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Das Reich der Deutschen (eBook)

Wie wir eine Nation wurden - Ein SPIEGEL-Buch
eBook Download: EPUB
2016
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-20389-4 (ISBN)

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Das Reich der Deutschen -
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962 – 1871 Eine Nation entsteht

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war ein seltsames Gebilde. Zeitweise umfasste es halb Europa, doch seine Grenzen änderten sich ständig. Es hatte kein Heer und keine Hauptstadt und überstand doch Kriege, machthungrige Dynastien und die erbitterten Kämpfe um die Reformation. Es war ein multikulturelles Konstrukt, aus dem sich schließlich ein deutschsprachiges Kernland herausbildete.

SPIEGEL-Autoren und Historiker beleuchten die wechselvolle Geschichte des Deutschen Reiches vom Mittelalter bis zur Reichsgründung 1871. Sie zeigen, wie schwer es den Deutschen fiel, in einem Land zusammenzuwachsen, und wer den mühsamen Weg zur Nation ebnete: neben Herrschern und Politikern waren das auch immer wieder Dichter und Denker, die Ideale wie Einigkeit und Recht und Freiheit beschworen.

DER DEUTSCHE WEG

Im Zentrum Europas formen mittelalterliche Könige ein Imperium nach römischem Vorbild. Es war ein fragiles, oft belächeltes Gebilde, das aber Kriege verkraftete und Epochen überstand. Sein Föderalismus prägt uns bis heute.

Von NILS KLAWITTER

Fast neun Jahrhunderte hatte das Reich existiert, am Ende blieb vor allem eines: Spott. Schon vor dem endgültigen Aus im Jahr 1806 mokierten sich Zeitgenossen über das abgetakelte Gebilde und seinen abgerissenen Zustand.

Bei der vorletzten Kaiserkrönung 1790, notierte der Geschichtsschreiber Karl Heinrich Ritter von Lang, hätten der »abgeschabte Mantel« und die »Kaiserpantoffeln« Leopolds II. ausgesehen wie »auf dem Trödelmarkt zusammengekauft«. Das »Fastnachtsspiel in zerrissenen Fetzen«, so Lang, habe perfekt zur »kindisch gewordenen alten deutschen Reichsverfassung« gepasst.

Am 6. August 1806 hatte auch Leopolds Nachfolger Franz II. ein Einsehen. Seine Boten riefen in den Städten aus: »Wir erklären durch Gegenwärtiges, daß Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reichs gebunden hat, als gelöst ansehen.« Das 844-jährige Gebilde eines römischen Reichs deutscher Prägung hörte damit auf zu existieren. Der 33. Kaiser, ein Habsburger, hatte das Imperium einfach aufgelöst.

Die Reichsinsignien ließ er in der Schatzkammer der Wiener Hofburg wegsperren: die heilige Lanze etwa, 51 Zentimeter lang und angeblich auch mit einem Nagel vom Kreuz Christi zusammengehalten. Oder den aus Harzmasse geformten und mit Goldblech verkleideten Reichsapfel, Symbol der Weltherrschaft. Die allerdings hatte zu der Zeit längst ein anderer vor Augen, der Franz auch zur Auflösung gedrängt hatte: Europas mächtigster Herrscher Napoleon.

Das Ende des Reichs hatte sich abgezeichnet. Doch als dann am 18. August 1806 »zum ersten mahl Kaiser und Reich aus dem Kirchengebet weggelaßen« wurden, wie die Mutter Johann Wolfgang von Goethes ihrem Sohn schrieb, wirkte sie doch betroffen: Das Reich sei schließlich wie ein »alter Freund« gewesen.

Sein Anfang ist eine Idee – die Vorstellung eines christlichen Großraums mit einem Kaiser als Beschützer. Otto I., ein bärtiger Hüne mit funkelnden Augen, hat sie im Kopf, als er 962 zum Papst in Rom eilt, um ihm gegen aufsässige Lokalfürsten beizustehen. Der 49-Jährige knüpft damit an Karl den Großen an, der gut 160 Jahre zuvor zu einer ähnlichen Reise aufgebrochen war. Beide Könige werden am Tiber zum Kaiser gekrönt. Sie verband die etwas vermessene Vision der Fortführung des einstigen Römerreichs.

