Die verdammte Generation (eBook)
328 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-298-5 (ISBN)
Dr. phil. Christian Hardinghaus, geboren 1978 in Osnabrück, promovierte nach seinem Magisterstudium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung und schloss danach ein Studium des gymnasialen Lehramtes mit dem Master of Education in der Fachkombination Geschichte/Deutsch ab. Seine historischen Schwerpunkte liegen in der Erforschung des NS-Systems und des Zweiten Weltkrieges. Er ist außerdem schulisch ausgebildeter Fachjournalist und arbeitet als Lektor, Autor und beratender Historiker. Seine Artikel erscheinen in zahlreichen regionalen und überregionalen Zeitungen und Magazinen. Er veröffentlicht sowohl Sachbücher als auch Romane.
Dr. phil. Christian Hardinghaus, geboren 1978 in Osnabrück, promovierte nach seinem Magisterstudium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung und schloss danach ein Studium des gymnasialen Lehramtes mit dem Master of Education in der Fachkombination Geschichte/Deutsch ab. Seine historischen Schwerpunkte liegen in der Erforschung des NS-Systems und des Zweiten Weltkrieges. Er ist außerdem schulisch ausgebildeter Fachjournalist und arbeitet als Lektor, Autor und beratender Historiker. Seine Artikel erscheinen in zahlreichen regionalen und überregionalen Zeitungen und Magazinen. Er veröffentlicht sowohl Sachbücher als auch Romane.
ZWISCHEN HYSTERIE UND HISTORIE – ANNÄHERUNG AN DIE VERDAMMTE GENERATION
Wir leben heute in einem Deutschland, das zum Glück nicht mehr von Krieg, dafür aber von Hysterie bedroht ist. Die zunehmende Unfähigkeit, zu differenzieren, und das scheinbare Nicht-ertragen-Können anderer Meinungen treiben einen Keil durch die Gesellschaft, aus der sich zumindest ein heftiger Meinungskrieg entwickelt hat. Debatten in Medien oder Politik werden kaum mehr sachlich geführt, Meinungen von Minderheiten – oder immer häufiger auch die von Mehrheiten – werden unterdrückt anstatt ausdiskutiert.
Obwohl wir über das Internet Zugriff auf quasi das gesamte Wissen der Menschheit haben, also in diesem Bereich privilegiert sind wie keine Gesellschaft zuvor, scheint es erhebliche Probleme mit dem zu geben, was wir als Wahrheit anerkennen wollen. Selbst gegen knallharte Fakten werden Menschen in diesem Land resistent, wenn sie nicht der eigenen Meinung entsprechen, aus der ein Lebensbild geformt werden soll. Soziale Medien dienen nicht mehr dem Gedanken- und Meinungsaustausch, sondern sind in erster Linie dafür da, die Richtigkeit eigener Ansichten zu bestätigen und zu stärken. Wir können uns der Flut von Informationen und Nachrichten, die täglich über Dutzende Kanäle auf uns einprasseln, nicht mehr erwehren, geschweige denn sie ausreichend beurteilen und ordnen; deshalb werden wir gezwungen, uns vorschnelle Urteile – mit anderen Worten Vorurteile – zu bilden. Wo Werte beispielsweise durch fehlendes Nationalgefühl, durch das Zerbrechen von Familien, durch das Schwinden des Einflusses der christlichen Religion, durch mangelnde Bildung wegfallen, sucht sich der Mensch Identifikation über alternative, meist vereinfachte Weltanschauungen. Das Bedürfnis, sich mit etwas zu identifizieren, wird paradoxerweise umso größer, je mehr sich alles zerstreut. Und je mehr Angebote zur Orientierung vorhanden sind, umso desorientierter wird die Gesellschaft und umso stärker wird das Bedürfnis des Einzelnen, sich in generellen Fragen von den anderen abzugrenzen und zu unterscheiden. So bleiben letztendlich zwei Prinzipgruppen übrig, die sich gegenseitig als Gut und Böse beschreiben und generell auf keinen Konsens mehr kommen können. Wer der anderen Seite angehört, der ist je nach Lesart verblendet, manipuliert, noch nicht aufgewacht. Halt und Anerkennung bietet die Eigengruppe sozialpsychologisch gesehen allerdings nur, wenn sie ein gemeinsames Feindbild hat. Die sogenannte Ingroup braucht eine Outgroup, die sie abwerten kann, um sich selbst als wahrhaftig zu begreifen und überlegen fühlen zu können. Da die Politik darin versagt, beide Seiten zusammenzuhalten, weil sich die Politiker längst selbst Eigen- und Fremdgruppen zugeordnet haben und daher ebenfalls keine Kompromisse mehr finden können, steigern sich die Argumente auf beiden Seiten immer weiter ins Radikale, Renitente und Unumkehrbare.
