Ein Mädchen reitet durch Kanada (eBook)
348 Seiten
Dittrich Verlag
978-3-947373-72-7 (ISBN)
Mary Bosanquet wächst in London auf. Ihr Vater, Vivian Bosanquet, arbeitet im diplomatischen Dienst, war u.a. von 1925-1932 am Britischen Konsulat in Frankfurt. Mary ist Anfang 20, als sie ihre große Reise antritt.
Mary Bosanquet wächst in London auf. Ihr Vater, Vivian Bosanquet, arbeitet im diplomatischen Dienst, war u.a. von 1925-1932 am Britischen Konsulat in Frankfurt. Mary ist Anfang 20, als sie ihre große Reise antritt.
Ich sinne auf Abenteuer S. 7
Endlich auf der Landstraße S. 25
Die Schneegrenze im Juni S. 40
Vom Kaktusgestrüpp zum Hochwald S. 48
Betrachtungen am Berghang S. 59
Tage im Doukhobor-Land S. 64
Über die Selkirks S. 79
Das Camp am Kootenay S. 92
Der letzte Berg S. 100
Präriewind S. 114
Durstiges Land S. 127
Krieg S. 144
Wir reiten in die Wildnis S. 163
Der Winter sitzt uns im Nacken S. 177
Der Große See S. 198
Wir werfen Anker S. 217
Ein Unfall S. 232
Wintertage S. 243
Frühling und Spitzelpsychose S. 261
Die Flußfahrt S. 275
Die letzten Tage in Dayton S. 296
Wir reiten wieder S. 312
Neu-Frankreich S. 325
Ende eines Abenteuers S. 330
Die Bilder S. 348
ICH SINNE AUF ABENTEUER
Es war am zehnten Mai 1938, ehe der zweite große Krieg uns einen Strich durch unser Leben machte; ich fuhr mit einem Siebzehner Bus im strömenden Regen die Bayswater Road hinunter.
Draußen an den Fenstern floß ein dunkler, windiger Londoner Abend vorüber. Auf einer Seite unseres Weges schliefen die schwarzen Schatten des Hyde-Parks; auf der andern wurden die großen Bayswaterhäuser zu flimmernd-beweglichen Sternen, wenn der Regen an die Scheiben peitschte. Der Bus war einfach schändlich überfüllt, und seine schlechtverstaute Menschenfracht, dampfend und grämlich, sprach nichts, sah nichts, und jeder hatte es innerlich irgendwie schrecklich eilig und war angespannt besessen von der einzig-wichtigen Aufgabe: schnell nach Hause zu kommen.
Ich schwankte am Ende meines Riemens und wurde in ungleichem Rhythmus hin- und hergerüttelt zwischen dem knochigen Rücken eines Mannes im mausgrauen Regenmantel und der allzu weich-nachgiebigen Schulter einer dunklen, aufgedonnerten Dame im schmutzbespritzten Pelz. Ich war lächerlich beladen mit Paketen, und die Gewißheit, daß mein Hut eingedrückt wurde, erfüllte mich mit Grimm. Ich dampfte und tropfte und sah verdrießlich drein wie alle anderen; aber irgendwo – in meinem Innern oder außerhalb – brannte losgelöst und ungetrübt von der müden Abgespanntheit meines Körpers die stete Vitalität, der nicht wegzuleugnende, undramatische Drang zu handeln, der den Menschen, dem er innewohnt, nie zur Ruhe kommen läßt. Und da kam mir mein »Ein-Fall« – denn, weiß der Himmel, die Idee fiel in mein Hirn hinein wie ein Stein in einen Teich.