Der symbolische Akt der Krönung durch den Papst als Oberhaupt der römischen Kirche war nötig, um als Schirmherr der gesamten Christenheit ernst genommen zu werden. Wie im antiken Rom wurde der Adler zum Wappentier der neuen Macht.

Anders als Karl verfügte Otto nach der Teilung des riesigen Frankenreichs unter den Erben nur noch über das ostfränkische Territorium. Es wird nun allerdings bis 1806 mit der ostfränkischen und später deutschen Königskrone verknüpft bleiben. Das Jahr 962 gilt als Geburtsstunde des Gebildes, das man künftig das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation« nennen wird.

Die damals etwa vier Millionen Bewohner hatten allerdings weder eine Vorstellung davon noch einen Namen dafür. »Sagemir, uueo namun habet deser man, uuerpistdu« (Sag mir, welchen Namen hat dieser Mensch, wer bist du?) – so etwa redeten die Leute dieser Zeit. Die meisten hausten in Hütten aus Holz und Lehm. Frauen wurden, wenn sie nicht bei der Geburt eines Kindes starben, kaum älter als 40 Jahre. Die Menschen aßen mit Honig gesüßten Getreidebrei und tranken oft schon am Vormittag verdünnten Wein, weil der Alkohol vor Infektionen schützte.

Chroniken erzählen von Blutrache und Faustrecht, auch Könige trennten ihren Widersachern gern mal Gliedmaße ab. Durch die Wälder strichen Wölfe und Bären, das Fortkommen war beschwerlich: Nur eine Heerstraße führte vom Rhein zu den norddeutschen Sachsen. Besser sah es im Süden aus: Entlang der Rhein-Donau-Linie verbanden Wegenetze römische Siedlungen wie Mainz, Straßburg und Regensburg, begüterte Kinder besuchten Klosterschulen.

Am Ende des Reiches 1806 steht Deutschland an der Schwelle zur Moderne. Dampfmaschinen revolutionieren die Industriearbeit, in Essen wird Friedrich Krupp bald seine erste Gussstahlfabrik eröffnen. Wenn auch die Leibeigenschaft noch nicht überall abgeschafft ist, neigt sich das Feudalsystem dem Ende zu. Viele Deutsche begeistern sich bereits für Volk und Vaterland.

Das Alte Reich dagegen wird belächelt. Vielen erscheint es marode, aus der Zeit gefallen. Eine Zumutung. Der populäre Berliner Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke rechtfertigt den Untergang mit dem »Durcheinander verrotteter Reichsformen und unfertiger Territorien«. Seine Worte spiegeln die nationalstaatlich geprägte Geringschätzung des Alten Reiches mit seinen zeitweise 300 Territorien. Die Sichtweise ist bis heute verbreitet.

Unter Historikern wird das Heilige Römische Reich inzwischen wesentlich positiver gesehen, vor allem die relativ friedliche Blütephase nach dem Westfälischen Frieden 1648. Seine föderalen Strukturen und Ausgleichsmechanismen, die konfessionelle Vielfalt und die kulturelle Diversität, die sich damals zeigten, gelten Forschern wie Peter Claus Hartmann gar als Vorbild für Europa.

Sicher, deutsche Defizite gab es einige: Unsichere Grenzen etwa – dauernd fiel dem Reich an den Rändern etwas ab. Auch fehlte eine Hauptstadt, in der sich eine zentrale Macht entfalten konnte. Wenn es eine Konstante gab, dann den Konflikt: Die Kaiser stritten mit den Päpsten, die Könige rangen mit den Fürsten, die erstarkenden Städte wehrten sich gegen die Landesherren, und schließlich hackten sich Katholiken und Protestanten im Ringen um den wahren Glauben die Köpfe ab.

