Akshata (eBook)
339 Seiten
Paula Coulin (Verlag)
978-3-96944-194-7 (ISBN)
Paula Coulin schreibt authentische Texte über das wahre Leben, über Weiblichkeit und Spiritualität, über das Magische in der Wirklichkeit. Sie lebte eine Zeit lang in Indien und begegnete dort der indischen Autorin Amrita Gandhi. So entstand die Idee zu dem gemeinsamen Memoir 'Akshata - Unzerbrechlich'. Es ist eine Reise zum Geheimnis des Weiblichen, ein intimer Einblick in die zeitgenössische indische Gesellschaft und ein Aufbruch in ein neues Verständnis von Liebe. Mehr Informationen: paulacoulin.com
Paula Coulin schreibt authentische Texte über das wahre Leben, über Weiblichkeit und Spiritualität, über das Magische in der Wirklichkeit. Sie lebte eine Zeit lang in Indien und begegnete dort der indischen Autorin Amrita Gandhi. So entstand die Idee zu dem gemeinsamen Memoir "Akshata - Unzerbrechlich". Es ist eine Reise zum Geheimnis des Weiblichen, ein intimer Einblick in die zeitgenössische indische Gesellschaft und ein Aufbruch in ein neues Verständnis von Liebe. Mehr Informationen: paulacoulin.com
Die erste Nacht
Shailaputri
Oh Shailaputri,
Tochter des Himalaya.
Die Mondsichel auf der Stirn,
Dreizack in der einen Hand
Lotus in der anderen,
So reitest Du auf Nandi,
dem Stier, in die Welt,
den einen zu finden,
als die Kraft aller;
die Kraft Brahmas,
die Kraft Vishnus,
die Kraft Shivas,
Deines wahren Gemahls.
Vielleicht beginnt diese Reise, als der Altgeselle Murr, ein Trumm von einem Mann, an mir vorbeigeht, mir die Pranke reicht, ohne mich anzusehen, ein Baum in schwarzer Borke, Cordsamt breit und sagt: „Sie kommen alle wieder.“ Als die Gesellen nacheinander aus dem Gasthaus Stendhal stolpern und am frühen Morgen schon dampfen von Bier, Kaffee und froher Erwartung. Als Kalle sich einreiht mit seinem neuen schwarzen Hut, die Krempe so breit wie die Schultern; sich einreiht in den Spinnermarsch, der sich die Straße hinunter windet, über den Parkplatz am Gewerbegebiet und an den Altglascontainern vorbei; ein Marsch, der sich immer wieder zum Kreis formiert, damit die Flasche Korn herumgehen kann, die leer sein soll am Ortsausgangsschild.
Vielleicht beginnt die Reise, als die Flasche geleert ist und verbuddelt und die letzten Worte gesprochen werden und Kalle mir mit plierigen Augen und heißem Atem ins Ohr brüllt: „Paula! Ich werde dich immer lieben! Aber ich weiß auch, es wird noch was passieren!“ Als die Gesellen ihn davor bewahren, auf den letzten Metern noch von einem Auto überfahren zu werden, indem sie ihn am Schlafittchen in die Böschung zerren und die Abkürzung Richtung Autobahn nehmen, den Hang hinunter. Als Kalle geht und ich stehen bleibe, da wo ich bin. In Kalles Bannmeile, den Ort, den er drei Jahre lang nicht betreten darf, wenn er ein echter Wandergeselle sein will.
Vielleicht beginnt diese Reise auch, als wir uns unterwegs immer wieder treffen, in Berlin zum Beispiel, wo Kalles Bruder uns Obdach gibt und wir zusammen auf den Krug fahren ins Nirgendwo, der Tresen gebeizt in Eiche, altdeutsch, Sitzbank in der Ecke, alle Plätze besetzt, eine Runde schwarzer Hüte. Als Kalle sich neben seinen vertrauten Reisegefährten fallen und mich stehen lässt, sodass ich erst mal den Gang aller ratlosen Frauen antrete, auf die Damentoilette. Gottseidank ist eine vorhanden, mit einem Fön neben dem Waschbecken, der mir die Hände wärmt. Ich beschließe zu bleiben, setze mich in die Runde schwarzer Gesellen, ziehe die Jacke aus und das T-Shirt ein bisschen tiefer, schaue freundlich in die Runde, bis ich jedem am Tisch aufgefallen bin, sogar dem Alki am Tresen. Bis Kalle bemerkt, dass ich auch noch da bin.
