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Wie war das für euch? (eBook)

Die Dritte Generation Ost im Gespräch mit ihren Eltern
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
240 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-354-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie war das für euch? -
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Fast drei Jahrzehnte nach der Wende sucht die Dritte Generation Ost - 2,4 Millionen in der DDR geborene Menschen - den Dialog mit den Eltern. Sie stellen die Fragen, die sie schon immer stellen wollten, für die es bisher keinen Raum oder keine Gelegenheit gab: Wolltet ihr auch weg? Habt ihr eigene Erfahrungen mit der Stasi gemacht? Wie ging das mit der Vereinbarkeit von Kindern und Karriere? Wie war das, wenn man studieren wollte und nicht durfte, oder religiös war? Wie habt ihr die Umbruchzeit erlebt? Seht ihr euch als Gewinner oder Verlierer der Einheit? Die Autorinnen und Autoren berichten von ihren Gesprächserfahrungen, von Hürden und Bereicherungen, von der anhaltenden Suche nach Antworten. Und sie beschreiben, wie es ist, wenn geschwiegen wird. Ein vielstimmiges Lesestück - authentisch, aufwühlend, anregend!

Judith C. Enders: Jahrgang 1976, Politikwissenschaftlerin und promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin; Dozentin für Nachhaltigkeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin; Mitbegründerin des Vereins perspektive hoch 3. Mandy Schulze: Jahrgang 1976, Studium der Betriebswirtschaftslehre, Soziologie und Erziehungswissenschaften in Mannheim, Heidelberg und Berlin, Dipl. M.A.; freiberufliche Wissenschaftlerin; Mitbegründerin des Vereins perspektive hoch 3. Bianca Ely: Jahrgang 1979, Soziologin und Politikwissenschaftlerin; Arbeits- und Interessensschwerpunkte: Jugend- und Erwachsenenbildung, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik; seit 2011 mit der Initiative Dritte Generation Ost assoziiert.

Mutter, Vater, Staat, Kind


Ein Gespräch zwischen Hans-Joachim Maaz, 1943 in Niedereinsiedel/Böhmen geboren, und Lydia Heller, 1973 in Schwerin geboren


Ich sitze im Auto, auf dem Weg nach Halle. In zwei Stunden bin ich dort mit Hans-Joachim Maaz, dem Psychoanalytiker und Kenner ostdeutscher Befindlichkeiten, zu einem Interview verabredet. Worin sieht er das Potenzial meiner Generation, also derer, die zwischen Anfang der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre in der DDR geboren worden sind? Darüber möchte ich mit ihm sprechen. Auch darüber, inwiefern dafür ein Blick in die eigene Biografie und die der Eltern notwendig ist. Ich bin Journalistin, ich bin vorbereitet. Hinter mir liegt ein halbes Jahr großer Erschöpfung, unbefriedigend erfüllter Aufträge, finanzieller Schwierigkeiten und nur gelegentlicher Telefonate mit meiner Mutter. Eine Trennung vom Vater meines Sohnes und Streit über dessen Erziehung. Ich will jetzt nicht hören, dass das vielleicht alles zusammenhängt. Ich werde ein Interview mit professioneller Distanz führen. Gerade allerdings stehe ich im Stau. Ich werde zu spät kommen.

Hans-Joachim Maaz begrüßt mich in einem großen, hellen Praxisraum in einer Villa in Halle-Giebichenstein. Mit festem Händedruck und so freundlich, als wären wir jetzt und nicht schon vor einer Stunde verabredet gewesen. Wir setzen uns an einen Tisch, holen unsere Notizen hervor, ich stelle das Aufnahmegerät an.

Vor Ihnen sitzt eine Vertreterin der Dritten Generation Ost, in die Sie in den letzten Jahren immer wieder große Hoffnungen gesetzt haben. Warum eigentlich?

Ich hatte die Hoffnung, dass diese Generation eine Auseinandersetzung führen wird, die ich für wichtig halte. Ich hab mal den Vergleich mit den 68ern gewagt: Es hat diese Studentenrevolte von 1968 gebraucht, um die autoritären Verhältnisse, die noch aus dem Dritten Reich wirkten, aufzubrechen und kritisch zu hinterfragen. Ich hab immer damit gerechnet, dass es etwas Ähnliches auch nach der Wende geben muss.

