Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Die Götter der Straße (eBook)

Per Anhalter mit dem Truck durch Indien
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Polyglott, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
978-3-8464-1010-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Götter der Straße -  Rajat Ubhaykar
Systemvoraussetzungen
7,99 inkl. MwSt
(CHF 7,80)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Seit seiner Jugend in Mumbai ist Rajat Ubhaykar fasziniert von Indiens heimlichen Helden: den furchtlosen Truckern auf den Landstraßen und Highways des Subkontinents. Mit ihnen wollte er unterwegs sein, mit ihren Augen Indien sehen. Es wird eine 10.000 km lange, ungeplante Reise - getragen vom Enthusiasmus für sein nervenzehrendes und gefährliches Unterfangen und dem tiefen Respekt für die Menschen am Steuer, die alles am Laufen halten. Er bleibt stets staunender Beifahrer mit Gespür für starke Details und einem wachen Blick auf den gesellschaftlichen Überbau des ungezähmten Landes. Intensiver als an der Seite von Rajat Ubhaykar lässt sich Indien nicht erleben.

Der indische Journalist und gelernte Elektroingenieur Rajat Ubhaykar verfolgte einen ungewöhnlichen Plan: Einmal mit indischen Lastwagenfahrern das Land durchkreuzen. Alle gängigen Vorurteile seiner Landsleute über die 'Perversen und Trinker am Steuer' selbst überprüfen und sich per Anhalter treiben lassen. Die spektakuläre Reise hat er in seinem literarischen Debüt 'Truck de India - A Hitchhiker's Guide to Hindustan' dokumentiert.

Der indische Journalist und gelernte Elektroingenieur Rajat Ubhaykar verfolgte einen ungewöhnlichen Plan: Einmal mit indischen Lastwagenfahrern das Land durchkreuzen. Alle gängigen Vorurteile seiner Landsleute über die "Perversen und Trinker am Steuer" selbst überprüfen und sich per Anhalter treiben lassen. Die spektakuläre Reise hat er in seinem literarischen Debüt "Truck de India - A Hitchhiker's Guide to Hindustan" dokumentiert.

Hinweis zur Optimierung
Impressum
Prolog
Teil Eins: Sex, Drogen und Nomaden von Mumbai nach Srinagar
Teil Zwei: Aufstand Nagaland und Manipur
Teil Drei: Highway-Wirtschaft von Mumbai nach Kanyakumari
Epilog
Danksagung
Literaturverzeichnis
Glossar
Zitatnachweise
Endnoten
Über den Autor
Leseprobe

Unterwegs mit dem König der Straße


Ich sitze im Truck. Ohne Bitte um göttlichen Beistand oder ein kurzes Ritual schiebt sich der riesige Sattelzug vorsichtig rückwärts hinaus auf die Hauptstraße von Bhiwandi. Shyam tritt aufs Gaspedal, bringt das motorisierte Ungeheuer zum Schnurren – und schon geht es los, hinein in den Sonnenuntergang, Richtung Delhi und weiter!

Nervosität und Vorfreude lassen mein Herz höher schlagen. Es ist eine Fahrt ins Ungewisse, die vor mir liegende Straße erscheint mir wie ein Zwischenort, eine geheimnisvolle Grauzone. Doch was für mich ein verrücktes Abenteuer bedeutet, ist für Shyam ein ganz normaler Arbeitstag.

Die Fahrerkabine bietet Platz für fünf Personen; sie ist geräumiger, als es von außen den Anschein hat. Im Grunde ist es eine riesige Couch auf Rädern, unterteilt von der Mittelkonsole mit der Gangschaltung und geschmückt mit religiösen Bildnissen: einem cartoonhaft wirkenden Foto von Sai Baba und Postern der Götter Shiva, Lakshmi, Sarasvati und Ganesha. In der Mitte des Armaturenbretts befindet sich sogar ein Einsatz für Räucherstäbchen, die jeden Abend vor Sonnenuntergang gewissenhaft entzündet werden. Über den Lüftungsschlitz an der Windschutzscheibe ist eine mit einem nassen Lappen umwickelte Wasserflasche aus Plastik geklemmt. Shyam erklärt mir, dass der Fahrtwind das Wasser kühl hält. Ziemlich clever, denke ich.

Sonnenlicht strömt durch die Windschutzscheibe, durchflutet die Kabine mit den weichen Goldtönen der tief stehenden Sonne. Der Fahrer Karnail Singh alias Shyam ist 45 Jahre alt, ein hochgewachsener, schweigsamer Mann aus Kangra im Bundesstaat Himachal Pradesh. Er trägt ein verblichenes kariertes Hemd und eine graue Nylonhose, in seinem rechten Ohr glänzt ein Ohrring. Sein würdevolles Auftreten, die aufrechte Haltung und die ehrlichen Augen flößen mir Vertrauen ein, und wenn er lächelt, erhellt sich sein ganzes Gesicht.

