Jugendjahre (eBook)
400 Seiten
Piper Verlag
9783492952989 (ISBN)
Remo H. Largo, geboren 1943 in Winterthur, gestorben 2020 in Uetliburg, war bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Kinderheilkunde. Fast drei Jahrzehnte lang leitete er die Abteilung für Wachstum und Entwicklung am Kinderspital in Zürich, wo er die bedeutendste Langzeitstudie über kindliche Entwicklung im deutschsprachigen Raum durchführte. Er war Vater dreier Töchter und Großvater von neun Enkeln. Seine Bücher »Babyjahre«, »Kinderjahre«, »Schülerjahre« und »Jugendjahre« (mit Monika Czernin) sind Klassiker, ebenso wie »Glückliche Scheidungskinder«.
Remo H. Largo, geboren 1943 in Winterthur, war bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Kinderheilkunde. Fast drei Jahrzehnte lang leitete er die Abteilung für Wachstum und Entwicklung am Kinderspital in Zürich, wo er die bedeutendste Langzeitstudie über kindliche Entwicklung im deutschsprachigen Raum durchführte. Er ist Vater dreier Töchter und Großvater von vier Enkeln. Seine Bücher "Babyjahre", "Kinderjahre", "Schülerjahre" und "Jugendjahre" (mit Monika Czernin) sind Klassiker, ebenso wie die zuletzt erschienene Neuausgabe von "Glückliche Scheidungskinder".
Einleitung
Wenn der Hummer den Panzer wechselt, verliert er zunächst seinen alten Panzer und ist dann so lange, bis ihm ein neuer gewachsen ist, ganz und gar schutzlos.
(Dolto 2005)
Neben der Geburt und den ersten Lebensjahren ist die Pubertät entwicklungsbiologisch gesehen die wichtigste Phase im Leben eines jeden Menschen. Hier kommt zum Abschluss, was mehr als 15 Jahre für seine Entfaltung gebraucht hat. Am Ende der Pubertät ist der Hummer dann ausgewachsen, er hat ein letztes Mal seinen Panzer gewechselt, um beim Bild der französischen Kinderpsychiaterin Françoise Dolto zu bleiben. Die Jugendjahre sind ein großer Einschnitt, für manche sogar die größte Herausforderung ihres Lebens. Aber auch die Erwachsenen, die Väter, Mütter und Lehrer tun sich mit dieser Lebensphase oft schwer.
»Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Menschen und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Kinder widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen und tyrannisieren ihre Lehrer.« So klagte vor 2400 Jahren schon der Philosoph Sokrates, zumindest wird ihm das Zitat zugeschrieben.
In unserer Gesellschaft sind Kinder zu einem kostbaren Gut geworden, wer sich für Kinder entscheidet, investiert viel in ihre Entwicklung. Und dann, so plötzlich wie unabdingbar, machen sie sich innerlich wie äußerlich davon, grüßen kaum noch und wünschen sich ein Leben weit weg vom familiären Heim. Kein Wunder, dass Eltern nicht verstehen, was da eigentlich vor sich geht. Haben sie etwas falsch gemacht? Sind es die Hormone? Das Gehirn? Was kann man dagegen tun, und geht diese Phase einfach wieder vorbei, so plötzlich wie sie, einem Alptraum gleich, über die Familie gekommen ist? Auch sind die Erwachsenen verunsichert. Angesichts von Zukunftsängsten und realen Bedrohungen etwa durch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, wachsen die Sorgen einer Elterngeneration, die sich fragen muss, ob sie die Welt, die sie ihren Kindern übergibt, gut genug bestellt hat.
