Die Albatross Connection (eBook)
544 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
9783958903814 (ISBN)
Michele K. Troy ist Professorin für Englische Literatur an der University of Hartford. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt vor allem der angloamerikanischen Kultur in Europa zwischen und während den beiden Weltkriegen sowie der Entwicklung und dem Siegeszug des modernen Taschenbuchs. Dank eines Fulbright-Stipendiums forschte sie im Jahr 2019 sowohl über den Deutschen Buchhandel während der NS-Zeit als auch in der amerikanischen Besatzungszone, u.a. zu Seven Seas Books, eine Taschenbuchreihe, die während des Kalten Krieges in Ost-Berlin erschien. Sie wohnt mit ihrer Familie in Hartford, Connecticut.
Michele K. Troy ist Professorin für Englische Literatur an der University of Hartford. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt vor allem der angloamerikanischen Kultur in Europa zwischen und während den beiden Weltkriegen sowie der Entwicklung und dem Siegeszug des modernen Taschenbuchs. Dank eines Fulbright-Stipendiums forschte sie im Jahr 2019 sowohl über den Deutschen Buchhandel während der NS-Zeit als auch in der amerikanischen Besatzungszone, u.a. zu Seven Seas Books, eine Taschenbuchreihe, die während des Kalten Krieges in Ost-Berlin erschien. Sie wohnt mit ihrer Familie in Hartford, Connecticut.
KAPITEL 1
Gegenspieler
Als Beamte des Dritten Reichs Albatross und seine Bücher auszuforschen begannen, gehörte Literatur in englischer Sprache seit fast einem Jahrhundert zum deutschen Buchdruck und -handel. Erstaunlicherweise war mit Christian Bernhard Freiherr von Tauchnitz nicht etwa ein unternehmungslustiger britischer oder amerikanischer, sondern ein deutscher Verleger zuerst auf den Gedanken gekommen, englischsprachige Literatur in preiswerten Taschenbuchausgaben auf dem europäischen Festland anzubieten. Anfang der 1930er-Jahre kannten und verehrten Leser überall in Europa den Namen Bernhard Tauchnitz. Seit dieser Verlag 1841 eine Marktnische für englische Bücher aufgetan hatte, besetzte er sie unangefochten. Die markant elfenbeinfarbenen Bände der Tauchnitz Edition mit ihren Titeln in schwarzen, kantigen Blockbuchstaben waren der Inbegriff englischsprachiger Literatur auf dem europäischen Kontinent.
Umso hellhöriger wurde Dr. Hans Otto, Vorsitzender des Aufsichtsrats von Tauchnitz, als er Ende Oktober 1931 Gerüchte über eine Albatross Press vernahm. Die Nachricht erreichte ihn auf Umwegen in seinem Büro an der Dresdner Straße 5, einer repräsentativen Ecke am Eingang zum Graphischen Viertel in der deutschen Verlagshauptstadt Leipzig. Otto war im höchsten Maße beunruhigt. Mit Tauchnitz stand ein ganzes Kulturerbe auf dem Spiel. Dass sich nun anscheinend ein Neuling bereit machte, in diesen Markt einzudringen, verhieß nichts Gutes. Denn die Nische für solche Bücher auf dem Kontinent war nicht groß genug für zwei.1
Wie sich ein deutscher Verlag den Markt für englischsprachige Bücher auf dem europäischen Festland sichern konnte, ist eine Geschichte für sich. Sie führt zurück zu einem findigen Leipziger Kaufmann. Anfang der 1840er-Jahre erfuhr Freiherr von Tauchnitz vom Ärger englischer Schriftsteller und Verleger über Raubdrucker, die ungenehmigte Ausgaben ihrer Titel auf dem Kontinent verhökerten. Da ein völkerrechtlich bindendes Urheberrecht auf Jahrzehnte hinaus nicht in Sicht war – es sollte erst 1895 in Kraft treten –, konnten sie kaum dagegen vorgehen. Tauchnitz fasste einen klugen Plan. Er bot englischen Verlagen eine bescheidene Lizenzgebühr für den Nachdruck ihrer Werke in Leipzig an. Indem er seine Bücher in ganz Europa vertrieb, sorgte er in gewissem Maß dafür, dass die Rechte der Urheber gewahrt blieben. Englands Verleger packte und beunruhigte die Idee zugleich. Ohne Zweifel wünschten sie einen Schutz ihrer Rechte. Aber zugleich fürchteten sie, Einnahmen zu verlieren, falls Tauchnitz seine billigen Taschenbücher im britischen Empire zum Verkauf anbot, denn darunter musste zwangsläufig der Absatz teurer gebundener Ausgaben leiden. Sie ließen sich auf das Angebot des Freiherrn ein, stellten aber eine Bedingung: dass er seine Taschenbücher nur außerhalb Englands und seiner Kolonien verkaufte. Auf dieser Grundlage entstand 1841 die Tauchnitz Collection of British Authors und mit ihr ein Markt für die sogenannten »continental English editions«. Einige Zeit später nahm Tauchnitz auch amerikanische Bücher ins Programm und änderte den Namen der Reihe 1914 in Collection of British and American Authors.2 Jedes einzelne Exemplar erinnerte an die vereinbarte Gebietsaufteilung mit den Worten »Not to be introduced into the British Empire and the U.S.A«. auf seinem Einband.
