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Ein Mord, zwei Mütter und die Macht der Liebe - Debra Moerke, Cindy Lambert

Ein Mord, zwei Mütter und die Macht der Liebe

Wie ein schockierender Anruf meine Welt aus den Angeln hob
Buch | Hardcover
365 Seiten
2020 | 1. Auflage
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-133-8 (ISBN)
CHF 29,90 inkl. MwSt
  • Titel leider nicht mehr lieferbar
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Als Debra und ihr Mann sich als Pflegeeltern bewerben, ahnen sie nicht, wie sehr dies ihr Leben auf den Kopf stellen wird. Doch dann wird ihre fünfjährige Pflegetochter Hannah ermordet - ausgerechnet von Karen, ihrer leiblichen Mutter! Von Trauer und Entsetzen schier überwältigt, können die Moerkes keinen weiteren Schlag verkraften. Da ruft Karen aus dem Gefängnis an. Sie, nun zu lebenslanger Haft verurteilt und erneut schwanger, hat eine ungeheuerliche Bitte: Debra soll sie besuchen ... und ihr Baby großziehen. Was sollen Debra und Al nur tun? Eine schier unglaubliche wahre Geschichte - über eine ganz normale Familie, ihren Glauben und den mutigen Versuch, Gottes grenzenlose Liebe sogar dem Menschen widerzuspiegeln, der ihnen das Liebste geraubt hat.

Debra Moerke war 18 Jahre lang Pflegemutter für über 140 Kinder, hat in diversen Gefängnissen und sozialen Projekten mitgearbeitet und kürzlich ein Bibelschulstudium absolviert. Zusammen mit ihrem Mann Al lebt sie in Wyoming. Das Paar hat sechs erwachsene Kinder und sieben Enkelkinder.

Kapitel 1 Ein Tag, der das Leben für immer verändert, kündigt sich selten vorher an. Erst im Rückblick erkenne ich, dass ein kleines Ja an einem warmen Junitag im Jahr 1996 eine ganze Flut von lebensverändernden Entscheidungen, von schier unerträglichem Schmerz und zugleich überirdischer Freude mit sich brachte. Es waren Entscheidungen, die nicht nur unsere Familie verändern würden, sondern auch mich selbst. Mein Glaube würde dermaßen herausgefordert werden, dass ich ihn kaum wiedererkennen sollte. Ich habe gelernt, dass man nie unterschätzen sollte, was Gott aus einem Ja machen kann. Ich hatte eine Ladung Wäsche in der Waschmaschine und machte in der Küche sauber, während fröhliche Geräusche aus dem Kinderzimmer herüberdrangen. Da klingelte das Telefon. »Hallo, Debbie, hier ist Ellen.« Die Sozialarbeiterin des Jugendamtes begrüßte mich wie üblich in einem freundlichen Tonfall. Mein Mann Al und ich waren seit vierzehn Jahren Pflegeeltern und kannten die Mitarbeiter des Jugendamtes so gut, dass wir uns mit den Vornamen anredeten. »Ich weiß, Sie haben gerade zwei Brüder bei sich aufgenommen, die bald wieder nach Hause zurückkehren«, fuhr Ellen fort. »Könnten Sie vielleicht auch noch ein vier Tage altes Baby nehmen? Die Mutter liegt nach einem Kaiserschnitt im Krankenhaus und sie und ihr Kind wurden positiv auf Kokain getestet. Deshalb haben wir Ermittlungen angeordnet und müssen das Baby in der Zwischenzeit bei Pflegeeltern unterbringen.« »Klar!«, antwortete ich und diese Zusage fiel mir nicht schwer. Ich konnte es kaum erwarten, unserer zwölfjährigen Tochter Helen die Neuigkeit mitzuteilen. Helen liebte Babys und wir hatten schon lange keines mehr bei uns aufgenommen. »Wunderbar! Wenn Sie ins Krankenhaus kommen, melden Sie sich bitte im Zimmer des Pflegepersonals im zweiten Stock.