'Der Staat bin ich!' (eBook)
304 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
9783958905030 (ISBN)
Bernd Ingmar Gutberlet, geb. 1966, ist Historiker. Er studierte in Berlin und Budapest und arbeitet heute als Publizist in Berlin. In vielen Büchern vermittelt er zwischen Wissenschaft und 'interessierten Laien', weil er findet, dass fundierte Recherche und komplexe Zusammenhänge nicht auf Kosten der Verständlichkeit und des Lesevergnügens gehen müssen. Neben seiner publizistischen Tätigkeit macht Gutberlet außerdem als Stadtführer in Berlin Geschichte zugänglich. www.berlinfirsthand.de
Bernd Ingmar Gutberlet, geb. 1966, ist Historiker. Er studierte in Berlin und Budapest und arbeitet heute als Publizist in Berlin. In vielen Büchern vermittelt er zwischen Wissenschaft und "interessierten Laien", weil er findet, dass fundierte Recherche und komplexe Zusammenhänge nicht auf Kosten der Verständlichkeit und des Lesevergnügens gehen müssen. Neben seiner publizistischen Tätigkeit macht Gutberlet außerdem als Stadtführer in Berlin Geschichte zugänglich. www.berlinfirsthand.de
Kräftemessen auf Schlachtfeld und Sportplatz
Unter der Herrschaft der Perser erlebte Lydien trotz der Abhängigkeit von der Dynastie der Achämeniden zunächst ruhige und gute Zeiten, wenn auch Unabhängigkeit und Einfluss verloren waren. Dann aber wirkte sich das epochale Kräftemessen zwischen Griechen und Persern seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. auf Lydien massiv aus. Zwischen den Machtblöcken eingeklemmt, erlitt man, als die friedlichen Zeiten vorbei waren, das Schicksal einer Pufferzone im Fokus von unterschiedlichen Interessen und kriegerischer Machtpolitik.
Große Wendepunkte der Menschheitsgeschichte bieten den Anlass zu fragen, wie es der Welt wohl ergangen wäre, wäre ein zentrales Ereignis anders ausgegangen. Zu solchen Schicksalsereignissen gehören naturgemäß solche, in denen eine Bedrohung endgültig abgewehrt werden konnte, etwa durch das faschistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg, durch den napoleonischen Expansionsdrang zu Beginn des 19. Jahrhunderts oder durch die Türken Ende des 17. Jahrhunderts – oder eben viel früher das Perserreich, das im 5. vorchristlichen Jahrhundert versuchte, die griechische Welt im östlichen Mittelmeerraum zu unterwerfen. Weil der klassische Gegensatz zwischen dem Wir und den Anderen die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit prägt, fließt er mit ein in die konjunktivische Einschätzung – über die Jahrhunderte wurde die Abwehr der persischen Invasoren als grundlegend für die weitere Entwicklung betrachtet, bis hin zur Errettung der westlichen Zivilisation, die ansonsten der »persischen Despotie« zum Opfer gefallen wäre. Abgesehen davon, dass den Griechen vermutlich der sich anschließende verheerende Bürgerkrieg erspart geblieben wäre, ist aber keineswegs zwingend, dass »der Westen« aufgehört hätte zu existieren, ehe sein Siegeszug so richtig Schwung hätte aufnehmen können. Die berühmtesten Kernereignisse der Perserkriege sind zwei griechische Triumphe über die Invasoren: Die Schlacht bei Marathon 490 v. Chr. und die Seeschlacht vor der Insel Salamis bei Athen zehn Jahre darauf. Diese Siege über die Perser gingen nach der Neugründung Griechenlands 1830 (bis dahin war es Teil des Osmanischen Reiches) in den Bestand der Nationalmythen des Mittelmeerstaates ein.
