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AUCH WIR SIND RUSSLAND (eBook)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
447 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-028-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

AUCH WIR SIND RUSSLAND -  Swetlana Gannuschkina,  Alexandra Cavelius
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'WIR BRAUCHEN SOLCHE MENSCHEN WIE GANNUSCHKINA IN DIESEN DUNKLEN ZEITEN.' Aus der Laudatio zur Verleihung des Schwarzkopf-Europa-Preises 2014 Seit 1988 kämpft die Moskauer Mathematikdozentin Swetlana Gannuschkina unermütlich für die Rechte von Flüchtlingen und Vertriebenen in Russland. Die mehrfach für den Friedensnobelpreis nominierte Menschenrechtlerin hat sich niemals durch die aktuellen Entwicklungen in ihrer Heimat einschüchtern lassen. Auch nicht, als ihr Name 2006 ganz oben auf einer Todesliste russischer Nationalisten auftauchte. In ihrem Buch erzählt die Freundin der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja über ihren Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung und stellt uns vor die aufrüttelnde Frage, wie wir mit unserem großen Nachbarn in Zukunft weiter zusammenleben können. WIE IST ES, MENSCHENRECHTLERIN IN EINEM LAND ZU SEIN, IN DEM DIE SCHÄRFSTEN KRITIKER ERMORDET ODER ZUM SCHWEIGEN GEBRACHT WERDEN? Auch wir sind Russland ist zugleich Biografie und Deutung der aktuellen Situation eines Landes im Umbruch. Swetlana Gannuschkina analysiert mit großem Erfahrungsschatz ein korruptes Rechtssystem und prangert die Annexion der Krim ebenso an wie die Methoden der Regierung, den Terrorismus im Land mit Terror zu bekämpfen. Eindringlich schildert sie ihre Arbeit für Flüchtlinge und Vertriebene, aber auch den Verlust ihrer ermordeten Freundinnen Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa. Sie zeigt ein Land, in dem Unschuldige im Strafvollzug gefoltert werden und die Fremdenfeindlichkeit bedrohlich wächst. Ein Land, das sie für seine Kultur und seine Menschen liebt. Ihr Buch weist alle 'Putin-Versteher' im Westen zurecht und macht klar, wie gefährlich die Politik des russischen Regimes für Europa ist. 'Ohne Pathos, ohne große Worte. Und furchtlos. So agiert jemand, für den Menschenrecht ein Naturgesetz ist.' Ina Ruck, ARD-Auslandskorrespondentin und Russlandexpertin über Swetlana Gannuschkina

Swetlana Gannuschkina, geb. 1942, mehrmals für den Friedensnobelpreis nominierte Menschenrechtlerin und Gründerin der NGO 'Zivile Unterstützung', leitet ein Netzwerk mit Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene. Gannuschkina beschäftigt sich zudem mit der wachsenden Fremdenfeindlichkeit in Russland, Folter im Strafvollzug und Korruption in der Justiz. Bekannt ist sie auch für zahlreiche kritische Artikel, in denen sie über dramatische Fallbeispiele berichtet. Alexandra Cavelius, geb. 1967, Autorin und Journalistin, publizierte in renommierten Magazinen und schrieb Bestseller wie Leila: Ein bosnisches Mädchen oder Die Himmelsstürmerin: Chinas Staatsfeind Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben. Mit ihrem Sachbuch Die Zeit der Wölfe über eine tschetschenische Familie zog sie 2002 den Zorn der russischen Regierung auf sich.

Swetlana Gannuschkina, geb. 1942, mehrmals für den Friedensnobelpreis nominierte Menschenrechtlerin und Gründerin der NGO 'Zivile Unterstützung', leitet ein Netzwerk mit Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene. Gannuschkina beschäftigt sich zudem mit der wachsenden Fremdenfeindlichkeit in Russland, Folter im Strafvollzug und Korruption in der Justiz. Bekannt ist sie auch für zahlreiche kritische Artikel, in denen sie über dramatische Fallbeispiele berichtet. Alexandra Cavelius, geb. 1967, Autorin und Journalistin, publizierte in renommierten Magazinen und schrieb Bestseller wie Leila: Ein bosnisches Mädchen oder Die Himmelsstürmerin: Chinas Staatsfeind Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben. Mit ihrem Sachbuch Die Zeit der Wölfe über eine tschetschenische Familie zog sie 2002 den Zorn der russischen Regierung auf sich.

VORWORT


von Swetlana Gannuschkina

Putins Krieg: Die größte Tragödie meines Lebens


Dieser Krieg gegen die Ukraine ist die schlimmste Tragödie meines Landes in den 80 Jahren meines Lebens. Das ist sehr beängstigend und sehr beschämend.

Natürlich habe ich dennoch weiterhin viele Freunde in der Ukraine. Ich rufe sie an und schreibe ihnen, um herauszufinden, ob sie sicher sind. Es ist sehr schmerzhaft, als Antwort zu hören, dass unsere Granaten in der Nähe ihres Hauses explodieren. Aber ich verstehe, dass sie mich nicht beleidigen wollen. Es ist eine Tatsache, dass unsere Geschosse dort einschlagen und Menschen sterben. Und dafür sind wir verantwortlich.

