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Meine italienische Reise (eBook)

oder wie ich mir in Sizilien einen uralten Cinquecento kaufte und einfach nach Hause fuhr

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Prestel (Verlag)
978-3-641-27734-5 (ISBN)

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Meine italienische Reise -  Marco Maurer
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Roadmovie und Liebeserklärung an Italien - der SPIEGEL-Bestseller jetzt im Paperback
Dies ist die Geschichte eines lange gehegten Traums: Mit einem uralten Fiat Cinquecento fährt der Reporter Marco Maurer - begleitet vom Fotografen und Pulitzer-Preisträger Daniel Etter - von Sizilien nach Deutschland. Tausende Kilometer weit, Meere links und rechts liegen lassend, Berge überquerend, eine Reise gegen die Schnelllebigkeit unserer Zeit. Unterwegs begegnet er Oliven- und Safranbauern, Ordensschwestern und Pastaherstellern, Cafébesitzerinnen und Pizzabäckern, Köchinnen und Mechanikern, Nonnas und Mammas. Er hört ihre Geschichten, kocht und isst gemeinsam mit ihnen. Ein faszinierender Streifzug durch das ursprüngliche Italien, das Touristen normalerweise verschlossen bleibt - und eine Reise in die eigene Vergangenheit, in das verloren geglaubte Dorf seiner Großmutter, wodurch er auch Italien immer näher kommt und am Ende eine überraschende Entdeckung macht.

Durchgehend vierfarbig gestaltet, mit vielen Abbildungen und Rezepten.

Marco Maurer ist Autor und Reporter für die SZ, die ZEIT, den Stern und für den Bayerischen Rundfunk. Davor arbeitete er lange Zeit als Redakteur für NEON und war dann für die journalistischen Inhalte von Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale im ZDF/ ZDFneo zuständig. Jetzt ist er Redakteur für das NZZ Magazin. Für seine Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet (unter anderem: Axel-Springer-Preis, Civis-Preis, Deutscher Journalistenpreis). Sein erstes Buch erschien 2015 bei Droemer. Er lebt in Hamburg und Zürich, ist oft in München und hat keine italienische Großmutter. Oder etwa doch?

UNO


Die Suche und die Sehnsucht, la ricerca e la nostalgia

Ich sitze an einem vierunddreißig Grad heißen Frühsommertag einem Sizilianer gegenüber, der so heißt, wie sie in meinen vielfältigen Italienklischees heißen: Marlon. Allerdings, sagt er mir, sein Name sei kein sizilianischer. Er wisse auch nicht, warum seine Eltern, die Caligiores – ein wirklich ursizilianischer Familienname – ihn so genannt haben. Vermutlich, meint er, mochten sie Marlon Brando als Don Corleone.

Ich wollte nur kurz Halt bei einem Freund machen, der für Marlon arbeitet und mit dem ich Fußball spiele. Im Büro erzählte ich ihm, dass ich einen Cinquecento aus den sechziger Jahren suche. Marlon, der uns mit verschränkten Armen gegenübersaß, richtete sich plötzlich auf seinem Stuhl auf und sagte: „Ich helfe dir.“

Bis dahin wusste ich weder, dass Marlon italienische Wurzeln hat, noch, dass er auf Sizilien ein Haus gebaut hat. Noch, dass er auf der Insel, zwischen Dörfern und Feldern, das Autofahren im Cinquecento seines Onkels gelernt hat. Noch, dass er früher italienische Autos nach Deutschland importiert hat.

Es war vermutlich Schicksal, il destino.

Ein paar Wochen später bin ich erneut in Marlons Büro, irgendwo in der norddeutschen Provinz. Wir rufen bei Italienern und Italienerinnen an, ich hatte rund zehn Autos gefunden, von denen ich dachte, sie könnten ein Telefonat wert sein. Marlon hatte sich zuvor bei seinem Vater Paolo in Sizilien erkundigt, aber der wusste von keinem Cinquecento, der zum Verkauf stand. Vater und Sohn Caligiore hatten das Haus in der Nähe von Syrakus gemeinsam gebaut, sind stets in Nachtzügen von Hamburg-Altona über Mailand oder Rom nach Sizilien gefahren. Von dort weiter aufs Land, la campagna, wo sie ihre Urlaube damit verbrachten, Stein auf Stein zu schichten. „Wir haben bis in die Unendlichkeit gebaut“, sagt Marlon.

Es seien schöne, mühsame Jahre gewesen.

Marlons Vater kam 1967 nach Hamburg, arbeitete als Rangierer bei der Eisenbahn und lernte im Hamburger Karoviertel, früher angeblich Little Italy genannt, seine Frau Elisa, auch Sizilianerin, kennen und lieben. Ein paar Jahre darauf kam ihr Sohn zur Welt.