« Ellen kannte unsere Geschichte. Sie wusste, dass wir gern Säuglinge und Kleinkinder bei uns aufnahmen und auch bei Kindern, die Entwicklungsstörungen hatten, Erfolge aufweisen konnten. Alkohol- oder Drogenmissbrauch während der Schwangerschaft wirkte sich oft sehr negativ auf die betroffenen Kinder aus; sie hatten viele Probleme, die es zu überwinden galt. Drei meiner eigenen fünf Kinder wohnten noch zu Hause und folglich erhielten die kleinen Pflegekinder von verschiedenen Seiten viel Zuwendung. Genau wie Helen hatten auch die fünfzehnjährige Sadie und der zehnjährige Charles ein Herz für Kinder und waren sehr geschickt im Umgang mit ihnen. Ich war stolz darauf, wie liebevoll meine eigenen Kinder sich um die Pflegekinder kümmerten. (Elizabeth, unsere Älteste, studierte an der Texas A&M Universität und unser Sohn Jason war bei der amerikanischen Luftwaffe in Deutschland stationiert.) Ein paar Stunden später, nachdem ich die Arbeiten im Haushalt erledigt hatte und wir alle zu Mittag gegessen hatten, fuhren Helen und ich nach Casper, eine Strecke von fünfundzwanzig Minuten. Als wir das Krankenhaus erreichten, ging Helen schnurstracks zum Aufzug. Sobald die Türen sich öffneten, war sie drinnen. »Welches Stockwerk?«, fragte sie, während ihr Zeigefinger über den Knöpfen kreiste, bereit, sie alle zu drücken, wenn uns das schneller zu dem Baby bringen würde. Natürlich war auch ich freudig aufgeregt, aber ich machte mir auch einige Gedanken. Wie hatten sich die Drogen auf den Körper des Kindes ausgewirkt? Welche Hilfe würde es von uns brauchen? Warum dauerte es so lange, bis der Aufzug im zweiten Stock ankam? Endlich öffneten sich die Türen. Eine Krankenschwester begrüßte uns am Empfangstresen. »Wir haben Sie schon erwartet. Folgen Sie mir bitte, damit ich Ihnen alles mitgeben kann, was das Baby bei Ihnen zu Hause braucht.« Auf der Säuglingsstation lag ein winziges Baby in einem Stubenwagen unter einer Wärmelampe. Es war in eine weiß und hellgrün gestreifte Decke eingewickelt. Helen quietschte vor Begeisterung, als sie im schwarz gelockten Haar des kleinen Mädchens eine rosa Schleife entdeckte. Sie führte einen kleinen Freudentanz auf und streichelte dem Baby dann sanft über die dunkle Stirn. Die Pflegerin lachte. »Ihr dürft sie gleich mit nach Hause nehmen und so viel auf den Arm nehmen, wie ihr wollt. Sie braucht jede Menge Zuwendung.« Dann reichte sie mir einen ganzen Stapel Entlassungspapiere und Anweisungen. Sie machte eine Kopie von meinem Führerschein, während ich schnell die Formulare ausfüllte. »Die Kleine ist süß, aber ich muss Sie auch warnen«, meinte die Pflegerin schließlich in ernstem Tonfall. »Die Drogen werden sich noch einige Tage, vielleicht sogar Wochen auswirken.« »Wie schwer sind die Symptome?«, fragte ich. »Manchmal zittert und weint sie und lässt sich kaum trösten. Am besten ist es, wenn sie lernt, selbst damit klarzukommen. Wickeln Sie die Kleine fest in eine Decke ein und nehmen Sie sie auf den Arm. Wenn man sie hin und her schaukelt, ihr etwas vorsingt und mit ruhiger Stimme spricht, scheint sie das zu trösten.« »Das schaffen wir schon«, versicherte ich. Helen nickte ebenfalls, als würde sie persönlich die Verantwortung übernehmen, dass alle Anweisungen befolgt wurden. In diesem Moment kam eine andere Pflegerin herein. »Die Mutter des Kindes würde Sie gern kennenlernen«, sagte sie zu mir. »Dazu sind Sie nicht verpflichtet«, wandte die erste Pflegerin ein. »Wir können ihr auch alle Informationen geben, die sie haben möchte.