Mutter, Spender, Kind (eBook)
224 Seiten
Links, Ch (Verlag)
9783862843039 (ISBN)
Immer mehr Frauen gründen heute Familien ohne einen festen Partner. Warum entscheiden sie sich dafür? Welche Möglichkeiten stehen ihnen zur Verfügung? Was bedeutet das für die Kinder und für unsere gesamtgesellschaftliche Entwicklung? Darauf antworten die Frauen, Männer und Experten in diesem Buch.
Jahrgang 1970, studierte Slawistik und Allgemeine Sprachwissenschaft und arbeitete unter anderem als Redakteurin, Projektmanagerin, Lektorin und Übersetzerin. Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin.
Wenn der Kinderwunsch wächst,
aber der Partner fehlt
Den Frauen möchte ich sagen: Macht euren Kinderwunsch nicht abhängig vom Wunsch nach romantischer Liebe.
Eva Illouz
Wie kann es sein, dass Frauen ohne Partner Kinder bekommen wollen? Was geht in diesen Frauen vor? Was ist heutzutage medizinisch möglich, was ist ethisch vertretbar, was ist finanziell machbar? Das sind Fragen, die plötzlich ins Gespräch kommen, wenn es um Singlefrauen geht, die sich ihren Kinderwunsch gezielt erfüllen, und zugleich Fragen, die in der öffentlichen Debatte kaum auftauchen. Fragen, mit denen sich sehr viele Menschen nie zuvor auseinander gesetzt haben.
Auch Singlefrauen mit Kinderwunsch haben sich in der Regel nicht mit diesem Thema beschäftigt – bis zu einem bestimmten Punkt in ihrem Leben. Dem Moment, in dem ihr Kinderwunsch so stark und allgegenwärtig wurde, dass er sich nicht mehr verdrängen ließ, sie aber keinen Partner an ihrer Seite hatten, der mit ihnen Kinder bekommen wollte. »Ich wollte immer Kinder haben.« Mit diesem Satz beginnt fast jede der porträtierten Frauen ihre Geschichte. Damit passen sie so gar nicht in die Schublade von Karrierefrauen, denen kurz vor den Wechseljahren einfällt, dass ihnen noch ein Kind zur Vervollkommnung ihres durchgestylten Lebens fehlt. Im Gegenteil, die meisten der Frauen, die ich kennengelernt habe, haben sich nicht vordergründig auf die Karriere konzentriert, sondern auf die Familiengründung. Wer also sind diese Frauen, die sich entscheiden, als Single Mutter zu werden? Die Kulturanthropologin Linda Layne vom Rensselaer Polytechnic Institute in New York kam 2011 in einer Vergleichsstudie zwischen den USA und Großbritannien zu der Charakterisierung, dass es sich in den USA in der Regel um heterosexuelle, weiße, gebildete, finanziell gut gestellte Frauen über 35 Jahre handelt, die vorrangig in Städten leben. Drei Viertel der US-amerikanischen Singlefrauen werden durch Insemination mit dem Sperma eines offenen Spenders schwanger, die anderen haben einen Spender aus dem Bekanntenkreis oder adoptieren ein Kind. In Großbritannien sind die Frauen im Durchschnitt etwas älter und müssen deshalb eher auf invasive Methoden wie eine In-vitro-Fertilisation zurückgreifen. Für Deutschland liegen keinerlei Studien vor. Jedoch scheint mir die Situation so ähnlich wie in Großbritannien zu sein.
Neben dem Vorwurf, es handele sich um Karrierefrauen, kommen zwei weitere Klischees üblicherweise ins Gespräch, wenn es um Singlefrauen mit Kindern geht. Zum einen existiert das Bild der überforderten alleinerziehenden Mutter, die von Sozialleistungen lebt. Die Singlefrauen, die ich kennengelernt habe, passen jedoch auch nicht in diese Schublade, mehr dazu im Kapitel über Alleinerziehende und Netzwerke. Die dritte Zuschreibung – Frauen, die es durchziehen, als Single ein Kind zu bekommen, seien engagierte Feministinnen, Männerhasserinnen, Aktivistinnen für die öffentliche Zurschaustellung der Macht der Frauen – trifft ebenfalls nicht zu. Im Gegenteil, die meisten Frauen sind sehr geprägt von dem konventionellen Familienbild, das sie selbst nicht leben. Sie scheuen die Öffentlichkeit, leben unauffällig und angepasst, es könnte sich um die nette Frau von nebenan oder die sympathische Grundschullehrerin im Reihenhäuschen handeln.