Die Reise beginnt auf jeden Fall, als ich drei Jahre später, noch immer in Kalles Bannmeile und dazu im Examen feststecke; als mir langsam jedes Stück meines Selbst aus der Hand fällt, die Freude, die Konzentration, die Ordnung, der Sinn, und schließlich der Funke in meiner Brust, der in der Lage ist zu lieben. Als Kalle nach Indien fliegt und die Ruinen von Hampi besichtigt, in die Berge wandert, an Kaffeeplantagen vorbei, bis er die Gipfel des Himalaja sehen kann, während ich abends bei Licht einschlafe, weil mir nicht mehr auffällt, dass es überhaupt angeschaltet war. Meine Reise beginnt, als ich Angst vor dem Kontakt zu anderen Menschen bekomme, weil mir die Worte fehlen, ich nicht mehr sprechen kann, in meinem Kopf nichts mehr ist außer der dunklen Furcht, vom Rand der Erde zu fallen. Sie beginnt, als ich beschließe, dass ich fort muss von hier, an irgendeinen warmen Ort, einen Ort, an dem es mich nicht umbringt, Gefühle zu haben. Mir fällt erst später auf, dass ich denselben Ort wähle, an dem Kalle eben noch war: Indien. Ich verlasse die Uni, ich lasse mir von meinem Bruder dabei helfen, ein Praktikum bei einer NGO zu finden, ich beantrage ein Visum, ich kaufe ein Ticket.
Und jetzt bin ich hier. Ich habe die Nacht im Zug verbracht, auf einer mit petrolblauem Kunststoffleder bezogenen Liege in einem Schlafwagen der Indian Railway und stehe orientierungslos und übernächtigt auf dem Bahnsteig von V. Zwei junge Frauen kommen auf mich zu. Eine von ihnen ist hochgewachsen und bewegt sich wie eine offizielle Würdenträgerin. Ihre Haut hat unregelmäßige Flecken, weiß und dunkel pigmentiert, als ob sie zugleich Inderin und Europäerin wäre. Die andere ist eher klein und kurvig und hat ein strahlendes Lächeln im Gesicht. „Du bist bestimmt Paula“, sagt sie auf Englisch zu mir. Wir geben uns die Hand.
Anjali ist für die internationalen Trainees der Organisation zuständig, die mir ein Praktikum an diesem Ort vermittelt hat. Und Mahima ist mein „Buddy“, meine Betreuerin für die ersten Tage hier. Ich werde eine Woche bei ihrer Familie bleiben, bevor ich mein Praktikum antrete. Die beiden Mädchen diskutieren kurz auf Gujarati, dann beschließen sie: „Ist ja nur ein Rucksack!“ Es ist nur ein Rucksack – und eine Weiße, die sich in der Hitze Delhis den Magen mit einem Fischgericht verdorben hat. Aber ich hoffe, dass ich durchhalte.
„Challoo, lasst uns gehen. Paula, du kommst mit mir mit!“, sagt Mahima und nickt Anjali zum Abschied zu. Ich wuchte mir den Rucksack auf den Rücken und folge Mahima. Die Bahnhofshalle ist voller Menschen. Riesige handgemalte Anzeigetafeln informieren über die Abfahrtszeiten. Echos flattern wie Tauben.
Als wir aus dem Gebäude treten, habe ich das Gefühl, in eine Wand aus Hitze, Lärm und Abgasen zu laufen. Die Sonne knallt auf uns herab, die Luft ist dreckig, ein irrer Verkehr strömt um das Gebäude herum. Jeder Verkehrsteilnehmer, der eine Hupe in Greifweite hat, benutzt sie auch, und das sind viele. Dieselpartikel und Staub bedecken sofort meine verschwitzte Haut, legen sich auf meine Atemwege. Auf dem Bahnhofsvorplatz stehen Hunderte von Motorrädern in der prallen Sonne. Sie sind dicht an dicht geparkt, die Lenkstangen verkeilt. Eine Sonderspur für Rikschas führt direkt unterhalb der Stufen zum Bahnhofsgebäude entlang.
