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Im Bann der AfD -  Nicolai Boudaghi,  Alexander Leschik,  Wigbert Löer

Im Bann der AfD (eBook)

Chats, Worte, Taten - Zwei Kronzeugen berichten
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
232 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-435-4 (ISBN)
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Sie sind jung, neugierig und hoch motiviert. Über Jahre engagieren sich Nicolai Boudaghi, heute 29, und Alexander Leschik, 21, in der AfD. Schnell steigen sie auf. Dabei stehen sie auf der Seite der Gemäßigten. Doch irgendwann müssen sie sich eingestehen, dass der radikale Flügel der Partei nicht zu stoppen ist. Vor der Bundestagswahl 2021 legen Boudaghi und Leschik einen atemberaubenden, teilweise verstörenden Insider-Bericht vor. Sie schildern ihre Wege und Fehler in der AfD-Jugendorganisation und bei der Mutterpartei. Und sie zeigen anhand exklusiver Quellen, wie die AfD tatsächlich tickt. Gemeinsam mit dem Investigativ-Journalisten und Bestseller-Autor Wigbert Löer konnten sie für dieses Buch Partei-Chats auf Telegram, Whatsapp und Facebook auswerten. Sie lasen Sitzungsprotokolle des AfD-Bundesvorstands und etliche weitere interne Papiere. So ist 'Im Bann der AfD' die sehr persönliche Geschichte zweier junger Partei-Funktionäre und zugleich ein brisantes Enthüllungsbuch.

Nicolai Boudaghi, Jahrgang 1991, wuchs im Essener Norden auf. Der AfD tritt er unmittelbar nach ihrer Gründung 2013 bei. Die AfD ist damals eine Partei von Unternehmern und Wirtschaftsprofessoren. Boudaghi schafft es in den Vorstand des AfD-Bezirks Düsseldorf, arbeitet für den Fraktionsgeschäftsführer im Landtag und wird zum Vize­Bundesvorsitzenden des Parteinachwuchses JA gewählt. Er beendet gerade sein Studium der Sozialwissenschaften. Boudaghi ist im September 2020 aus der AfD ausgetreten. Alexander Leschik, Jahrgang 2000, ist 15 Jahre alt, als er sich dem AfD-Nachwuchs anschließt. Bald redet der strenggläubige Katholik vor 300 Parteifreunden. Er bewährt sich als Vize-Kreissprecher in Münster und wird in den Bundesvorstand der Jungen Alternativen gewählt. Leschik studiert Rechtswissenschaften. Er hat die Partei im April 2021 verlassen. Wigbert Löer, Jahrgang 1972, studierte Politikwissenschaften und machte anschließend eine Ausbildung an der Henri-Nannen-Journalistenschule. Als investigativer Reporter des 'Stern' hat er von 2016 bis 2019 aus dem Innenleben der AfD berichtet. Seine Enthüllungen führten unter anderem dazu, dass ein kompletter Landesverband der Partei aufgelöst wurde. Er veröffentlichte Sachbücher zu Korruption in Sport und Politik bei ECON, Droemer, Gütersloher Verlagshaus. Sein Buch 'Macht Geld Politik' über Carsten Maschmeyer, Gerhard Schröder und Christian Wulff erreichte die Spiegel-Top20-Beststellerliste. Derzeit arbeitet er als ARD-Reporter.

