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Weg der Engel -  Hans Dieter Ludwig

Weg der Engel (eBook)

Auf dem Jakobsweg
eBook Download: EPUB
2019 | 2. Auflage
700 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7460-5823-8 (ISBN)
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Am 05. Juni 2008 machte der Autor sich auf den Weg nach Santiago de Compostela. Anlass für diese Pilgerreise war der Tod seines Freundes im November 2007. Ohne zu wissen, worauf er sich einließ, begann sein Weg auf dem Somportpass, dem höchsten Pyrenäenübergang. Von dort aus folgte er dem Aragonesischen Camino bis nach Obanos, wo dieser sich mit dem Navarrischen Weg trifft. Dort beginnt der Camino Francés, der Hauptweg im Spanischen Norden. Er durchwanderte die Städte Logrono, Burgos, Leon und Astorga, und erreichte nach fast 900 Km, am 19. Juli. Santiago. In seinem Buch beschreibt er die Vielfalt der Landschaften und die Vielzahl der romanischen und gotischen Kirchen und Klöster. Er beschreibt aber auch seine Emotionen; die Ängste und Nöte in Bezug zu seinem Trauertrauma. Der Autor sucht Gott und seinem Glauben näher zu kommen, was ihm nur bedingt gelingt. So lernt er auf seinem Weg viele Menschen kennen, von denen aber nur eine Handvoll ihm so nahe kommen, dass sie seine Seele berühren.

Hans Dieter Ludwig wurde 1951 in Niederzier geboren. Er studierte 1975 Nachrichtentechnik an der Fachhochschule in Aachen und arbeitet seit 1999 als selbstständiger Fotograf.

Die ersten Schritte auf dem Camino, vom Somport-Pass nach Jaca Freitag 6. Juni 2008


Meine erste Nacht auf dem Camino ist lang. Sie will nicht enden; ich finde keinen Schlaf. Ständig muss ich an den kommenden Morgen denken. Ich bin aufgeregt wie ein Schuljunge, der zum ersten Mal in einem Zeltlager übernachten soll. Mitten in der Nacht wäre ich am liebsten aufgestanden, um endlich meinen Weg zu beginnen. Man nennt das wohl Übermotivation. Noch etwas erfahre ich in dieser ersten Nacht - quietschende Betten und schnarchende Pilger. Ein Vorgeschmack auf Kommendes.

Ein übergroßer Stein fällt mir vom Herzen, als Sergio die Nacht für beendet erklärt. Der Rucksack ist schnell gepackt. Nach einem kargen, aber ausreichendem Frühstück, bestehend aus Tostados (getoastetes, eher geröstetes Roggenmischbrot) und Marmelada, verlassen wir, das heißt Ramón, Ernesto, Sergio und ich die Herberge.

Es ist kalt an diesem Morgen. Der Nebel hängt immer noch an den Flanken der Berge wie eine weiche Daunendecke. Es nieselt leicht. Nach Anraten der Hospitalera sollen wir nicht dem Originalweg folgen, weil dieser durch die Regenfälle der letzten Tage stellenweise knöcheltief unter Wasser steht. Wir benutzen also die Straße und machen uns auf den Weg nach Canfranc-Estación, dem ersten Ort auf meiner Pilgerfahrt. Ich bin ein wenig enttäuscht, freue mich aber trotzdem über die ersten Schritte auf dem Camino. Mir wird bewusst dass mein sehnlichster Wunsch, einmal diese Pilgerfahrt anzutreten, nun Wirklichkeit geworden ist. Bei dem Gedanken läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken und ich habe Tränen in den Augen. Es ist ein starkes Gefühl, auf meinem Weg zu sein.

Die Freude währt nicht lange. Schon nach 500 Metern reißt der Gürtel, an dem mein Fotoapparat und meine Trinkflasche befestigt sind. Die Schnalle des Gürtels zerlegt sich in ihre Einzelteile und ist nicht mehr zu gebrauchen. Durch meinen erzwungenen Aufenthalt verliere ich natürlich Sergio, Ramón und Ernesto schnell aus den Augen. Hecktisch packe ich meine Habseligkeiten zuerst einmal in meinen Rucksack und folge ihnen auf der N330 beinahe im Laufschritt.

