Träume passen in keine Schublade (eBook)
224 Seiten
mvg Verlag
978-3-96121-886-8 (ISBN)
Bjoern Behrs Klassenlehrer attestierte ihm nach seinem Schulabbruch, dass aus ihm nichts würde. Nach seinem Zivildienst im Rettungswesen, vertrat er in Lederhosen die deutsche Kultur im Walt Disney World Resort in Florida, bis er seine Kariere beim Fernsehen begann. Dort stieg er vom Jungredakteur, zum Redaktionsleiter mit Teams in Kopenhagen, Brüssel und Budapest zum Produzenten mit Grimmepreisnominierung auf. Nach 25 Jahren in der TV-Branche, kehrte er 2021 der Quote den Rücken, und ist heute gefragter Speaker, der für die Akzeptanz von Diversität kämpft und Menschen dabei begleitet, mit Mut ihr Lebensglück zu finden.
Bjoern Behrs Klassenlehrer attestierte ihm nach seinem Schulabbruch, dass aus ihm nichts würde. Nach seinem Zivildienst im Rettungswesen, vertrat er in Lederhosen die deutsche Kultur im Walt Disney World Resort in Florida, bis er seine Kariere beim Fernsehen begann. Dort stieg er vom Jungredakteur, zum Redaktionsleiter mit Teams in Kopenhagen, Brüssel und Budapest zum Produzenten mit Grimmepreisnominierung auf. Nach 25 Jahren in der TV-Branche, kehrte er 2021 der Quote den Rücken, und ist heute gefragter Speaker, der für die Akzeptanz von Diversität kämpft und Menschen dabei begleitet, mit Mut ihr Lebensglück zu finden.
Kapitel 5
Wir können alles!
An einem Sonntagnachmittag sitzt Lukas in seinem Kinderzimmer und versucht schon seit einigen Minuten, an einem Spielzeugboot zwei Ruder zu befestigen. Als Papi zu ihm ins Zimmer kommt und sieht, dass es nicht richtig klappen will, fragt er ihn: »Soll ich dir helfen?« Lukas schaut stirnrunzelnd hoch, fängt an zu grinsen und sagt in einem überzeugten Ton: »Papi, ich kann doch alles!«
Wenn wir diesen Satz von unserem Sohn hören, und den hören wir tatsächlich öfter, dann müssen wir uns ernsthaft fragen, warum wir eigentlich im Laufe unseres Lebens den Glauben daran verloren haben, alles zu können. Leider verlieren wir aber nicht nur den eigenen Glauben daran! Wir sorgen dann auch noch aktiv dafür, dass unsere Kinder ihren eigenen Glauben an vielen Stellen nicht frei entwickeln können oder Dinge erst gar nicht lernen. Dabei geht es nicht nur darum, einen Papierflieger zu falten oder den Anker beim Plastik-Piratenschiff einzufädeln.
Wir versuchen mit guten Absichten, unseren Kindern an so vielen Stellen wie möglich zu helfen, um ihnen das Leben zu erleichtern oder Negatives von ihnen fernzuhalten. Sie sollen nicht die gleichen negativen Erfahrungen machen, die wir in der Vergangenheit erleben mussten. Dabei ist genau das wichtig, ja sogar essenziell für ihre Entwicklung! Kinder müssen lernen, vor allem mit negativen Erfahrungen und Situationen umzugehen. Wenn wir sie dauerhaft behüten und beschützen, werden sie nie selbstbestimmt durchs Leben gehen und sich gegen entgegenkommende Orkane stemmen können. Sie werden sich verstecken und warten, dass jemand anderes nach vorne rennt, oder sie werden den Kopf einziehen, bis der Orkan vorbeigezogen ist, um erst dann wieder aus der Deckung herauszutreten. Ein Psychologe sagte mal zu mir: »Schaffen Sie Ihrem Sohn möglichst viele Probleme, die er selbst lösen muss.« Ein Satz, der erst einmal absurd und weltfremd für mich klang. Es war aber ein Satz, der meinen und am Ende unseren Umgang mit Problemsituationen, in denen Lukas steckt, tatsächlich verändert hat. Früher sind wir sofort aufgesprungen, um dem armen Kind zu helfen und ein Tränenmeer zu verhindern, doch heute wägen wir viel mehr ab und warten oft erst auch mal ab. Unseren Erwachsenen-Perfektionismus haben wir bei Lukas zu den Akten gelegt. Mir war früher wichtig, ein bestimmtes Bild zu erhalten, zum Beispiel, dass die Kinderbücher im Regal halbwegs nach Größe sortiert sind, doch mittlerweile habe ich Lukas’ ganz eigenes System vollends akzeptiert. Es ist sein Zimmer, seine Ordnung, und er soll sich darin wiederfinden – solang die Zähne des Tyrannosaurus nicht in meinen Füßen stecken bleiben. Auch das Thema Klamotten ist bei Lukas schon länger in den Fokus gerutscht. Und wenn er nun mal diesen einen Lieblingspullover