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Blut und Ehre (eBook)

Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland

Andreas Speit, Andrea Röpke (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
288 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-236-0 (ISBN)

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Blut und Ehre -
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Die rassistisch motivierten Verbrechen des Nationalsozia­listischen Untergrunds (NSU) mit vermutlich zehn Morden und mehreren Bombenanschlägen offenbaren eine neue Dimension rechtsextremer Gewalt. Doch dies ist kein Einzelfall. Seit 1949 haben Rechtsextremisten immer wieder Terrorgruppen gebildet, die nach ähnlichem Muster agierten: konspirative Kleinstzellen, Raubüberfälle zur Geld- und Waffenbeschaffung, Anschläge gegen Migranten, politische Gegner und gesellschaftliche Einrichtungen. Der Blick hinter die Kulissen offenbart, dass die Gewalttäter von gestern und heute keineswegs isoliert tätig sind und dass die von ihnen ausgehende Gefahr von den Behörden jahrzehntelang unterschätzt wurde.
Andrea Röpke und Andreas Speit haben die Szene über viele Jahre beobachtet und frühzeitig auf diese Gefahren hingewiesen. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes legen in bewährt reportageartiger Darstellung einen Überblick zur gesamten Geschichte des rechtsextremen Terrors in der Bundesrepublik vor.

Andrea Röpke: Jahrgang 1965, Politologin und freie Journalistin; Spezialgebiet: Nationalsozialismus und Rechtsextremismus; Veröffentlichung ihrer aufwendigen Inside-Recherchen im Neonazi-Milieu in Fernsehmagazinen wie Monitor, Panorama und Spiegel-TV, in der taz und bei Süddeutsche-Online sowie in Fachportalen wie Blick nach rechts; zahlreiche Auszeichnungen, darunter "Das unerschrockene Wort" (2009) und "Journalistin des Jahres" (Kategorie Politik, 2011). Andreas Speit: Jahrgang 1966, Diplom-Sozialökonom, freier Journalist und Publizist, Kolumnist der taz-Nord, regelmäßige Beiträge für Freitag, blick nach rechts und jungle world, mehrere Auszeichnungen, u.a. durch das Medium-Magazin und den Deutschen Journalisten-Verband. Autor und Herausgeber diverser Bücher zum Thema Rechtsextremismus, darunter "Ästhetische Mobilmachung", Münster 2001; "Ronald Schill - Der Rechtssprecher", Hamburg 2002 und "Europas radikale Rechte" (mit Martin Langebach), Zürich 2013.

Anton Maegerle, Andrea Röpke und Andreas Speit


Der Terror von rechts – 1945 bis 1990


Gruppen radikaler nationalistischer Kräfte – Schüsse auf Rudi Dutschke – Unzählige Bombenanschläge und rechte Terrorgruppen in der Bundesrepublik – Die internationale Gruppe Ludwig – Das Oktoberfestattentat – Kommando Omega – Rechte Gewalt in der DDR

»Dieser Vorgang ist objektiv betrachtet eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden.« Am 21. November 2011 räumte Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das Scheitern der Behörden gegen den Rechtsterror ein. Wenige Tage zuvor, am 8. November 2011, hatte sich Beate Zschäpe mit einem Anwalt in Jena der Polizei gestellt. In der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages musste der damalige Geheimdienstchef eingestehen, dass die Sicherheitsbehörden Gefahren und Entwicklungstendenzen von rechtsextremem Terror nicht ausreichend wahrgenommen hatten. Es durfte nicht sein, was nicht sein sollte: mordende Gruppen von Rechtsextremen, tragende Netzwerke für den Untergrund. Dieses Credo stimmten verschiedene Leiter der unterschiedlichsten Sicherheitsbehören und Verfassungsschutzämter über Jahrzehnte immer wieder an. »Wir haben keine Erkenntnisse, dass es aktuell rechtsterroristische Strukturen in Deutschland gibt«, hatte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, 2004 im Interview mit der Nachrichtenagentur AP verkündet. Hansjörg Geiger führte als BfV-Präsident 1995 in einem Interview mit der Illustrierten »Focus« aus: »Die Rechtsextremisten haben keine Sympathisantenszene, in der braune Terroristen schwimmen können wie die Fische im Wasser.« Die Studie »Rechtsextremismus Nr. 21 – Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklung von 1997 bis Mitte 2004« des BfV spiegelt diese nachhaltige Fehleinschätzung wider. Auf der vorletzten Seite des Dokuments steht: »Derzeit sind in Deutschland keine rechtsterroristischen Organisationen und Strukturen erkennbar«, und das Amt hebt hervor: »Ungeachtet der Tatsache, dass es den ›Bombenbastlern von Jena‹ jahrelang gelungen war, sich ihrer Verhaftung zu entziehen, gibt es keine wirkungsvolle Unterstützerszene, um einen nachhaltigen Kampf aus dem Untergrund heraus führen zu können.« Mit den Bombenbastlern aus Jena ist das spätere NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gemeint.