Gemeinsam mit ukrainischen Menschenrechtsaktivisten arbeiten wir weiter gemeinsam an Fällen von Flüchtlingen aus Russland, die in der Ukraine Asyl suchen. Der Leiter der Charkiwer Helsinki-Gruppe, Evgeniy Sacharov, ist wie ich Mitglied des Vorstandes von Memorial International. Wir sind uns einig in der Einschätzung dessen, was jetzt geschieht. Meine ukrainischen Kollegen versuchen auch jetzt noch, mich bei meiner Arbeit mit Flüchtlingen zu unterstützen. Ich hoffe, dass ich umgekehrt auch für sie nützlich bin.

Die vergangenen Tage habe ich ununterbrochen dieses Déjà- vu-Gefühl gehabt. Immer wieder kam mir das Jahr 1968 in den Sinn, als alle Zeitungen geschrieben hatten: »Die Sowjetunion wird sich nicht in die Tschechoslowakei einmischen.« Diese Zusicherungen waren zwar nicht glaubwürdig, aber sie hatten uns doch einen Funken Hoffnung gelassen. Nur hatte die sich leider nicht erfüllt. Jetzt ist es wieder passiert. Wieder haben wir Lügen, Verbrechen und Schande. Aber dieses Mal ist es noch schlimmer. Dabei kommt mir der Autor George Orwell in den Sinn: »Krieg ist Frieden, Lügen sind Wahrheit.« Und der große Bruder wacht mit einem wachsamen Auge über uns.

Der Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968, die Bombardierung von Grosny in der Silvesternacht 1995 und der Beginn des Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 stehen für mich in einer Reihe. Im letzteren Fall ist die Sinnlosigkeit des Geschehens am offensichtlichsten: Es gibt keine russischen Interessen in diesem Krieg. Dieser Krieg zerstört Russland eher als die Ukraine.

Zwar haben in den sozialen Netzen einige prominente Persönlichkeiten unseres Landes, wie Sportler, Künstler oder Politiker, gegen diese Aggression Stellung bezogen. Doch ich glaube nicht, dass Putin diesen Intellektuellen viel Aufmerksamkeit schenkt. Wahrscheinlich denkt er vielmehr: »Denen müsste die Regierung noch einiges beibringen, sie umerziehen«, und hält ihnen im Geist warnend den Zeigefinger entgegen.

Das ist es nun mal, was alle Diktatoren von der Antike bis zu Hitler und Stalin dachten und bis heute denken.

Was kann die russische Zivilgesellschaft tun?


Wir dürfen nicht aufgeben und keine Angst haben. Wir müssen mit den Menschen in unserem Umfeld sprechen, schreiben oder uns in den Medien äußern. Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, um uns gegen den Krieg auszusprechen. Natürlich müssen wir so viele Kontakte wie möglich mit unseren Gleichgesinnten außerhalb Russlands, insbesondere in der Ukraine, pflegen.

Was kann man von der Opposition im Land erwarten? Von welcher Opposition – den Kommunisten? Oder von Schirinowski?

Die Partei »Jabloko« hat sich selbst zur Partei des Friedens erklärt. Es gibt dort einige kluge Köpfe, aber der Einfluss von Jabloko ist in den meisten Regionen leider gering.

Ich weiß nicht, wie man diesen Krieg stoppen kann, denn leider hängt das von einer Person ab. Einer Person, der es irgendwie gelingt, dass ihr alle gehorchen. Nein, ich habe keine Ahnung, wie wir das beenden können, was wir dafür tun und was wir sagen müssen. Bereits 1,2 Millionen Menschen im Land haben die Petition »Nein zum Krieg!« unterschrieben. Aber wen kümmert es? Natürlich ist eine Million von 140 weniger als ein Prozent. Aber trotzdem ist es immer noch eine große Zahl von Menschen. Und man muss bedenken, dass die Menschen Angst haben. Sie haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, sie haben Angst um sich und ihre Angehörigen.

Die letzten Jahre haben wir vieles einfach widerspruchslos hingenommen. Wir haben unendliche Wahlfälschungen zugelassen. Wir haben es zugelassen, dass wir keinerlei unabhängiges Justizsystem haben. Und wir haben zugelassen, dass der Freund Ihres ehemaligen Bundeskanzlers, Boris Jelzin, den Tschetschenienkrieg vom Zaun gebrochen hat. Die Welt hat dabei zugesehen. Damals hatten viele das Gefühl, dass selbst die Menschen um einen herum nicht verstanden haben, was in Russland vor sich ging, damals, als die tschetschenische Hauptstadt Grosny in Schutt und Asche bombardiert wurde.

