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Mein geheimes Tagebuch (eBook)

März - Juli 1943
eBook Download: PDF | EPUB
2016 | 1. Auflage
203 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-68831-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein geheimes Tagebuch -  Klaartje Zwarte-Walvisch
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Am 22. März 1943 dringen 'Judenjäger' in das Amsterdamer Haus von Klaartje de Zwarte-Walvisch ein. Während sie auf ihren Mann warten, vertreibt sich einer von ihnen mit Klavierspiel die Zeit. Die Hölle beginnt langsam. Die Registrierung erweist sich als Internierung, und der neue Wohnort ist in Wirklichkeit ein Konzentrationslager. Das erst vor wenigen Jahren entdeckte Tagebuch der jungen Jüdin Klaartje de Zwarte-Walvisch ist in mehrfacher Hinsicht ein Wunder: Sie kann fast täglich protokollieren, was sie erlebt, ohne entdeckt zu werden. Kurz bevor sie den Zug in ein Vernichtungslager besteigt, übergibt sie das Tagebuch heimlich einem Verwandten, dem gegen alle Wahrscheinlichkeit die Flucht gelingt. Mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende werden die Hefte in seinem Nachlass entdeckt. Ein Wunder sind die Aufzeichnungen aber vor allem, weil es kein zweites Zeugnis gibt, das so furchtlos und unbefangen, so wütend und fassungslos und zugleich mit so viel Witz und Ironie schildert, welches Schicksal die niederländischen Juden zu erleiden hatten.

Klaartje de Zwarte-Walvisch, geboren 1911, arbeitete in Amsterdam als Näherin und heiratete 1934 den Lagerarbeiter Joseph de Zwarte. Im März 1943 wurden beide in das Konzentrationslager Herzogenbusch (Kamp Vught) deportiert. Am 16. Juli 1943 wurde sie in Sobibór ermordet.

Klaartje de Zwarte-Walvisch, geboren 1911, arbeitete in Amsterdam als Näherin und heiratete 1934 den Lagerarbeiter Joseph de Zwarte. Im März 1943 wurden beide in das Konzentrationslager Herzogenbusch (Kamp Vught) deportiert. Am 16. Juli 1943 wurde sie in Sobibór ermordet.

Cover 1
Titel 3
Impressum 4
Inhalt 5
Tagebuch: 22. März – 4. Juli 1943 7
Notizbuch 9
Erstes Heft 91
Zweites Heft 107
Drittes Heft 143
Das geheime Tagebuch einer jüdischen Näherin: Von Ad van Liempt 167
Nachwort zur deutschen Ausgabe: Von Leon de Winter 183
Anhang 187
Editorische Bemerkungen: Von Ariane Zwiers 189
Zur Übersetzung 191
Worterklärungen 193
Bildnachweis 199
Autoren, Editorin und Übersetzerin 201
Zum Buch 203
Über die Autorin und die Autoren 203

Erstes Heft


24. Mai

Gestern war wieder ein Tag das Elends, wie es übrigens viele gibt. Es vergeht beinahe kein Tag mehr, ohne dass etwas passiert, was sich auf ewig in unser Gedächtnis eingräbt. Am Samstagabend brauchten wir keine Steine zu schleppen, aber es wurde uns mitgeteilt, dass am Sonntagmorgen von acht bis zwölf Uhr Besuch kommen sollte. Das war dann zugleich auch, um Abschied von denen zu nehmen, die nach Westerbork sollten. Die meisten von ihnen wussten am Samstagabend noch nicht, dass sie am Sonntag aufbrechen würden. Das war eine «Überraschung». Am Sonntagmorgen um halb sechs wurden die Namen bekannt gegeben. Frauen, die nicht im Entferntesten hätten vermuten können, dass sie wegmussten, erschraken sehr, als sie hörten, wie ihr Name aufgerufen wurde. Tiefe Bestürzung. Nervenzusammenbrüche – etwas, woran ich mich inzwischen schon gewöhnt hatte. Den ganzen Tag gab es ein einziges hektisches Gerenne. Die Sachen mussten gepackt werden. Das Gepäck, das sich im SS-Magazin befand, würde man nachschicken, hieß es. Wir wussten sehr gut, dass das nie passieren würde. Was sie einmal in den Händen hatten, gaben sie nicht wieder her. Es wurde ein verrückter Tag. Erst am Morgen die ganze Unruhe mit dem Besuch. Ich setzte mich ganz gemütlich auf mein Bett und schrieb. Ich würde sowieso keinen Besuch bekommen, mein Mann war ja schließlich in Moerdijk.

