Blut, Stolz, Fernweh und andere Mysterien (eBook)
200 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-16239-7 (ISBN)
Ellen Kuhn, geboren 1986, aufgewachsen im Raum Stuttgart, lebt als Kosmopolitin und digitale Nomadin mit ihrem Lebensgefährten in unterschiedlichen Ländern rund um den Erdball. Ellen Kuhn ist Autorin, Fotokünstlerin und Unternehmerin. Nach einem Betriebswirtschaftsstudium arbeitete sie einige Jahre als Managerin im Bereich Gesellschaftliche Verantwortung in einem internationalen Unternehmen, bevor sie sich in die Selbstständigkeit wagte. Das Studium fremder Kulturen ist zu einem Lebensinhalt geworden. Sie liebt es, die Welt auf den Ebenen der Psychologie, Soziologie und Philosophie zu durchdringen.
Ellen Kuhn, geboren 1986, aufgewachsen im Raum Stuttgart, lebt als Kosmopolitin und digitale Nomadin mit ihrem Lebensgefährten in unterschiedlichen Ländern rund um den Erdball. Ellen Kuhn ist Autorin, Fotokünstlerin und Unternehmerin. Nach einem Betriebswirtschaftsstudium arbeitete sie einige Jahre als Managerin im Bereich Gesellschaftliche Verantwortung in einem internationalen Unternehmen, bevor sie sich in die Selbstständigkeit wagte. Das Studium fremder Kulturen ist zu einem Lebensinhalt geworden. Sie liebt es, die Welt auf den Ebenen der Psychologie, Soziologie und Philosophie zu durchdringen.
3. Stolz – Profilsuche eines Gefühls
Kennen Sie das auch? Irgendwie schafft es ganz unmerklich und scheinbar aus dem Nichts kommend eine Frage in Ihr Leben. Eine, die nicht lebenskritisch ist, aber die sie beschäftigt. Diese Frage ergibt sich aus einer Beobachtung oder Wahrnehmung, die man seit Jahren einfach getilgt hat und spurlos an sich vorüberziehen hat lassen. Und nun hat sie es ins kritische Bewusstsein geschafft. Die auslösende Beobachtung beginnt nun exponentiell häufig in Ihrer Wahrnehmung aufzutauchen. In psychologischer Parlance spricht man von selektiver Wahrnehmung. An Ihrem neu gewonnenen Blick auf diesen Umstand stört Sie etwas, aber Sie wissen nicht genau, was es ist.
Irgendwann beginnen Sie aktiv über den Sachverhalt und die damit verbundene Frage nachzudenken, darüber zu lesen und sich mit anderen Menschen darüber auszutauschen. Es bildet sich allmählich ein Bild von dem, was Sie anfangs nur als disparat wahrgenommen haben. Und irgendwann erzählt das entstandene Bild Ihnen etwas über Sie selbst.
In mir löste das Gefühl Stolz diesen Reflexionsprozess aus. Immer mehr nahm ich Situationen wahr, die ich früher einfach hingenommen hatte, die aber nun in mir eine Vielzahl an Fragen aufwarfen. Fragen, in die ich Sie mitnehmen und durch die ich auch Ihre bewusste oder unbewusste Einstellung etwas verunsichern möchte. Elf Szenarien, anhand derer ich diverseste Facetten des Stolzes entwickeln möchte.
Ein erstes Bündel an Begegnungen dieser Art hatte ich seit einiger Zeit in recht stereotypen Serien und Filmen aus der Traumfabrik Hollywood. Prinzipiell sind die Titel unerheblich, denn man könnte sie beliebig austauschen.
Szenario eins. Der Held (vorzugsweise männlich) einer Geschichte hat vor vielen Jahren (ebenfalls vorzugsweise) seinen Vater im Krieg verloren. Deshalb ist auch er zur Marine oder dergleichen gegangen. In einem Akt grenzenloser und teils gedankenloser Auf-Opferung in einer für die Welt lebensbedrohlichen Situation rettet er ebendiese und riskiert selbst zu sterben. In der Regel ist es ein (ebenfalls männlicher) Vorgesetzter, Gouverneur, Bürgermeister oder Präsident, der dann im Anschluss an das Wagnis an den Helden herantritt, ihm mit theatralischem Pathos die Hand auf die Schulter legt, ihm eine Medaille überreicht und sagt: „Dein Vater wäre stolz auf dich (gewesen)!“ Unterstrichen von getragener Musik blickt der Held mit sonst völlig unüblichen Tränen in den Augen den Vorgesetzten, Gouverneur, Bürgermeister oder Präsidenten an, und der Zuschauer liest in seinem Blick, wie dieser überaus maskuline Held fast schon in sein kindliches Ich regrediert und dass es keine Worte gäbe, die in diesem Moment eine größere Bedeutung für ihn haben könnten.