Ein Gebaren wie einst Nero in Rom: Putin braucht einen Psychiater


Es gibt nicht viele Menschen, die so mutig sind, hier in Russland auf die Straße zu gehen und sich für ihren Protest von der Polizei festnehmen zu lassen – doch es gibt sie. Viele haben es gewagt und deutlich gesagt, was sie über diesen Krieg denken. Jetzt aber hat die Regierung die einzige Radiostation, die die Wahrheit verbreitete, abgeschaltet. Es ist durchaus vorstellbar, dass sie bald die Kommunikation, die jetzt noch über das Internet möglich ist, ebenfalls unterbinden wird. Wir wissen einfach nicht, wie es weitergehen wird. Und auch nicht, wie wir dieser Zensur Widerstand leisten können.

Ich bin überzeugt, dass es in Putins innerem Kreis Leute gibt, die verstehen, was für einen Wahnsinn sie da gerade anrichten. Aber sie sind schon zu Komplizen dieses Verbrechens geworden, und deshalb halten sie den Mund. Und die Entscheidungen trifft Putin allein.

Ich weiß nicht, was man tun kann, um ihn zu beeinflussen. Doch ich habe den Eindruck, dass er einen Psychiater braucht. Als Nero der Legende nach Rom in Brand gesteckt hat, dachte er wohl, dass er als prominenteste Figur in die Geschichte eingehen würde. Und vielleicht ist auch Putin von der Idee beseelt, etwas zu tun, was die Welt vorher noch nicht erlebt hat. Um jeden Preis will er die Sowjetunion wiederherstellen, deren Zusammenbruch er als die größte Tragödie des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat.

Es ist sinnlos, darauf hinzuweisen, dass Putin von seinem Umfeld nicht gesagt wird, was wirklich vor sich geht, dass er belogen wird. Zu den unverzichtbaren Eigenschaften einer guten Führungskraft gehört es, dafür zu sorgen, dass sie die richtigen Informationen erhält. So eine Person muss in der Lage sein, sich mit Menschen zu umgeben, die ihr die Wahrheit sagen. Wenn er also nicht die richtigen Informationen erhält, liegt das in seinem eigenen Verantwortungsbereich.

Wahrscheinlich läuft die Kommunikation im Kreml aber ungefähr in diesem Stil ab:

Putin fragt: Welche Informationen haben Sie mir mitgebracht?

Sein Umfeld antwortet: Die, die Sie bestellt haben!

Trotzdem möchte ich keineswegs Putin die ganze Schuld alleine zuschieben. Das wäre doch lächerlich! Die Menschen um ihn herum sind dafür genauso verantwortlich. Und wir sind dafür verantwortlich, dass er an die Macht gekommen ist. Ganz gleich, ob wir ihn gewählt haben oder nicht. Wenn es ein »wir« gibt, definiert als Nation, als Volk, dann haben wir ihn gewählt und sind für seine Handlungen verantwortlich.

Wie es weitergehen wird, ist unklar. Klar ist nur eins: Wir werden uns noch sehr lange dafür zu verantworten haben. Das muss jeder Einzelne von uns verstehen.

Zu lange haben wir weggesehen, zu lange hat der Westen mit Putin geflirtet


Natürlich ist es gut, dass Putin endlich auf der Sanktionsliste steht. Aber es kam zu spät. Zu lange hat der Westen mit ihm geflirtet und versucht, seine Wünsche zu erfüllen. Den Ereignissen in der Vergangenheit wurde wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Er hat Höflichkeit mit Schwäche verwechselt und nun völlig den Sinn für die Realität verloren. Dieser Mann versteht und schätzt nur Stärke. Mir scheint, die Zeit, in der man diese Stärke hätte zeigen können, wurde verpasst.

Welche anderen Mittel hätten die Demokratien nutzen können, um Putin in seine Schranken zu weisen? Ich bin keine Politikerin und kann diese Frage nicht genauer beantworten. Im Moment müssen wir die Ukraine auf jede erdenkliche Weise unterstützen.

Meine Botschaft an die Ukraine lautet: »Haltet durch, Freunde! Ihr verteidigt jetzt nicht nur eure Unabhängigkeit und eure Werte, ihr kämpft auch für den Weltfrieden und die Demokratie als solche.« Aber habe ich das Recht, dies dem ukrainischen Volk zu sagen? Ich, die ich für den Einmarsch meines Landes in die Ukraine mit verantwortlich bin, habe dieses Recht nicht. Und wir müssen die nächsten Generationen um Vergebung bitten, weil wir diesen Krieg nicht verhindert haben.

Und was würde ich der internationalen Gemeinschaft mitteilen? Ich kann mir nur wünschen, dass sie bei der Auswahl ihrer Freunde in Zukunft vorsichtiger ist und mehr darauf achtet, was ein Staatschef in seinem Land tut. Nur ein ständiger Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft und die öffentliche Kontrolle einer Regierung können sicherstellen, dass Moral und Werte erhalten bleiben und Vorrang vor politischen und wirtschaftlichen Interessen...

Erscheint lt. Verlag 11.1.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte Flüchtlinge • Memorial • Menschenrechte • Todeslisten • Tschetschenien
ISBN-10 3-95890-028-3 / 3958900283
ISBN-13 978-3-95890-028-8 / 9783958900288
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