Der Truck hat eine erstaunliche Vielfalt an Gütern geladen, darunter Möbel, Schuhe und Motorteile. Shyam bezeichnet die Fracht als »Paket-Maal«. Seit seiner letzten Tour nach Delhi wird er von dem quirligen Rajinder begleitet, ehemaliger Lkw-Fahrer, jetzt Mechaniker, leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, Mädchen für alles und treuer Freund in einem. Rajinder ist eine richtige Plaudertasche. Seine Anekdoten zeichnen sich durch einen unklaren Anfang, einen Mittelteil mit vielen Windungen und ein abruptes, unglaubwürdiges Ende aus. Und in mir – einem Autor auf der Suche nach Geschichten vom Leben auf den Straßen – hat er ein dankbares Opfer gefunden.

Was einem an Bhiwandi sofort auffällt, ist der Staub. Metropolen wie Mumbai definieren sich durch die erfolgreiche Tilgung von Staub. Sie werden errichtet, indem man den Schmutz zubetoniert, ihn durch Beton in die Knie zwingt. In Bhiwandi sind die Straßen nur schmale asphaltierte Streifen, kaum erkennbar in dem Staub, den der Wind mit sich trägt.

Es heißt, Bhiwandi wurde von muslimischen Webern gegründet, die nach dem Indischen Aufstand von 1857 gegen die Kolonialherrschaft der Britischen Ostindien-Kompanie hierherflohen. Bis vor Kurzem war Bhiwandi ein unscheinbarer Außenposten Mumbais, bekannt für seine Textilindustrie – und lokale Aufstände. Doch im Lauf des letzten Jahrzehnts haben die unberechenbaren Kräfte des Technologiemarktes die Stadt in ihrer jetzigen Ausprägung geformt.

Durch die rasante Zunahme des Onlinehandels wurde Bhiwandi zum Warenlager Mumbais, was auch seiner vorteilhaften Lage zu verdanken ist – die Stadt befindet sich knapp außerhalb von Mumbais Oktroi-Zone, in der höhere Steuersätze gelten, und direkt an der Kreuzung der National Highways 3 und 8, die nach Nashik beziehungsweise Gujarat führen und weiter nach Agra und Delhi. So verschwanden die Reisfelder unter riesigen, hochautomatisierten Distributionszentren für Onlinehändler wie Amazon und Flipkart. Als Einwohner von Mumbai kann man davon ausgehen, dass alles, was man online ordert, vor der Zustellung mit dem Staub von Bhiwandi in Berührung gekommen ist.

Doch für Shyam bedeutet Bhiwandi nur Diebstähle, Morde und dadagiri, Bandenkriminalität. »Über Nacht kann deine gesamte maal aus dem Lagerhaus verschwinden. Die hiesigen Gangs haben sich auf solche Einbrüche spezialisiert. Sie kommen sogar im Lieferwagen«, sagt er. Wir sind erst wenige Meter über die mit Schlaglöchern übersäte Straße geholpert, als uns auch schon ein Polizist anhält und 400 Rupien für die Erlaubnis verlangt, mit einem Schwerfahrzeug vor neun Uhr abends in die Innenstadt zu fahren. »Zufahrtsgebühr«, erläutert Rajinder. Am Stadtrand parken viele Lkws, die auf die Nacht warten, um sich die 400 Rupien zu sparen. Shyam findet das sinnlos. Am Ende geben die Fahrer während der Wartezeit genauso viel Geld für Essen, Tabak und Trinken aus.

Bald erreichen wir die erste Mautstelle. Ein hijra (Transgender) in einem leuchtend orangefarbenen salwar kameez – einer Pumphose mit Tunika, wie sie meist von Frauen getragen wird – steht direkt neben dem Kassenhäuschen und schwatzt den Truckfahrern mit Wünschen für eine gute Fahrt zehn Rupien ab. »Das bringt dua«, flüstert mir Rajinder zu.

In diesem Fall hätte man keinen besseren Ort finden können, um dua, Segen, feilzubieten. Bhiwandi ist der letzte Knotenpunkt des Highway zwischen Mumbai und Delhi, über den 40 Prozent von Indiens Verkehr fließen und der wichtige Wirtschaftszentren wie Ahmedabad, Surat und Jaipur verbindet. Wie geschaffen, um die Dünnhäutigkeit der Trucker vor dem Wagnis einer neuen Fahrt auszunutzen und damit schnelles Geld zu machen. Mit offizieller Genehmigung der Behörden, wie ich hinzufügen muss. Die Mikroökonomie des Staates Indien kann nämlich in der Praxis durchaus inklusiv sein. Man scheut sich nicht, transidenten Menschen Teilhabe zu gewähren, wenn dabei für alle Seiten etwas herausspringt. In Patna engagierten Finanzbeamte Transgender, die gegen eine Provision von vier Prozent säumige Ladenbesitzer zu Steuernachzahlungen bewegen sollten.