Manche Frauen haben lange nach ihrem Traumprinzen gesucht, ihre Zeit mit Dates und in Partnerschaftsbörsen verbracht, um endlich den richtigen Mann zu finden, der bereit wäre, den Traum von einer Familie mitzuträumen. »Ich probierte so ziemlich alles, was Internet, Zeitungen und Blind Dates hergaben«, erzählt Susanne von ihrer verzweifelten Suche nach Mr. Right in ihren Dreißigern. Und eines Tages tickt die biologische Uhr dann so laut, dass die Frau zu überlegen beginnt, ob der Traumprinz denn wirklich zur Erfüllung des Kinderwunsches notwendig ist. Die Liebe ist »am kompliziertesten für Frauen, die Familienleben mit Romantik […] kombinieren wollen«, hat die Soziologin Eva Illouz einmal in einem Interview gesagt.
Andere Frauen haben jahrelang in Beziehungen mit einem Später-vielleicht-mal-Partner gelebt, einem Mann, der den Kinderwunsch nicht teilte, aber nie ein klares Nein äußerte, weil ihm die Beziehung wichtiger war als der Respekt für den tiefen Kinderwunsch seiner Partnerin. Es kostet Kraft, sich entscheiden zu müssen zwischen der Liebe zu einem Mann und dem Wunsch nach einem Kind. Viele Frauen mit Mitte 30 haben das durchlebt, sich getrennt oder sich doch nicht lösen können, bis sie an den Punkt gelangten, an dem sie sich entschieden: gegen die reale Beziehung, für die Realisierung des Kinderwunsches. Als selbstgewählte Mutterschaft von Frauen, die Single durch die Lebensumstände geworden sind, bezeichnen die Soziologin Vasanti Jadva und ihre Co-Autoren diese beiden Konstellationen in ihrer Studie Mom by choice, single by life’s circumstance von 2009.
Doch es gibt auch Frauen, für die eine Partnerschaft nie das primär Erstrebenswerte in ihrem Leben war, Frauen, die sich allein wohler fühlen als in einer Beziehung. »Ich habe nicht entschieden, Single zu sein, es ist einfach so passiert«, beschreibt Flora ihre Lebenssituation am Beginn ihres Weges zur Singlemutter. Für Nadine steht fest, dass sie keinen Mann in ihrem Leben braucht, auch als Mutter nicht – eine Beziehung ist nichts für sie. Und es gibt Frauen wie Katharina, die keine Männer, sondern Frauen lieben, die aber auch keine Partnerinnen finden, die ihnen bei der Umsetzung des Kinderwunsches zur Seite stehen.
Egal wie unterschiedlich die Lebensentwürfe, das Alter und die Vorgeschichte der einzelnen Frauen sind, irgendwann begannen sie alle, nach ihrem eigenen Weg zum Kind zu suchen. Bei manchen war das ein Prozess über Jahre, ein in der Jugend im Scherz hingeworfener Satz wie »Dann geh ich eben zur Samenbank«, aus dem tatsächlich Ernst wurde. Bei manchen war es ein plötzliches Aha-Erlebnis, ein Gespräch mit einer Freundin oder eine Reportage über dänische Kinderwunschkliniken, die Singles behandeln. Die Erkenntnis, dass sich Elternschaft von Partnerschaft entkoppeln lässt, kann enorm befreiend wirken und Energie freisetzen.