Marlon ist kein gebürtiger Sizilianer. Aber er fühlt sich dem Land, das er jährlich besucht, zugehörig, erinnert sich an die Zugfahrten mit seinem Vater von Hamburg nach Sizilien, an die nach Pasta und harter Arbeit riechenden römischen Eisenbahnerkantinen und den immer gleichen Moment, am Morgen des zweiten Tages im Zug vom Meer geweckt zu werden, es zwischen Kalabrien und Sizilien plötzlich riechen und dann sehen zu können.

Der erste Anruf führt genau dorthin, nach Messina, alte Hafenstadt und Verbindung Siziliens zum Festland.

Si, ciao, hier spricht Marlon Caligiore, salve! Ein Freund von mir interessiert sich für Ihren Cinquecento. Könnten Sie mir von ihm erzählen?“

Der Mann, der Stimme nach ein älterer, antwortet, er arbeite, man solle später anrufen. Mir war seine Anzeige aufgefallen, weil auf der Vorderscheibe seines weißen Cinquecentos eine Zahl klebte, die Neunzehn. Der Wagen hatte offensichtlich an einer Oldtimer-Rallye teilgenommen, weshalb ich vermutete, er könne in einem guten Zustand sein. Ich mochte auch das Bild in der Anzeige – das Auto steht in einem Hinterhof, aus einem Fenster über ihm hängen Bettlaken zum Trocknen in der Sonne. Ich konnte Sizilien spüren.

Wir rufen nicht nur in Messina an, sondern auch in Genua, Rom, in Dörfern in der Nähe von Neapel und Bergamo, in Ligurien, Apulien und der Toskana. Alle Autos haben unterschiedliche Farben, Gelb, Türkisblau, Marineblau, Rot, Schwarz, Grün. Der beige Cinquecento wird als Reklame für ein Ristorante mitten in der römischen Altstadt eingesetzt. Ein grüner in Bologna wird wegen nicht näher genannter familiärer Probleme veräußert, in ein türkisblaues Modell nahe Neapel verschießt sich Marlon, nicht einmal der rostige Motor schreckt ihn ab. Doch als Agostino den Preis während des Telefonats um das Doppelte anhebt, erkaltet Marlons Liebe jäh und endgültig. Apropos Liebe, das Foto eines schwarzen Exemplars zeigt auch ein Brautpaar. Die beiden stehen neben ihrem mit weißen Blumen geschmückten Auto, im Hintergrund ist eine Kirche zu sehen. Dem üppigen Schleier nach haben sie in den Neunzigern geheiratet. In der Anzeige steht der schlichte Satz: Il nostro amore è finito, ma la macchina no. „Unsere Liebe ist am Ende, das Auto nicht.“ Durch die ehrlichen Worte habe ich Vertrauen zu dem Auto, aber wir erreichen die beiden kein einziges Mal.

Die Anzeigen sind wie Gucklöcher in eine andere Welt – und in meine Zukunft. Kleine Trailer wie im Kino, bei denen ich mir vorstelle, wie der Film werden könnte. Drei Wagen kommen in die engere Auswahl. In meiner Vorstellung fahre ich mal mit einem türkisgrünen, mal mit einem marineblauen, mal mit einem weißen Cinquecento durch enge italienische Gassen.

Allerdings ist es nicht die Farbe, die meine Entscheidung leitet. Es sollte vielmehr kein Auto von einem Händler sein, die Vorbesitzer sollten dem jetzigen Eigner bekannt, möglichst wenige und zu kontaktieren sein. Ich möchte die Geschichten der Menschen erfahren, die das Auto fuhren.

Wie sah ihr Leben in jener Zeit aus? Was passierte zwischen damals und heute?

Vom Cinquecento wurden zwar zwischen Ende der fünfziger und Mitte der siebziger Jahre rund vier Millionen Exemplare hergestellt, knapp zwanzig Prozent davon sollen heute noch unterwegs sein, ein Italienurlaub, ohne dass so ein alter Fiat an einem vorbeiknattert, ist nahezu undenkbar.

Allerdings habe ich mein Augenmerk auf ein besonderes Modell des Cinquecento gelegt, seine rare Kombiversion. Sie trägt den Beinamen Giardiniera, Gärtnerin. Nur rund eine halbe Million davon wurden fabriziert. Genutzt haben sie Handwerker, Winzer und Bauernfamilien, und das eher auf Feldern als auf Straßen. Im Gegensatz zum regulären Cinquecento wurde die Giardiniera mit einem Kofferraum ausgestattet, es passten Schaufeln und Hacken, Weidekörbe voller Trauben genauso wie Hühnerkäfige hinein. Viele Bauern luden zudem das Dach voller Gerätschaften: ein Lastenauto; und wie das bis heute ist, ganz pfleglich wird nicht mit ihnen umgegangen, weshalb viele das Zeitliche segneten oder in einem erbärmlichen Zustand sind.

