Frage: Was brauche ich, um eine positivere, aufgeschlossenere Haltung zu bekommen? Und je mehr Ärzte, andere Therapeuten und Sie selbst über die Mechanismen der Placebo- und Nocebo-Effekte wissen, desto eher können Sie sie gemeinsam zum Besseren nutzen.
Wo wirkt der Erwartungseffekt?
Erwartungseffekte beruhen auf machtvollen Mechanismen in vielen körperlichen Systemen: in der Psyche, im Magen-Darm-Trakt, im Herz-Kreislauf- und Hormonsystem, in der Lunge und sogar im Immunsystem, das für die Abwehr von Bakterien, Pilzen und Viren zuständig ist.
Hier ein Beispiel, wie auch der Blutdruck als autonome Körperfunktion Erwartungseffekten unterliegt: In einer Zusammenfassung mehrerer Studien bei Bluthochdruck-Patienten, die mit Betablockern...
| Erscheint lt. Verlag | 18.8.2025 |
|---|---|
| Verlagsort | Stuttgart |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
| Schlagworte | Alternativmedizin • Baumgart • Behandlung • Behandlungserfolg • Bewusstsein • Emotionale Gesundheit • Erfolg • Gedanken • Geist-Körper-Medizin • Gesundheit • Gesundheitsberatung • Gesundheitsdenken • Gesundheitserhaltung • Gesundheitsführung • Gesundheitspsychologie • Heilkraft der Erwartung • Heilkraft des Geistes • Heilung • Kognitive Therapie • Kraft der Überzeugung • Medizin • Mentaltherapie • Naturheilkunde • Nocebo • Patienten • Placebo • Placebo-Effekt • Positive Psychologie • Potenzial • Psychosomatische Medizin • Selbstgesundheit • Selbstheilung • Therapieerfolg • Wohlbefinden |
| ISBN-10 | 3-96859-579-3 / 3968595793 |
| ISBN-13 | 978-3-96859-579-5 / 9783968595795 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 3,2 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich