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Schockmomente (eBook)

Eine Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung 1850 bis heute

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
544 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-82195-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schockmomente -  Harold JAMES
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Harold James' neues Buch ist eine Geschichte der modernen Weltwirtschaft, die die großen wirtschaftlichen (und im Gefolge politischen) Krisen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute miteinander in Beziehung setzt. Von den Hungersnöten ab 1840 über die Hyperinflation 1923, die Ölkrise der 1970er-Jahre, die Finanzkrise 2008/09 bis zur Coronakrise lässt sich, so James, beobachten, wie Versorgungsengpässe und steigende Preise politische Systeme wie Unternehmen zum Besseren verändern oder hinwegfegen. Daraus ergeben sich Mechanismen, die all diese Krisen prägen und in Zukunft zur Überwindung neuer Rückschläge beitragen können. So entsteht eine fulminante Darstellung der Beziehungen von modernem Staat und Wirtschaft und den sich wandelnden Vorstellungen ihres Miteinanders. Und eine Einbettung der aufgrund von Corona zu beobachtenden globalen Umwälzungen in eine sehr viel längere Geschichte der Globalisierung. 

Harold James, Prof. Dr. Dr. h.c., geboren 1956, ist Professor für Geschichte an der Princeton University und Professor für Internationale Politik an der dortigen School of Public and International Affairs. Harold James hat bahnbrechende Forschungen zur deutschen Geschichte und zur Wirtschafts- und Finanzgeschichte der Zwischenkriegszeit geliefert und beschäftigt sich insbesondere mit der Geschichte der Globalisierung seit dem 19. Jahrhundert.

Harold James, Prof. Dr. Dr. h.c., geboren 1956, ist Professor für Geschichte an der Princeton University und Professor für Internationale Politik an der dortigen School of Public and International Affairs. Harold James hat bahnbrechende Forschungen zur deutschen Geschichte und zur Wirtschafts- und Finanzgeschichte der Zwischenkriegszeit geliefert und beschäftigt sich insbesondere mit der Geschichte der Globalisierung seit dem 19. Jahrhundert.

1.


Die große Hungersnot und der große Aufstand


Die 1840er gaben den ersten Impuls zur modernen Globalisierung. Europa entwickelte sich damals zum dynamischsten Teil der Weltwirtschaft, erlebte allerdings einen mächtigen negativen Angebotsschock: mit Hungernöten, Mangelernährung, Krankheiten und Aufständen. Die Lehren aus dieser Notlage führten letztlich zu einem starken internationalen Integrationsschub – zur Globalisierung –, der großenteils auf die zentrale Rolle zurückzuführen war, die Getreideimporte aus dem Ausland beim Stillen des akuten Lebensmittelbedarfs in der Krise gespielt hatten. Hatte Frankreich 1845 noch 56 000 Tonnen Getreide importiert, benötigte man 1847 ganze 757 000 Tonnen; die Importe nach Großbritannien und Irland stiegen im gleichen Zeitraum von 354 000 auf 1 749 000 Tonnen. Diese Einfuhren warfen enorme finanzielle und logistische Probleme auf: Wie sollte man sie bezahlen? Welche Opfer waren zu bringen, um ausreichend Nahrung zu erhalten und zu bezahlen? Waren Zahlungen auf Kredit möglich, der Kauf auf Raten? Wie ließ sich dieser Prozess steuern? Und vor allem, welche Institutionen waren erforderlich?

Die Erhebungen zur Mitte des 19. Jahrhunderts führten rasch zu einer drastischen Transformation in Politik und Wirtschaft: Auf Regierungsebene vollzog sich eine Revolution, als die staatlichen Stellen deutlich größere Aufgaben in der Wirtschaftssteuerung übernahmen (dazu zählt auch die Politik der Handelsliberalisierung). Auch die Wirtschaft durchlief eine Revolution in Gestalt der neuen Unternehmensformen, der Aktiengesellschaften (mit beschränkter Haftung) wie auch der Universalbanken, die Kapital auf innovative Weise zu mobilisieren verstanden.

Mitte der 1840er war man mit einer ganz klassischen Hunger- bzw. Subsistenzkrise aus dem Ancien Régime konfrontiert, wie sie Europa zu Beginn des 18. Jahrhunderts mitten im Spanischen Erbfolgekrieg ereilt hatte. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler bezeichnete sie als die »letzte Agrarkrise ›alten Typs‹« in Deutschland bzw. Mitteleuropa,34 hatte es doch im 20. Jahrhundert außerhalb Westeuropas noch zahlreiche Hungersnöte gegeben. Doch die Krise der 1840er war auch ein moderner Konjunkturabschwung mitsamt Finanz- und Bankenkrise: Er setzte vor dem Hintergrund eines außergewöhnlich kräftigen Aufschwungs ein, der die Preise nach oben getrieben und zu ersten Engpässen beigetragen hatte. Die Preise in Großbritannien und Mitteleuropa stiegen drastisch. In gewisser Hinsicht handelte es sich um eine Krise aus dem 18. Jahrhundert und um eine aus dem 20. oder 21. Jahrhundert. Der Historiker Jonathan Sperber bezeichnete die Turbulenzen denn auch zutreffend als eine »Krise des Übergangs«.35