Giardiniera, Gärtnerin,

wie passend. Ich muss an den Garten meiner Großmutter denken. Sie fuhr zeitlebens nie ein Auto, auch keinen Traktor. Dadurch könnte der Eindruck entstehen, dass das Fahren allein den Männern vorbehalten war. So war es nicht, meine Großmutter wusste aber, dass sie auch ohne Motorisierung das Zentrum der Familie war, die eigentliche Macht, um die alle kreisten. Sie musste nicht zu ihnen fahren, ihre Lieben kamen zu ihr.

Brauchte meine Großmutter etwas, holten es ihr Mann, ihre Kinder oder ihre Enkel; aus der nahe gelegenen Stadt, vom Dachboden oder den Obstbäumen im Garten. Meine Großmutter war zwar eine einfache Bäuerin in Bayern, aber geboren wurde sie in Hessen. Das wichtigste gesellschaftliche Ereignis jedes Jahr war für sie das Wiesbadener Reitturnier im Schlosspark Biebrich. Zeitlebens verpasste sie kein Turnier vor dem Fernseher.

Meine Großmutter habe ich als eine zurückhaltende Person kennengelernt, die oft nur das Nötigste sprach, eine warme Stimme und ein großes Herz hatte. Ich habe bis heute nie eine Frau so vornehm trinken sehen wie sie. Mein Lieblingsfoto von ihr zeigt sie auf einem Feld. In einer Erntepause nimmt sie einen Schluck Bier, ausnahmsweise aus der Flasche, sie steht auf dem Anhänger eines Traktors, trägt ein geblümtes Kleid, eine Schürze und ein Kopftuch. Umringt ist sie von Kindern, Enkeln und den Kindern anderer Bauern. Betrachte ich das Bild, sehe ich nur zwei Dinge, Wärme und Eleganz.

Meine Großmutter hatte mehrere Reiche, ihre Felder, ihren Stall, ihr Café, doch die wichtigsten waren ihr Garten und ihre Küche; beide bedingten sich gegenseitig.

Gärtnerin, Giardiniera

von vorn betrachtet ist das Auto ein normaler Cinquecento, klein, niedlich, rund, beinahe eiförmig. Sie hat keine überflüssigen Linien und Formen und zwei runde, neugierig dreinschauende Scheinwerfer, ist keine drei Meter lang und mit einem Meter zweiunddreißig so breit wie hoch. Die Giardiniera ist zwanzig Zentimeter länger als die Standardversion des Cinquecento, das macht sie hinten unförmiger; allerdings ist ihr Verdeck größer, sie ist Kombi und Cabrio zugleich.

Marlon Caligiore

Der Cinquecento ist nicht so klein, weil er niedlich, sondern weil er billig sein sollte. Fiats Zentrale in Turin wollte ein Auto für alle. Ihr Chefdesigner Dante Giacosa verbrauchte so wenig Material wie nötig. Das führte dazu, dass ein Dach aus Stoff serienmäßig verbaut wurde, weil damit Stahl gespart werden konnte und zudem das Auto leichter wurde, weniger Sprit verbrauchte. Das Faltdach war keine italienische Extravaganz, sondern Turiner Sparsamkeit. So wurde der Cinquecento zu einer Art vierrädriger Vespa – und sein offenes Faltdach zum Himmel über Italien, il cielo sopra l’Italia.

Er ist eines der Symbole Italiens, seine Silhouette ist weltbekannt – mittlerweile steht er im Museum of Modern Art, er wird wie das Kolosseum und der schiefe Turm auf Reiseführer gedruckt, Winston Churchill, Aristoteles Onassis, Grace Kelly und John Wayne fuhren dieses doch eigentlich klassenlose Auto. Für Italiener und Italienerinnen war es ursprünglich, ähnlich dem VW Käfer in Deutschland, ein Stück Freiheit und Auftakt der gesellschaftlichen Motorisierung.

Es gibt für Städter heute...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Illustrationen Daniel Etter
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte Europa
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Abruzzen • aktuelle bestseller • Apennin • Autostrada del Sole • Bella Italia • Bologna • Das große Los • eBooks • Entschleunigung • Eskapismus • Fiat 500 Giardiniera • ich bin dann mal weg • Italien • Italien-Urlaub • Kalabrien • Kampanien • Latium • lifestyle • Ligurien • Neapel • Nostalgie • Oldtimer • Ratgeber • Reise / Abenteuer • Reisen • Retro/ Vintage • Rom • Sizilien • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Timmelsjoch • Turin • Urlaub
ISBN-10 3-641-27734-5 / 3641277345
ISBN-13 978-3-641-27734-5 / 9783641277345
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