Toby und Sox (eBook)
263 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-4790-6 (ISBN)
Toby hat Autismus - sein Hund Sox veränderte sein Leben
Kate und Neil Turner hatten sich immer vier Kinder gewünscht. Und sie machten ihren Traum wahr. Doch bald mussten sie feststellen, dass ihr viertes Kind Toby 'anders' war. In der Vorschule dann die niederschmetternde Erkenntnis: Toby hat Asperger-Autismus. Die ganze Welt ist zu laut, zu grell, zu hektisch für den hochintelligenten und hochsensiblen Jungen. Sie macht ihm Angst. Und wenn Toby Angst bekommt, rastet er aus. Als er anfängt, sich selbst und andere zu verletzen, als er gar von Selbstmord redet, wissen seine Eltern nicht mehr ein noch aus. Doch dann erfahren sie von der Möglichkeit, einen Assistenzhund für ihren Sohn zu bekommen. Und als der Labrador-Mix Sox endlich in die Familie einzieht, ändert sich alles ...
'Ich fühle mich einfach besser, jetzt wo Sox da ist. Davor hatte ich kaum noch die Kraft weiterzuleben. Dann trat Sox in mein Leben. Es fühlt sich so an, als wären unsere Herzen miteinander verbunden - ich habe ihn so lieb.'
Toby
Eine Familienangelegenheit
»Du erinnerst dich doch sicher an Neil, Vikky.«
Ich saß auf Mrs. Turners Sofa, die Katze Sophie auf dem Schoß, und kraulte Dustys seidenweiche goldene Ohren. Dusty saß treu und brav neben mir. Die Turners waren alte Freunde unserer Familie, eine Freundschaft, die entstanden war, als Mrs. Turner, die meine Grundschullehrerin gewesen war, mich einmal hatte nachsitzen lassen, als ich zu viel geschwätzt hatte. Meine Mutter und sie hatten bei einem nachmittäglichen Treffen über meine Neigung zur Plaudertasche gesprochen. Und aus diesem unwahrscheinlichen Szenario hatte sich eine Freundschaft ergeben. Als Kind hatte ich manchmal mit Neil, dem Sohn der Turners, im Garten Fußball gespielt, während unsere Mütter sich unterhielten. Aber Neil war ein paar Jahre älter als ich, und ich hatte ihn eine ganze Weile nicht mehr so richtig gesehen. Ich erinnerte mich, dass er im Schulbus Aufsicht geführt hatte, ein freundlicher, ruhiger Junge, der einmal, als sich ein Mädchen verletzte, sofort aufstand und sagte: »Ich trage sie nach Hause.« Und genau das tat er dann auch. Er hatte ein Herz aus Gold, aber seit er auf die weiterführende Schule ging, hatte ich ihn aus den Augen verloren.
Jetzt erkannte ich ihn kaum wieder. Er war achtzehn, ein richtiger Mann. In diesem Sommer 1988 kam er in Tennissachen ins Wohnzimmer seiner Eltern, langbeinig und sportlich, und schien irgendwie den strahlenden Sonnenschein von draußen mit hereinzubringen. Seine braunen Haare waren ein wenig zerzaust, und sein jungenhaftes Lächeln schloss seine grünen Augen ein. Und dieses Lächeln galt mir, die ich da auf dem Sofa saß. Er schien genauso erstaunt über das, was er sah, wie ich es gewesen war. Inzwischen war ich sechzehn und sah überhaupt nicht mehr aus wie das linkische Schulmädchen aus dem Bus. Meine braunen Haare waren halblang geschnitten, ich hatte mir ein paar Teenager-Kurven zugelegt, und jetzt lächelten wir uns erst mal an, bevor ich den Blick senkte und meine Aufmerksamkeit wieder Dustys Hängeohren widmete. Ich spürte, wie mein Herz klopfte, als wäre ein unmittelbarer Kontakt hergestellt worden, dessen Kraft mich etwas beunruhigte. So etwas wie Liebe auf den ersten Blick.
Dusty neben mir hechelte, strahlte mich mit seinem ganzen Hundegebiss und seiner langen rosa Zunge an und schien mir mit jedem Atemzug Mut machen zu wollen.