Nicolai Boudaghi, Jahrgang 1991, wuchs im Essener Norden auf. Der AfD tritt er unmittelbar nach ihrer Gründung 2013 bei. Die AfD ist damals eine Partei von Unternehmern und Wirtschaftsprofessoren. Boudaghi schafft es in den Vorstand des AfD-Bezirks Düsseldorf, arbeitet für den Fraktionsgeschäftsführer im Landtag und wird zum Vize­Bundesvorsitzenden des Parteinachwuchses JA gewählt. Er beendet gerade sein Studium der Sozialwissenschaften. Boudaghi ist im September 2020 aus der AfD ausgetreten. Alexander Leschik, Jahrgang 2000, ist 15 Jahre alt, als er sich dem AfD-Nachwuchs anschließt. Bald redet der strenggläubige Katholik vor 300 Parteifreunden. Er bewährt sich als Vize-Kreissprecher in Münster und wird in den Bundesvorstand der Jungen Alternativen gewählt. Leschik studiert Rechtswissenschaften. Er hat die Partei im April 2021 verlassen. Wigbert Löer, Jahrgang 1972, studierte Politikwissenschaften und machte anschließend eine Ausbildung an der Henri-Nannen-Journalistenschule. Als investigativer Reporter des "Stern" hat er von 2016 bis 2019 aus dem Innenleben der AfD berichtet. Seine Enthüllungen führten unter anderem dazu, dass ein kompletter Landesverband der Partei aufgelöst wurde. Er veröffentlichte Sachbücher zu Korruption in Sport und Politik bei ECON, Droemer, Gütersloher Verlagshaus. Sein Buch "Macht Geld Politik" über Carsten Maschmeyer, Gerhard Schröder und Christian Wulff erreichte die Spiegel-Top20-Beststellerliste. Derzeit arbeitet er als ARD-Reporter.

Kapitel 1


SOZIALER AUFSTIEG


Der Weg in die AfD I: Von der Straße in die Professorenpartei

Nicolai Boudaghi

Am 12. April 2013 saß ich in einem Zelt in Rommerskirchen-Anstel, einem Dorf im Rheinland zwischen Düsseldorf und Köln. Neben mir hatte ein älterer Unternehmer im dunklen Anzug Platz genommen, der an diesem Sonntag noch zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt werden sollte. Die Alternative für Deutschland hielt ihren ersten Landesparteitag im größten deutschen Bundesland ab. Professoren waren gekommen, Firmeninhaber, sicher auch viele Beamte. Die meisten waren Männer und Schlipsträger. Etwas Neues entstand, es herrschte Aufbruchsstimmung. Von 400 Teilnehmern hatte man vorher geschrieben, aber hier versammelten sich weitaus mehr Menschen. Und mittendrin ich. Drei Jahre zuvor hatte ich eine Zeit lang auf der Straße gelebt.

Mein Vater ist Iraner. Seine Familie stand an der Seite des Schah-Regimes, und als islamische Revolutionäre das Land 1979 übernahmen, floh mein Vater nach Deutschland. Meine Mutter kam als Kind aus Niederschlesien zuerst nach Hamburg, später nach Mettmann bei Düsseldorf. Bald nach meiner Geburt trennten sich meine Eltern.

Ich blieb bei meiner Mutter in Mettmann, die als alleinerziehende Sozialarbeiterin nicht gerade privilegiert war. Mein Vater weigerte sich standhaft, Unterhalt zu zahlen. Weil ich außerdem immer unter dem Eindruck stand, dass mein Vater mich gegen meinen Willen in den Iran entführen könnte, habe ich meine Kindheit als schwierig in Erinnerung. Mein Vater gründete schnell eine neue Familie. Heute habe ich sechs Halbschwestern und zu den meisten von ihnen ein gutes Verhältnis.

In meiner Jugend nahmen unsere finanziellen Probleme zu. Wir hatten Schulden. Meine Mutter konnte das nicht vor mir verbergen. Es ist mir unangenehm, ins Detail zu gehen, aber unsere Armut war im Alltag nahezu dauerhaft präsent. In die Schule schaffte ich es nicht immer. Irgendwann ging ich dann gar nicht mehr zum Unterricht. Meine Mutter konnte mir auch nicht helfen.

Im Januar 2010 fand ich mich nachts um drei Uhr am Essener Hauptbahnhof wieder. Ich hielt es zu Hause nicht mehr aus. Das Thermometer zeigte minus zehn Grad, und mir war klar, dass ich jetzt ganz unten angekommen war. Dass sich daran etwas ändern könnte, glaubte ich nicht. Mir fehlte jede Zuversicht.