hat, dann wird der eben so oft wie möglich auch angezogen. Wir springen nicht bei jedem Heulanfall auf, weil der Hut des LEGO-Männchens nicht halten will, und retten ihn. Wir warten die Situation beobachtend ab. Und oft löst sich diese dann in Wohlgefallen auf, und er ist stolz, dass er es selbst geschafft hat. Klingt nach lächerlichen Beispielen? Aber seien wir doch ehrlich, wie oft haben wir an noch so kleinen Stellen mit unseren Kindern diskutiert, weil wir es uns anders vorgestellt haben, weil das Vorgehen gerade nicht in unser System passte. Wir beeinflussen an vielen Stellen und müssen uns gleichzeitig aber die Frage gefallen lassen, ob dieses Verhalten sinnvoll ist. Unsere Kinder können viel mehr, als wir ihnen zutrauen! Dabei geht es nicht darum, sie auf der Kante eines Balkons im dritten Stock balancieren zu lassen. Es geht erst einmal um Alltagsdinge, um Kleinigkeiten, bei denen wir geneigt sind, sofort einzugreifen, nur weil es dann für uns vielleicht einfacher und schneller geht. Natürlich bedeutet dieses Vorgehen, dass wir als Eltern mehr Energie aufbringen müssen. Wie einfach ist es, Dinge selbst schnell zu erledigen, statt den ersten Wutanfall auszuhalten. Wir haben es auch anders gelernt und vorgelebt bekommen. Unsere Eltern agierten meist nach dem Prinzip der Vorbeugung und des geringsten Widerstands. Und deshalb haben wir heute genügend Menschen in unserem Umfeld, die sich damit schwertun, ganz alltägliche Dinge zu erledigen wie putzen, Wäsche waschen, Überweisungen tätigen oder mit Versicherungen telefonieren. Warum? Weil die Eltern immer alles übernommen haben. Sie mussten als Kind selbst nichts bewältigen, sich wenigen Herausforderungen im Alltag stellen. Dadurch fehlen ihnen Erfolgserlebnisse, das besondere Gefühl, etwas selber geschafft zu haben – doch das bekommt man nur, wenn einem als Kind auch etwas zugetraut wird. Christian und ich wurden früh zur Eigenständigkeit erzogen, nicht weil unsere Eltern einem Erziehungskonzept folgten, sondern weil es zeitlich nicht anders ging. Sie waren in ihren Jobs eingespannt, deshalb mussten wir zu Hause mithelfen. Als Kinder und Jugendliche wussten wir nicht, was dahintersteckte, wenn mal wieder ein Zettel auf der Waschmaschine lag, mit der Anweisung, die Wäsche nach der Schule zu starten. Es war für uns sehr nervig, so eingebunden zu sein und Verantwortung zu tragen. Heute sind wir dankbar darüber, weil uns die Organisation im Haushalt und auch Alltag dadurch leichtfällt, schön war es damals natürlich nicht immer.
Und trotzdem ist auch in uns das Bedürfnis tief verwurzelt, Lukas die Probleme immer wieder vom Hals zu schaffen. Obwohl wir nur allzu genau wissen, dass ihm das in der Zukunft nicht helfen wird. Wir legen uns oft Theorien zurecht, wie wir in bestimmten Situationen mit Lukas umgehen wollen, und müssen in diesem Moment dann doch feststellen, dass wir bei der Lösung des Problems wieder in alte Muster verfallen. Wir müssen täglich an uns selbst arbeiten, um in diesem Strudel nicht mitzuschwimmen. Wichtig ist, wie bei so vielen Dingen im Leben, dass wir über Situationen, die in den Brunnen gefallen sind reflektiert nachdenken, und es beim nächsten Mal anders machen.
Unser Sohn soll ein selbstbestimmtes Leben führen können, und wir versuchen, ihm möglichst viele Werkzeuge mitzugeben, die ihm helfen, genau das in der Zukunft auch tun zu können. Man kann noch so viele Ratgeber und Bücher gelesen haben, beim Elterndasein geht es so oft um Intuition, um Bauchgefühl und Ausprobieren. Christian und ich haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, und wir begleiten unser Kind nicht automatisch zum Wunderkind-Dasein – um Gottes willen. Wir gehen einfach mit offenen Augen durchs Leben und haben an anderer Stelle gemerkt, dass Kindsein heute nicht mehr das Kindsein von damals bedeutet. Heute werden andere Bedürfnisse und Erfahrungen abgefragt. Wir haben Lukas schon als Kleinkind in unsere Aufgaben im Haushalt integriert. Egal, ob es um das spielerische Anreichen von Klammern beim Aufhängen der Wäsche, das Decken oder Abräumen des Esstischs, Einkaufen oder Füttern unseres Hundes geht ...