Trotzdem, ohne meinen kleinen Bruder Nicholas wäre es wohl bei dem flüchtigen Blick auf Neil in seinen Tennisklamotten geblieben. In diesem Sommer hatte ich die Prüfungen zur Mittleren Reife hinter mich gebracht, und vor mir erstreckten sich lange, leere, heiße Monate – faulenzen und lange schlafen waren angesagt. Da ich aber eine brave große Schwester war, stand ich jeden Morgen auf und brachte Nicholas zur Haltestelle des Schulbusses. Mein Bruder war vier Jahre jünger als ich und besuchte eine Sonderschule, weil er Lernschwierigkeiten hatte. Seit seiner frühen Kindheit hatte er spezielle Hilfen gebraucht. Auch von mir, denn ich war die Einzige, die ihn dazu brachte, wenigstens einen Teil seiner Hausaufgaben zu machen. Wir saßen zusammen am Küchentisch, wenn er mit den Buchstaben und Zahlen kämpfte. Und ich brachte ihn eben morgens zum Schulbus.
Nun zeigte sich, dass Neil meine täglichen Wanderungen zur Haltestelle sehr wohl wahrgenommen hatte. Und weiter zeigte sich, nachdem wir unsere Bekanntschaft im Wohnzimmer seiner Eltern aufgefrischt hatten, dass er ganz zufällig immer dann mit seinem Hund spazieren ging, wenn ich mit Nicholas zur Bushaltestelle marschierte. Und dass wir uns ganz zufällig trafen. (Später beichtete Neil mir, dass er und Dusty immer im Kreis gelaufen waren, um mir irgendwie zu begegnen.)
Letztlich lief es immer auf dieselbe Weise ab. Dusty kam angesprungen, wedelte mit dem Schwanz und grinste übers ganze Hundegesicht. Er war ein wirklich lieber, reizender Hund. In seinem Kopf bestand die Welt aus 53 Millionen Freunden, die er noch nicht kennengelernt hatte, und jeder Spaziergang war eine neue Chance dazu. Ich begrüßte ihn also überschwänglich, und dann ließ ich meinen Blick die Leine entlang nach oben wandern, wo Neil stand und geduldig wartete, dass wir fertig waren, mit einem scheuen Lächeln auf den Lippen. Und dann fragte er mich, ob ich ein Stück mit ihnen gehen wollte, und unsere Schritte stimmten sich ganz automatisch aufeinander ein, während Dusty vorauslief. Wir umrundeten immer wieder das kleine Dorf, in dem wir lebten, Scraptoft in Leicestershire, bis wir jeden Schritt kannten wie unsere Westentasche. Und wir redeten und redeten, während die Sommersonne uns wärmte.
Die Verbindung, die ich im Wohnzimmer seiner Eltern gespürt hatte, war immer noch da. Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick, anders kann man es nicht erklären. Es war einfach so. Und bei unseren Gesprächen stellten wir fest, dass wir ähnliche Ziele und Werte hatten und dass wir uns richtig gut verstanden. Wir hatten nie Streit, und wenn wir uns nicht sahen, vermissten wir einander ganz schrecklich. So sehr, dass wir wussten, wir sollten eigentlich zusammen sein. Für mich war das ganz klar. Wir gehörten zusammen. Für immer, einfach so.
Und so verabredeten wir uns und warben ganz altmodisch umeinander. Ich sah ihm beim Tennis und allen möglichen anderen Sportarten zu und erzählte ihm von der Ausbildung, die ich ab September machen würde. Ich hatte einen Platz als Unterrichtsassistentin in einer Mädchenschule bekommen und sah das als ersten Schritt in Richtung Betreuungsarbeit mit Kindern an. Denn mit Kindern arbeiten wollte ich unbedingt. Ich liebte Kinder, und mein Zusammenleben mit Nicholas hatte mich sicher auch dazu inspiriert.
Neil berichtete mir seinerseits von seinen eigenen Plänen. Er würde zu Anfang des Studienjahres an die Universität Leeds gehen, um dort ein dreijähriges Studium zum Elektroingenieur zu beginnen. Drei Jahre – das kam mir furchtbar lang vor, und Leeds war ja auch schrecklich weit von Scraptoft entfernt. Aber wir kriegten es hin. Jedes zweite Wochenende fuhr ich nach Leeds und besuchte ihn, und unsere junge Beziehung blühte weiter, so schwierig es auch war und so sehr ich ihn vermisste.
An einem Winterwochenende Anfang 1989 – Neil studierte im zweiten Semester – ging wieder einmal ein Besuch in Leeds dem Ende entgegen. Wie alle Sonntagabende zu dieser Zeit war unsere Stimmung trübe. Ich war ganz verzweifelt angesichts der Vorstellung, jetzt wieder ohne ihn sein zu müssen.
»Ich will nicht nach Hause«, schluchzte ich.
Neil schaute mich mit einem seltsam ernsten Blick an, den ich nicht erwartet hatte. »Dann heirate mich«, sagte er geradeheraus.