Wie kann es sein, dass Frauen wegen eines fehlenden Partners nach anderen Wegen suchen, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen, und es andererseits ausreichend Männer gibt, die Samen spenden, aber keine Verantwortung übernehmen wollen? Ich kann diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten. Eva Illouz ist der Meinung, dass dies ein Phänomen der gesellschaftlichen Entwicklung ist. In der Moderne bestehe keine Notwendigkeit mehr für eine klassische, konventionelle Bindung, da Frauen und Männer nicht mehr ökonomisch voneinander abhängen. Die einzige Situation, in der Frauen einen Partner brauchen, ist, wenn sie einen Kinderwunsch haben. Als Feministin gibt Eva Illouz den Frauen einen eindeutigen Rat: »Macht euren Kinderwunsch nicht abhängig vom Wunsch nach romantischer Liebe. Wenn ihr Kinder wollt, bekommt sie allein – oder in einer Gemeinschaft mit anderen Frauen, die ebenfalls Kinder wollen. Oder mit Männern, die Kinder wollen, aber nicht eure Partner sind. Es braucht keine traditionelle Familienstruktur, um Kinder aufzuziehen.«
Eine aktuelle politikwissenschaftliche und familiendemografische Analyse der Situation in Deutschland liefert Stefan Fuchs in seinem gerade erschienenen Buch Gesellschaft ohne Kinder. Er kann Zahlen anführen, die belegen, dass tatsächlich »markante geschlechtsspezifische Unterschiede« existieren. Der Kinderwunsch der Singlemänner ist »extrem niedrig, mehr als zwei Drittel von ihnen wollen kinderlos bleiben […]. Keine andere Gruppe weist einen auch nur annähernd vergleichbar schwachen Kinderwunsch auf.« Andererseits »liegt der Kinderwunsch der Singlefrauen nicht unter dem der Frauen in […] Paarbeziehungen«.
Singlefrauen müssen also nach Alternativen zur herkömmlichen Familiengründung suchen. Welche Auswirkungen wird diese neue Art der Familiengründung auf unsere Gesellschaft und auf die nachwachsende Generation haben? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich das noch nicht klar beantworten. Ich kann dafür die ganz persönlichen Schicksale der Menschen zeigen, die diesen Trend ausmachen. Die Singlefrauen, die diesen Weg gegangen sind, haben sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht.
Wenn Singlefrauen an dem Punkt angekommen sind, an dem sie nach alternativen Wegen suchen, beginnt ein langwieriger Entscheidungsprozess. Sie recherchieren, welche Möglichkeiten es gibt. Sie überlegen, welche dieser Möglichkeiten für sie in Frage kämen. Sie fangen an, ihren Kinderwunsch zu hinterfragen: Wie dringend ist mein Kinderwunsch? Darf ich bewusst ein Kind planen, wohl wissend, dass es ohne seinen biologischen Vater aufwachsen wird? Bin ich egoistisch? Was nehme ich in Kauf, um meinen Kinderwunsch zu erfüllen? Was mute ich dem Kind damit zu? Sie horchen in sich hinein, lesen, grübeln. Der Prozess des Abschiednehmens vom »Gesamtpaket« ist anfangs oft verbunden mit dem Gefühl, versagt zu haben. »Was ist nur schief gelaufen, dass ich vor dem Rechner sitze und Samenspende google?«, fragt sich die 38-jährige Ilka, eine Bürokauffrau aus der norddeutschen Provinz, in ihrem Tagebuch. Sie will sich nicht mit ihrer Kinderlosigkeit abfinden: »Der Gedanke, kinderlos zu bleiben, war schier unerträglich. Würde dieser Schmerz, den ich jetzt jedes Mal beim Anblick eines kleinen Kindes empfand, jemals aufhören? Oder würde er nicht vielleicht noch zunehmen, wenn ich die Wechseljahre erreicht hätte und die Hoffnung auf...
| Erscheint lt. Verlag | 11.3.2015 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Lebenswelten & Lebenshilfe |
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
| Schlagworte | Adoption • alleinerziehend • Alleinerziehende Mütter • Familie • Kinder ohne Väter • Kinderwunsch • Reproduktionsmedizin • Samenbank • Samenspender • Schwule Männer • SFMK - Singlefrauen mit Kinderwunsch • Singlefrauen • Social Freezing • Spender |
| ISBN-13 | 9783862843039 / 9783862843039 |
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