Das riesige Herrschaftsgebiet der Perser, einer der am weitesten entwickelten Kulturen der Alten Welt, bildete das bis dahin größte Reich überhaupt. Es reichte von Ägypten bis Indien, vom südlichen Russland bis zum Indischen Ozean. Im östlichen Mittelmeerraum waren die griechischen Städte an der Küste Kleinasiens und die vorgelagerten Inseln zu Vasallen der Perserkönige geworden. Das stellte nicht unbedingt einen Nachteil dar, denn die unterworfenen Völker genossen weitgehende Freiheiten, kulturell und religiös, und ihre Fürsten besaßen einige Entscheidungsfreiheit. Auch profitierten sie von der bemerkenswerten Infrastruktur des Großreiches, das beispielsweise als Erstes überhaupt ein Postwesen einführte. Gleichwohl beschworen griechische Autoren einen Gegensatz von griechischer Freiheit und persischem Despotismus, dies war ideologischer Bestandteil der Auseinandersetzung und hält sich wirkmächtig bis heute. Doch mehr als um Freiheit ging es um Vorherrschaft.
Als der Herrscher der griechischen Stadt Milet (im heute türkischen Kleinasien, südlich von Izmir) sich von den Persern lossagte, begann damit 500 v. Chr. der Ionische Aufstand, den die Athener unterstützten. Zunächst erfolgreich, mussten sich die aufständischen Städte schließlich doch den Persern geschlagen geben; die Kulturmetropole Milet wurde als Aufrührerin 494 v. Chr. völlig zerstört. In einer Vergeltungsaktion schickte sich der persische König Dareios I. an, die Herrschaftsverhältnisse im östlichen Mittelmeerraum ein für alle Mal zu persischen Gunsten zu klären. 490 v. Chr. zog ein Heer bis nach Attika, konnte aber bei Marathon geschlagen werden – überraschend für alle Seiten, zumal die stärkste Militärmacht Griechenlands, Sparta, an der Schlacht gar nicht beteiligt war. Die Spartaner trafen nämlich zu spät ein – wegen des Vollmondes, bei dem sie nicht ins Feld ziehen durften.
Marathon liegt nordöstlich der griechischen Hauptstadt, und hier sah sich im Jahr 490 v. Chr. die Republik Athen unter Miltiades einer Übermacht der Perser gegenüber. Die 10 000 Soldaten der Athener wurden von einer Tausendschaft befreundeter Platäer unterstützt. Gegen alle Wahrscheinlichkeit siegten die Griechen, was ihr Selbstbewusstsein stärkte und ihren Willen, sich weiter gegen die mächtigen Perser zu behaupten. Noch heute kann man in Marathon den Grabhügel für die 192 gefallenen Soldaten der Athener sehen. Marathon besitzt aber auch eine Gedenkstätte für den berühmten Marathonlauf, an der bei den Olympischen Spielen 2004 die Läufer zum Wettkampf antraten.
Als nämlich der Sieg der Athener gesichert war, soll ein Bote namens Pheidippides (bei anderen Autoren Thersippos oder Eukles) in voller Rüstung mitsamt Speer und in Sandalen die gut 42 Kilometer nach Athen gerannt sein, um auf dem Marktplatz den Landsleuten die frohe Kunde zu überbringen. Dort rief er nach der Erzählung des Geschichtsschreibers Plutarch aus: »Freut euch, wir haben gesiegt!«, brach gleich darauf jedoch vor Erschöpfung tot zusammen.
Aus dieser Legende ging die moderne olympische Disziplin des Marathonlaufes hervor, die seit den ersten Spielen der Neuzeit, 1896 in Athen, ausgetragen wird: Ein Langstreckenlauf von zunächst 40 Kilometern, was der Distanz zwischen Marathon und dem Zentrum von Athen entspricht. Die heutige Wettkampflänge von 42,195 km wurde erst 1924 festgelegt. Seither laufen die Leichtathleten eine Strecke, die der Entfernung zwischen Windsor Castle und dem White-City-Stadion entspricht und auf die Spiele in London 1908 zurückgeht. Den ersten olympischen Marathonlauf 1896 gewann ein griechischer Schafhirte namens Spyridon Louis in knapp drei Stunden, ganz überraschend als Außenseiter der 25 Teilnehmer. Er wurde prompt als Volksheld gefeiert. Da tat es wenig zur Sache, dass der Mann im Team der Vereinigten Staaten angetreten war, weil die griechische Sportwelt ihn nicht ernst genommen hatte. Nationalheld ist Spyridon Louis in Griechenland bis heute, und das Athener Olympiastadion der Spiele von 2004 wurde auf seinen Namen getauft.