« »Nein«, erwiderte ich, »ich gehe zu ihr. Kann ich sie jetzt sehen?« Helen war überglücklich, dass sie solange bei dem Baby bleiben durfte. Ich folgte der Pflegerin in ein Krankenzimmer und sah eine junge Frau mit dunklem, welligem Haar und dunkler Hautfarbe im Bett liegen, die eine Dose Mineralwasser trank. Als sie mich sah, stellte die Frau die Dose aufs Tablett und versuchte sich aufzurichten. Sie biss die Zähne zusammen und schloss die Augen, während sie sich an der Rückenlehne des Bettes abstützte. Ich konnte ihr ansehen, dass sie noch Schmerzen von der Operation hatte. Ich stand am Fußende des Bettes. »Hallo, mein Name ist Debra. Ich kümmere mich für eine Weile um Ihr Baby. Sie haben eine hübsche Tochter!« »Danke«, sagte die Frau kurz angebunden, den Blick zur Seite gewandt. »Ich werde für ein paar Wochen bei meinen Eltern wohnen und möchte meine Muttermilch abpumpen und einfrieren. Wären Sie bereit vorbeizukommen und sie abzuholen?« Sie sah mich kurz an und wandte dann den Blick wieder ab. »Ich möchte unbedingt, dass sie meine Milch bekommt.« Offensichtlich fiel es der Frau schwer, mich anzuschauen. Für sie war ich wahrscheinlich Teil des Systems, das ihr das Kind wegnahm – keine ungewöhnliche Reaktion einer leiblichen Mutter, wenn das Jugendamt sich entschied, das Kind zur Pflege wegzugeben. An ihrer Stelle hätte ich mich auch schrecklich gefühlt. »Ich spreche mal mit der Sozialarbeiterin und frage sie, ob das in Ordnung ist«, sagte ich und lächelte in der Hoffnung, ihr klarzumachen, dass ich nicht ihre Feindin war. »Wie heißt Ihre Tochter denn?« »Ally.« Ihre Wangen röteten sich leicht, als sie den Namen aussprach. Sie senkte den Kopf und ihre Verärgerung schien sich zu legen, während ihr die Tränen über die Wange liefen und auf die Bettdecke tropften. Es ist schon schwer genug, mit all den Gefühlen klarzukommen, die eine Mutter nach der Geburt überwältigen. Und dann im Krankenhaus bleiben zu müssen, während das neugeborene Kind fremden Menschen übergeben wird, das muss noch schwerer sein. »Und wie heißen Sie?«, fragte ich schließlich. »Ähm … Karen Bower«, antwortete sie. »Schön, Sie kennenzulernen, Karen.« Die Pflegerin warf mir einen Blick zu und machte einen Schritt in Richtung Tür. Ich folgte ihr aus dem Zimmer zurück auf die Säuglingsstation, wo Helen dem Baby nicht von der Seite gewichen war. »Also, packen wir zusammen und dann ab nach Hause mit euch beiden«, sagte ich mit einem Lächeln. Ich unterschrieb ein Formular auf einem Klemmbrett und die Pflegerin händigte mir meinen Führerschien wieder aus. Wir legten das Baby in den Autositz, den seine Mutter mit ins Krankenhaus gebracht hatte, und gingen zurück zum Aufzug. Es war schon spät am Nachmittag, als wir den Parkplatz der Klinik verließen. Das Pflegepersonal hatte uns Säuglingsnahrung und eine Tüte mit Creme, Shampoo und Windelproben mitgegeben, aber Helen und ich machten noch bei einem Geschäft halt, in dem wir Strampler, Bodys und Windeln kauften. Als wir nach Hause kamen, nahmen Sadie und Charles voller Begeisterung das Baby abwechselnd auf den Arm, während ich die Wiege aus dem Abstellraum holte und sie frisch bezog. So viele Babys hatten schon bequem in diesem Bett geschlafen. Nun war Ally dran. * * * Al und ich hatten unsere Aufgabe als Pflegeeltern stets gemeinsam erfüllt. Die damit verbundenen Freuden hatten wir genossen und die Herausforderungen bewältigt. Als Ally zu uns kam, hatten wir zuvor schon über 140 Kinder betreut, manche nur für eine Nacht, andere für Wochen oder Monate, einige wenige waren mehrere Jahre bei uns gewesen. 