Vier Männer, eine Lady (eBook)
176 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-7497-2748-3 (ISBN)
Jürgen Selonke ist gelernter Journalist. Nach Abitur und Volontariat arbeitete er als weltweit eingesetzter Reporter und berichtete vor allem über menschliche Schicksale. Später leitete er in Großverlagen Redaktionen bei bundesweit erscheinenden Publikationen. 2010 wechselte er in den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation bei der Deutschen Post. Er war Chefredakteur des DIVSImagazins, einer Fachzeitschrift für Fragen und Forschung rund um das Internet. Privat ist das Segeln seit Jahrzehnten seine große Leidenschaft.
Jürgen Selonke ist gelernter Journalist. Nach Abitur und Volontariat arbeitete er als weltweit eingesetzter Reporter und berichtete vor allem über menschliche Schicksale. Später leitete er in Großverlagen Redaktionen bei bundesweit erscheinenden Publikationen. 2010 wechselte er in den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation bei der Deutschen Post. Er war Chefredakteur des DIVSImagazins, einer Fachzeitschrift für Fragen und Forschung rund um das Internet. Privat ist das Segeln seit Jahrzehnten seine große Leidenschaft.
Maschine an und los
Flaute also. Heute wie morgen. Da wird Segeln zum Geduldsspiel. Müsste in jedem Fall der Motor ran. Zum Eingewöhnen ist das vielleicht sogar besser.
Ich schaue in die Runde: „Und?“
Volker schiebt sich aus der Waagrechten in eine Sitzposition und pfeift „I am sailing!“ Singen könnte er den Song nicht. Sein Englisch ist leicht schlechter als seine Segelkenntnisse.
Also dann, machen wir klar zum Auslaufen.
Technisch bei wenig Wind ein leichtes Manöver. Maschine an, Leinen los und rückwärts vorsichtig aus der Box tuckern. So jedenfalls das Grundprinzip. Die Feinheiten kriegen wir später.
„Wer will den Kurs abstecken?“
Üblicherweise darf sich auf „Lady Elliot“ jeder mal daran versuchen. Gut für die Harmonie. Nur darfst du als Obermacker nie die Grundregel aus deinem Hinterkopf rauskriegen: Egal, wer denkt – der Skipper lenkt.
Jetzt allerdings winken die drei gelangweilt ab. Der Professor bringt es auf den Punkt: „Was heißt hier Kurs? Raus aus dem Hafen, links abbiegen und immer parallel zur Küste hoch. Irgendwann sind wir dann in Fehmarn.“
Unter seemännischen Gesichtspunkten bewertet ist die Ansage natürlich kompletter Mist. In der Sache stimmt sie allerdings. Mit dieser Marschroute verfehlt auch der größte Trottel das Ziel wahrscheinlich nicht.
„Wie weit ist das eigentlich?“ Der holländische Selbstgemixte in Siggis Pfeife brennt. Er kann wieder reden.
„Ungefähr 21 Seemeilen.“
„Ach so!“
Ich weiß, was als nächstes kommt. Ist ihm deutlich anzusehen.
Volker nutzt seine Chance, um noch vor der Frage zu antworten. Das einzige Fachwissen, das er sich jemals dauerhaft angeeignet hat: „Eine Seemeile ist 1852 Meter. Exakt der 60. Teil eines Längengrades.“
„Na so was!“ Siggi ist wenig beeindruckt. „Wie viel macht denn das nun in deutscher Sprache?“
Beim Rechnen braucht der Professor länger. Aber er findet es: „Rund 39 Kilometer!“
Kurz nach 14 Uhr lasse ich den Gustafsson Marinediesel losblubbern. Das ist immer noch die erste Maschine im Bauch von „Lady Elliot“, über 25 Jahre alt. Völlig unbeleckt von jedem elektronischen Schnickschnack. Wahrscheinlich deshalb so zuverlässig.
90 PS ist der Vierzylinder stark und damit deutlich kräftiger als die Motoren der meisten Segeljachten. Dazu musst du wissen: Das Plus an Pferdestärken bedeutet nicht mehr Geschwindigkeit.