Aber wir nehmen jetzt keine Rikscha, wir holen Mahimas Roller vom Parkplatz. Er ist violett-metallic, und ein großer orangefarbener Ganesh klebt auf der Front, der freundliche Gott mit dem Elefantenkopf, der jeden Anfang segnet und den meisten Gebeten vorangeht, wie ich später erfahre. Mahima startet den Motor und fordert mich auf, hinter ihr Platz zu nehmen. Auf meinem Rücken befinden sich achtzehn Kilogramm Ballast, Beute von den Touristenmärkten und Wanderstiefel, die ich überhaupt nicht brauche, weil ich mich hier im wüstenartigen Flachland befinde und kein Mensch in Indien zu Fuß läuft, der es nicht muss. Aber es nimmt auch niemand eine Rikscha, wenn er einen Roller hat und das Transportgut noch irgendwie obendrauf passt. Das Transportgut bin in diesem Fall ich. Und mein Gepäck.
Irgendwie gelingt es mir, hinter Mahima zu klettern und mich an ihren Schultern festzuhalten. Die Straßen sind voll. Mahima bahnt sich ihren Weg durch Lücken, die erst dann auftauchen, als wir schon hindurchfahren. „Du wirst meine Mutter mögen. Ich habe da so ein Gefühl!“, ruft sie mir zu. Seltsam, dass sie mir das mitteilt. Ich schließe einfach die Augen und lasse alles an mir vorbei rauschen.
Plötzlich hört der Lärm auf. Wir sind abgebogen in eine breite, sandige Nebenstraße, mit niedrigen bunten Hütten an jeder Seite und ein paar majestätischen Bäumen. Das Grün wirkt verblichen, fast unwirklich. Schatten tanzen auf dem Boden. Der Verkehr fließt immer langsamer.
Es gab einen Unfall. Ein Roller und ein Motorrad sind ineinander gekracht. Die Fahrer, ein junger Mann und eine junge Frau, stehen neben ihren Fahrzeugen, einem Haufen Blech. Beide sind unverletzt, aber ich kann den Schock auf ihren Gesichtern erkennen. Die Kollision muss bei recht hoher Geschwindigkeit stattgefunden haben. Ein Vorderrad dreht sich noch in der Luft. Wir fahren langsam vorbei. Mahima ist nicht beeindruckt. „So etwas passiert die ganze Zeit“, sagt sie.
Ich klammere mich an ihr fest.
Irgendwann erreichen wir eine ruhige Wohngegend. Die Straße wird nur noch von frei herumlaufenden Kühen und einzelnen Betonbodenwellen, den fiesesten Geschwindigkeitsbegrenzungen, die ich je gesehen habe, blockiert. Mahima fährt einfach seitlich daran vorbei, über den Schotter am Straßenrand. Großzügige Apartmenthäuser stehen hinter üppigen tropischen Pflanzen und hohen Mauern, die in verblichenen Pastellfarben gestrichen sind. Eine einzelne Kuh knabbert an den Blättern eines Busches, der über ein Gitter lugt.
„Mom, wir sind da!“, ruft Mahima, als wir schließlich in einem Innenhof vor einem typischen, zweigeschossigen Haus mit Flachdach stehen. Ein einziges Fenster geht direkt auf den Hof. Im Schatten hinter dem Fenstergitter erkenne ich das Gesicht eines hageren Mannes. „Hallo Dad!“ Mahima begrüßt ihren Vater beiläufig, während sie ihren Roller parkt.
Die Familie lebt im Erdgeschoss. Wir ziehen unsere Schuhe auf der Terrasse aus und stehen mit einem Schritt in einem großzügigen Wohnzimmer. Es ist kühl, sauber und still. Vor den blauen Wänden versammelt sich eine kuriose Parade neuer und alter Möbel, manche indisch, manche europäisch. Am Fenster sitzt Mahimas Vater auf einer antiken Chaiselongue.
„Das ist eine Freundin, Dad. Sie fängt demnächst bei...
| Erscheint lt. Verlag | 15.7.2020 |
|---|---|
| Verlagsort | Vachendorf |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Reisen ► Sport- / Aktivreisen ► Asien |
| Schlagworte | Armee • Frau • Glaube • Göttin • Indien • Liebe • Reise • Spiritualität |
| ISBN-10 | 3-96944-194-3 / 3969441943 |
| ISBN-13 | 978-3-96944-194-7 / 9783969441947 |
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