Die drei vor mir schlagen ein Tempo an, als warte irgendwo ein Pokal auf den Sieger. Nach etwa ein oder zwei Kilometern beginnen meine Füße zu brennen. Das Gewicht des Rucksacks (immerhin satte 17 Kg) und das schnelle Gehen auf dem harten, abschüssigen Asphalt, behagt meinen Füssen überhaupt nicht. Ich bin schon jetzt leicht genervt. Endlich habe ich sie eingeholt.

Doch es dauert gar nicht lange, da beschleunigen Ramón und Ernesto das Tempo noch mehr und sie setzen sich langsam, aber sicher von uns ab. Sergio macht keine Anstalten, den beiden zu folgen. Im Gegenteil, er verlangsamt sogar seinen Schritt ein wenig. Das gemäßigte Tempo kommt mir entgegen, denn meine Füße stehen kurz vor der Kapitulation.

Wir erreichen Canfranc-Estación. Der dort im Reiseführer angekündigte, gigantische Bahnhof aus dem Jahr 1928, der im klassizistischen Stil errichtet sein soll, bleibt uns beiden verborgen. Er ist vollkommen in ein Gerüst gepackt, welches zusätzlich mit einem undurchsichtigen Netz abgedeckt ist. Mein Frust wächst, meine Schmerzen an den Füßen auch. So habe ich mir den Weg nicht vorgestellt. Ich erinnere mich daran, in Brüssel bereits tief in meinem Inneren bedauert zu haben, Hildegard, meine Frau, mit all den Auswirkungen der durch ein Unwetter hervorgerufenen Überflutung unseres Kellers, alleingelassen zu haben. Am liebsten wäre ich nach Hause gefahren. Das war gestern. Heute ist ein neuer Tag. Ich verdränge das Vergangene und schaue weit nach vorn.

Hinter Canfranc-Estación verlassen wir die Straße und folgen einem Naturpfad, der von Buchsbaumhecken gesäumt ist. Über uns schließt das dichte Laub von Erlen den Raum, so dass der Eindruck eines grünen Tunnels entsteht, durch den wir wandern. Rechts des Weges höre ich das Glucksen und Gurgeln des Rio Aragón, der hier oben in den Pyrenäen eher noch ein Bach, als ein Fluss ist. Von ihm leitet sich der Name der spanischen Provinz ab, durch die wir jetzt gehen.

In glorreichen Zeiten des Mittelalters, erbte der Sohn Sanchos III., Ramiro I., Aragón. Damit wurde ab 1035 Aragón zum selbstständigen Königreich. Von hier aus wurden schon zu dieser Zeit erbitterte Kämpfe mit den Mauren ausgefochten, die fast ganz Spanien besetzt hielten. Im Jahr 1118 eroberte Alfons I. Saragossa und erhob es zur Hauptstadt Aragóns. Noch heute ist diese Stadt Verwaltungssitz der Provinz.

Nach etwa eineinhalb Kilometern öffnet sich der Laubtunnel, und gibt den Blick auf den Fluss und die dahinter liegenden Berge frei. Auf halber Höhe einer Bergflanke, taucht ein wuchtiger Befestigungsturm auf, der Torre de Fusileros, Turm der Gewehre. Er wurde im Jahr 1876 erbaut und sollte bei einer hypothetischen Invasion Frankreichs über den Somport-Pass, der Verteidigung des Tales dienen. Misstrauen war immer schon ein guter Baumeister.

Dann nimmt uns wieder das Grün der Bäume auf. Dank des mittlerweile besser gewordenen Wetters und des Naturweges, auf dem wir gehen, komme ich in Gehlaune. Ich steigere meine Geschwindigkeit so, dass ich schon nach kurzer Zeit einen beachtlichen Vorsprung zu Sergio habe.

Eine Holzbrücke überspannt einen kleinen Bach, der linksseitig von einer Felsflanke als Wasserfall in ein flaches Becken fällt. Es ist ein lauschiger Platz. Das Rauschen des Wassers; das Singen der Vögel im Geäst der Bäume; die angenehm würzige Luft - ich nehme meinen Rucksack ab und warte auf Sergio. Wie gerne würde ich in dem kühlen Nass des Wasserfalls ein Bad nehmen, denn mittlerweile ist es richtig warm geworden. Die Sonne scheint von einem fast wolkenlosen Himmel. Kein Vergleich mehr mit dem nass-kalten Morgen auf dem Pass.