Die Nächte der nächsten Monate verbrachte ich in einer Notunterkunft für Jugendliche. An solchen Orten sammeln sich Menschen mit unterschiedlichen Schicksalen. Ich lernte einen heroinabhängigen 14-Jährigen kennen und einen Jugendlichen, der abgehauen war, weil seine Eltern ihm nicht glaubten, dass sein Onkel ihn missbrauchte.

Die Unterkunft öffnete am Abend und schloss morgens um neun Uhr. Bis dahin hatten wir Essen, Wärme und auch etwas Schlaf bekommen – und mussten nun die Zeit bis zum Abend überbrücken. Einige zogen dann in Grüppchen los, ich hielt mich jedoch tagsüber meistens fern von den anderen Jugendlichen. Gemeinschaft und Zusammenhalt waren zwar auch für mich wichtig unter diesen Umständen, aber ich befürchtete auch, dass mich solche Gruppen noch weiter in den Abgrund ziehen könnten. Ich wollte mir die Probleme der anderen nicht zu eigen machen, oder besser: ihre Mittel, um durch den Tag zu kommen, denn die meisten schafften das nur mithilfe von Alkohol und Drogen. Zum Glück ist mir das recht gut gelungen. Ich nahm nichts Hartes und trinke bis heute wenig.

Es dauerte fast drei Monate, bis ich in eine Sozialwohnung im Essener Norden ziehen konnte. Hier wohnte ich wieder mit meiner Mutter zusammen. Wir bezogen Sozialleistungen, und ich spürte, dass es endlich aufwärtsgehen könnte. Das Leben auf der Straße hatte ich jedenfalls hinter mir gelassen. Vergessen werde ich diese Erfahrung nicht.

An der Volkshochschule Bochum holte ich zuerst meinen Haupt- und danach auch meinen Realschulabschluss nach. Das kostete mich nicht allzu viel Energie, der Unterricht selbst hatte mich ja nie überfordert. Ich hatte nur nicht die Struktur zur Verfügung gehabt, die es braucht für einen regelmäßigen und erfolgreichen Schulbesuch. Nach dem Realschulabschluss nahm ich am Berufskolleg Castrop-Rauxel mein Abitur in Angriff.

Politik und Gesellschaft interessierten mich schon damals. Ich setzte mich mit dem Islam auseinander, der Religion meines Vaters und vieler Menschen im Essener Norden. Ich schaute WDR-Dokumentationen über die islamische Religionsgemeinschaft DITIB an und über die Islamisten-Bewegung Milli Görüş. Ich entdeckte den radikalen Prediger Pierre Vogel und verfolgte, wie er geschickt Anhänger rekrutierte. Meine Ablehnung verfestigte sich und nahm später noch zu, als die Terroristen des Islamischen Staates in Syrien auch radikalisierte Muslime aus Deutschland einsetzten.

2011 stand ich mit Nazanin Borumand vom Zentralrat der ExMuslime in Kontakt. Ich fuhr nach Hamburg und demonstrierte mit ihr und einer kleinen Gruppe von 150 Leuten gegen Tausende Salafisten. Die Demo war von einer Kleinpartei organisiert, die es damals noch nicht lange gab. Sie hieß »Die Freiheit«. Ich weiß noch, wie uns die Antifa damals überschrie. Die Salafisten müssen sich totgelacht haben, auch weil Nazanin Borumand politisch sehr weit links stand.

Im Spätsommer 2011 trat ich der Partei »Die Freiheit« bei. Sie galt als islamkritisch, für mich passte das genau. »Die Freiheit« wollte sich zwar dem radikalen Islam entgegenstellen, vertrat ansonsten aber westlich-liberale Werte. Sie hatte nichts gegen Frauenrechte und war nicht gegen Schwule und Lesben. Und sie erschien mir auch nicht völkisch-national. Erst später wurde sie in Bayern vom Verfassungsschutz beobachtet.

Ich wollte eine Jugendorganisation aufbauen, die »Generation Freiheit«, und konferierte mit ein paar anderen jungen Parteimitgliedern über Facebook und Skype. Wer loslegen wollte, konnte einfach loslegen, das gefiel mir.