Ende 2012, nach vielen Sitzungen des Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden im Bundestag, sagte dessen Vorsitzender Sebastian Edathy: »Die Gefährlichkeit eines zunehmend gewaltbereiter gewordenen Rechtsextremismus wurde lange Zeit massiv unterschätzt.« Der SPD-Politiker wurde noch deutlicher: »Man konnte und wollte sich ganz offenkundig nicht vorstellen, dass es in Deutschland organisierten Rechtsterrorismus geben könnte, obwohl es dafür in der Vergangenheit durchaus Anhaltspunkte gab« – eine Vergangenheit, die früh nach 1945 beginnt.

Ein Sammelbecken radikaler nationalistischer Kräfte war seit ihrer Gründung 1949 die Sozialistische Reichspartei (SRP). Pate stand ein Mann, der die erstarkende Neonazi-Szene zeitlebens mitprägen sollte: Otto Ernst Remer, ehemals als Kommandeur des Wachbataillons »Großdeutschland« an der Niederschlagung des Aufstandes gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt. Kein Einzelfall, die Partei erhielt großen Zulauf von alten Nationalsozialisten. Eine Schlagzeile in der Parteizeitung der SRP, »Deutsche Opposition«, vom April 1952 lautete: »Remers Programm: Kampf bis zum Umfallen gegen das Bonner Regime«. Auf einer Pressekonferenz im Mai 1950 verherrlichte der Parteivorsitzende Fritz Dorls die Zeit von 1933 bis 1945 gar als »Höhepunkt einer revolutionären Entwicklung des Abendlandes« und die Konzentrationslager und Gaskammern als »revolutionäre Methodik dieser Epoche«. Die »Süddeutsche Zeitung« berichtete kurze Zeit später, dass in München sogenannte »Rollkommandos« der SRP gegründet worden seien, die den Schutz bei Veranstaltungen übernehmen und deren Mitglieder Uniformen mit Armbinden und Parteiabzeichen tragen würden. Im Herbst 1952 erfolgte das Verbot der SRP durch das Bundesverfassungsgericht wegen der Wesensverwandtschaft der Partei zur NSDAP. Dorls plante daraufhin, die Partei im Untergrund weiterzuführen, floh dann aber nach Ägypten, wo er für den deutschen Verfassungsschutz tätig gewesen sein soll. Nach seiner Rückkehr Mitte der 1950er Jahre wurde er als einer der ersten Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Organisation 1957 zu einer Haftstrafe verurteilt.

Im Dezember 1952, keine zwei Monate nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei, schloss sich im Gasthaus »Schützenhof« im niedersächsischen Wilhelmshaven deren ehemalige Reichsjugend mit Teilen der Deutschen Unitarischen Jugend und der Vaterländischen Jugend zur Wiking-Jugend (WJ) zusammen. Walter Matthaei bestimmten die Anhänger zum ersten Bundesführer, schon mit dabei waren die späteren Chefs Raoul und Wolfgang Nahrath. Es sei die Zeit gewesen, »in der der mutige Einzelkämpfer sich im Durcheinander des Zusammenbruchs behauptete«, hieß es im »Wikinger« 1971 rückblickend. »1945 brach nicht nur das Reich zusammen, sondern mit ihm die größte einheitliche, von einem ungeheuren Idealismus getragene Jugendbewegung aller Zeiten (...)«, schrieb ein Kamerad aus der Gründergeneration der WJ. Seit der Gründung, nur sieben Jahre nach dem Verbot der Hitlerjugend, gelang es militanten rechten Kräften, 42 Jahre lang die Neonazis von morgen im Verborgenen zu drillen, ihren soldatischen Gehorsam und rassistischen Größenwahn zu schärfen. Tausende von Jungen und Mädchen, vor allem aus NS-treuen »Sippen« in Westdeutschland, gingen durch deren harte Schule mit Frühsport, Gewaltmärschen, Lagerfeuerromantik, Mut- und Messerproben sowie politischen Schulungen. Nach eigenen Angaben will die Wiking-Jugend 15 000 Kinder und Jugendliche geschult und gedrillt haben. Führende Kader wie der NPD-Bundesvize und -Landtagsfraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, marschierten in deren Reihen mit. Der NPD-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Stefan Köster aus Mecklenburg-Vorpommern trommelte bei ihnen. Andere WJ-Mitglieder wurden später als Terrorakteure bekannt. Die Organisation propagierte die »Zurückdrängung des Fremdrassigen«, die »Verhinderung der Vermehrung von Minderwertigen« zum Schutz »deutscher Volkssubstanz« und forderte gar einen gelben Stern zur Kennzeichnung von jüdischen Mitbürgern. Schießen stand ebenso wie »Erbgesundheitspflege« auf den Plänen für die Jugendfahrten. Ein Technischer Dienst (TD) im Inner Circle der WJ-Organisation agierte bis 1994 – nicht nur zur Vorbereitung von Lagern. Aus deren Reihen heraus gab es immer wieder gewaltsame Übergriffe. Waffen wurden gehortet. WJ-Gründer Matthaei zog Mitte der 1950er Jahre nach Spanien, er war wegen seiner Homosexualität in Ungnade gefallen. Militärischen Zielen blieb der Altnazi treu: Auf seiner Finca El Tiemblo in der Provinz Ávila soll die terroristische Spanische Jugendbrigade an Maschinenpistolen und Gewehren aller Kaliber ausgebildet worden sein.