Der Schafhirte war aber nicht nur der Sieger des ersten olympischen, sondern des ersten Marathonlaufes überhaupt, denn die Legende vom Boten nach der Schlacht besitzt keine historische Grundlage, da sind sich die Fachleute ziemlich einig. Mehrere Umstände lassen die Geschichte höchst unwahrscheinlich erscheinen: Zum einen gibt es einen Hauptinformanten über die Schlacht, nämlich den berühmten Geschichtsschreiber Herodot. Der aber erwähnt den Boten der Siegesnachricht mit keinem Wort. Das ist ausgesprochen verdächtig, denn sein Bericht verklärt die Großtat der Griechen gegen die übermächtigen Perser, wo es nur geht – da hätte er sich den Verweis auf den tapferen Soldaten, der sein Leben opfert, um die Nachricht vom Sieg nach Athen zu bringen, ganz bestimmt nicht entgehen lassen. Viel später erst haben Autoren den Marathonläufer in ihre Schlachtbeschreibung eingebaut, nachgewiesen zuerst im 2. Jahrhundert n. Chr., also mehr als ein halbes Jahrtausend später. Der Geschichtsschreiber Plutarch immerhin verweist in seinem Bericht auf eine sehr viel ältere Schilderung, die aber nicht überliefert ist. Des Weiteren ist die Geschichte vom Schlachtboten, der gerade noch seine Nachricht übermitteln kann und dann tot zusammenbricht, ein häufig bemühter Topos im antiken Griechenland. Und schließlich wäre da noch ein eher banaler, aber deshalb nicht weniger überzeugender Umstand: Es gab gar keine Notwendigkeit, einen Boten zu Fuß nach Athen zu schicken. Zur damaligen Zeit hatten die Griechen längst die Übermittlung von Nachrichten per Signalgebung eingeführt. Und so dürften sie ihre Mitbürger auch sehr viel schneller und ohne den Tod eines weiteren Soldaten über den Sieg informiert haben.
Nach der Schmach des Jahres 490 zog sich Persien zunächst aus Griechenland zurück, rüstete jedoch sogleich wieder auf. Aber erst als 486 v. Chr. Dareios I. gestorben und sein Sohn Xerxes I. König geworden war, wurde ein abermaliger Griechenlandfeldzug in Angriff genommen. Xerxes hatte nichts weniger im Sinn, als das gesamte Griechenland seinem riesigen Reich einzuverleiben, und ging die Sache planvoll und methodisch an. Zum Beispiel ließ er eigens für den Truppentransport auf der Halbinsel Chalkidike einen Kanal bauen. Im Sommer 480 v. Chr. überschritt sein Heer auf Pontonbrücken die Dardanellen, die damals Hellespont hießen; seine Flotte folgte entlang der ägäischen Nordküste. Bei den Thermopylen nördlich von Delphi siegte Anfang August in mehrtägiger Schlacht das persische Heer, die gleichzeitige Seeschlacht am Kap Artemision an der Nordwestküste Euböas ging unentschieden aus. Die griechische Flotte entging ihrem Untergang gerade so.
Jetzt stand die Sache Spitz auf Knopf. Mehr als...
| Erscheint lt. Verlag | 26.5.2023 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
| Schlagworte | Adel • Allgemeinwissen • Bevölkerung • Fake News • Fälschung • Folklore • Geschichtsbild • Geschichtsfälschung • Geschichtsklitterung • Gesellschaft • Helden der Geschichte • Historische Helden • historische irrtümer • historische Wahrheit • Königshäuser • Lebenslüge • Lebenslügen • Legenden • Manipulation • Medien • Nation • Nationalheld • Populäre Fälschungen • Populäre Verleumdungen • Schulbücher • Tradition • über historische Irrtümer • Verleumdung • Wahrheit • Weltbild |
| ISBN-13 | 9783958905030 / 9783958905030 |
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