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Türkei (eBook)

Erdogans Griff nach der Alleinherrschaft
eBook Download: EPUB
2017 | 2. Auflage
232 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-355-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Türkei - Jürgen Gottschlich
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»Das ist die Türkei, hier ist alles möglich« - so lautete die Prämisse, unter der sich Jürgen Gottschlich, seit mehr als 20 Jahren Korrespondent in Istanbul, seinem Gastland immer genähert hat. Doch er wurde wie alle Beobachter vom gescheiterten Putschversuch des Militärs im Juli 2016 überrascht. Weniger verwunderlich war für ihn die nachfolgende Säuberungsaktion des Militärs, der Schulen, Universitäten, Verwaltungen und Medien von Erdogan-Kritikern. Schließlich bestimmen harte innenpolitische Auseinandersetzungen schön länger den Kurs des Landes.
Jürgen Gottschlich beschreibt kenntnisreich Erdogans Griff nach der Alleinherrschaft, die mehr und mehr islamische Ausrichtung des Staates, den Konflikt mit der kurdischen Minderheit, aber auch den Alltag des Landes sowie seine Kultur und Lebensformen.
Die 2. Auflage des E-Books erscheint mit einem aktuellen Vorwort vom Juli 2017.

Jürgen Gottschlich, Jahrgang 1954, studierte Philosophie und Publizistik, war Mitbegründer der tageszeitung und ist seit 20 Jahren Korrespondent der taz in Istanbul. Im Ch. Links Verlag erschienen u.a. »Türkei. Erdogans Griff nach der Alleinherrschaft« (2016) und »Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier« (2015).

Jahrgang 1954, Studium der Philosophie und Publizistik in Berlin; 1979 Mitbegründer der taz, bis 1993 dort als Journalist tätig; ab 1980 regelmäßige Reportagereisen in die Türkei; seit 1998 Korrespondent für verschiedene Zeitungen in Istanbul; Autor zahlreicher Sachbücher.

Konturen


Das Bild der Türkei in Deutschland


Erdoğan, Erdoğan, immer wieder Recep Tayyip Erdoğan. Es gibt in den deutschen Medien kaum einen Beitrag über die Türkei, in dem der türkische Präsident und Langzeitherrscher nicht auftaucht. Und das in zunehmend düsteren Farben. Galt er lange Zeit als Reformer und Garant für ein stabiles Wirtschaftswachstum, nähert er sich mittlerweile in der veröffentlichten Meinung in Deutschland den negativen Sympathiewerten seines russischen Kollegen Wladimir Putin an. Seit dem repressiven Vorgehen in der Folge des Putschversuches vom 15. Juli 2016 scheint Erdoğan der meistgehasste ausländische Staatschef überhaupt – vielleicht nicht ganz so gefürchtet wie Putin, schließlich ist die Türkei keine atomar bewaffnete Großmacht, aber mindestens genauso negativ wahrgenommen. Dafür gibt es gute Gründe, doch es schafft auch ein Problem: Die Türkei wird mehr und mehr mit Erdoğan gleichgesetzt. Das stimmt so natürlich nicht. Rund die Hälfte der Türkinnen und Türken lehnen Erdoğan vehement ab. Sie wollen für seine Politik nicht in Haftung genommen werden und erwarten eher, im Kampf um Demokratie von Europa unterstützt zu werden.

Kommt Erdoğan in der Wahrnehmung der Türkei an erster Stelle, folgen zumeist, quasi als Antipoden, die Kurden. Die größte ethnische Minderheit des Landes kämpft seit Jahrzehnten um mehr Anerkennung und Eigenständigkeit und wird deshalb zu Recht eher mit Sympathie als mit Ablehnung bedacht. Doch auch der langjährige Konflikt zwischen dem Staat und der kurdischen Minderheit ist nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit.

Weniger eifrige Konsumenten von politischen Nachrichten denken bei der Türkei wahrscheinlich immer noch als Erstes an herrliche Strände und bezahlbare Hotels oder an İstanbul, der einzigartigen Metropole am Bosporus, die mit ihrer langen Geschichte und ihrer spannenden kulturellen Mischung eine große Faszination ausübt. İstanbul ist zweifellos eine besondere Stadt, in der allerdings auch, wie in einem Brennglas, die Probleme des Landes fokussiert sind.