1982 haben wir das erste Mal Pflegekinder bei uns aufgenommen. Damals waren wir drei Jahre verheiratet und bildeten eine Patchworkfamilie mit drei Kindern. (Unsere beiden anderen Kinder wurden in den nächsten Jahren geboren.) Eine Beziehung zu Gott hatte keiner von uns. Al war in einer katholischen Umgebung aufgewachsen, seine Mutter war katholisch und sein Vater evangelisch-lutherisch. Zur Kirche ging seine Familie nur selten. Ich gehörte zur presbyterianischen Kirche und besuchte als Kind häufig den Gottesdienst. Als ich älter wurde, ging meine Familie jedoch nicht mehr so regelmäßig dorthin. Ich habe meine Familie oft als »Kirchgänger mit problematischem Hintergrund« bezeichnet. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich acht war. Von da an gingen wir nur noch unregelmäßig zur Kirche. Als Al und ich uns kennenlernten und heirateten, besuchten wir gelegentlich eine in der Nähe gelegene Kirche, meist zu bestimmten Anlässen wie Hochzeiten oder Beerdigungen und zu besonderen Feiertagen wie Weihnachten und Ostern. Ein wöchentliches Ereignis war unser Kirchenbesuch jedoch keinesfalls. Allerdings beteten wir mit unseren Kindern zu Tisch und beim Schlafengehen. 1980 wollte ich mich gern in der Lebensrechtsbewegung engagieren. Weil jedoch die Gemeinde, zu der wir gehörten, meine Ansichten nicht teilte, schickte ich Briefe an andere Gemeinden in unserer Umgebung, um herauszufinden, wer sich für das Lebensrecht Ungeborener einsetzte. Die einzige Gemeinde, die auf meine Anfrage antwortete, war eine kleine baptistische Gemeinde. Ich entschied mich, mit den Kindern gelegentlich dorthin zu gehen; Al kam jedoch nicht mit. * * * Eines Abends sahen Al und ich im Lokalfernsehen einen Werbespot, in dem unsere Stadtverwaltung dringend nach Familien suchte, die bereit waren, Kinder bei sich aufzunehmen – solche, die von ihren Eltern misshandelt oder vernachlässigt worden waren. Wir sahen uns an und waren uns sofort einig: Wir hatten ein schönes Zuhause, genug zu essen und Freiraum in unserem Herzen. All das wollten wir mit diesen Kindern teilen. Am nächsten Tag fuhr ich zu unserem Jugendamt und füllte einen Bewerbungsbogen für Pflegeeltern aus. Nach intensiven Gesprächen und einer Überprüfung unseres Zuhauses durfte unser erstes Pflegekind, ein kleiner Junge, bei uns einziehen. In der ersten Zeit als Pflegeeltern sahen wir die Eltern, den jeweiligen Vormund und die Familienmitglieder, die eigentlich für diese unschuldigen Kinder verantwortlich waren, sehr kritisch und betrachteten uns zumindest punktuell als die Retter dieser vernachlässigten und misshandelten Kinder. Wir dachten nicht über die Hintergründe dieser Misshandlungen nach. Wir nahmen einfach an, dass die Erwachsenen eben drogen- oder alkoholabhängig waren oder früher selbst misshandelt worden waren und deshalb jetzt mit ihren Kindern genauso umgingen, wie man mit ihnen umgegangen war. Oder sie hatten ein Problem mit ihrer Aggressivität, das nie behandelt worden war. In unseren Augen waren solche Eltern einfach böse, sie hatten kein Gewissen und kannten keine Grenzen. Natürlich war das eine sehr vereinfachte Perspektive und obwohl wir nicht verstanden, was Menschen dazu brachte, solche Entscheidungen zu treffen, setzten