Wir fahren an einer Ingenieurschule vorbei. Rajinder verrenkt sich den Hals nach den Collegemädchen, labt sich noch einmal an ihrem Anblick vor der langen, einsamen Tour. Shyam jedoch hat den Blick fest auf die Straße gerichtet. Er strahlt nicht nur eine beinahe königliche Würde aus, sondern auch eine natürliche und doch liebevolle Autorität, was zu dem hinten auf dem Truck aufgemalten Titel »König der Straße« passt.

Vor allem aber ist sein Musikgeschmack einwandfrei. Unsere Fahrt beginnt mit hämmernden Trucker-Songs aus dem Punjab über verlorene Liebe, das Unterwegssein auf der Straße und das Sich-zu-Tode-trinken – eine Litanei, getränkt in billigen desi daru, Whisky und Rum. Danach folgen ghazals, die man alle mit dem Satz »Eigentlich mag ich Alkohol gar nicht so, ich trinke nur, um meine Sorgen zu vergessen« zusammenfassen kann – einer Zeile aus einem düsteren Song voller Todessehnsucht von Sagar, laut Shyam ein populärer Sänger im Punjab und in Himachal Pradesh.

Interessanterweise bezeichnet sich Shyam als Abstinenzler. Und man sieht es ihm auch an, sein Teint ist bemerkenswert frisch, und er wirkt jünger als 45. Rajinder teilt seine Vorbehalte gegen Alkohol nicht. Er bezeichnet sich als trockenen Alkoholiker, der jedoch immer noch gelegentlich trinkt. Er ist ein schmächtiger Mann, der Inbegriff des unterentwickelten, mangelernährten mazdoor (Gelegenheitsarbeiter). Sein Hemd ist so schmutzig, dass die ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen ist.

Stolz betont Rajinder, dass er sich mit schierer Willenskraft am Leben hält. Dieser Stolz birgt etwas Selbstzerstörerisches, ist aber unentbehrlich, um die grausamen Bedingungen des Arbeiterlebens zu überstehen, vor allem in Indiens informellem Sektor. Rajinder behauptet, tagelang ohne Schlaf auszukommen. Um sein Durchhaltevermögen zu beweisen, kündigt er an, diese Nacht nicht zu schlafen. Shyam quittiert es mit einem ungläubigen Lachen.

Es ist schon dunkel, als wir den Grenzübergang zum Bundesstaat Gujarat erreichen. Mehr als eine Stunde müssen wir warten, bis wir an der Reihe sind. Der Schweiß rinnt uns übers Gesicht. Als wir endlich die Kontrollstelle anfahren, fällt mir auf, dass überall Überwachungskameras hängen; sie sollen es den Beamten erschweren, Schmiergelder zu kassieren. Also werden die Lkw-Fahrer aus dem Sichtfeld der Kameras zu einer Stelle auf dem Parkplatz gewunken, wo die Beamten diskret 100 Rupien als symbolisches Schmiergeld einstecken können.

In Gujarat sind die Highways so glatt und eben, dass ich an die seelenlose Effizienz der Autobahnen in der westlichen Welt denken muss. Das grelle Licht der Straßenlampen und der Scheinwerfer überholender und entgegenkommender Fahrzeuge erinnern an das Flutlicht in einem Fußballstadion, und ich bin wie geblendet.

Doch dann, kurz vor Bharuch, wo der Fluss Narmada ins Meer mündet, geraten wir in einen schier endlosen Stau. Shyam erklärt mir, dass sich der sechsspurige Highway an der Brücke über die Narmada, einem Relikt aus Kolonialzeiten, auf zwei Fahrspuren verengt. Das Ergebnis ist ein gigantisches Verkehrschaos, das zwölf Kilometer bis nach Ankleshwar zurückreicht. Außerdem wird der Schwerverkehr über eine separate neue Brücke geleitet, was bedeutet, dass es für unseren Lkw wegen des Umwegs noch einmal länger dauern wird.

»Und wo sind wir genau?«, frage ich, Schlimmes ahnend.

»Bei Ankleshwar.«

Zwölf Kilometer in diesem Stau. Ich mache mich auf eine lange Wartezeit gefasst.

Zur Ablenkung halte ich mich an die Musik....

Erscheint lt. Verlag 28.9.2023
Reihe/Serie POLYGLOTT Abenteuer und Reiseberichte
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Asien
Schlagworte Abenteuerreise • Abenteuerurlaub • Anhalter reisen • autostop • Güterverkehr • Indien • Indisch • Lastwagen • Lastwagenfahrer • LKW • Reisebericht • Reisebuch • Reiseerlebnisse • Reiseerzählung • Reiseinspiration • Roadtrip • Road Trip • Trampen • Trucker
ISBN-10 3-8464-1010-1 / 3846410101
ISBN-13 978-3-8464-1010-3 / 9783846410103
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 4,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Eine Reise durch den Himalaya

von Erika Fatland

eBook Download (2021)
Suhrkamp (Verlag)
CHF 13,65