Nicht zuletzt zählen zum Wahrnehmungshorizont der Türkei auch die Türken von nebenan. Über viele Jahrzehnte waren die türkischen Einwanderer ja sogar prägend für das deutsche Bild von der Türkei, doch die Gleichsetzung mit den »deutschen Türken« nimmt erkennbar ab. Vermutlich weil die türkischen Einwanderer mittlerweile doch als etablierter Teil der deutschen Gesellschaft wahrgenommen werden, vor allem angesichts der vielen neuen Einwanderungsgruppen, die andere Integrationsprobleme aufwerfen, als es die eingedeutschten Türken noch tun. Trotzdem drohen innenpolitische Konflikte der Türkei immer wieder auch innerhalb der türkischen Diaspora in Deutschland zu schweren Konflikten zu führen. Das zeigte sich, als Erdoğan im Herbst 2015 die Militärkampagne gegen die PKK wiederaufnahm, und das zeigte sich noch deutlicher nach dem gescheiterten Putschversuch, als emotional aufgepeitschte türkische Bürger auf vermeintliche Putschisten in Deutschland losgehen wollten.

Nun ist Recep Tayyip Erdoğan, langjähriger Ministerpräsident und seit August 2014 auch Präsident des Landes, sicher eine eminent wichtige Figur. Seit dem Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein anderer Politiker das Land so stark geprägt wie Erdoğan. So wie Atatürk maßgebend für die Entstehung und Gestaltung der türkischen Republik nach dem Ende des Osmanischen Reiches war, ist Erdoğan nun der Begründer und Gestalter einer »neuen Türkei«, wie er selbst sagt, einer Türkei, die die bisherige Republik wieder näher an die osmanische Geschichte anschließen und in eine angeblich moderne »islamische Republik« transformieren soll.

Doch Erdoğan ist nicht alles, und die zunehmend um sich greifende Haltung bei politisch interessierten Deutschen, die Türkei zu meiden, solange Erdoğan regiert, ist schlecht: Sie wird dem Land und seinen Bewohnern nicht gerecht und schadet auch den Beziehungen zwischen beiden Ländern. Gerade diejenigen, die sich gegen den zunehmenden Autoritarismus des Erdoğan-Regimes zur Wehr setzen, sind auf Unterstützung aus Europa angewiesen. Was könnte da besser sein, als sich vor Ort, im persönlichen Kontakt, zu informieren und sich mit den Menschen, die nach wie vor für Meinungsfreiheit, individuelle Menschenrechte und die Gleichberechtigung aller Ethnien einsetzen, persönlich zu solidarisieren? Doch auch ein ganz unpolitischer Badeurlaub sollte nicht als indirekte Unterstützung einer autoritären Regierung gewertet werden. Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Das Auskommen von Millionen Menschen hängt davon ab. Wenn die ihren Job verlieren, hilft das der Demokratisierung des Landes sicher nicht. Denn die Idee, dass aus dem Leid der Massen der Fortschritt entspringt, hat sich bislang noch immer als Irrtum erwiesen. Und auch wenn die Türkei immer mehr zu einem letzten europäischen Außenposten an der Nahtstelle zum nahöstlichen Krisenbogen wird, ist das Land nicht gefährlicher als andere europäische Länder. Terroranschläge gibt es leider überall in Europa.

Das gilt zuallererst für İstanbul und die Ferienregionen am Mittelmeer. Allen Terrordrohungen und Islamisierungsversuchen zum Trotz, ist İstanbul die lebendige, quirlige Metropole geblieben, die sie seit Jahrzehnten ist. Zwar haben sich die Gegensätze im persönlichen Lebensstil verschärft, ist die Abgrenzung zwischen eher säkularen und eher religiösen, konservativen Stadtteilen deutlicher geworden, doch nach wie vor sind alle Lebensstile vorhanden und die wechselseitige friedliche Duldung funktioniert im Alltag trotz aller politischer Polarisierung weiterhin erstaunlich gut. İstanbul ist nach wie vor der Schmelztiegel der Türkei, die Metropole, in der Menschen aus allen Teilen des Landes mit den unterschiedlichsten religiösen Bekenntnissen und politischen Haltungen zusammenleben. Daran haben auch die heftigen Auseinandersetzungen im Jahr 2013 um den Gezi-Park im Zentrum der Stadt nichts geändert. Zwar hat die Erdoğan-Regierung die Massenproteste damals niederschlagen können, aber die Menschen, die sie getragen haben, sind noch da und ihr Widerspruchsgeist ist nach wie vor lebendig.