wir uns doch mit ganzer Leidenschaft ein, um den Kindern zu helfen, die unter ihren Eltern litten oder von ihnen nicht versorgt wurden. Eines unserer ersten Pflegekinder war ein fünf Tage alter Säugling. Der kleine Junge war an einem heißen Tag von seiner Mutter im Auto zurückgelassen worden, die sich mit Drogen aus dem Staub gemacht hatte. Sie wurde gefunden und verhaftet, doch die Polizei wusste nichts von dem Kind, bis der Freund der Mutter auftauchte, um eine Kaution für sie zu bezahlen. Der Säugling überlebte nur knapp und musste einen Monat im Krankenhaus bleiben, bevor wir ihn zu uns nach Hause holen durften. Ein anderes Baby hatte aufgrund von Misshandlungen Schädelfrakturen erlitten. Manche Kinder wurden mit Zigaretten verbrannt oder verprügelt, sodass ihre kleinen Körper blaue Flecken oder sogar bleibende Narben davontrugen. Wenn unsere Kinder sahen, wie diese kleinen, hilflosen Wesen misshandelt worden waren, waren sie empört darüber. Sie äußerten das, was wir selbst auch dachten. Ihre Reaktionen reichten von: »Wer so was tut, gehört für den Rest seines Lebens eingesperrt« bis hin zu: »Man sollte diese Leute auch mal mit Zigaretten verbrennen oder gleich erschießen«. In ihren Gedanken gab es nicht viel Gnade oder Vergebung für diese Menschen. Al und ich dachten besonders in den ersten Jahren ganz ähnlich. Doch nach vier Jahren veränderte sich unser Leben auf dramatische Weise. Al hatte ein massives Alkoholproblem und ich merkte, dass ich damit völlig überfordert war. Wir erlebten, wie unsere Ehe zerbrach, und fürchteten schon, dass die Scheidung der einzige Ausweg war. Al beschloss, sich in einer Klinik in Behandlung zu begeben, und ich merkte kurz danach, dass ich schwanger war. Eines Sonntags, als Al noch in der Klinik war, ging ich mit unseren Kindern in den Gottesdienst und hörte eine Predigt über 5. Mose 5, wo es um »die Sünden der Eltern« geht. Gott gebrauchte diese Predigt, um mich dazu zu bewegen, dass ich auf die Knie ging und um Rettung bat. Denn ich hatte erkannt, wie die Sünden meiner Eltern, Großeltern und vergangener Generationen mein Leben beeinflusst hatten. Es ging dabei um Bitterkeit, mangelnde Vergebungsbereitschaft, Lust, Habgier und vieles mehr. Ich sah mit ganz neuen Augen, dass es diese Sünden auch in meinem Leben gab und dass Al und ich sie an die nächste Generation weitergaben, wenn dieser Kreislauf nicht unterbrochen wurde. Das Opfer Jesu durchbrach diesen Automatismus; wenn ich meine Sünden bekannte, dann würde er mich »von allem Bösen reinigen« (1. Johannes 1,9). Ich entschied mich für Jesus und betete, dass die Sünden und Belastungen meines Lebens weggenommen und durch sein Blut vergeben und gereinigt würden. Ohne dass ich es wusste, fand Al während seiner Behandlung seinen ganz eigenen Weg zum Glauben. Als wir beide uns über das austauschten, was wir erfahren hatten, beschlossen wir, Gott zu vertrauen. Er konnte in uns neues Leben schaffen und unsere Ehe erneuern. Nach der Geburt von Charles gaben Al und ich bei einem Familientreffen vor allen Anwesenden unsere Entscheidung für Jesus bekannt. Seit seiner Entziehungskur hat Al keinen Alkohol mehr angerührt und lebt sein Leben für Christus. Seitdem hat Gott uns in viele herausfordernde Situationen geführt, durch die unser Glaube gewachsen ist, und er hat uns in seinen Dienst berufen. Als wir den Zusammenhang von Sünde, Sündenbekenntnis, Vergebung und geistlichem