Die Idee, quer durch Kanada zu reiten! Ausgerechnet. Genau so schlicht, so kinderleicht und so schwierig – genau so. Ehe die kleinen Wellen in meinem Teich sich wieder geglättet hatten, wußte ich: das künftige Leben meiner Idee hing von meinen Eltern ab. Mutter und Vater sind schlichte Menschen, aber großzügig, und sehen die Dinge nicht von festgelegten Standpunkten aus, sondern so, wie sie sind. Sagten sie »Ja«, so spielte es keine Rolle, wer sonst etwa »Nein« sagte. Sagten sie aber »Nein«, dann würde der Stein für immer auf dem Boden des Teiches ruhen …
Als am selben Abend Mutter zu mir kam, um mir ›Gute Nacht‹ zu sagen, fragte ich sie: »Was meinst du – wie wäre es, wenn ich einen Ritt quer durch Kanada machte?«
Mutter sah mich mit ihrem ruhigen Blick an. »Ich meine«, sagte sie, »das ist vielleicht gar keine schlechte Idee!«
Also fragte ich Vater. »Gut«, sagte er, »ich persönlich hätte verdammt wenig Lust dazu – aber wenn du gerne möchtest, dann mach’ dich nur auf die Socken!«
Und dann wurde der Plan sauber zusammengefaltet und in einer hinteren Schublade meines Hirns verstaut, aber ich wußte: zu Anfang des nächsten Frühjahrs würde ich aufbrechen nach Vancouver.
Inzwischen ging ich weiter meiner Arbeit nach, kam mit meinen Freunden vom College zusammen, fuhr Mutter im Auto umher, verreiste während der Wochenenden und vergaß Kanada. Ich bin glücklicher Besitzer einer großen Gabe: ich bin einfach unfähig, mir viel Kopfzerbrechen zu machen über die Dinge, die ich vorhabe; die Schattenseite dieser Gabe ist natürlich, daß ich ebenso unfähig bin, Pläne richtig auszuarbeiten.
Ich wußte sehr wohl, ich täte jetzt gut daran, die Geographie von Kanada zu studieren, die Kosten zu berechnen, Satteltaschen zu entwerfen, mir sachkundige Ratschläge geben zu lassen und alles, was so dazu gehört. Aber persönlich finde ich das Studium physikalischer Grundzüge und klimatischer Verhältnisse auf weite Sicht bestenfalls eine betrüblich-langweilige Angelegenheit. Was die Kosten anbetraf – nun, ich besaß rund achtzig Pfund; kostete die Reise weniger, so war das schön und gut; mich aber im voraus davon zu überzeugen, daß sie wahrscheinlich mehr kosten würde – das wäre nur eine unnötige Entmutigung gewesen! Und Satteltaschen – oh, über Satteltaschen wußte ich besser Bescheid als jedes andere Mädchen, dessen reiterliche Erfahrungen sich auf Tattersallgäule, Pferdeschauen und Jagdreiten beschränkte; also beschloß ich, das Problem des Gepäcks sich selbst zu überlassen.
Ich traf nur eine definitive Entscheidung, nämlich per Bahn nach Vancouver zu fahren und meinen Ritt im Westen zu beginnen. Ich war der Meinung, alle Pferde des Westens wären stark, voll guter Eigenschaften und billig, und halb im Unterbewußtsein war mir klar: wenn das Pferd und ich zusammenklappten, ehe wir auch nur die Hälfte unseres Weges gemacht hätten, wie das die meisten Leute düster prophezeiten, so konnte uns wenigstens niemand mehr den Ritt durch die Berge nehmen! Zuerst versuchte ich, gute Ratschläge einzuholen, da aber fast alle meine Ratgeber sich nur darauf beschränkten, mir meinen waghalsigen Ritt auszureden, gab ich auch das auf. Und so kam es, daß ich mich mit dem schamlosen Optimismus vollkommener Unwissenheit am 31. März 1939 an Bord des C.P.R.-Dampfers »Duchess of Bedford« begab, der mich zu meinem unbekannten Kontinent bringen sollte.
Von dieser Reise ist mir vor allem eins unvergeßlich geblieben – eine Sturmnacht. Bis zum Abend lag ich wie die Mehrzahl der Passagiere da und überließ mich meinem Elend. Aber schließlich kam ein Reisegefährte, nach mir zu sehen. Ted war ein junger Waldgott, braun wie eine Haselnuß, und die Spitzen seiner Ohren verschwanden mit einer kleinen Drehung in seinem lockigen Haar. Er blickte auf meine Jammergestalt herab und lachte wie ein Satyr; das stachelte meinen Tatendrang auf, ich kroch von meinem Schmerzenslager und wankte neben ihm zum Deck der Dritten Klasse. Dort waren wir ganz allein, und es waren Taue gezogen, die jedermann hindern sollten, hinauszugehen. Wir krochen darunter durch und klammerten uns dann atemlos an ihnen fest, während unsere Füße auf dem klitschnassen Deck unter uns wegrutschten. Wandelnde Berge, regengepeitscht, rollten brandend auf unser kleines Schiff zu. Eine Schar verlorener Seelen kreischte und heulte in dem Sturm, der übers Meer fuhr. Ich vergaß meinen Körper, der nach Luft rang, ich wurde hineingerissen in die leidenschaftliche Erregung der See. Mein Herz wirbelte mit im Sturm, und eine Zeitlang ritt ich ohne Sattel auf dem Kamm der Welle des Lebens, die Hände in seine wirre Mähne gekrampft.