Für den Historiker kaum zu ertragen ist es, wenn Menschen mit anderer Meinung, die nicht den Vorstellungen oder der Moral unserer Zeit entspricht, abgewertet werden, indem man sie als Nazi bezeichnet und beschimpft. Ist es möglich, dass unsere Bildungspolitik derart versagt haben kann? Oder warum sonst lässt es die Gesellschaft zu, dass solche Menschen mit den größten Verbrechern gleichgesetzt werden, die jemals in Deutschland regiert haben?
Im Zentrum aller wichtigen Debatten, wie beispielsweise zur Migrations-, EU- oder Klimapolitik, steht die Frage nach unseren Werten und unserem Wesen. Wer sind wir Deutschen? Wer waren wir? Wie wollen wir sein? Die Identität eines Volkes wird maßgeblich durch seine historische Vergangenheit geprägt. Und die alles umspannende Pauschalisierung bzw. Popularisierung, der wir aktuell ausgesetzt werden, ist nichts anders als die Folge eines ausgewiesenen innerdeutschen Identitätsproblems. Das ist zwar im Grunde so alt wie Deutschland selbst, und nie konnte hier ein wirklicher Konsens gefunden werden, doch mit Sicherheit stellt die Zeit des Dritten Reiches für uns heute Lebenden den größten, nicht aufgearbeiteten Komplex und gleichzeitig die wichtigste Spaltursache dar. Diese dunkelste Epoche unserer Geschichte ist nach 75 Jahren längst nicht hinreichend verarbeitet, andernfalls würde nicht die Jagd nach vermeintlichen Nazis und Faschisten heute vehementer angetrieben werden als je zuvor. Wir scheinen eben doch nicht ganz verstanden zu haben, wer oder was die Nazis waren und was sie getan haben.
Aber haben denn die aktuelle gesellschaftliche Spaltung und die zunehmende Uneinigkeit der Deutschen wirklich noch etwas mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun?
Ganz gewiss! Wir müssen deswegen anfangen, unsere Geschichte multiperspektivisch aufzuarbeiten; wir dürfen Themen aus dieser Zeit nicht ausklammern oder aus Angst nicht ansprechen. Und vor allem sollten wir, wenn wir selbst anders leben wollen, nicht unsere Vorfahren in Schubladen sortieren. Zu häufig liest man in höhnischen Kommentaren unter journalistischen Artikeln, die beispielsweise an den Holocaust erinnern: »Alle haben es gewusst!«, »Alle haben mitgemacht!«, »Alle haben Schuld!«.
Das ist nicht nur historisch völlig inkorrekt, sondern ignorant gegenüber unseren Vorfahren und arrogant bezogen auf unser eigenes Dasein. Diese leicht dahingesagten Phrasen vermitteln Unwissenheit und Überheblichkeit gleichermaßen und zeigen, dass das System Nationalsozialismus nicht begriffen wurde. Das ist gefährlich. Wenn man nämlich alle Menschen zwischen 1933 und 1945 als Nazis bezeichnet, sei es aus Boshaftigkeit, Ideologie oder Unwissenheit, so werden auf der einen Seite die Verbrechen der Nazis verharmlost, auf der anderen Seite völlig unbelastete Menschen mit Schuld überhäuft, die sie nicht auf sich geladen haben. Es kann und darf nicht sein, dass heute jeder, der sich nicht offensichtlich im Widerstand organisiert hat, in den Verdacht gerät, Täter gewesen zu sein, und dass er schuldig gesprochen wird für etwas, das er weder zu verantworten hatte noch hätte verhindern können. Dasselbe Prinzip gilt für den ähnlich populistischen Ausruf »Alle Soldaten sind Mörder!«. Diese Plattitüde zeigt auf, dass auch das Wesen des Krieges nicht verstanden wurde – und das in einem Land, in dem eben noch gar nicht lange her der schlimmste Krieg der Menschheitsgeschichte tobte. Doch sind wir überhaupt unterrichtet worden über das, was Krieg in seinem Wesen ausmacht, wie er sich für die verschiedenen Beteiligten aller Seiten anfühlt, was Kriegsalltag bedeutet? Oder haben uns Schule und Medien lediglich einige wenige Ausschnitte gezeigt, aus denen wir ein Gesamturteil ableiten, wo es keines geben kann und darf, wir uns aber nicht trauen, anderes zu akzeptieren?