Bisher kommen aber noch nicht so viele kritische Impulse aus dem Osten Deutschlands, oder?

Vielleicht ist es noch nicht so weit. Aber – das war jedenfalls immer meine Erwartung – die Auseinandersetzung, die die Dritte Generation Ost in die Öffentlichkeit bringen kann, könnte dazu beitragen. Im Grunde genommen ist es für mich auch die Frage nach einem potenziellen dritten Weg. Der ist ja in der Wendezeit sofort grundsätzlich abgeschmettert worden. Aber heute stehen wir wieder vor der Frage, ob es nicht einen dritten Weg geben muss, angesichts der Umwelt- und Finanzprobleme und einer zunehmenden Spaltung von Arm und Reich, angesichts neuer Kriege und so weiter. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und mit der der Eltern kann dazu anregen oder ermutigen, sich auch solchen großen Fragen zu stellen.

Warum soll ausgerechnet die Beschäftigung mit der privaten Familiengeschichte dabei hilfreich sein können?

Weil der Erziehungs- oder der Beziehungseinfluss der Eltern prägende Wirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung hat, die für unser Verhalten als Erwachsene die Grundlage bildet. Erwachsene sollten daher schon fragen, was sie von ihren Eltern mitbekommen haben. Was davon taugt für die Ewigkeit? Was taugt nur situativ und vorübergehend? Und was taugt auch nicht mehr, weil ich eine neue Generation und ein anderer Mensch bin als meine Eltern. Eltern haben ja oft eine Vorstellung davon, wie ihre Kinder sein sollten und gehen entsprechend mit ihnen um. Aber das muss nicht immer mit den Möglichkeiten und Wünschen der Kinder übereinstimmen. Also diese Auseinandersetzung mit der Frage, was man Gutes und Schlechtes von den Eltern mitbekommen hat und welche Lasten man mit sich herumträgt, die braucht eigentlich jeder Mensch, wenn er erwachsen geworden ist und sein Leben leben will.

Und bei den Leuten, die ungefähr zwischen 1975 und 1989 in der DDR geboren und aufgewachsen sind, kommt jetzt noch eine politische Dimension dazu?

Diese Generation hat zwei grundsätzlich verschiedene Sozialisationsformen miterlebt. Anders als meine Generation, ich bin Jahrgang 1943. Oder die Generation Ihrer Eltern, die waren zur Wendezeit 40 oder 50 Jahre alt, die waren in ihrer Entwicklung im Wesentlichen festgelegt, da gab es keine großen Chancen mehr für Veränderungen. Die Dritte Generation Ost ist in der DDR aufgewachsen und wurde dort nach den damaligen Werten und Normen sozialisiert. Ihre Generation muss sich mit dem auseinandersetzen, was damals von den Eltern in der DDR vermittelt worden ist und was heute gar keine Gültigkeit mehr hat. Oder was gefehlt hat. Oder aber auch, was besonders wertvoll und erhaltenswert ist. Das ist ja im Vereinigungsprozess vernachlässigt oder zumindest ziemlich einseitig abgehandelt worden nach dem Motto: Im Westen alles besser, im Osten alles schlechter. Das war ein Fehler. Und im Dialog, in der Auseinandersetzung mit den Eltern könnte man erörtern, was das Leben in der DDR uns mitgegeben hat, Gutes und Schlechtes. Und was das Leben im Westen, im Kapitalismus, an Vorteilen und Schwierigkeiten mit sich bringt. Denn die Einseitigkeit verhindert ja eine differenzierte, kritische Sicht auf die Verhältnisse.

Der Dritten Generation Ost trauen Sie diese kritische Sicht in besonderem Maße zu?

Ich habe die Hoffnung, dass sie diese Auseinandersetzung führt. Und auch in einer besonderen Weise kritisch, denn man kann von ehemaligen DDR-Bürgern eher erwarten, dass sie aufgrund ihrer anderen Lebenserfahrung auch manches im Westen kritischer sehen, was der Westdeutsche betriebsblind als gegeben hinnimmt. Und wir leben heute nun mal in diesem vereinten Deutschland, in diesem vereinten Europa und stehen ganz erheblichen Problemen gegenüber: Klimawandel, Umweltzerstörung, Finanzkrise, Migration, zunehmende Armut und so weiter. Wir müssen uns darüber verständigen, wie wir weiterleben wollen. Nach welchen Regeln? Nach welchem Gesellschaftsmodell? Denn das jetzige stößt ja offenbar an seine Grenzen, steuert auf eine Krise zu.