In Canfranc möchte Sergio eine kurze Pause einlegen. Wir treffen in der Bar neben der Herberge Ramón und Ernesto wieder. Sie haben sich entschlossen hier zu übernachten. Ernesto hat dieselben Probleme wie ich. Auch seine Fußsohlen brennen bei jedem Schritt den er macht und seine Achillessehnen bereiten ihm Sorgen. Das schnelle Tempo der beiden hat bei ihm seinen Tribut eingefordert. Ramón scheint die Zwangspause nicht recht zu sein. Ich habe den Eindruck, dass er lieber mit uns zusammen weitergehen würde. Für mich ist es tröstlich zu wissen, dass nicht nur ich, sondern auch andere Probleme haben.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Sergio noch weiter nach Jaca will. Immerhin noch 20,3 Km! Meine armen Füße!!

Nach einem köstlichen Kaffee, in dieser kurzen Pause, machen wir uns wieder auf den Weg. Die Verabschiedung von Ramón und Ernesto ist herzlich.

Zum ersten Mal nehme ich jetzt auf dem Camino wahr, dass fremde Menschen uns wie selbstverständlich grüßen. Wir werden als Pilger gegrüßt mit zwei Worten, die mich über den gesamten Weg begleiten werden:

„¡Buen camino!“ oder auch „¡Bon camino!“- Guten Weg!

Die meisten Menschen, am Rande des Camino de Santiago, begegnen dem Pilger mit Achtung und sehen in seiner Pilgerfahrt etwas ganz Besonderes - jedenfalls ist das mein Eindruck. Mein Bild des christlichen, ja des katholischen Spaniens, scheint sich zu bewahrheiten. Sicherlich sind nicht alle Spanier auf diesem Weg pro Camino. Ich kann auch verstehen, dass einige den Rummel um den Jakobsweg nicht gutheißen. Jedoch sind diese ganz bestimmt in der Minderheit.

Was ich ganz bemerkenswert finde ist die Tatsache, dass wir uns kaum verlaufen können. Der „flecha amarilla“, der gelbe Pfeil oder die „Concha“, die stilisierte Muschel, ist allgegenwärtig. Sergio erzählt, dass er trotz alledem schon ein paar Mal die Orientierung verloren habe. Die Menschen am Weg hätten ihn dann mit den Worten,

„¡No, este no es el Camino, el Camino está alli!"

„Nein, das ist hier nicht der Camino, der Camino ist dort!“,

wieder zurück auf den richtigen Weg gebracht. Dabei hätten sie ihre Arme immer als Richtungsweiser eingesetzt. Er demonstriert mir, wie dass ungefähr aussah, und schwenkt dabei seine Arme in einer so grotesken und übertriebenen Art und Weise, dass ich lachen muss.

Er erzählt weiter, dass er von Pilgern, die sich verlaufen hatten hörte, dass sie sogar von Einheimischen mit dem Auto auf den richtigen Weg zurückgebracht wurden.

Dieses „bemerkt werden“ lässt mein Selbstwertgefühl wachsen und wirkt sich sogar auf meine Schmerzen aus, die plötzlich weit weniger stark erscheinen. Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich jetzt an ein kleines Wunder glauben.

Ein Nebenfluss des Aragóns versperrt uns den Weg. Statt einer Brücke, sind quer durch den Fluss große Steinquader in Abständen von knapp einem halben Meter aufgestellt. Dieses „Flüsschen“ hat die stattliche Breite von 12-15 Metern. Das Wasser ist zwar nur etwa dreißig bis vierzig Zentimeter tief, fließt aber recht schnell. Wir zögern nicht lange, ziehen Schuhe und Strümpfe aus und hangeln uns von Steinquader zu...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport
ISBN-10 3-7460-5823-6 / 3746058236
ISBN-13 978-3-7460-5823-8 / 9783746058238
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