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Der Topophilia-Effekt (eBook)

Wie Orte auf uns wirken

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
272 Seiten
edition a (Verlag)
978-3-99001-432-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Topophilia-Effekt -  Roberta Rio
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Gesundheit. Erfolg. Liebe: Wie beeinfussen die Orte, an denen wir wohnen, arbeiten oder Urlaub machen, unser Leben? Die Historikerin Roberta Rio recherchiert die Geschichte von Gebäuden, Wohnungen oder Grundstu?cken und stößt dabei auf wiederkehrende Muster. In diesem Buch zeigt sie anhand alten Wissens und neuer Forschungsergebnisse, was wir u?ber die Wirkung von Orten wissen sollten und wie wir es herausfinden.

Dr. Roberta Rio ist promovierte Historikerin mit Gastprofessuren etwa an den Universitäten von Bologna, Wien und Berlin. Ihre Forschungsmethode zur Analyse von Orten präsentierte sie erstmals 2011 an der Universität von Glasgow. Die gebu?rtige Italienerin verfasste zahlreiche wissenschaftliche Artikel und lebt in Kärnten und in Bayern.

Dr. Roberta Rio ist promovierte Historikerin mit Gastprofessuren etwa an den Universitäten von Bologna, Wien und Berlin. Ihre Forschungsmethode zur Analyse von Orten präsentierte sie erstmals 2011 an der Universität von Glasgow. Die gebürtige Italienerin verfasste zahlreiche wissenschaftliche Artikel und lebt in Kärnten und in Bayern.

Ein abgelegenes Haus


Die Sonne schien und es war für Oktober noch ziemlich warm. Die Luft roch sauber und frisch. Das Laub, das noch an den Bäumen hing, leuchtete in freundlichen Rot- und Brauntönen. Ich freute mich. Erstens über das gute Wetter und zweitens auf meinen bevorstehenden Arbeitstag.

Ich war im Norden des Friaul mit einem Kunden verabredet, der mich beauftragt hatte, ein Haus zu begutachten. Er hatte es vor kurzem gekauft.

In einer Zeitung hatte er einen Artikel mit dem Titel »Der Geist der Orte« über mich und meine Arbeit gelesen. Er handelte davon, wie ich die Geschichte von Grundstücken, Häusern, Gebäuden, aber auch Städten und Regionen recherchiere und daraus Schlussfolgerungen für deren aktuelle Bewohner ziehe. Welche Muster sind an einem Ort zu erkennen? Etwa im Hinblick auf die Gesundheit, die Beziehungen oder die wirtschaftliche Situation der bisherigen Bewohner? Was könnten diese Muster für die aktuellen Bewohner des Ortes bedeuten?

Als ich aus dem Auto stieg, ließ ich zunächst die Fassade des Gebäudes auf mich wirken. Sie bestand aus einer spannenden Mischung aus Holz, rohen Ziegeln und verputztem Mauerwerk. Es war ein schönes, zweistöckiges Haus aus dem 18. Jahrhundert, wenngleich es offensichtlich restaurierungsbedürftig war.

Für mich als Historikerin sind 300 Jahre keine allzu große Zeitspanne. Oft genug habe ich mit viel älteren Gebäuden und Gemäuern zu tun, die teilweise in viel schlechteren Zuständen sind. Und ich liebe das. Vor Bauten zu stehen, die so viel Geschichte in sich tragen, ist für mich ein ganz besonderes Gefühl. Zu wissen, dass in jedem Zimmer, in jedem Winkel und an jedem Fenster ganz unterschiedliche Ereignisse stattgefunden haben. Momente im Leben von Menschen, wichtige wie unbedeutende, die längst verschollene Schicksale ausgemacht haben.

Das Ambiente, das dieses Haus umgab, war idyllisch. Das Anwesen stand mitten in einem Park, recht abgelegen, ohne direkte Nachbarn und kein Verkehr störte die Ruhe.

»Hallo Roberta«, begrüßte mich mein Auftraggeber, ein schlanker, sportlicher, gut aussehender Mann Mitte fünfzig, vielleicht Anfang sechzig. Er blickte seitlich an mir herab. »Du hast ja eine süße Begleitung.«

»Darf ich vorstellen: Das ist Leya«, sagte ich.

Leya wedelte fröhlich, als er ihr den Kopf streichelte.