Mehr als neunzig Jahre lang verbreiteten sich die elfenbeinfarbenen Bändchen überall in Europa und trugen von Tauchnitz den hehren Ruf eines Schutzpatrons angloamerikanischer Autoren und Reisender ein. »Wenn du mich liebst, schick mir Lesestoff«, flehte D. H. Lawrence eine Freundin an, während er 1912 in Österreich unterwegs war. »Tauchnitz finde ich hier nicht mehr«. Der amerikanische Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis bezeugte einen Fall von Erlösung aus höchster seelischer Not. Er erinnerte sich an »hundert Hotels … in denen mir die Möglichkeit, einen Tauchnitz zu kaufen und mich so nach Hause zurückzuversetzen, das Leben gerettet hat«.3 Förmlichere Würdigungen zierten Bücher, die anlässlich des silbernen, goldenen und diamantenen Jubiläums von Tauchnitz Editions erschienen. Darin revanchierten sich Schriftsteller von Charles Dickens bis George Bernard Shaw mit Dankesbotschaften an den Verlag, der englischen Büchern jenseits des Ärmelkanals den Weg bereitet hatte.
So war Tauchnitz Editions 1931, als Hans Otto die Gerüchte über Albatross zu Ohren kamen, längst zu einem florierenden Segment des internationalen Buchhandels angewachsen. In diesem Jahr erschien bei Tauchnitz der fünftausendste Band, und die Zahl der seit den Anfängen insgesamt verkauften Bücher überstieg 40 Millionen. Sie ergaben, wie man es später veranschaulichte, einen Stapel, der von London nach New York reichte oder »achtzig Mal so hoch wie der Gipfel des Mount Everest« war. Und wie eine deutsche Zeitung schrieb, deutete nichts darauf hin, dass Tauchnitz’ beherrschende Stellung gefährdet war: »Im kleinsten deutschen Kurort, im verlorensten italienischen Städtchen, im fernsten Dalmatien, auf den Kanarischen Inseln wie auf den Balearen: Wenn sonst alles fehlt, der neueste Tauchnitz ist vorhanden«. Da er »allgegenwärtig« war, wurde dem Tauchnitz Verlag sogar zugestanden, er habe die Verbreitung der englischen Sprache gefördert. Freiherr Bernhard von Tauchnitz konnte kaum geahnt haben, was aus seinem Leipziger Verlag einmal werden würde.4
Damalige Leser, denen Tauchnitz ein Begriff war, hätten Hans Ottos Sorgen vermutlich kaum nachvollziehen können. Der Sitz des Verlags in Leipzig nahm einen ganzen Häuserblock ein und war nicht weniger imposant als Tauchnitz’ Ruhm im In- und Ausland. Das klassizistische Herrenhaus, in dem seine Direktion untergebracht war, verbreitete eine Aura gediegener Pracht, wie um deutlich zu machen, dass Herausforderer von vornherein auf verlorenem Posten standen. Tauchnitz hatte die Macht der Geschichte auf seiner Seite. Dieser deutsche Verlag hatte nicht nur den Markt für Kontinentalausgaben englischsprachiger Literatur wie aus dem Nichts geschaffen, sondern im Lauf der Jahrzehnte auch nicht weniger als 42 Konkurrenten aus dem Feld geschlagen.5