Dennoch: Die 844 Jahre des Alten Reichs prägen dieses Land bis heute: Dass selbst die kleinsten Residenzstädte Theater hatten, die bis heute existieren, ist ein Erbe der viel gescholtenen Kleinstaaterei. Die Mentalität, alles zu verrechtlichen, drückt nicht unbedingt Untertanengeist aus, sondern auch Vertrauen in die Justiz. Das Reichskammergericht von 1495 scheint diese Neigung geprägt zu haben: Dort verklagten selbst Bauern ihre fürstlichen Landesherren. Während Zentralmächte wie England und Frankreich politische und religiöse Abweichungen schnell ersticken konnten, genügte einem Verfemten wie Friedrich Schiller 1782 die Flucht aus dem Herzogtum Württemberg ins liberalere kurpfälzische Mannheim, um weiter dichten zu können. Verschiedenheit hat Chancen eröffnet.

Die politische Zersplitterung der angeblich verspäteten Nation, so der Kunsthistoriker Neil MacGregor, sei tatsächlich eine Stärke gewesen. Der Brite ist seit Kurzem als Gründungsintendant des Humboldt-Forums im Berliner Stadtschloss Chef eines kulturpolitischen Vorzeigeprojekts. Die Ordnung des Alten Reichs hält er für einen »Sieg der kreativen Fragmentierung«.

Schon Otto I. hat die Zersplitterung zu nutzen gewusst. Sein Heer war ein bunter Haufen aus Sachsen, Bayern, Schwaben, Franken und Böhmen. Doch auf einer Schotterebene südlich von Augsburg besiegte diese Truppe die immer wieder ins Reich einfallenden Ungarn im August 955 dermaßen, dass die sich nicht wieder blicken ließen. »Vater des Vaterlandes« soll Otto damals genannt worden sein.

Aber war diese Schlacht am Lechfeld tatsächlich die Geburtsstunde der deutschen Nation, zu der Generationen von Historikern das Ereignis stilisierten? Stehen heute tatsächlich »1000 Jahre Deutschland« auf dem Spiel, wie AfD-Politiker gern mal behaupten? Waren die Menschen damals als monolithischer germanischer Block unterwegs, mit einem Volk, einem Reich und einem Führer?

Diese Sicht scheint gerade wieder an Boden zu gewinnen. In ihr mischt sich die Angst vor Überfremdung mit einer rückwärtsgewandten Sehnsucht nach einem urdeutschen Volk und christlich-abendländischen Werten. Eine absurde Sicht, wie der Mittelalter-Historiker Johannes Fried findet. Das Christentum sei seinem Ursprung nach so deutsch wie der Islam, sagt Fried, »beide Religionen sind aus dem Nahen Osten nach Europa eingewandert«.

Kein Sachse, Franke oder Friese hätte zudem auf die Frage nach seinem Heimatland damals »Deutschland« gesagt. Man war in seinen Stämmen verwurzelt, die ihrerseits zusammengewürfelte Haufen waren. Diese Stämme, die mit den deutschen Kaisern über die Alpen zogen, konnten sich untereinander zwar gerade so verstehen, eine nationale Einheit bildeten sie aber nur aus der Sicht des Auslands. Der italienische Mönch Benedikt von S. Andrea hielt sie einfach für Barbaren: »Schrecklich war ihr Anblick, krumm ihr Gang«, notierte er – in der Schlacht allerdings »standen sie wie Eisen«. Die germanischen Dialekte bezeichneten die Italiener, so halten es vatikanische Quellen auf Latein fest, als »theodisce« Sprache. Das bedeutete »Volkssprache«. Aus »theodisc« wurde später »tiutsch« und dann »deutsch«.

Obwohl die gemeinsamen Italienzüge für die Ethnogenese der Deutschen sehr wichtig waren, begannen die Menschen erst ganz allmählich, sich mit diesem Namen zu identifizieren. »Die Deutschen«, sagt Fried, »sind in ihre nationale Identität hineingeschlittert.« Von Deutschtum konnte damals keine Rede sein, und das Reich...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Deutsches Reich • eBooks • Friedrich I. Barbarossa • Friedrich II. • Geschichte • Heiliges Römisches Reich deutscher Nation • Luther • Mittelalter • Otto der Große • Otto von Bismarck • Preußen • Reformation • Reichsgründung
ISBN-10 3-641-20389-9 / 3641203899
ISBN-13 978-3-641-20389-4 / 9783641203894
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