Normalerweise gehe ich folgendermaßen vor: Ich mache einen Rundgang mit dem Besitzer oder der Besitzerin eines Hauses und lasse mir alles zeigen. Daraufhin gehe ich noch einmal allein umher, um alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, zu erleben und auf mich wirken zu lassen. Bevor ich mit meinen historischen Recherchen beginne, will ich den Ort spüren, ohne von außen beeinflusst zu werden, denn Eigentümer von Häusern haben immer eine ganz spezielle Bindung an ihr Objekt. Da kann es leicht passieren, dass Besucher wie ich durch ihre Erzählungen ihre neutrale Einstellung verlieren und wichtige Details übersehen.

Dieses Mal waren neben dem Besitzer und mir noch drei weitere Menschen da. Allesamt Handwerker, die sich ein Bild von der Beschaffenheit des Hauses machen wollten. Es stand die Idee im Raum, mehrere Wohnungen darin zu errichten. Aus dem Stall neben dem Haus wollte der Besitzer einen Veranstaltungsraum machen.

»Es ist ein wunderbares Objekt«, sagte er zu mir. »Ich glaube, du wirst so begeistert sein wie ich. Lass uns doch mit dem Stall beginnen.«

Im Stall gab es nicht viel zu sehen. Er war leer und feucht. Die alten Balken an der Decke fielen mir augenblicklich auf. »Schön sind die«, sagte ich.

Er nickte. »Das alles hat Charisma, nicht wahr? Hier könnten Seminare stattfinden und Hochzeiten gefeiert werden. Ich sehe die glücklichen Gesichter der Besucher und Gäste schon vor mir.«

Der Mann war Notar und offensichtlich begeistert davon, hier einen Teil seiner erklecklichen Einkünfte investiert zu haben.

»Wie bist du eigentlich zu diesem Haus gekommen?«, wollte ich wissen.

Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gehört, dass es zum Verkauf steht. Der Preis war in Ordnung und ich hielt es für eine gute Investition. Sieh es dir doch an! Ich musste einfach zuschlagen.«

Die weitere Besichtigung führte uns ins Innere des Hauses. Dort offenbarte sich mir ein, sagen wir, sehr individueller Baustil. Damit hatte ich bereits gerechnet, nachdem auch die Fassade schon ein bisschen nach Patchwork aussah. Man konnte sehen, dass das Haus über die Jahrzehnte immer wieder umgebaut worden war, allerdings ohne einheitliche Struktur, eher chaotisch, sodass das Ganze verwinkelt und verschachtelt wirkte.

Ich konnte mich allerdings kaum konzentrieren. So sehr ich mich auch bemühte, etwas lenkte mich ständig ab. Entweder waren es die Gespräche der anderen, die sich über das Verlegen der Rohre und Stromleitungen unterhielten und darüber, wie die Wände beschaffen waren. Oder es war Leya, die irgendwo herumstreunte. Ich folgte dem Besitzer zwar von Raum zu Raum, doch es gelang mir kaum, das Haus wirklich wahrzunehmen.

Nachdem wir mit dem Erdgeschoss fertig waren, stiegen wir über eine Treppe aus Holz hinauf in den ersten Stock. Im ersten Zimmer, das wir dort besichtigten, passierte etwas Merkwürdiges. Leya blieb unvermittelt wie angewurzelt stehen. Um keinen Preis der Welt wollte sie sich weiterbewegen. Ich rief mehrmals ihren Namen, aber sie reagierte nicht. Sie stand da, stocksteif, und starrte wie gebannt in eine Ecke. Bloß war dort nichts. Kein Insekt, das herumflatterte, kein Licht, das an der Wand tanzte, kein Geräusch, das aus dieser Richtung kam.

Nicht einmal auf das Leckerli, das ich ihr vor die Schnauze hielt, reagierte sie. Es war sehr seltsam. In der Hundeschule hatte ich gelernt, auf diese Weise ihren Stresslevel zu testen. Nahm sie das Futter an, war das Niveau überschaubar bis niedrig. Alles okay. Nahm sie es nicht an, war sie angespannt und ich damit gefordert, die Stressquelle auszuschalten. Bloß wie, wenn da keine erkennbare war?

Ich hockte mich zu ihr und schaute in die gleiche Richtung. Vielleicht konnte ich auf diese Weise erkennen, was meine Hündin dermaßen irritierte? Doch ich sah weiterhin … nichts. Leya blieb noch einige Minuten stehen, ehe sie, genauso plötzlich wie sie erstarrt war, wieder auftaute. Als wäre nichts gewesen, erkundete sie heiter weiter die Umgebung.