Oh, dieser Glückstaumel – oh, diese Begeisterung! Gut, daß ich nicht wußte, welche Zukunft drohend auf uns zustürzte; daß ich nicht in das Feuer und Dunkel von 1940 blicken konnte, in dem so viele Schiffe versanken. Gott sei bedankt – ich ahnte nicht, daß mein Bruder, ehe ich ihn wiedersah, die gleiche erbarmungslose See durch den Irrgarten eines Minenfeldes und die Spießrutengassen der Unterseeboote überqueren mußte …
Am siebzehnten April landeten wir in Halifax; der Boden war schlammbedeckt, der Wind voller Hagelkörner, und von dem kläglich zögernden Frühling war noch keine Spur zu sehen! Dieser Empfang in einem Klima, das ich dem unseren weit überlegen gewähnt hatte, kühlte mich ein wenig ab. Ich zog allerhand Kleidungsstücke übereinander und kletterte in den Transkanada-Zug. Sofort musste ich meine sämtlichen Hüllen fast bis auf die Haut wieder abstreifen, denn die Temperatur in dem Wagen hielt sich durch die Dampfheizung mit schöner Gleichmäßigkeit auf rund 28 Grad Celsius. Diese Temperatur paßt ausgezeichnet für Kanada, da ich aber die windige Kühle englischer Häuser und die Zugluft unserer kleinen englischen Eisenbahnen gewöhnt war, verschmachtete ich fast vor Hitze und Beklemmungen. Ich muß gestehen, meine viertägige Bahnfahrt ließ mich dieses Land, dessen Entdeckung ich mir vorgenommen hatte, durch keine allzu rosige Brille sehen.
Nachdem wir die maritimen Provinzen bei Nacht durchfahren hatten, gelangte unser Zug in das reiche Farmland des südlichen Ontario. Aber selbst diese schöne, hügelige Landschaft sah starr und nichts weniger als verheißungsvoll aus in der dritten Aprilwoche, nachdem der jungfräuliche Schneemantel schon dahingeschwunden war, aber noch nichts auf Ontarios raschen, lebensvollen Frühling hindeutete. Nach Stunden, die kein Ende zu nehmen schienen, bogen wir in nordwestlicher Richtung ab und begannen die Landkarte hinaufzuklettern in das nördliche Ontario, und bald waren wir in der Wildnis verloren. Ich hatte nie geahnt, daß es irgendwo in der Welt so viel Wald geben könnte! Bei jeder Station stieg ich aus, wenn es irgend möglich war, und wanderte den Zug entlang, um mir die große, romantische Lokomotive zu betrachten, die keuchend und dampfend an der Spitze stand.
Es sind Maschinen aus dem Märchenland, mit ihren Kuhfängern vorn und der Glocke, die vor der Kabine des Zugführers läutet! Und am schönsten ist ihr tiefes, trauervolles Aufheulen statt des schrillen Pfeifens unserer europäischen Lokomotiven....
| Erscheint lt. Verlag | 19.7.2021 |
|---|---|
| Verlagsort | Weilerswist |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte |
| Schlagworte | 2. Weltkrieg • Abenteuer • Allein unterwegs • Atlantischer Ozean • Land und Leute • Mädchen und Pferde • Reiseliteratur • Reiseroman • Reitabenteuer • Tatsachenbericht • Vancouver • zwischenkriegsjahre |
| ISBN-10 | 3-947373-72-4 / 3947373724 |
| ISBN-13 | 978-3-947373-72-7 / 9783947373727 |
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