Stadtgeschichte Turin
Stadtgründung und Römer
Vermutlich war die Gegend am Zusammenfluss zwischen Po und Dora Riparia bereits im 6. oder 5. Jh. v. Chr. besiedelt. Gesicherte Zeugnisse über eine keltisch-ligurische Siedlung mit Namen Taurasia gibt es allerdings erst aus dem Jahr 218 v. Chr. Da nämlich kam Hannibal samt Elefanten über die Alpen und durch das Susa-Tal und machte den kleinen Ort dem Erdboden gleich. Eine neue Ansiedlung entstand erst wieder unter Augustus im Jahr 28 v. Chr.: Augusta Taurinorum diente den Römern damals hauptsächlich als militärische Festung an einer wichtigen Handelsstraße. Aus dieser Zeit stammen noch die geradlinigen Straßenzüge wie die Via Garibaldi (damals Decumanus Maximus), die Via Roma und die Via Po, außerdem die Porta Palatina sowie die Reste des römischen Theaters neben dem Dom.
Turin- und Alpen-Panorama vom Monte dei Cappuccini
Unter Savoyer Herrschaft
1033 erbten die französischen Savoyer die Markgrafschaft Susa-Tal und Turin, angefangen mit Amedeo VI (1334-1383), dem „Conte Verde“, bauten sie ihre Macht hier in den folgenden Jahrhunderten beständig aus. Ab etwa 1500 wurde das ganze Piemont dann zum Schauplatz des Machtkampfes zwischen den spanischen Habsburgern und Frankreich, die Savoyer verloren Turin und wurden ins französische Chambéry zurückgedrängt. Erst mit dem Friedensvertrag von Château-Chambrésis im Jahr 1559 erhielten sie Turin und Teile des Piemonts zurück. 1563 ernannte Emanuele Filiberto Turin zur neuen Hauptstadt des Herzogtums.
Es folgte ein beispielloser Auf- und Ausbau einer bis ins letzte Detail geplanten absolutistischen Residenzstadt, der nur kurz durch die Belagerung Turins während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) unterbrochen wurde. Zunächst errichtete man im Nordwesten der Stadt eine neue, wehrhafte Zitadelle (1564), bald darauf wurden die alten römischen Straßenzüge - Via Garibaldi, Contrada Nuova (die heutige Via Roma) und Via Po - zu den neuen Hauptachsen der Stadt erkoren. Die erste Neugestaltungsphase der Stadt fand Ende des 16. Jh. unter dem Militärarchitekten Ascanio Vitozzi (1539-1615) statt, hinzu kamen im frühen 17. Jh. Carlo di Castellamonte (1560-1641) und dessen Sohn Amedeo (1610-1683), die das Bild Turins entscheidend prägten. Zentrum der Macht war damals schon die repräsentative Piazza Castello mitsamt dem damaligen Palazzo Ducale (heute Palazzo Reale), die durch Vitozzi in neuem Glanz erstrahlte. Von Carlo di Castellamonte stammen die überaus harmonische und elegante Piazza San Carlo sowie das Castello di Valentino und der Ausbau des Palazzo Madama, beide im Auftrag von Cristina von Frankreich, der Ehefrau von Vittorio Amedeo I (1587-1637). Zu den Turiner Stararchitekten des 17. Jh. zählte auch Guarino Guarini (1624-1683), der sich besonders um die barocken Kirchen San Lorenzo und Cappella della Sacra Sindone wie auch um die prächtige Barockfassade des Palazzo Carignano verdient gemacht hat.
Auf dem Weg zum Königreich Sardinien-Piemont
Im Spanischen Erbfolgekrieg kam es im Jahr 1706 zur Belagerung Turins durch französische Truppen, die ein einziger Soldat durch Sprengung eines wichtigen Belagerungstunnels der Franzosen abwehren konnte: Zwar zahlte jener Soldat und Turiner Volksheld Pietro Micca seine Tat vom August 1706 mit dem Leben, danach konnten die Belagerer jedoch erfolgreich in die Flucht geschlagen werden. Pietro Micca hat man in der Stadt ein Museum gewidmet, ein Teil der unterirdischen Gänge ist noch heute zu begehen. 1718 wurde den Savoyern von den verbündeten Spaniern auch noch Sardinien zugeschlagen, das Herzogtum Piemont wurde zur Monarchie erhoben, und man nannte sich fortan „Königreich Sardinien-Piemont“. Mit der neuen Machtfülle und einem entsprechenden Status in Europa ausgestattet, war es für Vittorio Amedeo II fast schon eine Notwendigkeit, der Stadt ein neues, dem Machtgewinn angemessenes repräsentatives Aussehen zu verleihen. Vorbilder waren die neuen urbanen Zentren wie etwa Wien, aber auch die französischen Residenzstädte. Mit der erneuten Umgestaltung Turins wurde der Sizilianer Filippo Juvarra (1678-1736) beauftragt, der ab 1714 hier wirkte und für zahlreiche der monumentalen Gebäude (Neubauten und Umbauten) die Entwürfe lieferte: für den Palazzo Madama mit gigantischer Innentreppe an der ebenfalls neu gestalteten Piazza Castello, für das Castello di Rivoli im Westen der Stadt, vor allem aber für die Basilica di Superga (die Grabkirche der Savoyer) und das prächtige Jagdschloss von Stupinigi am südlichen Stadtrand. Auch einige der riesigen Straßenzüge, die die Stadt durchqueren und mit den umliegenden Schlössern der Savoyer verbinden, wurden von Juvarra gebaut bzw. umgestaltet, darunter der schnurgerade Boulevard, der vom Zentrum zum Schloss Stupinigi im Süden der Stadt führt.