Bringt in erster Linie höhere Sicherheit. Bei rauer See oder starker Strömung kann dir das den Arsch retten, um das drastisch zu beschreiben.
Glaubst Du mir nicht? Solltest Du aber. Wobei kein Laie die Sache richtig in seinen Kopf kriegt.
Landratten unterschätzen die Strömung nämlich gern. Welche Kraft tatsächlich dahinter steckt, muss man einmal erlebt haben, um die Sache zu begreifen. Dann wird deutlich, wie das Wasser arbeitet und im Zweifel gewinnt.
Auch ich war ungläubig. Bis vor einigen Jahren. Damals war die englische Kanalinsel Alderney unser erklärtes Tagesziel.
Wir kamen von Süden, von Guernsey und waren eine knappe Stunde zu spät ausgelaufen. Jedenfalls haute das mit der Tide nicht mehr hin. Dennoch ging zunächst alles gut. Die ersten Masten im kleinen Hafen von Braye konnte ich Backbord querab bereits ausmachen. Alles super, dachte ich.
Von wegen. Denn da kippte die Strömung.
Mit Motor und den üblichen 1300 Umdrehungen lief „Lady Elliot“ normale Reisegeschwindigkeit. Das sind bei uns gut 6 Knoten. Anders beschrieben sechs Meilen pro Stunde.
Doch nun rauschte die Strömung von vorne auf uns zu. Neptun lachte. Das Log, der Geschwindigkeitsmesser an Bord, zeigte schlagartig noch 5, 4, 3, 2 Knoten. Ein Knoten. Dann war Feierabend mit Vorausfahrt. Wir standen auf der Stelle.
Kommt aber noch besser. Bei laufendem Motor begann „Lady Elliot“ rückwärts zu treiben. Logisch, du gibt mehr Stoff. Hebel on the table. So heißt der dazu gängige Spruch im schönen Neudeutsch. Was im Klartext bedeutet, du schiebst den Gashebel weiter nach unten, was die Maschine normalerweise zu Höchstleistungen putscht. Doch auch bei höherer Drehzahl gewannen wir keinen Meter.
Da lernst du was fürs Leben. Am Ende sind wir resigniert abgedreht. Nix mit Braye auf Alderney. Den Tagesausklangs-Roten haben wir in irgendeinem französischen Hafen auf dem Festland gesüffelt. Sozusagen auf eine neue Erkenntnis angestoßen.
Solche Verhältnisse sind auf der Ostsee allerdings nie zu befürchten. Starkwind und Wellen von vorn rauben einem zwar durchaus Fahrt. Manchmal auch den Nerv. Aber Stillstand oder gar ein Treiben nach rückwärts ist nicht drin.
*****
Von solchen Misslichkeiten spüren wir an diesem Nachmittag nix. Flaute zwar, dafür strahlt der Himmel frühjahrsblau. Hans und Siggi beziehen noch während des Auslaufmanövers auf dem Achterdeck ihre feste Position. Kein Skipper mit Erfahrung wird darüber meckern. Im Gegenteil. Zwei weniger, die sinnlos im Weg stehen.
Raus aus dem Grömitzer Hafen nach Volkers Steueranweisung. Hinter der Ausfahrt folgt „Lady Elliot“ gehorsam der Drehung des Ruders und schwenkt ihren Bug nach backbord. Zeit für mich, noch mal den Skipper zu geben: „Laufen wir also erstmal einen 60 Grad Kurs bis Schwarzer Grund. Das sind etwa 7 Meilen.“
Perlen vor die Säue. Die drei sehen mich herablassend gönnerhaft an: „Perfekt berechnet. Man erkennt, warum du die meisten Streifen hast.“
Worauf Hans und Siggi sich endgültig genüsslich auf den Backskisten ausstrecken. Volker trabt derweil aufs Vorschiff, um dort ungestört Sonne zu tanken. Immerhin strahlt er mich noch an: „Du machst das schon!“
Ehrlich gesagt, viel zu tun ist nicht. Ich positioniere das Einstellrad für den Autopiloten auf 60 Grad und knipse ihn an. Bereitwillig übernimmt der englische Automat seinen Job.