Wachstum verstanden hatten, erkannten wir, dass wir nicht nur für das seelische und physische Wohl unserer Kinder und Pflegekinder verantwortlich waren, sondern auch für das geistliche. Das veränderte einfach alles. Es war unsere Aufgabe, diesen Kindern die Wahrheit zu vermitteln, die auch sie und vielleicht sogar ihre Familien frei machen konnte. Wir konnten unseren Teil dazu beitragen, dass andere Menschen mit Christus in Berührung kamen, egal wie viel oder wie wenig Zeit wir mit jedem einzelnen Kind verbrachten. Wir waren dazu aufgerufen, auf jede erdenkliche Weise von der Hoffnung in Christus weiterzuerzählen. Daraufhin wurde der Gottesdienstbesuch am Sonntag für uns als Familie zur Regel, das Gebet nahm in unserem Alltag eine zentrale Stelle ein und wir lasen unseren Kindern regelmäßig Geschichten aus der Bibel vor. Darüber hinaus erkannten wir, dass wir die Liebe Gottes auch an die Menschen weitergeben sollten, die in unseren Augen alles andere als liebenswürdig erschienen – an Eltern, die ihre Kinder misshandelten und vernachlässigten. Aber wie sollte ich es schaffen, diese Eltern zu lieben? Ich musste akzeptieren, dass ich ihnen nicht überlegen war – dass wir alle vor Gott Sünder sind. Ich wusste es nicht, aber ich setzte alles daran, dass Gott dieses Wunder in mir bewirken konnte. Und mir war auch klar, dass wirklich ein Wunder nötig war, um in meinem Herzen diese Liebe, Vergebungsbereitschaft und Gnade zu spüren. Ich kam auf diesem Weg einen riesigen Schritt voran, als ich eine Bibelarbeit für das Zentrum für Schwangerschaftskonfliktberatung vorbereitete. Ich wollte einigen unserer Klientinnen helfen, mit dem sexuellen Missbrauch, den sie erlitten hatten, fertigzuwerden. Ich selbst war in jungen Jahren ebenfalls Missbrauchsopfer geworden und wünschte mir, dass Gottes Wahrheit mich verwandelte. Während ich diese Bibelarbeit vorbereitete, zeigte Gott mir, dass er es ist, der die Antworten hat, und es ohne ihn kein echtes Verstehen und keine Hoffnung auf Heilung gibt. Diese Bibelarbeit zum Thema »Heimliche Sünden« wurde im Selbstverlag gedruckt und von verschiedenen Organisationen in der Beratung Betroffener verwendet. Als Al und ich unsere persönliche Begegnung mit Jesus hatten und mit seiner Vergebung und der Bibel in Berührung kamen, wollten wir uns gegenseitig dazu ermutigen, auch gegenüber den Eltern, die ihre Kinder misshandelten, ein vergebendes Herz zu haben. Durch unsere Bekehrung veränderte sich aber unsere natürliche Reaktion der Wut und des Wunsches nach Vergeltung nicht von heute auf morgen. Es blieb ein Kampf. Natürlich wurde es für uns dadurch auch nicht einfacher zu ertragen, dass Kinder von ihren eigenen Eltern verletzt wurden, und wir waren jedes Mal innerlich aufgewühlt, wenn ein Kind wieder nach Hause geschickt wurde, weil die Mutter oder der Vater alle gerichtlichen Auflagen erfüllt hatte. Besonders tragisch war, dass sexuell missbrauchte Kinder häufig zu einem Elternteil zurückgeschickt wurden. Das hatte sie zwar nicht selbst missbraucht, würde die Kinder aber wahrscheinlich nicht vor dem nächsten Missbrauchsversuch schützen. Irgendwann mussten wir schließlich erkennen, dass wir das fehlerhafte System nicht verändern konnten, sondern dazu berufen waren, im Leben dieser Kinder und Eltern so lange zu wirken, wie Gott es uns erlaubte. Wir durften liebevoll für sie sorgen und sie mit einem anderen Lebensstil vertraut