Und doch wirkte Hans Otto in diesem Oktober 1931 so gar nicht wie jemand, den die Tradition von Tauchnitz in sich ruhen ließ. In höchster Anspannung angesichts dieses ersten ernst zu nehmenden Angriffs auf das faktische Monopol Tauchnitz’ seit vielen Jahren entsandte er einen Vertrauten nach London und einen weiteren nach Paris, um Erkundungen über Albatross einzuholen. Wie aus seiner recht unverbindlichen Wortwahl im anschließenden Bericht an den Aufsichtsrat von Tauchnitz hervorgeht, kehrten beide mit mehr Fragen als Antworten nach Leipzig zurück. »Wahrscheinlich unter der Firma ›The Albatross‹ wird am 1. Januar 1932 das neue Unternehmen starten, und zwar mit dem Sitz in Paris, wahrscheinlich auch mit einem besonderen Sitz in Deutschland, was aber noch nicht feststeht … In London konnte mit Sicherheit nicht festgestellt werden, wer das Unternehmen finanziert, doch schweben hierüber die Erörterungen … Im allgemeinen war insbesondere in Paris sehr wenig und fast gar nichts festzustellen, insbesondere auch nicht durch die Deutsche Botschaft, was damit zusammenhängen kann, dass das neue Unternehmen absichtlich seine Verhältnisse geheimhält«.6
Diese Umschreibungen bringen vor allem eins auf den Punkt: Bei Tauchnitz wusste man so gut wie nichts über den Gegenspieler. »Unsere Disposition ist allseitig die, daß wir die Windstille, die uns bis 1. Januar 1932 verbleibt, mit aller Intensität ausnutzen müssen, um voranzukommen«, erläuterte Otto seinen Vorstandskollegen. Einen von ihnen schickte er zu mächtigen Grossisten in die Schweiz, nach Italien, Wien und Prag, einen weiteren nach England, um dort Tauchnitz’ Bande mit Autoren und Verlagen zu festigen. Er selbst sammelte von Leipzig aus geheime Informationen. Am 4. November beauftragte er Hamburger Anwälte, den wenigen Spuren nachzugehen und festzustellen, ob Albatross sich in das dortige Handelsregister eintragen hatte lassen. Danach war er um 40 Reichsmark ärmer, aber um nichts klüger, und konnte es auch nicht sein, da Albatross erst am 12. November 1931 in Hamburg registriert wurde.7 Von den vielen Gerüchten aufgeschreckt, hatte Otto sich um eine Woche zu früh erkundigt. Albatross war vorerst eine umso größere Bedrohung für ihn, als der Verlag offiziell noch gar nicht existierte.
Dass Albatross Otto so sehr aus der Reserve lockte, lag nicht zuletzt daran, dass er sich seine Aufgabe zu Herzen nahm. Für Otto stand neben dem traditionsreichen Verlagshaus auch die Familienehre auf dem Spiel. Sein Bruder Curt Otto hatte Tauchnitz vom Beginn des Jahrhunderts bis zu seinem Tod 1929 souverän geführt. Unter seiner Obhut hatten die Leipziger ihren guten Ruf eines völkerverbindenden Hortes der Kultur gefestigt, und allein seinen klugen Schachzügen war es zu verdanken, dass der Verlag den Ersten...
| Erscheint lt. Verlag | 15.2.2022 |
|---|---|
| Übersetzer | Herwig Engelmann |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
| Schlagworte | Albatross Verlag • Britischer Geheimdienst • Gleichschaltung • John Holroyd-Reece • Kurt Enoch • Literatur Drittes Reich • Max Christian Wegner • Nazideutschland • penguin books • Reichskulturkammer • Schriftsteller NS-Zeit • Seltsamer Vogel • Spionage • Taschenbuch • Tauchnitz • Verlag Drittes Reich • Verlagswesen NS-Zeit • Wirtschaftskrimi • Zensur |
| ISBN-13 | 9783958903814 / 9783958903814 |
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