An welche Erfahrungen denken Sie da zum Beispiel?

Ich meine, dass wir unter anderem soziale Werte, die in der DDR wichtig waren, im Zuge des Vereinigungsprozesses von Ost und West voreilig aufgegeben haben. Oder missachtet oder schlecht bewertet haben, in der naiven Vorstellung, dass jetzt alles nur besser werden kann. Dann mussten wir feststellen, dass vieles nicht nur anders, sondern manches auch schlechter geworden ist. Gerade was menschliche, soziale Beziehungen betrifft. Mit diesem Konflikt ist die Dritte Generation Ost zwangsläufig belastet und daher muss sie sich geradezu mit den Werten auseinandersetzen, die von Eltern und Schule damals vermittelt worden sind. Sie muss fragen, was davon noch Gültigkeit hat oder was verworfen werden sollte. Außerdem ist sie die Generation, von der man einen kritischen Blick auf das Leben im Westen, auf die Sozialisationsbedingungen hier und jetzt erwarten kann. Weil sie ja hier zurechtkommen muss mit den alten Erfahrungen.

Was hat man als in der DDR sozialisiertes Kind an Erfahrungen und Werten mitbekommen, die jetzt nicht mehr passen?

Ich fange mal mit dem Negativen an, weil das ja in den Medien am meisten diskutiert wird. Die DDR-Verhältnisse waren so, dass man eingeschüchtert wurde, dass man in seiner Entwicklung oft gehemmt oder in eine bestimmte Richtung gepresst wurde. Dass man möglichst viel im Kollektiv leben sollte, wenig Individualität entwickeln konnte. Und vor allen Dingen: man durfte nicht wirklich kritisch sein, keine Fragen stellen, die die Ideologie des Systems in Zweifel gezogen hätten. Die Einengung, die Einschüchterung, die Unterdrückung, die einseitige ideologische Orientierung – das sind alles sehr negative Wirkungen, die oft eben auch den unsicheren, gehemmten Menschen hervorgebracht haben, der wenig Selbstvertrauen hat, der sich schlecht selbst vertreten und behaupten kann.

Und im Gegenteil dazu: Welche Eigenschaften, die aus der Sozialisation Ost herrühren, finden Sie erhaltenswert?

Entscheidend finde ich zum Beispiel, dass die Menschen in der DDR mit viel weniger zurechtgekommen sind. Wir haben auch gelitten darunter, wenn es mal wieder etwas nicht gab, wenn man sich klar gemacht hat, was man unter diesen Bedingungen nicht erreichen konnte und so weiter. Aber wir haben damit gelebt und das subjektiv mitunter auch sehr gut. Mangel erzeugt ja auch die Kraft zu improvisieren und Beziehungen höher zu schätzen als materielles Wachstum. Beziehungskultur ist für mich der höhere Wert. Wenn Menschen beziehungsmäßig in guten Verhältnissen leben, wenn sie sich verstanden fühlen, sich austauschen können, Hilfe erfahren, selbst helfen können, dann hat das einen subjektiv höheren Wert, als wenn man sich wieder etwas Neues kaufen kann. Davon bin ich überzeugt. Außerdem hat ja auch die ideologische Enge des Systems nahezu gefordert, dass man Bereiche findet, in denen man anders leben kann als vorgeschrieben. Das waren die Freundeskreise, die Nachbarschaften, in denen man sich geholfen hat und natürlich auch zusammen geschimpft und geklagt hat. Allgemein gab es ein Interesse, mit Menschen persönlicher vertraut zu sein und sich mitzuteilen.

Aber dieses »Freiräumesuchen«, das »Sicheinrichten mit dem Mangel und in der Enge« – ist das nicht oft schlicht Opportunismus gewesen?

...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2016
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Co-Autor Maike Nedo
Zusatzinfo 8 s/w-Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Deutsche Einheit • Dritte Generation Ost • Identität • Ostdeutschland • Wendegeneration • Wendekinder
ISBN-10 3-86284-354-8 / 3862843548
ISBN-13 978-3-86284-354-1 / 9783862843541
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