machen. Wir lernten, unseren Kindern zu erklären, dass solche Dinge in der Welt geschehen und wir nur den Part übernehmen können, zu dem wir berufen sind. Erst viel später sollte ich erfahren, dass Gott auch das Unmögliche Wirklichkeit werden lassen kann, wenn er uns zu einer scheinbar unmöglichen Aufgabe beruft. * * * Die nächsten vierundzwanzig Stunden mit unserem neuen kleinen Gast vergingen wie im Flug. Wenn Ally wach war, hatte immer irgendjemand sie auf dem Arm. Glücklicherweise zeigte sie keine Anzeichen einer Entwicklungsstörung. Vom ersten Tag an war sie aktiv und reagierte auf jede Zuwendung. Allerdings hatte sie Entzugserscheinungen, die mehrmals auftraten. Dann riss sie die Augen auf, schlug mit ihren kleinen Armen um sich, so als hätte sie vor etwas Angst, und fing an zu weinen. Manchmal zitterte sie und schüttelte sich, was weitere Tränen hervorrief. Wir taten unser Bestes, um sie zu beruhigen, legten ihr eine Wärmflasche auf den Bauch, trugen sie herum oder sangen ihr etwas vor. Das mochte sie besonders gern. Beim Singen schaute sie mich an und spitzte die Lippen, als wollte sie mitsingen. Einen Tag nachdem wir Ally zu uns in unser bescheidenes Landhaus in der Goose Egg Road geholt hatten, bekam ich einen weiteren Anruf von Ellen. »Das Baby, um das Sie sich kümmern, hat Geschwister, die ebenfalls Pflegeeltern brauchen. Die Eltern der Mutter haben schon das älteste Kind bei sich aufgenommen, aber sie können nicht alle Kinder nehmen.« »Wie viele sind es denn?«, fragte ich. Ich hatte vier Betten für Pflegekinder, denn die beiden kleinen Brüder, um die wir uns gekümmert hatten, waren wieder zu ihrer Mutter zurückgekehrt. »Vier«, antwortete Ellen. »Ein sechsjähriger Junge, zwei Mädchen, vier und fünf Jahre alt, und noch ein Junge, drei Jahre alt. Wenn Sie dazu bereit sind, dann könnten die Kinder im Lauf der nächsten Woche zu Ihnen kommen. Sie leben im Moment verstreut bei verschiedenen Familienangehörigen. Können Sie alle vier bei sich aufnehmen?« Ich wusste, dass ich mich mit Al nicht abstimmen musste, weil er mit meiner Antwort einverstanden sein würde. Schon vor längerer Zeit waren wir übereingekommen, dass unsere Tür immer für weitere Kinder offen stand, solange wir freie Betten hatten. »Auf jeden Fall! Bringen Sie sie alle her!« Wieder ein scheinbar einfaches Ja.

Kapitel 1Ein Tag, der das Leben für immer verändert, kündigt sich selten vorher an.Erst im Rückblick erkenne ich, dass ein kleines Ja an einem warmen Junitag im Jahr 1996 eine ganze Flut von lebensverändernden Entscheidungen, von schier unerträglichem Schmerz und zugleich überirdischer Freude mit sich brachte. Es waren Entscheidungen, die nicht nur unsere Familie verändern würden, sondern auch mich selbst. Mein Glaube würde dermaßen herausgefordert werden, dass ich ihn kaum wiedererkennen sollte. Ich habe gelernt, dass man nie unterschätzen sollte, was Gott aus einem Ja machen kann.Ich hatte eine Ladung Wäsche in der Waschmaschine und machte in der Küche sauber, während fröhliche Geräusche aus dem Kinderzimmer herüberdrangen. Da klingelte das Telefon.»Hallo, Debbie, hier ist Ellen.