Der ganze Besuch interessierte mich nicht, und ich hatte mir auch fest vorgenommen, mich nicht mit dem Transport nach Westerbork zu befassen. Jedes Mal, wenn ich wieder so einen Transport mitgemacht hatte, wirkte die Aufregung noch lange in mir nach. Darum wollte ich mich dieses Mal heraushalten. Aber nicht alles, was man sich vornimmt, lässt sich immer in die Tat umsetzen. Ich blieb beinahe den ganzen Tag im Schlafsaal, weil ich einfach nichts sehen wollte, aber ich hörte umso mehr. Als die Menschen Abschied voneinander nehmen mussten, war es wieder die reine Hölle. Ich hörte Stöhnen und Schluchzen. Mütter wollten ihre Kinder nicht loslassen, und als ich dem Kopf unter die Decken steckte, um von allem nichts mehr hören zu müssen, drang von draußen das Schluchzen immer noch zu mir durch. Eine sehr gute Freundin von mir, von der ich schon einmal geschrieben habe, als sie in einer Nacht so schlimm krank geworden war, konnte hier nicht gesund werden und wurde wie die anderen auf Transport geschickt. Sie sollte ins Krankenhaus in Westerbork gebracht werden. Wir alle wussten, sie würde nie wieder gesund werden. Ich zweifelte sogar daran, dass sie überhaupt lebend dort ankäme. Diese Frau, mit der ich in Amsterdam so viele schöne Dinge erlebt habe, ist hier unheilbar krank geworden. Ein Rätsel. Immerzu musste ich an die schreckliche Nacht denken, die ich mit ihr zusammen verbracht hatte. Diese Nacht würde ich nie wieder vergessen. Nie im Leben. Deswegen war es mir auch unmöglich, Abschied von ihr zu nehmen. Umso mehr, als ich vor einer Woche in den Krankensaal gegangen bin, um sie zu besuchen. Ich war davon ausgegangen, sie auf dem Wege der Besserung anzutreffen, und erschrak sehr, als ich hörte, wie schlecht es ihr ging. Sie war fast nicht wiederzuerkennen, und sie sah so aus, wie sie in dieser bewussten Nacht ausgesehen hatte. Traurig ging ich aus dem Krankenhaus weg. Draußen traf ich ihre Nichte, die sehr weinte, als sie mich sah. Ich ließ sie sich ausweinen, denn was hätte ich ihr auch sagen sollen? Ich war selbst so traurig; es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte alles aus mir herausgeschrien. Sie berichtete mir von der unheilbaren Krankheit, und auch davon, dass die Patientin darüber sehr gut Bescheid wusste. Das war das letzte Mal, dass ich bei ihr war. Ich konnte mich nicht von ihr verabschieden. Am Morgen schrieb ich ihr einen Brief. Am Mittag hörte ich, dass sie sehr tapfer war, als sie auf Transport ging. Das war das Ende des Dramas. Manchmal frage ich mich, wie das alles überhaupt möglich ist. Dass jemand, der gesund und in guter Verfassung sein Haus verlässt, so entsetzlich krank wird, dass er nie wieder gesund werden kann. Obwohl ich von dem Transport selbst nichts gesehen habe, habe ich umso mehr davon gehört. Am folgenden Tag wurde mir klar, dass wieder viele Freunde und Bekannte weg waren. Und trotzdem, das Leben geht weiter. Wir ließen alles sehr schnell hinter uns, denn wir wussten, dass es noch nicht zu Ende war. Immer wieder würden weitere Transporte abfahren, also würden wir bei jedem Transport dasselbe durchmachen. Wir gewöhnten uns langsam daran.

Heute, am Montag, wurde in allen Baracken bekannt gegeben, dass wir unseren Schmuck abgeben mussten, zum Beispiel Eheringe, Armbänder usw. Hier passiert wirklich jeden Tag etwas anderes, und doch gleicht ein Tag dem anderen. Auf den ersten Blick würde man gar nicht sagen, dass hier täglich so viel passiert. Aber es ist so. Die Baracken wurden kontrolliert. In dieser hier war es nicht «sauber» genug. Das konnte vorkommen. Und auch, wenn es sauber war, war nicht alles in Ordnung. Zur Abwechslung müssen wir jetzt um vier Uhr aufstehen, denn um fünf Uhr ist Appell. Nicht mehr auf dem Weg, der die Baracken entlangführt, sondern auf dem großen Exerzierplatz. Der Wegrand wurde eingezäunt, dort dürfen wir nicht mehr sitzen, wenn das Wetter gut ist. Es wäre auch zu schön gewesen.