So wenig es der kemalistischen Partei Atatürks in den ersten 80 Jahren der türkischen Republik gelungen ist, aus der Türkei eine durchformierte säkular-nationalistische Gesellschaft zu machen, so wenig wird es Erdoğan und seiner islamischen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt) gelingen, die Türkei durchgängig nach ihrem Bilde zu formen. Denn so wenig es den Kemalisten gelingen konnte, jahrhundertealte religiöse Traditionen auf Dauer zu unterdrücken, so wenig wird es der AKP in ihrem gesellschaftlichen Rollback nun gelingen, 80 Jahre laizistischer Weltanschauung und der dazugehörigen Orientierung an Europa vergessen zu machen. Ich bin mir sicher: Aus der Türkei ist kein orientalischer Staat mehr zu machen.

Drei Länder in einem


Das liegt nicht zuletzt auch an den großen geografischen, kulturellen und materiellen Unterschieden, die das Land prägen. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen ist nach zehn Jahren Wirtschaftswachstum zwar von jährlich rund 4000 Dollar auf rund 10 000 Dollar gestiegen, doch der Reichtum ist nach wie vor extrem ungleich verteilt. In İstanbul gibt es mehr Dollar-Milliardäre als in Hamburg oder München und gleichzeitig leben von den 15 Millionen Einwohnern mindestens ein Drittel in bitterer Armut. İstanbul ist darin ein getreuer Spiegel des Landes.

Ein Großteil des gesellschaftlichen und privaten Reichtums konzentriert sich auf den Westen des Landes. In İstanbul und der Marmara-Region bis hin zur südlich des Marmarameeres gelegenen ersten Hauptstadt des Osmanischen Reiches, Bursa, werden allein 50 Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Danach folgt der Großraum İzmir, ebenfalls ganz im Westen des Landes. Während der Westen boomte und die Mitte des Landes wenigstens einige ökonomische Leuchttürme vorweisen kann, stagnierte der Osten auch in den letzten zehn Jahren weitgehend.

Bis heute ist es eine verblüffende Erfahrung, sich in İstanbul in einen der gängigen Überlandbusse zu setzen und das Land von Westen nach Osten zu durchqueren. Wenn man in Van, nach 2500 Kilometern kurz vor der iranischen Grenze ankommt, hat man das Gefühl, nicht ein, sondern drei Länder durchquert zu haben. Es beginnt ganz komfortabel in İstanbul. Ist man erst einmal den Dauerstaus der Megametropole entronnen, fängt eine moderne, allen westeuropäischen Maßstäben standhaltende Autobahn nach Ankara an. Die Straße ist gesäumt von properen Autobahnraststätten und modernen Industrieparks. Doch ab Ankara ändert sich das Bild. Zwar ist in den letzten Jahren auch von Ankara aus in Richtung Osten viel Geld in die Infrastruktur geflossen, doch jenseits der Straßen entfaltet sich wie seit Jahrhunderten scheinbar unverändert das karge anatolische Hochland. Die Besiedlungsdichte nimmt stark ab, die Dörfer jenseits der großen Transportwege sind arm wie eh und je und haben zusätzlich damit zu kämpfen, dass die jungen Leute längst nach İstanbul, Ankara oder İzmir abgewandert sind. Trotz der Bemühungen der AKP-Regierung, die Städte in Zentralanatolien wirtschaftlich zu stärken, ist dies nur an wenigen Plätzen gelungen. Ein Beispiel für eine erfolgreiche wirtschaftliche Modernisierung ist Kayseri, die alte Römerstadt östlich von Kappadokien, die sich zu einem Zentrum der Möbel und Textilindustrie entwickelt...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2017
Reihe/Serie Länderporträts
Zusatzinfo 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Ankara • Bosporus • Diktatur • Erdogan • Erdoğan • Flüchtlingsabkommen • Flüchtlingspolitik • Islam • Islamischer Staat • Istanbul • Kurden • Meyhane • Osmanische Reich • Osmanisches Reich • Recep Tayyip Erdogan • Recep Tayyip Erdoğan • Türkei • Türken
ISBN-10 3-86284-355-6 / 3862843556
ISBN-13 978-3-86284-355-8 / 9783862843558
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