« Die Sozialarbeiterin des Jugendamtes begrüßte mich wie üblich in einem freundlichen Tonfall. Mein Mann Al und ich waren seit vierzehn Jahren Pflegeeltern und kannten die Mitarbeiter des Jugendamtes so gut, dass wir uns mit den Vornamen anredeten.»Ich weiß, Sie haben gerade zwei Brüder bei sich aufgenommen, die bald wieder nach Hause zurückkehren«, fuhr Ellen fort. »Könnten Sie vielleicht auch noch ein vier Tage altes Baby nehmen? Die Mutter liegt nach einem Kaiserschnitt im Krankenhaus und sie und ihr Kind wurden positiv auf Kokain getestet. Deshalb haben wir Ermittlungen angeordnet und müssen das Baby in der Zwischenzeit bei Pflegeeltern unterbringen.«»Klar!«, antwortete ich und diese Zusage fiel mir nicht schwer. Ich konnte es kaum erwarten, unserer zwölfjährigen Tochter Helen die Neuigkeit mitzuteilen. Helen liebte Babys und wir hatten schon lange keines mehr bei uns aufgenommen.»Wunderbar! Wenn Sie ins Krankenhaus kommen, melden Sie sich bitte im Zimmer des Pflegepersonals im zweiten Stock.« Ellen kannte unsere Geschichte. Sie wusste, dass wir gern Säuglinge und Kleinkinder bei uns aufnahmen und auch bei Kindern, die Entwicklungsstörungen hatten, Erfolge aufweisen konnten. Alkohol- oder Drogenmissbrauch während der Schwangerschaft wirkte sich oft sehr negativ auf die betroffenen Kinder aus; sie hatten viele Probleme, die es zu überwinden galt. Drei meiner eigenen fünf Kinder wohnten noch zu Hause und folglich erhielten die kleinen Pflegekinder von verschiedenen Seiten viel Zuwendung. Genau wie Helen hatten auch die fünfzehnjährige Sadie und der zehnjährige Charles ein Herz für Kinder und waren sehr geschickt im Umgang mit ihnen. Ich war stolz darauf, wie liebevoll meine eigenen Kinder sich um die Pflegekinder kümmerten. (Elizabeth, unsere Älteste, studierte an der Texas A&M Universität und unser Sohn Jason war bei der amerikanischen Luftwaffe in Deutschland stationiert.)Ein paar Stunden später, nachdem ich die Arbeiten im Haushalt erledigt hatte und wir alle zu Mittag gegessen hatten, fuhren Helen und ich nach Casper, eine Strecke von fünfundzwanzig Minuten.Als wir das Krankenhaus erreichten, ging Helen schnurstracks zum Aufzug. Sobald die Türen sich öffneten, war sie drinnen. »Welches Stockwerk?«, fragte sie, während ihr Zeigefinger über den Knöpfen kreiste, bereit, sie alle zu drücken, wenn uns das schneller zu dem Baby bringen würde. Natürlich war auch ich freudig aufgeregt, aber ich machte mir auch einige Gedanken. Wie hatten sich die Drogen auf den Körper des Kindes ausgewirkt? Welche Hilfe würde es von uns brauchen?Warum dauerte es so lange, bis der Aufzug im zweiten Stock ankam?Endlich öffneten sich die Türen.Eine Krankenschwester begrüßte uns am Empfangstresen. »Wir haben Sie schon erwartet. Folgen Sie mir bitte, damit ich Ihnen alles mitgeben kann, was das Baby bei Ihnen zu Hause braucht.«Auf der Säuglingsstation lag ein winziges Baby in einem Stubenwagen unter einer Wärmelampe. Es war in eine weiß und hellgrün gestreifte Decke eingewickelt. Helen quietschte vor Begeisterung, als sie im schwarz gelockten Haar des kleinen Mädchens eine rosa Schleife entdeckte. Sie führte einen kleinen Freudentanz auf und streichelte dem Ba

Erscheinungsdatum
Übersetzer Anja Findeisen-MacKenzie
Sprache deutsch
Original-Titel Murder, Motherhood, and Miraculous Grace
Maße 135 x 205 mm
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte Autobiografie • Christen • Gefängnisseelsorge • Glaube • Gott • Jugendamt • Kind • Kurzzeitpflege • Mord • Nächstenliebe • Pflegekind • Pflegemutter • Vergebung • Wahre GEschichte
ISBN-10 3-96362-133-8 / 3963621338
ISBN-13 978-3-96362-133-8 / 9783963621338
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