So konnte das nicht bleiben, dass wir in der Sonne hätten liegen dürfen. Jetzt ist es vorbei mit dem Spaß, und wir können nur noch ein bisschen auf und ab laufen oder in der Baracke bleiben. Es sind Tage, die den Geist töten. Und sie sind so lang. Die meisten kriechen, wenn sie vom Appell kommen, noch schön ein paar Stunden wieder ins Bett, weil es auch einfach zu lächerlich ist, um vier Uhr aufstehen zu müssen. Jetzt müssen wir in Fünferreihen vor unserer eigenen Baracke antreten, und dann marschieren wir zum großen Exerzierplatz. Das sorgt allerdings für einige Ablenkung, denn jetzt sehen wir die Männer auch beim Appell direkt vor uns. Auch die Häftlinge ziehen da vorbei, und dann kann ich zumindest im Vorübergehen einige Bekannte begrüßen. Hin und wieder bekommt einer von ihnen einen kräftigen Schlag auf den Hintern.

Gestern war wirklich ein schöner Abend. Unsere Lagerleiterin hatte Geburtstag, und ihr zu Ehren wurde ein Kabarett aufgeführt. Die besten Künstler aus dem Lager hatten sich zusammengetan und eine hübsche Revue einstudiert. Das lenkte uns tatsächlich etwas ab, denn ein Mensch braucht nun einmal von Zeit zu Zeit ein wenig Entspannung. Zwei NSB-Leiterinnen[] waren anwesend. Das war an sich nicht so gut, weil man sich mit einigen Ausdrücken zurückhalten musste. Ab und zu bekamen sie aber ordentlich etwas ab. Eine unserer Lagergenossinnen, ein freches, respektloses Ding, trug ein so unglaublich dreistes Liedchen vor, dass wir alle laut lachen mussten, aber es war ganz deutlich gegen die beiden gerichtet, und ich glaube, das merkten sie auch sehr gut. Wir wurden allerdings so übermütig, dass wir fröhlich aus voller Kehle mitsangen und dabei hin und wieder vergaßen, dass wir Gefangene waren. Es war ein nettes Grüppchen, das uns an diesem Abend aufmunterte, und wieder war ich von der Haltung der jüdischen Frauen beeindruckt. So voller Energie und so voller Mut bei so viel bitterem Leid um uns herum. Trotzdem gaben an diesem Abend alle ihr Bestes, und das nur, um uns für eine kurze Zeit das ganze Elend vergessen zu lassen. Sie verdienten dafür auch tatsächlich großes Lob und erhielten dementsprechend herzlichen Applaus. Um elf Uhr gingen wir zufrieden ins Bett. Ich lag noch eine Weile wach und dachte über viele Dinge nach. Ich dachte an meine Familie, und wie es allen wohl ergangen war. Vielleicht machten sie sich ja große Sorgen um uns, während wir Spaß hatten. Und ich dachte an die tausend Männer da draußen in Moerdijk. Auch von ihnen wusste ich, dass sie an uns dachten. Dass jeder Brief, den sie ihren Frauen in Vught schickten, ein Hilfeschrei war. Ein Schrei der Sehnsucht danach, wieder bei ihren Frauen zu sein. Sie litten Hunger. In jedem Brief baten sie um Brot. Und wo sollten wir das hernehmen? Wenn wir keine Päckchen bekamen, hatten wir selbst Hunger, aber wir versuchten trotzdem, so viel wie möglich nach Moerdijk weiterzuschicken. Außerdem hatten die Männer gehört, dass die Frauen Steine geschleppt hatten. Das fanden sie sehr schlimm, denn wie es tatsächlich gewesen war, wussten sie nicht. Es hatte keinen Sinn, ihnen davon zu schreiben, und warum hätten wir ihnen ihr Schicksal noch erschweren sollen? Das alles ging mir durch den Kopf, bis ich schließlich doch noch einschlief. Es muss etwa halb drei gewesen sein, als wir plötzlich von einem lauten Schlag geweckt wurden. Ob eine Bombe gefallen oder vielleicht ein Flugzeug abgestürzt war, wussten wir nicht. Wir wussten nur, dass gerade etwas Schlimmes passierte. Fenster sprangen entzwei, und ein Gedröhne von Flugzeugen über den Baracken. Draußen sahen wir ein Flammenmeer. Ein paar Frauen fielen von der dritten Etage aus den Betten. Eine Stimmung der Panik drohte zu entstehen, denn viele begannen sofort zu schreien und waren völlig hilflos, aber zum Glück war die Ordnung bald wiederhergestellt. Schnell zogen wir uns an, aber alles geschah im Dunkeln, denn es durfte kein Licht brennen, nur ein paar Kerzen. Die Erste Hilfe...

Erscheint lt. Verlag 29.2.2016
Übersetzer Simone Schroth
Vorwort Ad Liempt, Leon Winter
Zusatzinfo mit 7 Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Amsterdam • Antisemitismus • Aufzeichnungen • Biografie • Holocaust • Klaartje de Zwarte-Walvisch • Konzentrationslager • Nationalsozialismus • Niederlande • Quelle • Vernichtungslager
ISBN-10 3-406-68831-4 / 3406688314
ISBN-13 978-3-406-68831-7 / 9783406688317
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