Dieser Antrag war eine ziemliche Überraschung, und wir beließen es dabei, als wäre es eher ein Scherz gewesen. Aber seine Worte schienen sich in der kalten Luft zu materialisieren wie ein Versprechen, dass zum Greifen nahe war. Und ein paar Tage später am Telefon fragte ich ihn danach.
»Hast du das wirklich ernst gemeint?«, sagte ich, und die Hoffnung schnürte mir die Kehle zu.
»Klar«, erwiderte er sachlich und so gut geerdet wie immer.
Ich atmete tief durch. »Dann sage ich Ja«, erklärte ich ihm.
Schon am folgenden Wochenende kauften wir die Ringe. Ich war siebzehn, was mir im Rückblick ziemlich jung erscheint, aber ich war mir so sicher – nie vorher und nie nachher war ich mir in irgendeiner Angelegenheit so sicher. Er kaufte einen wunderschönen Verlobungsring für mich, einen hellblauen Saphir mit kleinen Diamanten rundherum, und den Rest seiner Studienzeit in Leeds waren wir nun also verlobt. Neil machte seinen Abschluss, ich absolvierte nach dem ersten Jahr an der Schule einen zweijährigen Kurs zum Thema Begleitung von Kindern, wie geplant. Im Sommer 1991 waren wir beide fertig, und dann machten wir erst einmal viereinhalb Wochen Ferien in Frankreich und lebten nur von Luft und Liebe.
Als der Sommer zu Ende ging, zogen wir ganz selbstverständlich zusammen, nicht nur aus finanziellen Gründen und auch nicht nur, weil wir noch mehr zusammen sein wollten. Meine Familienverhältnisse waren nicht ganz einfach, mein Vater war Alkoholiker, depressiv und selbstmordgefährdet. Neil wusste, was bei uns zu Hause los war, und er beschützte mich auf vielerlei Weise, indem er mich dort wegholte. Zu dieser Zeit war es zu Hause besonders schlimm, und ich wusste, Neil wollte mich aus der Situation retten. Ich war damit aufgewachsen und hielt mich für zäh und widerstandsfähig, aber für ihn war klar, dass ich tief im Inneren immer wieder verletzt wurde. Wir hatten beide das Gefühl, eine eigene Wohnung wäre ein Schutzraum nicht nur für mich, sondern auch für meine Mutter und meinen kleinen Bruder, falls es nötig wäre. Also musste ich ausziehen.
Neil hatte ein Stipendium von einer Firma für Elektronik und Software erhalten, um sein Studium zu finanzieren, und diese Firma bot ihm jetzt nicht nur einen Job an, sondern auch ein »Umzugspaket«, das den Kauf eines Hauses sehr erleichterte. Und schließlich schaut man einem geschenkten Gaul nichts ins Maul. Neils Vater half uns mit dem Eigenanteil für die Finanzierung, meine Eltern kauften uns ein Bett, und von Freunden bekamen wir eine Essgruppe und zwei Sessel. Die Menschen in unserer Umgebung waren so großzügig, dass wir am Ende immer scherzten, der Einzug ins eigene Haus hätte uns nicht mehr gekostet als die 15 Pfund für den gebrauchten Kühlschrank.
Es war eine Doppelhaushälfte mit einem halbrunden Erker in Leicester, drei Schlafzimmern und ein Traum – oder besser: ein Albtraum – für Heimwerker. Wir zogen kurz vor Weihnachten 1991 ein. Ich hatte noch nie eine solche Kälte erlebt. Wir hatten keine Heizung und eine Außentoilette. Unser Bett heizten...
| Erscheint lt. Verlag | 10.4.2018 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Erfahrungen und Schicksale – Wahre Geschichten über Krankheit, Tod, Abschied und Zuve |
| Erfahrungen und Schicksale – Wahre Geschichten über Krankheit, Tod und Abschied | Erfahrungen und Schicksale – Wahre Geschichten über Krankheit, Tod und Abschied |
| Übersetzer | Marie Henriksen |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Toby and Sox |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung | |
| Geisteswissenschaften | |
| Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
| Schlagworte | 20. - 21. Jahrhundert • Asperger • Assistenzhund • Assistenzhunde • Autismus • Autismushund • Autismushunde • Autitisches Kind • Autobiografie • Autobiographie • bio • Biografie • Biographie • Biographien berühmter Persönlichkeiten • Biographien bestseller • England / Großbritannien • Erfahrungsbücher • Erinnerung • Geschichte • Historie • Labrador • Lebensgeschichte • Memorien • Pet Memoire • Schicksal / Erfahrungen • Schicksale und Wendepunkte |
| ISBN-10 | 3-7325-4790-6 / 3732547906 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-4790-6 / 9783732547906 |
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