In einem ersten Brainstorming eruiere ich die nun für mich spürbaren Inkongruenzen. Selbst wenn ich ethische Überlegungen außen vorlasse, nämlich alle Soldaten als Helden zu feiern, da diese Huldigung häufig den Umstand verschleiert, dass Kriege allzu oft aus völlig unsinnigen Gründen geführt werden und der Tod vieler Soldaten auf absolut vernunftwidrigen, machistischen Entscheidungen beruht, so scheint mir der fiktive, postulierte Stolz des toten Vaters irgendwie unsinnig. Selbst wenn die Person, die vermutet, dass der verstorbene Vater vermeintlich stolz auf den Sohn wäre, den Vater gekannt hätte, weiß er natürlich nicht, ob dieser tatsächlich heute so fühlen würde. Er weiß nicht, ob der Vater zwischenzeitlich zu der Erkenntnis gekommen wäre, dass allein passive pazifistische Handlungen anzustreben sind, und er die Teilnahme des Sohnes an gewaltvollen Auseinandersetzungen heute vielleicht eher verurteilen würde (was zugegebenermaßen im US-amerikanischen Dunstkreis recht unwahrscheinlich anmutet).
Wieso kann der Interpreteur, also die selbst ernannte Ersatzvaterfigur, denn nicht selbst sagen, dass er stolz auf die Leistungen des Helden ist? Warum scheint es so viel mehr zu bedeuten, dass der verstorbene Vater diesen Stolz seinem Sohn gegenüber empfinden würde? Und würde der Stolz der Mutter, die vielleicht noch lebt, nicht auch ausreichen? Fungiert die Stolzbekundung eher als Trost und lieb gemeinte Kompensation? Als eine Floskel, um den in solch einer wichtigen Situation fehlenden Vater nicht allzu sehr vermissen zu müssen? Denn wer wünschte sich nicht, dass ein Elternteil wichtige Errungenschaften im eigenen Leben sieht und Anerkennung dafür zollt? Vielleicht war der Sohn aber auch zu Lebzeiten des Vaters nie gut genug für ihn und hat sich deshalb oft vergeblich angestrengt, in seiner Achtung zu steigen. Vielleicht ist er allein deshalb in seine Fußstapfen getreten, um endlich vom Vater gesehen zu werden. Spürt der Vateranalyst dieses Defizit und will dem Helden nun nachträglich die Genugtuung geben, dass er nun – natürlich rein fiktiv – endlich sein Ziel erreicht hat, den hehren Ansprüchen seines Vaters zu genügen? Ist der potenzielle Vaterstolz dann eher ein trügerisches und destruktives Gefühl? Ein ungelöster Vater-Sohn-Konflikt, der zu einem offensichtlichen oder verdeckten Minderwertigkeitskomplex des Sohnes geführt hat und sich durch den Ersatzstolz eher verfestigt? Ist die Heldentat nur die Tat eines kleinen Jungen, der verzweifelt versucht hat, seinem Vater zu gefallen? Während er gleichzeitig seine Existenz und seinen eigenen Tod riskiert hat. Hat der kleine Junge im Inneren des Helden seine eigene Identität, seine eigenen Bedürfnisse und Leidenschaften vielleicht seit Jahren völlig hinten angestellt? Wobei er möglicherweise nie die Möglichkeit hatte, seinen eigenen Weg zu finden, da er fast kontinuierlich versuchte, den nun toten Vater nach dessen Definition und Kriterien „stolz zu machen“ statt nach seinen eigenen? Oder löst sich dieser etwaige tief sitzende Minderwertigkeitskomplex durch diese beeindruckende Stolzbekundung endgültig in Wohlgefallen auf, da der Sohn mit einer Ersatzvaterfigur eine neue Beziehungserfahrung machen darf? Und wäre es darüber hinaus nicht eigentlich pädagogisch viel wertvoller, in dieser Situation den Sohn zu fragen, ob er selbst auf seine Leistungen stolz ist? Ist realer, lebendiger Stolz nicht wichtiger als ein verstorbener, als ein potenzieller, fiktiver, vermuteter?