In den 1950er Jahren mehrten sich die Anzeichen dafür, dass das »nationale Lager« sich regenerierte und an Mobilisierungskraft gewann. Das Verbot der SRP hatte den politischen Spielraum der nationalen Opposition zunächst eingeschränkt, erklärt Gideon Botsch, Politikwissenschaftler der Universität Potsdam. Aus deren Perspektive stand zu befürchten, dass es im Schatten von Wirtschaftswunder, Kaltem Krieg und einer als »Umerziehung« empfundenen Demokratisierung zu einem Kontinuitätsbruch kommen würde, der schließlich das Ende der völkischen und nationalistischen Tendenzen insgesamt mit sich bringen könnte. So kam den gegründeten Jugendverbänden des nationalen Lagers die wichtigste Funktion zu. Über sie konnte sich die »Bewegung« nach den Verbrechen des Nazi-Regimes überhaupt neu entwickeln, sie wurden zur »kommenden Kraft« stilisiert. Begeisterungsfähigkeit, rebellische Grundhaltung und die Möglichkeit zur Beeinflussung junger Leute, so Botsch, bildeten einen weiteren Grund für die intensive Jugendarbeit nationalistischer Strategen. In den 1960er Jahren kristallisierten sich die Wiking-Jugend und der konkurrierende Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) heraus. Sie erlangten überregionale Bedeutung. Beide Gruppen ordneten sich politisch nah der 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) an, einige Nachwuchskader übernahmen Doppelfunktionen.

Am 2. Januar 1971 verübte eine »Odalgruppe«, die das gemeinsame Symbol von Wiking-Jugend und Bund Heimattreuer Jugend, die Odalrune, nutzte, einen Sprengstoffanschlag auf ein Redaktionsbüro der DKP-Zeitung »Unsere Zeit« in Hamburg. 1976 griffen etwa 60 Teilnehmer eines WJ-Sommerlagers Journalisten des WDR-Magazins »Monitor« an und zertrümmerten Kamera und Auto des Drehteams. Den späteren Chef des Bundesordnungsdienstes der NPD, Manfred Börm, verurteilte das Landgericht Koblenz im Februar 1979 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe. Er hatte einen Pfahl in das Fahrzeug des WDR-Teams gerammt. Es sollte nicht seine letzte Straftat gewesen sein. Immer wieder griffen WJ-Anhänger im Laufe der Jahre Journalisten an.

Bereits kurz vor dem Ende der DDR entstand im Sommer 1989 in Dresden im sogenannten Gau Sachsen die WJ-nahe Sachsenjugend. Monatelange Auseinandersetzungen...

Erscheint lt. Verlag 9.9.2013
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Andrea Röpke • Andreas Speit • Anton Maegerle • Beate Zschäpe • Blood and Honour • Böhnhardt • Brandanschläge • Eisenach • Extremismus • Faschismus • Fremdenfeinlichkeit • Gewalt • Hoyerswerda • Identitäre • Jena • Julia Jüttner • Kameradschaft • Morde • Mundlos • Nationalsozialistischer Untergrund • Nazibraut • Nazis • Neofaschismus • Neonazis • NPD • NSU • Pegida • Rassismus • rechte Gewalt • rechts • Rechtsextremismus • Reichsbürger • Rostock-Lichtenhagen • Solingen • Szene • Terror • Terrorismus • Uwe • Uwe Böhnhardt • Uwe Mundlos • Verfassungsschutz • V-Leute • V-Mann • Zwickau
ISBN-10 3-86284-236-3 / 3862842363
ISBN-13 978-3-86284-236-0 / 9783862842360
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