Zu einem Baustopp kam es in Turin erst, als Juvarra 1733 zu neuen Herausforderungen nach Madrid aufbrach. In den kommenden - politisch eher ruhigen - Jahrzehnten blieben größere Bauprojekte aus, lediglich die Piazza Palazzo di Città wurde in den 1750ern unter Benedetto Alfieri (1700-1767) neu gestaltet. Damals betrug die Bevölkerung Turins knapp 100.000 Einwohner.
Département Frankreichs
Als die Stadt 1798 von französischen Truppen besetzt wurde, dankte Carlo Emanuele IV ab und zog sich nach Sardinien zurück. Das Piemont wurde zum französischen département, Turin dessen Hauptstadt. Dort entwickelte sich unter französischer Herrschaft ein reges kulturelles Leben, zudem fielen die königlichen Handelszölle und verhalfen der Stadt zu zusätzlichem Wohlstand. Erst nach dem Sturz Napoleons und als Ergebnis der Beschlüsse des Wiener Kongresses (1815) kamen die Savoyer zurück - diesmal unter Vittorio Emanuele I, dessen restaurative Politik das wiedererstandene Königreich Sardinien-Piemont konsequent zum Status quo ante zurückführte. In den folgenden drei Jahrzehnten wurden alle Aufstände blutig niedergeschlagen, erst im europäischen Revolutionsjahr 1848 rangen die Piemontesen ihrem König Carlo Alberto eine Verfassung ab.
Die italienische Einigungsbewegung
In den 1850er-Jahren war Turin dann das Zentrum der italienischen Einigungsbewegung, denn von hier (und speziell vom piemontesischen Ministerpräsidenten Camillo Graf Benso di Cavour) gingen die entscheidenden politischen Weichenstellungen aus, die 1861 in der Proklamation des italienischen Einheitsstaates unter Vittorio Emanuele II mündeten. Turin, die Hauptstadt des gerade vergangenen Königreichs Sardinien-Piemont, wurde so zwangsläufig zur ersten Hauptstadt des neuen gesamtitalienischen Königreichs. Sofort erfuhr die Stadt einen neuen Bauschub, das ehrgeizigste Projekt war der riesige Bahnhof Porta Nuova nach dem Vorbild von Londons King’s Cross Station.
Auf jedem Platz ein anderer König - oder auch mal ein Dioskur, wie auf der Piazza Castello
Industrialisierung
Nach nur vier Jahren war es jedoch schon vorbei mit der Hauptstadtwürde, die zunächst nach Florenz (1865) und dann endgültig nach Rom (1871) weitergereicht wurde. In Turin hielt derweil die industrielle Revolution Einzug, die Bevölkerung stieg sprunghaft an, und bald entstanden neue Stadtviertel wie z. B. das volkstümliche San Salvario. 1884-1886 baute man zur großen Italien-Ausstellung den Borgo Medievale mit Parco Valentino am Po, bald darauf entstanden die Murazzi del Po und nicht zu vergessen die Mole Antonelliana, das 1889 vollendete Wahrzeichen der Stadt. Zur Jahrhundertwende war auch in Turin Jugendstil gefragt, zu sehen bei zahlreichen prächtigen Villen v. a. im Stadtteil Crimea am rechten Po-Ufer.
Mehr als nur eine Autobauer-Familie: Die Agnellis
Wenn es um Macht und Einfluss im Italien der vergangenen 125 Jahre geht, steht diese Familie ganz oben; wenn es um Reichtum geht sowieso. Die Agnellis gelten gemeinhin als „heimliche Königsfamilie“ der Republik Italien - eine Dynastie wie die Kennedys, voller Glamour und Tragödien.
Als Giovanni Agnelli (1866-1945) aus Villar Perosa bei Pinerolo im Jahr 1899 gemeinsam mit acht Mitstreitern in Turin FIAT gründete, nahm die beispiellose Erfolgsgeschichte einer Industriellenfamilie ihren Lauf. Aus der kleinen Fabrik wurde wenige Jahre später ein enorm erfolgreiches Unternehmen und Agnelli alleiniger Direktor. Er pflegte von Anfang an beste Beziehungen zur Politik, lieferte im Ersten Weltkrieg für die Rüstung und machte die „Fabbrica Italiana Automobili Torino“ zum seinerzeit drittgrößten Konzern des Landes. 1923 wurde Agnelli zum Senatore del Regno d’Italia ernannt, er gründete eine Bank, erwarb Teile der Tageszeitung La Stampa und ließ ein Skigebiet aufbauen (Sestriere). Das Privatleben der Agnellis war dagegen auch mit Schicksalsschlägen belegt: Auf den frühen Tod der Tochter 1928 folgte im Jahr 1935 der tragische Unfalltod des einzigen Sohnes mit nur 43 Jahren: Edoardo Agnelli...