Auch an das Thema Geld führen wir ihn schon eine ganze Weile kindgerecht heran – wir lassen ihn zum Beispiel im Geschäft bezahlen. Er nimmt bewusst wahr, dass er etwas geben muss, um gleichzeitig etwas zu erhalten. Wenn er uns dann Fragen zu unserer Arbeit stellt, verbinden wir das damit, ihm zu erzählen, dass wir hier auch das Geld erhalten, mit dem wir an der Kasse bezahlen. Es geht uns nicht darum, dass er sofort alles versteht. Wir sind aber davon überzeugt, dass er so mit der Zeit ein Verständnis für dieses System entwickelt.
Wir haben das Gefühl, generell gut aufgestellt zu sein und als Eltern reflektiert zu handeln, allerdings wird uns bei dem Gedanken an in die Zukunft ganz schön mulmig zumute – vor allem, wenn es um den Schuleintritt geht. Ob nun Glucke oder nicht, wir werden Lukas nicht mehr in diesem Ausmaß behüten und beschützen können, das wird in vielen Bereichen ein jähes Ende haben. Dann sitzt dieser kleine Mensch allein an seinem Pult und muss seine eigenen Entscheidungen treffen. Es geht dann nicht mehr darum, ob er in der Bau- oder Puppenecke spielt, im Sandkasten sitzen bleibt oder doch lieber rutschen geht. Auf dem Schulhof, wenn die Diskussionen über Markenklamotten, Handy-Hersteller und Videospiele starten, stehen wir nicht mehr daneben, um mahnend den Finger zu heben. Und natürlich zerreißt es uns das Herz, wenn wir daran denken, dass Lukas auch nur einmal wegen seines Familienmodells, seiner beiden Papas oder auch seines Daseins als Pflegekind in Erklärungsnot geraten wird. Natürlich würden wir uns in so einer Situation direkt vor jeden fahrenden Zug werfen – Hauptsache, er muss sich dieser Auseinandersetzung nicht stellen.
Und gleichzeitig wissen wir nur zu genau, dass auch dieses Vorgehen komplett kontraproduktiv für ihn wäre. Es sind alles Teile seiner Geschichte. Alle Erfahrungen, ob positiv oder negativ, formen ihn zu dem Menschen, der er heute ist. Und er hat schon jetzt ein großes Selbstbewusstsein, ein starkes Auftreten. Die täglichen Diskussionen mit ihm sind oft anstrengend, und doch ist uns bewusst, dass es genau diese Auseinandersetzungen sind, die ihn für seine Zukunft stärken. Wir sind überzeugt, dass er beginnen wird, aus unseren Fußstapfen heraus, seine ganz eigenen Abdrücke zu hinterlassen und ein selbstbestimmtes Leben haben wird.
Bis dahin können wir ihn bei negativen Erlebnissen nur auffangen. Wir können ihm zuhören, mit ihm reden, ihm unsere Sicht der Dinge erklären ... Doch umgehen und klarkommen muss er mit den Situationen da draußen erst einmal ganz allein.
Wir sind davon überzeugt, dass es ihm helfen wird, zu sehen, wie wir mit ihm und Problemsituationen umgehen. Denn die Welt ist nicht gerade freundlicher geworden. Auf einen Job oder auf eine Wohnung warten unzählige weitere Bewerber*innen....
| Erscheint lt. Verlag | 13.11.2022 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft | |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | Adoption • adoption durch gleichgeschlechtliche Paare • Adoptionsrecht für homosexuelle Paare • Auslandsadoption • Ehe für alle • Ehe für alle adoptionsrecht • gaydads • Gleichgeschlechtliche Ehe • Homosexualität • homosexuelle Paare Familie • kind adoptieren • Mama ist ein Gefühl • papaundpapi • Papa und Papi • Pflegefamilie • Pflegekinder • Regenbogenfamilie • regenbogenfamilie adoption • regenbogenfamilie buch • regenbogenfamilie instagram • regenbogenfamilie kinder • regenbogenfamilie kinderbuch • regenbogenfamilie kinderwunsch • Regenbogenfamilien • regenbogenfamilie vorurteile • Schwul • Schwule Eltern • schwule kinder • schwules Ehepaar • zwei Väter • zwei Väter und ein baby |
| ISBN-10 | 3-96121-886-2 / 3961218862 |
| ISBN-13 | 978-3-96121-886-8 / 9783961218868 |
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