Die Nahrungsmittelkrise war Folge schlechten Wetters und geringer Ernten, wobei das Wetter auch noch Pflanzenkrankheiten und insbesondere die »Kartoffelfäule«, einen Pilzbefall, begünstigte. Der außerordentlich starke Regen schwemmte die Pilzsporen tief in den Boden, die nun die Knollen befielen und zu einem vollständigen Ernteausfall führten. Es handelte sich um eine völlig unvorhersehbare Krise: Wie eine Analyse der Preisbewegungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergibt, war ein solcher Komplettausfall ein ganz und gar absonderliches Ereignis, das »weit jenseits jeden faktischen oder wahrscheinlichen Horizonts in Westeuropa« lag.36 Auf die Lebensmittelkatastrophe folgte eine Epidemie. Britische Zeitungen berichteten 1847 von Fiebererkrankungen, welche die hungerleidende Bevölkerung in Irland fest im Griff hatten:

Die Unglücklichen wünschen sich nun am dringlichsten nicht Nahrung – sondern medizinische Versorgung, sie benötigen nicht weitere Armenhäuser, sondern Krankenhäuser. Ein tödliches Fieber, mörderischer und verheerender als die Cholera oder die Pest, rafft die Armen dahin. Ohne medizinische und hygienische Maßnahmen der umfangreichsten, tatkräftigsten und effizientesten Art vermöchte auch alle Nahrung der Welt nicht, ob fest oder flüssig, sie zu erretten. […] Von Bantry bis nach Skull steht kein Haus, von einigen Dutzend Ausnahmen abgesehen, das nicht Kranke, Sterbende oder Tote beherbergt. Letztere liegen dort, wo sie starben, oder werden leidlich über die Türschwelle geschoben, wo man sie verrotten lässt.37

Am anderen Ende Europas berichteten die Zeitungen von Choleraausbrüchen im Osmanischen sowie im Zarenreich, und im Herbst 1848 hatte die Krankheit Westeuropa erreicht.

Die Mehrzahl der Menschen wandte zwei Drittel bis drei Viertel ihres Einkommens für Lebensmittel auf. Zwischen 1845 und 1847 schossen die Preise insbesondere in Mitteleuropa und in Frankreich in die Höhe. In Deutschland stieg der Preis für Roggen, aus dem das einfachste Brot für die einfachen Leute hergestellt wurde, von 1844 bis 1847 um 118 Prozent, für Kartoffeln um 131 Prozent und für den teureren Weizen um 93 Prozent. Am stärksten verteuerten sich also die Bedarfsgüter der Armen. In Irland wurden 1846 rund 80 Prozent der Kartoffelernte von Phytophthora infestans zerstört, der Anstieg der Kartoffelpreise war enorm. Auch Belgien und die Niederlande litten stark unter der Kartoffelfäule. Die »Irish Lumper«, eine knubbelige und geschmacksarme Kartoffelsorte, die praktisch zur beherrschenden Monokultur in Irland geworden war, weil sie auf dem kargen Boden zwischen Munster und Connaught leicht anzubauen war, wurde im Herbst 1845 zu 16 bis 20 Pence verkauft (alter Penny, mit 12 Pence je Shilling s und 20 Shilling je Pfund £), im April 1846 lag der Preis bei mehr als 3 Shilling (36 Pence) und im Oktober bei über 6 Shilling. So überstieg der Preis für das einfachste Essen den Lohn eines einfachen Arbeiters, der sich, geschweige denn seine Familie, folglich nicht mehr ernähren konnte. Teurere Lebensmittel wiesen einen maßvolleren Preisanstieg auf. Der Weizenpreis stieg in Großbritannien binnen Jahresfrist von 55 Shilling je Quarter (Viertelzentner) Anfang 1846 auf 75 Shilling und erreichte im Mai 1847 einen Höchststand mit mehr als 100 Shilling. Die Folge waren Hunger und Seuchen. Die moderne Forschung bestätigt die zeitgenössischen Zahlenangaben: Eine Million Iren starben an Hunger und den Infektionskrankheiten infolge schwerer Mangelernährung.