Szenario zwei. Ein Sohn, dem eigentlich eine Karriere als Baseballprofi bevorstand, sitzt nun, verursacht durch einen Unfall, im Rollstuhl. Der Vater wird (aus noch nicht klaren Gründen) tot aufgefunden. Der Sohn wird im Anschluss von den Ermittlern zu seinem Verhältnis zum Vater befragt. In der Befragung fällt vom gerade zum Waisen gewordenen Jungen unter anderem folgender Satz: „Er war der stolzeste Vater auf der Welt.“
Ich frage mich nun, ob Stolz eher ein männliches Gefühl ist. Oder anders. Hat Stolz eher eine männliche Energie und damit auch für Männer eine größere Bedeutung? Wobei es selbstverständlich auch ausreichend Beispiele gibt, wo Mütter auf Töchter, Väter auf Töchter, Mütter auf Söhne und so weiter stolz sind. Der Satz aus Szenario zwei scheint beinahe ausreichend, um die gesamte Vater-Sohn-Konstellation zu beschreiben. Ich frage mich, ob es sozusagen das Ziel jeglicher Elternschaft ist, dass Eltern stolz auf ihre Kinder sind? Ist das Projekt „Kind“ im umgekehrten Sinne gescheitert, wenn man nicht stolz auf sein Kind sein kann?
Und da es sich bei Stolz offenbar um Stolz auf Leistung handelt, muss ein Kind folglich ein Leistungsträger sein, um wertvoll zu sein? Muss das Kind etwas Außergewöhnliches leisten, sodass man stolz auf es sein kann? Oft hört man vor einer Leistungs-Herausforderung eines Kindes – vorzugsweise beim Sport – auch folgenden Imperativ von den Eltern: „Mach mich stolz!“ Ist es vielleicht wirklich die Aufgabe von Kindern, Eltern oder andere Bezugspersonen stolz zu machen? Also, sich für sie anzustrengen? Oder spornt die Wurst vor der Nase des Hundes, also das Stolzversprechen, Kinder an, etwas zu erreichen? Ist es für einige Kinder gar ein Hauptmotor für (jegliche) Leistung und dadurch sogar ein ganz und gar manipulatives Versprechen?
Darüber hinaus frage ich mich speziell in diesem Szenario, weshalb Stolz einen Superlativ braucht. „Stolzester Vater der Welt.“ Es reicht nicht, der stolzeste Vater in New York, Boston, Los Angeles etc. zu sein, sondern es muss gleich der stolzeste Vater der Welt sein. Brauchen wir als Kinder in Anbetracht der Bedeutungslosigkeit unserer Existenz auf einem Planeten mit Milliarden Individuen das Gefühl, dass zumindest ein bis zwei Menschen auf der Welt uns für das Größte halten?
Verlassen wir den überwiegend US-amerikanischen Kulturkreis mit ihren oft ganz eigenen Werten und Idealen und wenden uns für mich Alltäglicherem zu.
Szenario drei. Ich erzähle einer Freundin von einem Erfolg. Sie ist ganz euphorisch ob meiner Errungenschaft und freut sich für mich und mit mir. In ihrem Überschwang sagt sie: „Ich bin sehr stolz auf dich“. Ich antworte...
| Erscheint lt. Verlag | 2.3.2024 |
|---|---|
| Verlagsort | Ahrensburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Essays / Feuilleton |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität | |
| Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Ethik | |
| Schlagworte | Essays • Fernweh • Gedanken • Inspiration • Kinder • Klima • Lebensthemen • Lesen • Menstruation • Nachdenken • Obdachlosigkeit • Philosophie • Psychologie • Reflektieren • Reisen • Schmerz • Selbstwert • Stolz • Unterhaltung |
| ISBN-10 | 3-384-16239-0 / 3384162390 |
| ISBN-13 | 978-3-384-16239-7 / 9783384162397 |
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