Manchmal bedauere ich es, dass ich Leyas Gedanken nicht lesen kann. Denn es ist evident, dass Hunde Dinge wahrnehmen können, die unseren menschlichen Sinneswahrnehmungen verschlossen bleiben. Das Hirnareal von Hunden für Gerüche etwa ist vierzig Mal so groß wie das von uns Menschen. Das ermöglicht es ihnen auch, Dinge zu erschnuppern, die längst vergangen sind. Es ist ein geniales Organ, das eine Zeitreise ins Gestern ermöglicht. Leya ist also auf ihre Art selbst eine Historikerin und womöglich noch mehr. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Hunde und Katzen und alle möglichen anderen Tiere auch prophetische Gaben haben. Ihre vielfach belegte Fähigkeit, Erdbeben vorauszusagen, versucht derzeit die renommierte Max Planck-Gesellschaft über ihr Institut für Verhaltensbiologie in einem aufwändigen Projekt zu ergründen.

Erst jüngst hatte mir Leyas Verhalten bei der Geburtstagsfeier einer Freundin zu denken gegeben. Leya, die es als Musterbeispiel eines Rudeltiers liebt, Menschen um sich zu haben, hatte sich an jenem Abend standhaft geweigert, zu uns ins Wohnzimmer zu kommen. Schließlich hatte ich herausgefunden, dass das Haus, in dem meine Freundin lebte, früher eine Metzgerei gewesen war. Und dass der Platz, an dem wir saßen, genau jener Ort war, an dem die Tiere geschlachtet worden waren.

Viele Hundebesitzer können bestätigen, dass Tiere augenblicklich spüren, ob ihnen etwas oder jemand behagt oder nicht. Gehe ich mit Leya spazieren und begegnen wir anderen Menschen, steuert sie entweder freundlich auf sie zu oder kommt auf meine andere Seite, um ihnen auszuweichen.

Ich habe auch beobachtet, dass Leya ihre Notdurft am liebsten an Orten verrichtet, die für uns Menschen schlechte Energien haben. Als ich sie einmal zu einer kurzen Zugfahrt mitnahm, ging ich vor der Abfahrt noch eine Runde mit ihr, damit sie ihr Geschäft verrichten konnte. Draußen in der Natur weigerte sie sich, erst als wir schon am Bahnsteig waren, entleerte sie sich endlich, und zwar direkt unter einer Hochspannungsleitung. Viele Ratgeber über Hundeerziehung bestätigen dieses Verhalten von Hunden. In Gärten zum Beispiel stellen sie sich gern über Wasseradern.

Möglicherweise verfügen Hunde auch über einen Magnetsinn, der sie ebenfalls Dinge wahrnehmen lässt, die uns verschlossen bleiben. Forscher der Universität in Duisburg-Essen gehen gemeinsam mit Kollegen der Technischen Agraruniversität in Prag der Frage nach, ob Hunde sich für ihr Geschäft am liebsten an der magnetischen Nord-Süd-Achse ausrichten, wenn man sie lässt. Doch leider gehöre ich nicht zu den Menschen, die angeblich mit Tieren kommunizieren können. Ich kann Leya nur beobachten und ihr Verhalten zum Teil des Stimmungsbildes machen, das ich von einer Besichtigung mitnehme.

Einige Tage nach dieser Hausführung machte ich mich an die Arbeit. Ich forschte im Gemeinde-Archiv nach und erfuhr dabei mehr über die Vorbesitzer des Hauses.

Als Archivarin und Historikerin habe ich Zugänge zu Unterlagen, an die nur befugte Menschen kommen. Doch auch allgemein zugängliche Gemeinde-Archive sind für mich wichtige Informationsquellen. Noch wichtiger sind nur Kirchen-Archive, die oft bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, sofern nicht Brände oder andere Katastrophen sie zerstört haben.

Ich sitze dann stundenlang in Zimmern, umgeben von wertvollen,...

Erscheint lt. Verlag 3.10.2020
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Architektur • Effekt • Idylle • Natur • Orte • Rio • Roberta • topophilia • Wirken
ISBN-10 3-99001-432-3 / 3990014323
ISBN-13 978-3-99001-432-5 / 9783990014325
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