Nach den Nürnberger Prozessen, die zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 gegen Kriegsverbrecher und Kriegsverantwortliche geführt wurden, herrschte unter den alliierten Anklägern schnell Einigkeit darüber, dass die deutsche Zivilgesellschaft nicht schuldig sein konnte an den Schandtaten der Nazis. In ihren Urteilen und Schlussplädoyers machten die Richter dies mehr als deutlich und übertrugen ihre Feststellungen auch auf die Soldaten der Wehrmacht. Es herrschte ein Einvernehmen darüber, dass die unter dem Einsatzkommando des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) stehenden Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei (SIPO) und des Sicherheitsdienstes (SD) mit der Planung und Durchführung des Holocausts beauftragt worden waren. Das führte dazu, dass die alliierten Rechtsprechenden zwar die NSDAP und die SS als verbrecherische Organisationen einstuften, nicht aber die Wehrmacht und auch nicht ihr Oberkommando (OKW). Heute wissen wir freilich, dass die Wehrmacht als Institution und Werkzeug der Nationalsozialisten Bestandteil eines schrecklichen Vernichtungskrieges geworden ist. Soldaten der Wehrmacht waren an Verbrechen und vereinzelt auch am Holocaust beteiligt. Diese machten aber – und die moderne Geschichtswissenschaft hegt hier keinen Zweifel – in der Gesamtbetrachtung einen geringen Anteil aus. Bis Ende der 1960er-Jahre wusste auch die deutsche Nachkriegsgesellschaft zwischen Zivilisten, Soldaten und Funktionären der NSDAP zu unterscheiden. Dann jedoch begannen die Kinder der letzten aktiv am Krieg beteiligten Generation damit, ihre Eltern für die bloße Teilnahme am Krieg als Täter und Mitwisser zu verurteilen. Eine Stigmatisierung, von der sich diese bis zum Ende ihres Lebens nicht erholen konnten und die ihnen auch danach immer noch anlastet. Die sogenannte 68er-Bewegung war notwendig, ihr Anspruch nach gründlicher Aufarbeitung von Nazi-Verbrechen richtig und wichtig, ihr Streben nach Frieden verständlich. Doch haben sie es sich in Deutschland in einigen Punkten zu leicht gemacht. Die pauschale Verurteilung all ihrer Väter, die am Krieg teilgenommen haben, als Nazis erfüllte auch den Wunsch dieser Generation, sich einerseits selbst von Schuld freisprechen zu können und sich andererseits nicht weiter mit der Vergangenheit ihrer Eltern auseinandersetzen zu müssen. Indem sich die Alt-68er gegenseitig versicherten, alle Väter und Mütter seien Nazis gewesen, konnte sich keiner schuldiger fühlen als der andere. Sie waren typische Rebellen, nahmen sich raus aus...
| Erscheint lt. Verlag | 21.2.2020 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
| Schlagworte | Afrikakorps • Al Alamein • Allerseelenschlacht • Allierte • Barbarossa • Bombardierungen • Bromberger Blutsonntag • D-Day • führerbefehl • Geiselerschießungen • Hinrichtungen • Holocaust • Identitätsdebatte • Jagdflieger • Judenverfolgung • Kommissarbefehl • Kriegsverbrechen • Kursk • Luftangriffe • Nationalsozialismus • Nazis • OKW • Panzerschlacht • Partisanen • Rheinwiesenlager • Rote Armee • Schlachten • Soldaten • Stalingrad • Tobruk • Wehrmacht • Wehrmachtssoldaten • Zeitzeugen • Zitadelle • Zweiter Weltkrieg |
| ISBN-10 | 3-95890-298-7 / 3958902987 |
| ISBN-13 | 978-3-95890-298-5 / 9783958902985 |
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