Dieses Buch hat eine besondere Form. Wir, die Autoren, führen stellvertretend für die Leser und Leserinnen einen Dialog, Fragen und Antworten sollen die unterschiedlichen Positionen – vom besorgten Elternteil bis zum Experten – widerspiegeln. Ich, Monika Czernin, bin Mutter einer Teenagerin. Als meine Tochter in die Pubertät kam, erinnerte ich mich daran, wie meine Eltern unter meinen rebellischen Distanzierungsversuchen litten und bekam doch denselben Dackelblick, klagte und seufzte: »Ach, was warst du nur für ein süßes Mädchen, als du noch klein warst.« Meine Tochter brach zu Recht in Schreikrämpfe aus. »Und jetzt? Du magst mich wohl gar nicht mehr.« Gott sei Dank begannen Remo Largo und ich dann bald an diesem Buch zu schreiben. Die Gespräche, Debatten und Recherchen haben mir, der Mutter, Journalistin und Pädagogin neue Denkräume geöffnet und viele Irrwege erspart. Vor allem haben sie meine Ängste bekämpft und mir die Freude über das Großwerden meiner Tochter zurückgegeben. Ich habe durch das Schreiben gelernt, anerkennender und großzügiger auf ihre Welt zu schauen, hinter der Kratzbürstigkeit die Verletzlichkeit und Sensibilität wahrzunehmen, trotz aller Launen ihre Kreativität nicht aus den Augen zu verlieren, und bei aller nötigen und dennoch schmerzhaften Loslösung ihre Loyalität, Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit zu würdigen. Die Pubertät der Kinder ist immer auch eine Chance, noch einmal über Ge- und Misslingen des eigenen Starts ins erwachsene Leben nachzudenken. Ich möchte diese Konfrontation sowie den kritischen Blick meiner Tochter auf meinen Lebensentwurf nicht missen.
Ich, Remo Largo, habe drei erwachsene Töchter und vier Enkelkinder, zwei davon sind bereits wieder in der Pubertät. Mich beschäftigt die Pubertät als Vater und Wissenschaftler seit vielen Jahren. Die Erinnerungen an meine eigene Pubertät sind sehr verschwommen. An die Pubertät meiner Töchter erinnere ich mich noch sehr genau. Es gab gute Zeiten, geblieben sind mir jedoch vor allem die Episoden, die mit dem Gefühl einer umfassenden Ohnmacht und einer beängstigenden Einsicht verbunden waren: Als Eltern können wir unsere Kinder nicht mehr beschützen, sondern nur noch hoffen, dass wir ihnen das Rüstzeug mitgeben konnten, um sich »draußen in der Welt« zu bewähren. In meiner wissenschaftlichen Arbeit wurde mir in den Zürcher Längsschnittstudien die enorme Vielfalt in der Pubertätsentwicklung nachhaltig vor Augen geführt. DIE Pubertät gibt es nicht, sondern nur individuelle Schicksale. Mein bestimmter Eindruck ist, dass Jugendliche – auch Dank ihrer Eltern – in den vergangenen 40 Jahren erfreuliche Fortschritte gemacht haben. Sie sind selbstbewusster, verantwortungsvoller und initiativer geworden – auch wenn das manche Erwachsene anders sehen. Größere Problembereiche orte ich weniger bei den Jugendlichen, als bei den Eltern, den Lehrern, den Politikern und der Gesellschaft als Ganzes. Vorurteile in der Erziehung, Altlasten in den Schulen und offensichtliche gesellschaftliche Benachteiligung der jungen Menschen gilt es abzubauen.
Mit diesem Buch wollen wir darum Verständnis für die Jugendlichen wecken, für ihre Bedürfnisse, Wünsche und Probleme. Indem wir immer wieder durch die Brille der Heranwachsenden auf die Welt blicken, hoffen wir eine Brücke zu schaffen für Eltern, Lehrer und andere Erwachsene. Die Pubertät ist nicht umsonst eine prekäre Lebensphase, in der sich psychische Störungen häufen und die Selbstmordrate massiv ansteigt. Dem oft gegebenen Rat an die Eltern, die Sache doch einfach mal locker zu nehmen, können wir darum nicht zustimmen, müssen aber dennoch immer wieder betonen, dass es mit der herkömmlichen Erziehung in der Pubertät ein für alle mal vorbei ist. Dafür war in den Jahren davor genug Zeit.
Wir werden uns weniger mit Gefahren wie Alkohol, Gewaltvideos, Komasaufen und Cybermobbing auseinandersetzen und werden schon gar nicht Ratschläge erteilen, wie sie zu vermeiden und zu bekämpfen sind. Wir glauben nicht an ein weiteres Zehn-Punkte-was-soll-ich-mit-den-Jugendlichen-tun-Programm für Eltern und Lehrer, sondern wollen eine Veränderung des Denkens und Verstehens bewirken, aus der sich dann hoffentlich neue Verhaltensweisen – weniger für die Jugendlichen als vielmehr für die Erwachsenen – ergeben.