In meinem neuen Milieu traf ich aber auch auf radikale Typen. Einmal ging ich bei einem »Marsch der Patrioten« mit, den die »German Defence League« organisiert hatte, eine Organisation, die später vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Dort schimpfte man auch über die Antifa, und ich schimpfte eifrig mit.

»Die Freiheit« verstrickte sich allerdings bald in Richtungs- und Machtkämpfe. Der Bundesverband blockierte dann sogar die Gründung eines Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen. Schon in den E-Mails, die ich damals erhielt, klang die Zerstrittenheit an. Einmal lud man zu einem »Treffen des westlichen Ruhrgebiets« nach Mülheim an der Ruhr ein. In der Tagesordnung ging es um die »Klärung der Zuständigkeit der offiziellen Koordinatoren«, um »Ausgrenzung von Mitgliedern« und um »Kommunikationsbarrieren, von Koordinatoren verursacht«. Entsprechend konfliktfreudig verlief der Abend.

Mir gelang es erst einmal, derlei Grabenkämpfe auszublenden. Ich suchte Zugehörigkeit und thematische Übereinstimmung, beides bot mir diese Partei. Einmal hielt ich sogar eine Rede auf einer Kundgebung, bei der auch Mitglieder von »Pro NRW« auftraten. Diese Kleinpartei war bereits zur Heimat von Rechtsextremisten geworden.

Mit der »Freiheit« geschah dann letztlich dasselbe. Ich war 20 Jahre alt und in gewisser Weise sicher auch naiv. Aber irgendwann verstand ich, dass mit dieser Partei nichts zu gewinnen war und dass man sich von einigen Mitgliedern besser fernhielt. Leute wie der Bundesvorsitzende Michael Stürzenberger mischten meiner Meinung nach berechtigte politische Anliegen mit rechtsextremen Forderungen, die nicht zu akzeptieren waren. Anfang 2013 trat ich aus der »Freiheit« aus.

Die ersten Schritte


Ein paar Wochen später bekam ich mit, dass die AfD gegründet worden war – und meldete mich an. Ich tat das spontan und allein, ohne Bekannte oder Freunde. Soziale Kontakte sollte ich schnell knüpfen in der Alternative für Deutschland, auch wenn ich mir das beim ersten Landesparteitag in Rommerskirchen zwischen all den Anzugträgern noch nicht vorstellen konnte.

Die AfD wirkte höflich, fast schon vornehm. »Wie angekündigt, haben wir die hereingekommenen Kandidaturen zusammengefasst. Leider war es nicht möglich, diese per E-Mail an Sie zu senden«, entschuldigte man sich in der Einladung mit Blick auf die Wahlen des Landesvorstands – und bat dann freundlich um Unterstützung: »Es wäre schön, wenn sich im Kreise der Teilnehmer an unserem Gründungsparteitag der eine oder andere ambitionierte Fotograf oder gar Berufsfotograf befände und Bilder der Veranstaltung produzieren könnte.«

In Rommerskirchen stand an jenem Sonntagmorgen eine Menschentraube um einen etwa 60-jährigen Mann mit längerem weißem Haar herum. Martin Renner, einige Jahre CDU-Mitglied, nun einer der Gründer der AfD und draußen meistens mit einer Zigarette anzutreffen – den erkannte ich. Renner hatte auch das...

Erscheint lt. Verlag 29.7.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Alternative für Deutschland • Björn Höcke • Bundestagswahl • Demokratie • Demokratiefeindlichkeit • Deutschland • Fremdenhass • Heimat • Idealismus • Identität • Jörg Meuthen • Leitkultur • Mandate • Menschenverachtung • Nachwuchskader • Nationalismus • Neonazis • politische Mitte • Politische Rechte • Radikalität • Rassismus • Rechte • Rechtsextremismus • Verfassungsschutz • Volksparteien • Wiedervereinigung
ISBN-10 3-95890-435-1 / 3958904351
ISBN-13 978-3-95890-435-4 / 9783958904354
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