Erst mal Pause, eine gute Stunde lang. Dann, auf Höhe der Warntonne Schwarzer Grund, ist wieder was zu tun. Am Justierrad 15 Grad eingeben. Und damit ist dann alles klar für die letzten 14 Seemeilen.
Arbeit erledigt. Das Schiff läuft wie es soll, alle sind zufrieden. Genügend Zeit und Muße, die Besatzung präziser vorzustellen. Damit der geneigte Leser weiß, mit wem er auf Törn geht.
Siggi aus Amsterdam. Typ Einstein. Nicht so schlau. Doch die Frisur und das verschmitzte Lächeln stimmen exakt mit dem Original überein. Sein schmales Domizil in Hollands Metropole blickt mit dem hinteren Teil auf eine Gracht.
Im oberen Stock steht am raumhohen Fenster der Schreibtisch. Darf nie und auf keinen Fall verschoben werden. Traditionell hat es sich eingebürgert, dass die Fremdenführer der vorbei schaukelnden Touristenboote ihn ins Programm eingebaut haben: „Achten Sie hier auf Einstein.“
Siggi weiß, wie wichtig Besucher für die holländische Metropole sind. Weshalb er sich auf das Stichwort hin stets vom Schreibtisch hochstemmt und freundlich den Gästen aus aller Welt zuwinkt. Da ist er perfekt drin. Sogar die einstige Königin Beatrix soll angeblich bei ihm Unterricht genommen haben, zumindest in diesem Punkt.
Vom Segeln hat er natürlich keinen blassen Schimmer. Gelegentlich hakt er interessiert nach. Seine Gefährlichkeit für jeden Skipper liegt darin, dass er spontan eigene Ideen umsetzt. Natürlich ohne Ankündigung. Ich werde darauf zurückkommen müssen.
Volker, Professor aus Hamburg. Legendär seine Pausenfüller während der Vorlesungen, wenn ihn zunehmend häufiger der Schwung verlässt und der rote Faden im Nebel unsichtbar wird. Er weiß alles über St. Pauli. Die Fußballer. Früher auch über den Kiez allgemein. Die Zeit verschiebt Prioritäten. Jedenfalls streut er diese Restkenntnisse gern als Rettungsanker ein. So geht ihm nie der Stoff aus.
Segelkenntnisse? Fehlanzeige.
Auf seinen Wunsch hin nutze ich seit Jahren erfolgreich farblich unterschiedliches Tauwerk an Bord. Das klare Kommando „Zieh am blauen Ende!“ begreift er. Ein fachlich korrektes „Fockleine dichtholen!“ würde Verwirrung stiften.
Seine Gefährlichkeit liegt in der hohen Motivation. Manchmal will er mehr, als dem Material gut tut. Einmal unter Strom gesetzt, neigt er im Übereifer zur Zerstörung einzelner Schiffsteile, das jedoch mit hoher Präzision und Zuverlässigkeit.
Hans, der Versicherungsexperte. Seine Eltern schickten ihn einst ausgerechnet zur Phase des Mauerbaus zur Oma, die in der Nähe von Dresden lebte, in den Sommerurlaub. Also ganz, ganz früher. Als Besuch problemfrei möglich war, vor der Trennung also, die der späteren Wiedervereinigung bekanntlich voraus ging. Ältere Semester erinnern sich womöglich daran.
Besagte Eltern nahmen die Steine- und Stacheldraht-Aktion nicht ernst. Schulferien waren Schulferien. Als sie sich dem Ende näherten -...
| Erscheint lt. Verlag | 5.9.2019 |
|---|---|
| Verlagsort | Ahrensburg |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Reisen ► Reiseführer |
| Schlagworte | Crew • Genuss • Ostsee • Pannen • Planung • Rundreise • Segeln • Sturm |
| ISBN-10 | 3-7497-2748-1 / 3749727481 |
| ISBN-13 | 978-3-7497-2748-3 / 9783749727483 |
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