Unser Anliegen ist es, Eltern und anderen Erwachsenen zu zeigen, wie sie die Jugendlichen stärken können. Denn Jugendliche müssen möglichst stark sein, damit sie die Herausforderungen erfolgreich bestehen können, die ihnen in der Pubertät abverlangt werden. Kinder, aus denen allmählich Erwachsene werden, haben eine Vielfalt von Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Noch einmal läuft das Wachstumskraftwerk auf Hochtouren – körperlich, geistig und emotional –, um dann die Entwicklung zu beenden. Die Darstellung der jugendlichen Entwicklungsaufgaben in diesem Buch basiert auf dem Fit-Konzept, so wie es im Buch »Kinderjahre« (Largo 1999) entwickelt wurde. Danach müssen Jugendliche im Wesentlichen drei wichtige Herausforderungen meistern:
Geborgenheit: Jeder Jugendliche will sich geborgen fühlen. In der Kindheit befriedigen die Eltern seine körperlichen Grundbedürfnisse. Eine bedingungslose Bindung zwischen Kind, Eltern und anderen Bezugspersonen gewährleistet emotionale Sicherheit. Wenn sich der Jugendliche von den Eltern ablöst und die Familie verlässt, muss er die emotionale Sicherheit anderswo finden, was ein schwieriges Unterfangen ist und mit emotionalen Höhen und Tiefen einhergeht.
Soziale Anerkennung: Jeder Jugendliche braucht soziale Anerkennung und eine gesicherte Stellung in der Lebensgemeinschaft. Soziale Sicherheit gewährleistete bisher die Familie und die Schule. Nun muss der Jugendliche aus eigener Kraft seinen Platz in der Gesellschaft finden und sich soziale Anerkennung verschaffen.
Entwicklung und Leistung: Jeder Jugendliche will seine Fähigkeiten möglichst gut ausbilden. Als Kind hatte er zu einem wichtigen Teil für Eltern und Lehrer gelernt, jetzt muss er, ob in der Schule, der Berufsausbildung oder in der Universität für sich selbst lernen. Er muss seine Stärken entwickeln, um dann im konkreten Tun und Handeln in Gesellschaft und Wirtschaft erfolgreich zu sein.
An diesen drei Aufgaben wächst der Jugendliche zum Erwachsenen heran und entwickelt seine Identität. Es erstaunt wohl kaum, dass dieser vielschichtige Prozess des Suchens, Findens und sich Bewährens nicht pannenfrei verlaufen kann, weder für die Jugendlichen, noch für die Eltern und die Schule. Das Fit-Konzept strebt eine möglichst gute Übereinstimmung zwischen den individuellen Bedürfnissen und Entwicklungseigenheiten des Jugendlichen und seinem Umfeld an. Wenn in diesen drei Bereichen eine gute Übereinstimmung zwischen dem Jugendlichen und seinem Umfeld besteht, fühlt er sich wohl, ist aktiv und kann ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln. Ist die Übereinstimmung ungenügend oder fehlt sie gar, werden Wohlbefinden und Selbstwertgefühl des Jugendlichen beeinträchtigt. Daraus können psychosomatische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten entstehen. Fehlt beispielsweise die Anerkennung von den Gleichaltrigen, kann ein Mädchen magersüchtig werden oder ein Junge besonders große Risiken eingehen.
Unser Buch ist folgendermaßen aufgebaut. In Teil I geht es darum, ein Verständnis für die Gesetzmäßigkeiten zu wecken, welche die Entwicklung in der...
| Erscheint lt. Verlag | 27.3.2017 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
| Schlagworte | Babyjahre • Bildung • Bildungssystem • Buch • Bücher • Das passende Leben • Entwicklung vom Kind • Erziehung • erziehungsexperte • Erziehungsratgeber • Jugend • Kinderjahre • Lernen • Pädagogik • Pubertät • Ratgeber • Scheidungskinder • Schule • Schülerjahre • spiegel bestseller • Therapie |
| ISBN-13 | 9783492952989 / 9783492952989 |
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