Es kam also zu einem quasi allgemeinen und verheerend negativen Angebotsschock. Die Finanzkrise resultierte unmittelbar aus der Lebensmittelkrise, weil Spekulanten 1847 auf weiter steigende Preise gewettet hatten und von der tatsächlichen Ernte, die gewaltig ausfiel, sowie vom Ausmaß der Getreideimporte und des Finanzierungsproblems überrascht wurden. Zur gleichen Zeit sorgte, davon unabhängig, das Platzen einer Blase im Eisenbahnbau und in Eisenbahnaktien für Ärger. Wie wir sehen werden, war die finanzökonomische Reaktion auch von politischen Maßnahmen sehr unglücklich beeinflusst. Die Finanzkrise und die Lebensmittelkrise verstärkten einander. Ihren Ursprung hatte Erstere in Großbritannien und Frankreich, die damals gemeinsam das kaufmännische und finanzökonomische Zentrum der Welt bildeten; mit der Finanzkrise hielt auf dem europäischen Kontinent auch der Hunger Einzug. Die finanzökonomische Ansteckung griff auch auf Nordamerika und Indien über.

Zu einer Finanzkrise gehört, dass allen die Schuld dafür gegeben wird: den Spekulanten, den Banken, den Notenbanken, den Regierungen, der Presse, der leichtgläubigen Öffentlichkeit, ja gar den Kranken und Hungernden selbst. Auf dem Höhepunkt der Panik schrieb die New York Daily Tribune im Oktober 1847 über die Kartoffelmisere: »In der englischen, irischen, schottischen und kontinentalen Presse erscheinen weiterhin Berichte über die Kartoffelmisere. Äußerst bemerkenswert ist, dass die unzähligen Zeitungen ausschließlich Berichte über die Krankheit bringen und solche vollständig unterdrücken, die das existenzielle Ausmaß der Misere infrage stellen. Zweifellos gibt es teils Ernteausfälle, allerdings empfehlen wir unseren Lesern, sich der ›Brotwaren‹-Spekulation nicht anzuschließen und den englischen Zeitungsberichten nicht blind zu vertrauen, sind diese doch vielfach von interessierter Seite beeinflusst.«38 Wie die New Yorker Zeitung berichtete, ließ sich mit der Spekulation auf steigende Preise Geld verdienen. Der nächste Text in der Tribune berichtete im Einzelnen darüber, wie die britische Presse Informationen über die amerikanische Baumwollernte verbreitet hatte, und zwar unmittelbar nachdem das Dampfschiff Caledonia den Hafen von Liverpool mit einer Ladung Baumwolle erreicht hatte, mithin also im »äußerst unüberlegten und unpassenden« Bemühen, die Baumwollpreise nach oben zu treiben. Der Krach vom Oktober 1847, bei dem die Aktienpreise um 30 Prozent fielen, gilt denn auch als »einer der schlimmsten der britischen Geschichte«.39

Auf den ersten Blick meint man, die missliche Reaktion gehe auf eine schlecht informierte Politik und tumbe Politiker zurück. Schließlich prahlte der schwache und ineffiziente liberale Premierminister Großbritanniens, Lord John Russel, gern mit seiner Unwissenheit in Finanzfragen und betrachtete die Ökonomie »als notwendiges Übel«.40 Der irische Autor William Carleton widmete seinen Hungerroman Der schwarze Prophet dem »Premierminister von Großbritannien und Irland […] der in seiner Eigenschaft als Kabinettsmitglied als öffentlicher Vertreter derjenigen Grundsätze der Regierung anzusehen ist, die unser Land vermittels einer langen Reihe illiberaler Gesetzgebung und Vernachlässigung in den gegenwärtigen katastrophalen Zustand führten«.41 Doch großflächig bereitet wurde der Boden für die Krise nicht vom Tun und Lassen der Regierung Russell, sondern von den Innovationen ihrer Vorgängerin, der großen Reformregierung unter dem...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2022
Übersetzer Sigrid Schmid, Andreas G. Förster
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte Börse • Börsenkrach • Coronakrise • Corona-Krise • Coronaschock • Crash • Energieversorgung • Engpass • Erster Weltkrieg • Finanzkrise • Geschichte der Globalisierung • Globale Konflikte • globale Umwälzungen • Globalisierung • Große Depression • Große Inflation • Gründerkrach • Gründerkrise • Hamsterkäufe • Hungersnot • Hungersnöte • Hyperinflation • Inflation • Krisen • Ölkrise • Ölpreisschock • Politische Krise • Preise • Steigende Preise • Ukrainekrieg • Ukraine-Krieg • Ukraine-Krise • versorgungsengpässe • Weltfinanzkrise • Weltgeschichte • Weltwirtschaft • Weltwirtschaftskrise • Wirtschaftsgeschichte • wirtschaftshistoriker • Wirtschaftskrise
ISBN-10 3-451-82195-8 / 3451821958
ISBN-13 978-3-451-82195-0 / 9783451821950
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